Gesetzesantrag des Landes Rheinland-Pfalz
Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MindLohnG)

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

E. Sonstige Kosten

Gesetzesantrag des Landes Rheinland-Pfalz
Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MindLohnG)

Der Ministerpräsident Mainz, den 4. September 2007
des Landes Rheinland-Pfalz

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Harald Ringstorff

Sehr geehrter Herr Präsident,

die Regierung des Landes Rheinland-Pfalz hat beschlossen, dem Bundesrat den in der Anlage mit Vorblatt und Begründung beigefügten


zuzuleiten.
Ich bitte Sie, diesen Gesetzesantrag gemäß § 23 Abs. 3 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 836. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2007 aufzunehmen.


Mit freundlichen Grüßen
Kurt Beck

Anlage
Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohns (Mindestlohngesetz - MindLohnG)

Vom....

Der Bundestag hat mit der Mehrheit seiner Mitglieder und mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:

§ 1 Mindestlohn

§ 2 Wirkung des Mindestlohns

§ 3 Mindestlohnkommission

§ 4 Festsetzung des Mindestlohns

§ 5 Kontrollen und Nachweise

§ 6 Ordnungswidrigkeiten

§ 7 Durchführungsbestimmungen

§ 8 Inkrafttreten

Begründung

A. Allgemeiner Teil

1. Zielsetzung und Auswirkungen

Die Niedriglohnbeschäftigung hat in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Rund 2,5 Millionen Vollzeitbeschäftigte arbeiten für ein Entgelt, das weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens beträgt. 64 Prozent der Niedriglohnbeschäftigten haben einen Berufsabschluss und 10 Prozent sogar einen akademischen Abschluss. Beschäftigte in Ostdeutschland sind im Niedriglohnbereich überproportional vertreten - ihr Anteil an allen Niedriglohnbeschäftigten liegt bei etwa 38 Prozent. Im August 2006 gab es nach Feststellungen der Bundesagentur für Arbeit 574 000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Menschen, die ergänzend zu ihrem Erwerbseinkommen Arbeitslosengeld II erhielten; davon waren 420 000 Vollzeitbeschäftigte. Von Januar 2005 bis zum August 2006 hat sich die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die ergänzend zu ihrem Erwerbseinkommen Arbeitslosengeld II erhielten, von 290 000 auf 574 000 fast verdoppelt. Im Oktober 2006 waren es bereits 602 000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Menschen, davon 440 000 Vollzeitbeschäftigte. Es gibt einen eindeutigen und kontinuierlichen Trend dahin, dass immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht in der Lage sind, durch ihre Arbeit ihr Existenzminimum zu sichern.

Vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Strukturwandels, zunehmender internationaler Konkurrenz, der Herausbildung neuer Arbeits-, Organisations- und Produktionsformen sowie der bestehenden Arbeitslosigkeit sind die herkömmlichen Tarifstrukturen und -regelungen unter Druck geraten. Die Tarifbindung in Deutschland ist seit Jahren rückläufig. Zurzeit sind nur noch 65 Prozent der westdeutschen und 54 Prozent der ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern beschäftigt, während dies 1998 noch auf 76 Prozent der westdeutschen und 63 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten zutraf. Gerade in klassischen Niedriglohnbranchen ist die Tarifbindung besonders schwach. Die Fähigkeit der Tarifpartner, Mindestarbeitsbedingungen zu vereinbaren, die für möglichst alle Beschäftigten in Deutschland gelten, nimmt ab. In der Folge wird die Orientierungsfunktion, die Tarifstandards traditionell auch über die Grenzen der formalen Tarifbindung hinaus haben, schwächer.

Die Zahl der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angemessene Arbeitsbedingungen garantieren, ist ebenfalls in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Die Schutzwirkung tariflicher Vereinbarungen wird auch dadurch geschwächt, dass immer mehr Unternehmen aus den Arbeitgeberverbänden austreten oder eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung bevorzugen. Nicht zuletzt dadurch werden, besonders in den Bereichen, die durch Klein- und Mittelbetriebe geprägt sind, die Tarifvereinbarungen unter Druck gesetzt.

Die Versuche, über untertarifliche Löhne den Wettbewerb mit tarifgebundenen Unternehmen zu gewinnen, nehmen zu. Lohndrückerei ist keine Seltenheit. Darüber hinaus gibt es mittlerweile, insbesondere in Ostdeutschland, zahlreiche Tarifabschlüsse im Niedriglohnbereich.

Wird dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten, so ist neben gespaltenen Arbeitsmärkten und den daraus resultierenden sozialen Spannungen auch eine weitere drastische Verschlechterung der Situation gerade der Klein- und Mittelbetriebe, die angemessene Löhne zahlen, zu befürchten; damit werden mittelbar auch die in diesen Unternehmen bestehenden Arbeitsplätze gefährdet. Zudem wird die Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifautonomie untergraben.

Aus diesen Gründen ist die Festsetzung eines gesetzlichen Mindestlohns geboten, der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein ihre Existenz sicherndes Einkommen gewährleistet und eine angemessene Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Dadurch werden Lohndrückerei und ein entsprechender Unterbietungswettbewerb verhindert. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die angemessene Arbeitsentgelte zahlen werden im Wettbewerb gestärkt. Sie können nicht von solchen Unternehmen unterboten werden, die unangemessen niedrig entlohnen und zugleich öffentlich subventioniert werden, indem ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich eine soziale Transferleistung erhalten.

Die gesetzliche Regelung des Niedriglohnbereichs durch die Festsetzung eines gesetzlichen Mindestlohns ist auch nach dem Grundgesetz angezeigt. Dies ergibt sich aus den Vorgaben der Artikel 1 und 2 Abs. 1, des Artikels 12 Abs. 1 und des Artikels 20 Abs. 1 des Grundgesetzes. Die Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip sind zentrale Verfassungsprinzipien. Sie sind für unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung schlechthin konstituierend. Der Staat, der die Würde des Menschen als höchsten Rechtswert und das Sozialstaatsprinzip als tragende Säule der Verfassung anerkennt, kann es nicht zulassen, dass bei gering verdienenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wegen ihrer mangelnden finanziellen Leistungsfähigkeit die materielle Existenz gefährdet wird und sie mit ihrem Arbeitseinkommen nicht alle heute als notwendig angesehenen Güter kaufen und auch nicht am gesellschaftlichen Leben angemessen teilnehmen können. Durch die Mindestlohnfestsetzung wird die Existenz sichernde Funktion des Arbeitsentgelts und die elementare Würde und ökonomische Funktion von Arbeit gewährleistet.

Der Mindestlohn dient auch der effektiven Umsetzung von Artikel 4 Satz 1 Nr. 1 der Europäischen Sozialcharta. Danach verpflichten sich die Vertragsstaaten, das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf ein Arbeitsentgelt anzuerkennen, das ausreicht, um ihnen und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu sichern.

Schließlich ist der Gesetzgeber aufgerufen, die Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifverträge zu unterstützen. Mit der Festlegung eines Mindestlohns wird der von nicht tarifgebundenen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern durch Lohndrückerei auf die Tarifvertragsparteien erzeugte Druck abgemildert. Dadurch wird die von Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes intendierte, im öffentlichen Interesse liegende (BVerfGE 28, 295, 304 f.; 55, 7, 23 f.) autonome Ordnung des Arbeitslebens durch Koalitionen gestützt. Die Möglichkeit, sich durch den Austritt aus Arbeitgeberverbänden oder eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung Wettbewerbsvorteile mithilfe abgesenkter Löhne zu verschaffen, wird eingeschränkt.

Auch europäische Überlegungen legen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns nahe. Insgesamt 21 der 27 Mitgliedstaaten der EU haben einen Mindestlohn oder führen ihn derzeit ein. Trotz unterschiedlicher Tarifvertragssysteme halten alle Länder mit Mindestlöhnen an diesen Regelungen fest.

Länder ohne Mindestlohn verfügen über funktionale Äquivalente wie einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad (Dänemark, Finnland und Schweden) oder eine verfassungsmäßig abgesicherte Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge (Italien).

Vergleichbare funktionale Äquivalente fehlen in Deutschland. Neben Zypern ist Deutschland der einzige Mitgliedstaat der EU, in dem der Niedriglohnsektor weder durch Gesetz noch durch umfassend geltende Tarifverträge geregelt ist.

Auch die Liberalisierung des Dienstleistungsmarkts durch die Europäische Dienstleistungsrichtlinie vom 12. Dezember 2006 (ABl. EU (Nr. ) L 376 S. 36) wird in den nicht mehr eingeschränkten Bereichen, sofern nicht gegengesteuert wird, zu einem Druck auf die deutsche Arbeitsentgeltstruktur führen. Es ist davon auszugehen, dass ausländische Dienstleistungsunternehmen, insbesondere aus Ländern mit deutlich niedrigerem Lohnniveau, vermehrt auf den deutschen Dienstleistungsmarkt drängen. Dieser Druck auf das nationale Lohngefüge kann sich durch die (spätestens 2011 bzw. 2013) bevorstehende vollständige Öffnung des Arbeitmarktes für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten auf Grund des zum Teil erheblichen Lohngefälles noch verstärken. Dies wird durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns unterbunden.

Der gesetzliche Mindestlohn ist ein Mindestentgeltsatz im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und findet daher auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen im Ausland ansässigen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zwingend Anwendung.

Sowohl die EU-Kommission als auch die OECD weisen immer wieder darauf hin, dass die Einführung von Mindestlöhnen ein effektives Instrument ist, um zu verhindern, dass die Gruppe der ungelernten Beschäftigten zu den Verlierern der Globalisierung gehört.

Die Auswirkung eines Mindestlohns auf die Beschäftigung in Deutschland wird äußerst kontrovers diskutiert. In der theoretisch wirtschaftswissenschaftlich geführten Auseinandersetzung wird als Argument gegen die Einführung eines Mindestlohns vorgebracht, dass besonders im Niedriglohnsektor in erheblichem Umfang Arbeitsplätze wegfallen würden. Die Gegenposition betont die mit der Einführung eines Mindestlohns verbundene Steigerung der Kaufkraft und deren positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.

Die Studien zu Deutschland beruhen nicht auf empirischen Erkenntnissen. Die auf empirischer Basis beruhenden internationalen Forschungsergebnisse zur Beschäftigungswirkung der Mindestlohnregelungen ergeben kein eindeutiges Bild. Während Studien für Frankreich Arbeitsplatzverluste auf Grund des französischen Mindestlohns feststellen, gilt dies nicht für Großbritannien. Die London School of Economics hat die Beschäftigungswirkungen der flächendeckenden Mindestlöhne in Großbritannien seit 1999 untersucht.

Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es keine oder nur geringe Hinweise zu Beschäftigungseffekten gibt.

2. Wesentlicher Inhalt

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen die unabdingbare Verpflichtung zur Zahlung eines Mindestlohns festgelegt sowie Regelungen zur Festsetzung des Mindestlohns geschaffen werden.

Die Regelungen zur Festsetzung des Mindestlohns lehnen sich an die in Großbritannien geltenden Regelungen an.

Es wird eine Mindestlohnkommission eingerichtet, die, wie auch die Low Pay Commission, aus neun Personen besteht und drittelparitätisch mit je drei Mitgliedern aus Kreisen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie drei weiteren sachverständigen Personen zusammengesetzt ist.

In Übereinstimmung mit den Regelungen in Großbritannien hat die Mindestlohnkommission das Recht und die Pflicht, einen Mindestlohn vorzuschlagen. Die endgültige Entscheidung bleibt jedoch den demokratisch legitimierten staatlichen Organen vorbehalten.

Die Weiterentwicklung des Mindestlohns findet, wie auch in Großbritannien, nicht automatisch durch die Anpassung an die Entwicklung wirtschaftlicher Kennzahlen, wie der Inflation oder der allgemeinen Lohnentwicklung, statt. Die jährliche Entscheidung soll auf der Grundlage eines durch die Mindestlohnkommission erarbeiteten Vorschlags erfolgen.

Die materiellrechtlichen Regelungen, mit denen der Anspruch auf Mindestlohn begründet und abgesichert wird, bedürfen der Flankierung durch ein effizientes Kontrollinstrumentarium.

Das im Gesetzentwurf vorgesehene Instrumentarium entspricht den bereits bewährten Regelungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz.

3. Gleichstellungspolitische Bedeutung

Nach wie vor bestehen in Deutschland deutliche Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern, die größtenteils nicht auf objektive Kriterien zurückgeführt werden können. Eine aktuelle Veröffentlichung der EU-Kommission weist aus, dass Deutschland nach wie vor zu den Ländern mit einem überdurchschnittlich hohen geschlechtsspezifischen Lohngefälle gehört und innerhalb der 27 EU-Mitgliedstaaten für den Bereich der Privatwirtschaft den viertletzten Rang einnimmt. Der 1. Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland stellt fest, dass Frauen gerade in den Beschäftigtengruppen mit den geringsten Einkommen deutlich überrepräsentiert sind. Unter den zehn Prozent der Beschäftigten mit den niedrigsten Einkommen befinden sich 69,3 Prozent Frauen. Nach Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes sind die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und die Beseitigung bestehender Nachteile Staatsziele der Bundesrepublik Deutschland. Der Mindestlohn verringert im Niedriglohnbereich die Einkommensunterschiede.

B. Besonderer Teil

Zur Eingangsformel

Die Eingangsformel berücksichtigt den für die Übertragung von Aufgaben auf die Zollverwaltung zu beachtenden institutionellen Vorbehalt eines formell doppelt qualifizierten Bundesgesetzes gemäß Artikel 87 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz.

Zu § 1 (Mindestlohn)

Absatz 1 Satz 1 regelt die Funktion des Mindestlohns als unterste Grenze des Arbeitsentgelts.

Absatz 1 Satz 2 greift die Vorgaben der Artikel 1 und 20 Abs. 1 des Grundgesetzes auf und legt die auf Grund der Menschenwürdegarantie und des Sozialstaatsprinzips für die Bestimmung der Höhe des Mindestlohns erforderlichen maßgeblichen Zielvorgaben fest. Er stellt auch klar, dass es um die Existenzsicherung der einzelnen Arbeitnehmerin und des einzelnen Arbeitnehmers geht. Familienbezogene Transferzahlungen sollen nicht durch den Mindestlohn kompensiert werden.

Die Festsetzung des Mindestlohns als Bruttoarbeitsentgelt für eine Zeitstunde in Absatz 2 Satz 1 macht den Mindestlohn einfach und transparent. Er bietet allen am Wirtschaftsleben Beteiligten eine verlässliche Planungsgrundlage. Es wird einerseits klargestellt, dass der Mindestlohn dem reinen Stundenentgelt ohne Zuschläge entspricht.

Darüber hinaus gehende Entgeltbestandteile, wie zusätzliches Monatsgehalt oder Urlaubsgeld sind neben dem Mindestlohn zu zahlen; Aufwendungsersatzleistungen dürfen nicht angerechnet werden. Andererseits wird der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Arbeitsverhältnisse Rechnung getragen.

Absatz 2 Satz 2 legt die neben den in Absatz 1 Satz 2 enthaltenen Zielvorgaben für die Festlegung der Höhe des Mindestlohns maßgeblichen Determinanten fest. Die positiven Erfahrungen bei der Festsetzung des Mindestlohns in Großbritannien haben gezeigt, dass die Berücksichtigung allgemeiner wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge, der Entwicklung der Arbeitseinkommen, des voraussichtlichen Beschäftigungseffekts, der Auswirkungen auf die Unternehmenskosten und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und der Folgen für den Staatshaushalt und die Sozialversicherungen eine gute Grundlage darstellt, um im Spannungsfeld zwischen einkommens- und sozialpolitisch wünschenswerten Mindeststandards und eventuell negativen Beschäftigungswirkungen die angemessene Höhe für den Mindestlohn zu finden.

Sofern es sich im Verfahren zur Festsetzung des Mindestlohns zeigt, dass praktikable Differenzierungen notwendig sind, um den gesetzlichen Zielvorgaben gerecht zu werden, wird dies durch Absatz 2 Satz 3 ausdrücklich ermöglicht. Differenzierungen zum Beispiel zwischen Anlern- bzw. Einarbeitungsphase und der Zeit danach sind denkbar.

Zu § 2 (Wirkung des Mindestlohns)

Absatz 1 Satz 1 formuliert in Verbindung mit der Rechtsverordnung nach § 4 die Anspruchsgrundlage für die Zahlung des Mindestlohns. Die Regelung stellt klar, dass der für eine Zeitstunde festgesetzte Mindestlohn bei allen Arbeitsverhältnissen, das heißt sowohl bei Vollzeitarbeitsverhältnissen als auch bei Teilzeitarbeitsverhältnissen, zu zahlen ist. Absatz 1 Satz 2 modifiziert § 614 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und legt für den Mindestlohn einen eindeutigen spätesten Fälligkeitszeitpunkt fest. Die angeordnete mindestens monatliche Zahlung stellt sicher, dass die Zielsetzung des Gesetzes (§ 1 Abs. 1 Satz 2) kontinuierlich erreicht wird und erleichtert den Behörden der Zollverwaltung die Kontrolle der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns.

Absatz 2 sichert die in § 1 Abs. 1 Satz 1 formulierte Zielsetzung des Mindestlohns. Der Zweck des gesetzlichen Mindestlohns, eine für alle verbindliche Entgeltuntergrenze festzusetzen lässt die Vereinbarung oder Festsetzung geringerer Entgelte, unabhängig auf welcher Rechtsgrundlage dies erfolgt, nicht zu.

Die vorgesehene Regelung steht im Einklang mit dem Verfassungsrecht. Die gesetzliche Regelung des Mindestlohns verletzt nicht die in Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes enthaltene Bestands- und Betätigungsgarantie der Koalitionen. Der Schutz erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen und umfasst insbesondere auch die Tarifautonomie, die im Zentrum der den Koalitionen eingeräumten Möglichkeiten zur Verfolgung ihrer Zwecke steht (BVerfGE 88, 103, 114; 94, 268, 283; 103, 293, 304).

Das Aushandeln von Tarifverträgen ist ein wesentlicher Zweck der Koalitionen (BVerfGE 94, 268, 283). Zu den der Regelungsbefugnis der Koalitionen überlassenen Materien gehören insbesondere das Arbeitsentgelt und die anderen materiellen Arbeitsbedingungen (BVerfGE 94, 268, 283; 100, 271, 282; 103, 293, 304).

In diesen Schutzbereich greift die Regelung des Absatzes 2 ein, da sie den Gestaltungsfreiraum der Koalitionen, niedrigere Entgelte als den Mindestlohn zu vereinbaren, beschränkt. Dieser Eingriff ist jedoch durch verfassungsrechtlich legitimierte, überwiegende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die in Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes garantierte Koalitionsfreiheit kann, obwohl sie ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet ist jedenfalls zum Schutz von Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden, denen gleichermaßen verfassungsrechtlicher Rang gebührt (BVerfGE 84, 212, 228, ständige Rechtsprechung). Dem Gesetzgeber ist es, wenn solche Gründe vorliegen, grundsätzlich nicht verwehrt, Fragen zu regeln, die Gegenstand von Tarifverträgen sein können (BVerfGE 94, 268, 284).

Die Festsetzung des Mindestlohns dient dazu, die Existenz sichernde Funktion des Arbeitsentgelts und die elementare Würde und ökonomische Funktion von Arbeit zu sichern.

Sie soll in den Bereichen, in denen die Gefahr besteht, dass elementare Gerechtigkeitsmaßstäbe verletzt werden, Lohngerechtigkeit absichern. Dieses Ziel hat auf Grund des Sozialstaatsprinzips Verfassungsrang. Die gerechte und angemessene Entlohnung ermöglicht es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erst, das Grundrecht aus Artikel 12 Abs. 1 des Grundgesetzes zu verwirklichen, sich durch Arbeit in ihrer Persönlichkeit zu entfalten und darüber Achtung und Selbstachtung zu erfahren. Insofern wird das gesetzliche Ziel auch durch Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes getragen.

Die vorgesehene gesetzliche Regelung verletzt auch nicht die durch Artikel 12 des Grundgesetzes geschützte Vertragsfreiheit bei der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen.

Artikel 12 Abs. 1 des Grundgesetzes schützt vor staatlichen Beeinträchtigungen, die gerade auf die berufliche Betätigung bezogen sind. Er gewährleistet den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern das Recht, die Arbeitsbedingungen mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rahmen der Gesetze frei auszuhandeln (BVerfGE 77, 84, 114; 77, 308, 332). Gesetzliche Vorschriften, die die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen betreffen und die sich deshalb für die Arbeitgeberseite als Berufsausübungsregelungen darstellen sind daher grundsätzlich an Artikel 12 Abs. 1 des Grundgesetzes zu messen (BVerfG Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvL 4/00 - unter CI12a). In diesen Schutzbereich greift die Regelung des Absatzes 2 ein, da sie den Gestaltungsfreiraum der Arbeitsvertragsparteien insoweit beschränkt, als sie die Vereinbarung niedrigerer Entgelte als den Mindestlohn untersagt. Der Eingriff ist jedoch auch aus den zu Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes dargestellten Gründen gerechtfertigt.

Absatz 3 enthält ergänzende Sicherungen zum Schutz des Mindestlohnanspruchs. Der Zweck des gesetzlichen Mindestlohns würde unterminiert, könnte der Anspruch durch Verzicht, Verwirkung oder den Ablauf von Ausschlussfristen untergehen. Auch die in § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelte regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren wird dem erforderlichen Schutz des Mindestlohns nicht gerecht. Das fehlende Kräftegleichgewicht im Arbeitsverhältnis erfordert es, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit zu erhalten, ihre gesamten Mindestlohnansprüche durchzusetzen, auch und gerade wenn das Arbeitsverhältnis länger als drei Jahre dauerte. Daher wird eine eigenständige zehnjährige Verjährungsfrist vorgesehen, die mit der Entstehung des Mindestlohnanspruchs beginnt und deren Verkürzung ausdrücklich ausgeschlossen wird.

Zu § 3 (Mindestlohnkommission)

§ 3 regelt die Zusammensetzung der Mindestlohnkommission nach dem Vorbild der Low Pay Commission in Großbritannien. Durch die Berufung von Vertreterinnen und Vertretern aus Kreisen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie zum Beispiel der Wissenschaft wird eine ausgewogene Berücksichtigung der für die Entscheidung erforderlichen Aspekte gewährleistet. Auf diese Weise besteht die Möglichkeit, die Mindestlohnfestsetzung zu versachlichen und die Akzeptanz der Mindestlohnfestsetzung zu erhöhen.

Zu § 4 (Festsetzung des Mindestlohns)

Die Regelungen in § 4 entsprechen den in Großbritannien durch den National Minimum Wage Act 1998 (NMWA) für die Festsetzung des staatlichen Mindestlohns getroffenen Bestimmungen. Die Vorschriften des NMWA weisen der Ministerin beziehungsweise dem Minister (Arbeitsministerin oder Arbeitsminister) die Kompetenz zu, den staatlichen Mindestlohn festzulegen (Section 1 (3)).

Absatz 1 legt das Recht und die Pflicht der Mindestlohnkommission fest, den Mindestlohn bis zum 31. August eines jeden Jahres vorzuschlagen. Durch die Verpflichtung zur jährlichen Überprüfung wird sichergestellt, dass der Mindestlohn auch zeitlich im Gleichklang mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung fortgeschrieben wird.

Absatz 2 regelt den Fall, dass zwischen Mindestlohnkommission und Bundesministerium für Arbeit und Soziales Konsens über den festzusetzenden Mindestlohn besteht. Es wird die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2 des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen für die einvernehmliche Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen geltende Regelung übernommen.

Absatz 3 sichert die Festsetzung eines Mindestlohns in dem Fall, in dem zwischen Mindestlohnkommission und Bundesministerium für Arbeit und Soziales Dissens über den festzusetzenden Mindestlohn besteht. Er sieht zur Auflösung des Dissenses vor, dass die Entscheidung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales der Zustimmung der Bundesregierung bedarf.

Absatz 4 sichert für den Fall, dass die Mindestlohnkommission nicht rechtzeitig einen Vorschlag unterbreitet, die jährlich erforderliche Entscheidung über den Mindestlohn.

Absatz 5 enthält nähere Regelungen zum Erlass der den Mindestlohn festsetzenden Rechtsverordnung in Anlehnung an die Bestimmungen des § 4 Abs. 3 Satz 2 und 3 des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen. Absatz 5 Satz 1 bestimmt, dass zum Erlass der Rechtsverordnung die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich ist. Durch Absatz 5 Satz 2 wird sichergestellt, dass die Festsetzung von Mindestlöhnen und die durch die Verkündung erfolgende Information der Betroffenen bei Mindestlöhnen einheitlich erfolgt; der für das Inkrafttreten festgelegte Zeitpunkt berücksichtigt die im Arbeitsleben üblichen monatlichen Abrechnungszeiträume.

Zu § 5 (Kontrollen und Nachweise)

Absatz 1 legt fest, dass die Kontrolle der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns durch die Behörden der Zollverwaltung erfolgt, die auch für die Kontrolle der Einhaltung der nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zwingenden Arbeitsbedingungen zuständig sind. Diese übereinstimmende Zuständigkeit ist auch aus Gründen der Verfahrensökonomie geboten. Der gesetzliche Mindestlohn ist ein Mindestentgeltsatz im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und findet daher auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen im Ausland ansässigen Arbeitgeberinnen oder Arbeitgebern und deren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zwingend Anwendung.

Absatz 2 regelt die Kontroll- und Zusammenarbeitsbefugnisse der Kontrollbehörden, begründet in diesem Zusammenhang Verpflichtungen der Arbeitgeberinnen beziehungsweise Arbeitgeber und stellt die Zustellung von Schriftstücken gegenüber Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern mit Sitz im Ausland sicher. Um ein einheitliches Verfahren bei den Kontrollen der Behörden der Zollverwaltung zu ermöglichen, sieht die Regelung die entsprechende Geltung der diesbezüglichen Bestimmungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vor.

Zu § 6 (Ordnungswidrigkeiten)

Die Regelungen in § 6 orientieren sich an den entsprechenden Regelungen in § 5 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

Absatz 1 Nr. 1 enthält die erforderliche Bußgeldvorschrift, durch die Verstöße gegen die Verpflichtungen des § 2 Abs. 1 sanktioniert werden können. Absatz 1 Nr. 2 entspricht der Regelung in § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

Absatz 2 korrespondiert mit der Regelung des § 5 Abs. 1 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Er ermöglicht es, Verstöße gegen die auf Grund der Bestimmung des § 5 Abs. 2 entsprechend anwendbaren §§ 2 und 3 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes zu sanktionieren.

Die Bußgeldregelung in Absatz 3 entspricht der Regelung des § 5 Abs. 3 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.

In Absatz 4 werden die Bestimmungen des § 5 Abs. 4 bis 7 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes übernommen.

Zu § 7 (Durchführungsbestimmungen)

§ 7 enthält die Ermächtigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, die zur Umsetzung des Gesetzes erforderlichen Regelungen durch Rechtsverordnung zu erlassen.

Zu § 8 (Inkrafttreten)

Um den Arbeits- und Tarifvertragsparteien Zeit zur Anpassung ihrer Lohnvereinbarungen zu geben, tritt das Gesetz, mit Ausnahme der §§ 3 und 7, erst nach einer Übergangsfrist von einem Jahr in Kraft. Das vorgezogene Inkrafttreten der §§ 3 und 7 ermöglicht es die zur Festsetzung des Mindestlohns erforderlichen vorbereitenden Maßnahmen umgehend einzuleiten.