Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Kosten der öffentlichen Hand

E. Sonstige Kosten

Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

Der Bundesrat hat in seiner 826. Sitzung am 13. Oktober 2006 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.

Anlage
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

Das Sozialgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 1975 (BGBl. I S. 2535), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Änderung des Gerichtskostengesetzes

Anlage 1 (Kostenverzeichnis) zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Artikel 3
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am ... in Kraft.

Begründung:

A. Allgemeines

I. Vorbemerkungen

Es besteht Übereinstimmung, dass in allen Bereichen der Justiz nach Wegen gesucht werden muss, die Verfahren effektiver zu gestalten und so zu einer Entlastung der Gerichte beizutragen. Diesbezügliche Maßnahmen sollten allerdings nicht mit einer Verschlechterung des Rechtsschutzes einhergehen, sondern vielmehr stets die Sicherung des Justizgewährungsanspruches im Auge behalten. Der Gesetzentwurf erfüllt diese Voraussetzungen, indem er die gerichtliche Arbeit erleichtert, ohne den Rechtsschutz des Bürgers zu beeinträchtigen.

Daneben steht der Entwurf im Lichte der seit langer Zeit bestehenden und gerade auch derzeit wieder aktuellen rechtspolitischen Bestrebungen der Vereinheitlichung der verwaltungsgerichtlichen Verfahrensordnungen (vgl. schon Speyerer, Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes von 1969).

II. Ausgangslage

Die Sozialgerichtsbarkeit ist durch die Übertragung der Zuständigkeiten für zahlreiche bisher von der Verwaltungsgerichtsbarkeit behandelte Materien (Sozialhilfe, Grundsicherung, Asylbewerberleistungsgesetz) in erheblichem Maße zusätzlich belastet.

Hinzu tritt der Umstand, dass in der Sozialgerichtsbarkeit die Berufung lediglich bei geringen Gegenstandswerten durch ein Zulassungserfordernis beschränkt ist ( § 144 SGG), während in der Verwaltungsgerichtsordnung (§ 124) generell nur die Zulassungsberufung existiert. Durch den Übergang der genannten Materien auf die Sozialgerichte kommt es damit zu einer deutlichen Ausweitung der Rechtsmittelmöglichkeiten im Vergleich zum bisherigen Zustand. Auch sieht das Sozialgerichtsgesetz - anders als die eng verwandte Verwaltungsgerichtsordnung - weder Präklusionsvorschriften noch einen Vertretungszwang in zweiter Instanz vor. Darüber hinaus existiert im SGG mit § 109 eine anderen Verfahrensordnungen fremde, systemwidrige Vorschrift, die es Beteiligten ermöglicht, die gutachterliche Äußerung von ihnen bestimmter Ärzte zusätzlich zu den Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen zu erzwingen; diese Vorschrift wirkt häufig verfahrensverzögernd und ist durch sozial- oder gar rechtsstaatliche Grundsätze nicht vorgegeben.

III. Lösung

Die generelle Einführung einer Zulassungsberufung für das zweitinstanzliche Verfahren vor dem Landessozialgericht könnte die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten durchaus nicht nötige Ausweitung der Berufungsmöglichkeiten verhindern und darüber hinaus zu einer spürbaren Reduzierung der zweitinstanzlichen Verfahren am Sozialgericht führen. Zudem wird die Einlegung der Berufung bzw. der Antrag auf deren Zulassung künftig - wie im Verwaltungsgerichtsverfahren - bei der ersten Instanz, also dem Sozialgericht erfolgen. Da für die Verfahren zukünftig ohnehin Vertretungszwang besteht, ist nicht zu erwarten, dass diese Änderung dazu führt dass in der Übergangszeit Berufungen bzw. Anträge auf deren Zulassung als unzulässig abgewiesen werden müssen, weil sie beim Landessozialgericht gestellt wurden.

Durch die Einführung des Vertretungszwangs in der zweiten Instanz - entsprechend der Regelung des § 67 VwGO - sollen die Berufungsverfahren versachlicht werden, was bereits für sich genommen einen nicht unerheblichen Entlastungseffekt hätte.

Überdies trägt die Einschaltung eines Prozessbevollmächtigten erfahrungsgemäß dazu bei, dass Berufungen nicht durchgeführt oder außergerichtlich erledigt werden.

Die Schaffung von Präklusionsvorschriften bindet die Beteiligten an ihre Mitwirkungspflicht als Prozessbeteiligte. Sie fördert aber darüber hinaus in erheblichem Maße die Prozessökonomie.

Die Aufhebung des § 109 SGG trägt zur Verfahrensbeschleunigung bei.

IV. Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes

Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes ergibt sich aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (das gerichtliche Verfahren).

V. Kosten Durch die Einführung einer Zulassungsberufung sind Einsparungen zu erwarten, da die Quote der zugelassenen Berufungen in der vergleichbaren Verwaltungsgerichtsbarkeit nur gering ist (in Hamburg etwa beträgt sie 15 bis 20 Prozent) und die Bearbeitung eines Zulassungsantrags erheblich weniger aufwändig ist als die Durchführung eines Berufungsverfahrens.

Durch die Einführung des Vertretungszwangs werden Kläger in der Berufungsinstanz in geringem Umfang vermehrt Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen. Nach momentaner Einschätzung wird es sich aber nur um einen leichten Anstieg handeln, der durch ein Zurückgehen der Zahl der Berufungen sowie durch die im Regelfall bessere Aufbereitung des Sach- und Streitstandes kompensiert wird.

Die Einführung von Präklusionsvorschriften ermöglicht eine ökonomischere Verfahrensgestaltung, von der Einsparungen zu erwarten sind. Gleiches gilt für die Aufhebung des § 109 SGG.

B. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1 (Änderung des Sozialgerichtsgesetzes)

Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)

Es handelt sich um eine redaktionelle Anpassung an die vorgeschlagenen Änderungen des Gesetzes.

Zu Nummer 2 (§ 10 Abs. 2)

Die Änderung dient der Klarstellung, dass auch Angelegenheiten der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten, die keine Streitigkeit auf Grund der Beziehungen zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten, Vertragszahnärzten und Psychotherapeuten einschließlich ihrer Vereinigungen und Verbände zum Gegenstand haben den Kammern für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts zuzuordnen sind. Für die Änderung besteht Anlass, weil das Vertragsarztrecht bislang lediglich mit Blick auf die letztgenannten Streitigkeiten legaldefiniert wird (vgl. § 10 Abs. 2 SGG), während in § 12 Abs. 3 Satz 2 SGG auch die erstgenannten Angelegenheiten angesprochen werden. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob die Bestimmung in § 14 Abs. 2 SGG betreffend die Zuständigkeit für die Erstellung von Vorschlagslisten für die ehrenamtlichen Richter, die in den Kammern für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts mitwirken auch für Kammern gilt, die in Angelegenheiten nach § 12 Abs. 3 Satz 2 SGG tätig werden. Diese Frage wird mit der vorgesehenen Änderung von § 10 Abs. 2 SGG eindeutig beantwortet.

Zu Nummer 3 (§ 12 Abs. 1 Satz 3 -neu-)

Mit der Ergänzung von § 12 Abs. 1 SGG wird es dem Vorsitzenden ermöglicht, ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden, wenn sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben. Entsprechende Grundlagen für Entscheidungen des somit konsentierten Einzelrichters finden sich im Verwaltungsprozessrecht in § 87a Abs. 2 VwGO und im Finanzprozessrecht in § 79a Abs. 3 FGO.

Diese Rechtsgrundlagen haben sich in der Praxis bewährt. Sie ermöglichen es den Beteiligten, auf die Gestaltung des Verfahrens Einfluss zu nehmen und ihr Interesse, möglichst zeitnah eine Entscheidung zu erhalten, zu fördern. Dieses Interesse wird häufig dann von Gewicht sein, wenn der Rechtsstreit keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist und wenn sich die Verfahrensbeteiligten (oder ihre Bevollmächtigten) der Sachkunde und Erfahrung des zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden gewiss sind. Triftige Gründe, die es - anders als im Verwaltungs- und Finanzprozess - ausschließen würden, den Beteiligten des Verfahrens vor den Sozialgerichten eine solche Mitwirkungsmöglichkeit zu eröffnen, sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als im Verfahren vor dem Landessozialgericht bereits die Möglichkeit besteht, dass der Vorsitzende oder der bestellte Berichterstatter als konsentierter Einzelrichter anstelle des Senats entscheidet (§ 155 Abs. 3 und 4 SGG). In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass den Vorsitzenden der Kammern des Sozialgerichts bereits nach geltendem Recht die Möglichkeit eröffnet ist, wichtige Sachentscheidungen ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu treffen. Dies gilt etwa für Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz, über die regelmäßig ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden ist, aber auch für den Erlass von Gerichtsbescheiden (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGG). Nachteile für die Akzeptanz oder Qualität der vom konsentierten Einzelrichter zu treffenden Entscheidungen sind nicht zu befürchten. Denn die von der Entscheidung unmittelbar Betroffenen haben sich mit der Einzelrichterentscheidung ausdrücklich einverstanden erklärt. Hinzu kommt, dass es der Entscheidung des Vorsitzenden obliegt ob er von der Ermächtigung, ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden, tatsächlich Gebrauch macht. Dies wird er regelmäßig nicht tun, wenn er es für angezeigt hält, dass die Sachkunde der ehrenamtlichen Richter in das Verfahren einfließt.

Zu Nummer 4 (§ 14 Abs. 6 -neu-)

Mit dem Gesetz zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften zur Wahl und Berufung ehrenamtlicher Richter vom 21. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3599) ist eine Grundentscheidung getroffen worden, der für die Berufung der ehrenamtlichen Richter zuständigen Stelle eine Auswahl unter der doppelten Anzahl der Personen zu ermöglichen, die letztlich in das Ehrenamt zu berufen sind. Die vorgesehene Ergänzung von § 14 SGG zielt darauf ab, diese Entscheidung auch für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit zu treffen und somit zur Vereinheitlichung der Prozessordnungen beizutragen. Das zunehmende Interesse an der Vereinheitlichung der Prozessordnungen gibt Anlass, die mit dem Sechsten Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17. August 2001 (BGBl. I S. 2144) getroffene Entscheidung zu revidieren, den vorschlagenden Stellen keine zahlenmäßigen Vorgaben für die Ausgestaltung der Vorschlagslisten zu machen.

Zu Nummer 5 (§ 73 Abs. 0a -neu-, 0b -neu-, 0c -neu-, Abs. 1 Satz 1a -neu-, Abs. 5 Satz 1a - neu-)

Zu Buchstabe a

Die Vorschrift entspricht weit gehend § 67 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Dies dient zum einen der Vereinheitlichung von Sozialgerichtsgesetz und Verwaltungsgerichtsordnung und ist zum anderen deshalb sinnvoll, weil sich die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung in der Praxis bewährt haben. Die Norm führt dabei aber nur die im Sozialgerichtsgesetz bestehenden Rechtsbehelfe an: § 119 SGG kennt anders als § 99 Abs. 2 VwGO keinen Beschluss des Gerichts zur Vorlagepflicht einer Behörde, daher fehlt eine Regelung des Vertretungszwangs für den entsprechenden Rechtsbehelf. Die Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren bleibt vom Vertretungszwang befreit.

Im Unterschied zur entsprechenden Regelung in der VwGO ist klargestellt, dass sich der Vertretungszwang auch auf die Einlegung der Beschwerde bezieht; wegen der nicht eindeutigen Formulierung des § 67 VwGO ist diese Frage dort streitig.

Die bisherige Vorschrift des § 166 SGG über den Vertretungszwang vor dem Bundessozialgericht wird aufgehoben. Sämtliche Vorschriften über den Vertretungszwang in der Sozialgerichtsbarkeit finden sich nun in der allgemeinen Vorschrift des § 73 SGG im Abschnitt "Gemeinsame Verfahrensvorschriften".

Personell erstreckt sich der Vertretungszwang auf die Beteiligten ( § 69 SGG), also auch auf Beigeladene. Er gilt nicht für Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts bzw. Behörden, Gewerkschaften, private Pflegeversicherungsunternehmen und bestimmte Verbände; diese haben ein Selbstvertretungsrecht (vgl. BSGE 36, 234; 2, 159). Sie sind in der Lage, sich durch einen sachkundigen und erfahrenen Beamten oder Angestellten vertreten zu lassen, was in Absatz 0b nochmals ausdrücklich ausgesprochen wird.

Zu Buchstabe b

Die Regelung dient der Anpassung des Sozialprozessrechts an das Verwaltungsprozessrecht vgl. dort § 67 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Sie ermöglicht es dem Gericht, durch Beschluss die Bestellung eines Bevollmächtigten anzuordnen. Hierzu kann Anlass bestehen, wenn der Beteiligte zu sachgemäßem Vortrag nicht fähig erscheint.

Zu Buchstabe c

Die Regelung dient der Anpassung des Sozialprozessrechts an das Verwaltungsprozessrecht (vgl. dort § 67 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Sie ermöglicht es dem Gericht, durch Beschluss die Hinzuziehung eines Beistandes anzuordnen. Hierzu kann Anlass bestehen wenn der Beteiligte nicht in der Lage erscheint, in der mündlichen Verhandlung sachgemäße Erklärungen abzugeben.

Zu Nummer 6 (§ 73a Abs. 3)

Es handelt sich um eine redaktionelle Änderung. Die Vorschrift ist aufzuheben, da sie auf § 109 SGG Bezug nimmt, der seinerseits wegfällt.

Zu Nummer 7 (§ 102)

Die Änderung dient der Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit und der Vereinheitlichung der Prozessordnungen. Sie zielt darauf ab, den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit die Möglichkeit zu eröffnen, durch eine Betreibensaufforderung die Fiktion der Klagerücknahme herbeizuführen, wenn der Kläger ungeachtet dieser Aufforderung nicht innerhalb einer gesetzten Frist Anstalten unternimmt, vom Gericht als geboten angesehene Mitwirkungshandlungen zu erbringen. Inhaltlich entspricht § 102 SGG in seiner neuen Fassung im Wesentlichen der Parallelvorschrift des § 92 VwGO. Die guten Erfahrungen, die im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem Instrument der Klagerücknahmefiktion nach § 92 Abs. 2 VwGO gesammelt worden sind, geben Anlass, eine entsprechende Regelung in das Sozialgerichtsgesetz einzufügen. Abweichend von § 102 Satz 3 SGG in der geltenden Fassung ist in § 102 SGG-E nicht mehr vorgesehen, dass das Gericht auf Antrag über die Kosten zu entscheiden hat. Eine solche Regelung ist entbehrlich (vgl. § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG).

Zu Nummer 8 (§ 105 Abs. 2)

Die Neuregelung passt die Vorschrift an die entsprechende Regelung der VwGO (§ 84 Abs. 2) an. Dies ist notwendige Folge der Einführung der Zulassungsberufung und dient zudem der Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen.

Zu Nummer 9 (§ 106a -neu-)

Die Vorschrift greift das in nahezu allen anderen Verfahrensordnungen geregelte Institut der Präklusion auf und regelt für das sozialgerichtliche Verfahren, dass auch hier der Beschleunigungsmaxime erhebliche Bedeutung zukommt. Auch wenn im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Amtsermittlungsgrundsatz (§ § 86 VwGO und 103 SGG) gilt, haben die Beteiligten gewisse Prozessförderungspflichten, die für das sozialgerichtliche Verfahren bislang aber nur rudimentär in den §§ 104 und 106 SGG zum Ausdruck kamen. Der neu einzufügende § 106a SGG konkretisiert und erweitert diese Pflichten dahin gehend, dass die Beteiligten Prozesshandlungen rechtzeitig vornehmen müssen.

Die begründete Zurückweisung eines Vorbringens ist im Sinne einer abgewogenen Entscheidung gegen die Amtsermittlungspflicht zu Gunsten des Beschleunigungserfordernisses verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich (vgl. BVerfG, NJW 1993, 1635; BVerwG, UPR 1996, 386).

Da Beschleunigung und Konzentration des Verfahrens Ziele des Gesetzentwurfs sind sollten die Vorschriften auch nur dort Anwendung finden, wo die Feststellung ihrer Voraussetzungen keinen besonderen Aufwand erfordert.

Die Vorschriften sind im Wortlaut weit gehend identisch mit § 87b Abs. 1 bis 3 VwGO. In Absatz 1 ist allerdings nicht wie in der VwGO ein Satz 2 enthalten:

§ 87b Abs. 1 Satz 2 VwGO enthält einen Verweis auf § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO - eine entsprechende Vorschrift gibt es im SGG nicht, der vergleichbare § 92 SGG ist als Sollvorschrift ausgestaltet und sieht keine Fristsetzung vor.

Die Absätze 1 bis 3 enthalten eine Einschränkung des in § 103 SGG festgelegten Amtsermittlungsgrundsatzes. Der Anwendungsbereich besteht insbesondere für solche Tatsachen und Beweismittel, die in der persönlichen oder dienstlichen Sphäre eines Beteiligten liegen und dem Gericht sonst nicht zugänglich sind. Er ist aber nicht auf den persönlichen Erfahrungsbereich der Prozessbeteiligten beschränkt (vgl. BVerwG, NVwZ-Beil. 2000, 99).

Absatz 1 betrifft nur die klagende Partei. Er gilt nicht für den Fall, dass der ursprünglich und rechtzeitig vorgetragene Lebenssachverhalt zu einem späteren Zeitpunkt vertieft wird. Auch gehört eine Klagebegründung in Form von Rechtsausführungen zumindest im erstinstanzlichen Verfahren nicht zu den Pflichten des Klägers.

Absatz 2 gilt für alle Prozessbeteiligten. Das Gericht muss die Vorgänge, zu denen es einen Parteivortrag verlangt, so klar bezeichnen, dass der Beteiligte ohne weitere Nachforschungen weiß, welcher Sachverhalt gemeint und was vom Gericht gewollt ist.

Absatz 3 regelt die eigentliche Zurückweisung verspäteter Vorträge der Beteiligten.

Er gilt für alle Prozessbeteiligten, seine Anwendung ist aber nur zu Lasten des säumigen Beteiligten sinnvoll.

Für die Präklusion nach den Absätzen 1 bis 3 muss festgestellt werden, dass bei Zulassung des Vorbringens der Rechtsstreit länger dauern würde als im Fall der Zurückweisung (vgl. BGHZ 86, 31). Da die Beurteilung der Prozesssituation dem Gericht obliegt, ist Absatz 3 fakultativ ausgestaltet. Es handelt sich also insgesamt um eine Ermessensentscheidung, ob ein Vortrag als verspätet zurückgewiesen wird (vgl. BSG, SozSich 2001,144). Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 1987 - 1 BvR 903/85 - BVerfGE 75, 302) sind zu beachten.

Zu Nummer 10 (§ 109)

§ 109 SGG gibt den Verfahrensbeteiligten das Recht, einen bestimmten Arzt gutachterlich hören zu lassen, obwohl das Gericht das im Rahmen seiner Amtsaufklärung nicht für nötig hält. Die Vorschrift ist geeignet, im Einzelfall erhebliche Verfahrensverzögerungen hervorzurufen, zumal entsprechende Anträge der Beteiligten nur unter äußerst engen Voraussetzungen abgelehnt werden können. Sie stellt zudem eine systemwidrige Durchbrechung des das SGG beherrschenden Amtsaufklärungsgrundsatzes dar. Entsprechende Regelungen finden sich in keiner anderen Verfahrensordnung.

Die Vorschrift soll daher aufgehoben werden. Das ist auch deshalb unbedenklich, weil die Beteiligten selbstverständlich weiterhin die Möglichkeit haben, Ärzte ihres Vertrauens als Privatgutachter hinzuzuziehen beziehungsweise das von diesen Ärzten erlangte Wissen in anderer Form in den Rechtsstreit einzubringen.

Die Parteien sind zudem durch den Amtsaufklärungsgrundsatz hinreichend geschützt.

Erfahrungen der Ziviljustiz in der vergleichbaren Materie des Arzthaftungsrechts zeigen dass es einer solchen Vorschrift durchaus nicht bedarf. Dabei ist sogar noch zu beachten, dass im Zivilprozess der Amtsermittlungsgrundsatz nicht gilt (wenngleich die Rechtsprechung für den Bereich der Arzthaftung sehr weitreichende Amtsaufklärungserfordernisse fordert) und zudem die Anforderungen an Darlegung und Nachweis eines ärztlichen Verschuldens in aller Regel deutlich höher sein werden als die Anforderungen an die Begründetheit einer Klage beim Sozialgericht, in der regelmäßig kein Verschuldensnachweis zu erbringen ist, sondern es nur auf die Feststellung eines gewissen Gesundheitszustandes ankommt.

Zu Nummer 11 (§ 136 Abs. 4 -neu-)

Die Änderung zielt auf die Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit. Im Zusammenspiel mit den in Artikel 3 vorgesehenen Gebührenermäßigungen werden für die Beteiligten finanzielle Anreize geschaffen, es dem Gericht zu ermöglichen, von der schriftlichen

Begründung eines in der mündlichen Verhandlung verkündeten Urteils abzusehen.

Zu Nummer 12 (§ 143)

Die Regelung des § 143 SGG wird durch die generelle Einführung einer Zulassungsberufung überflüssig und fällt weg.

Zu Nummer 13 (§§ 144, 145)

Zu § 144

Die Vorschrift ist dem § 124 VwGO nachempfunden. Zukünftig soll die Berufung bzw. der Antrag auf deren Zulassung zunächst beim Sozialgericht gestellt werden.

Dies entspricht der Verfahrensweise im Verwaltungsgerichtsverfahren und ist im Sinne der Entlastung der Landessozialgerichte sowie einer Harmonisierung des Sozialgerichtsgesetzes mit der Verwaltungsgerichtsordnung sinnvoll. Die Vorschrift bezieht sich auf alle Urteile, also auch etwa auf solche im Sinne des § 130 SGG.

Absatz 2 beschränkt die Zulassung auf die bereits in der Verwaltungsgerichtsbarkeit erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle, in denen eine Berufung erforderlich erscheint.

Zu § 145

Die Vorschrift ist § 124a VwGO nachempfunden. Sie normiert, dass die Berufung bzw. der Antrag auf deren Zulassung stets beim Sozialgericht zu stellen ist. Das Sozialgericht wird damit wie im Verwaltungsgerichtsverfahren zur Eingangsstation für das zweitinstanzliche Verfahren. Wie dort leitet es die Akten sodann ohne Verzögerung an das Landessozialgericht weiter; das erspart einen Aktenanforderungsvorgang.

Auch die Fristen zur Berufungsbegründung sind der Verwaltungsgerichtsordnung angeglichen worden.

In Absatz 4 Satz 5 ist zusätzlich klargestellt, dass die Begründung des Antrages auf Zulassung der Berufung regelmäßig direkt beim Landesozialgericht erfolgen muss, was wiederum einen Übersendungsvorgang erspart. Insofern liegt eine Abweichung zur Regelung der VwGO vor.

Der Regelungsgehalt des § 144 Abs. 3 SGG wird in § 145 Abs. 1 SGG-E mit aufgenommen.

Zu Nummer 14 (§§ 151, 152)

Da die Berufung bzw. der Antrag auf deren Zulassung künftig beim Sozialgericht zu stellen ist, besteht für die Vorschriften kein Anwendungsbereich mehr. Die Einführung des Vertretungszwangs in der zweiten Instanz macht es überflüssig, dem Kläger die nach bisherigem Recht in § 151 Abs. 1 und 2 SGG bestehende Möglichkeit zu erhalten, die Berufung entweder beim Sozialgericht oder beim Landessozialgericht einzureichen.

Der Regelungsgehalt des § 151 (Berufungseinlegung, Frist, Form) wird von § 145 Abs. 2 und 3 SGG-E abgedeckt.

Zu Nummer 15 (§ 153 Abs. 4 Satz 1)

Die Vorschrift regelt die Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss.

Da sie bisher auf § 105 Abs. 2 SGG Bezug nimmt, muss sie angepasst werden. Dies wird zum Anlass genommen, die Beschlusszurückweisung in Abweichung zur bisherigen Rechtslage auch dann zuzulassen, wenn in der ersten Instanz durch Gerichtsbescheid entschieden wurde.

Dies entspricht der Rechtslage in der Verwaltungsgerichtsordnung (dort § 130a) und dient der Verfahrensbeschleunigung. Rechtliche Bedenken im Hinblick auf die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehen schon deshalb nicht, weil der Unterlegene in erster Instanz nach Gerichtsbescheid mündliche Verhandlung beantragen kann und eine mündliche Verhandlung in zweiter Instanz nicht erforderlich ist.

Zu Nummer 16 (§ 154)

Es handelt sich um eine Folge der Neuregelung der Zulassungsberufung. Da die Nichtzulassungsbeschwerde komplett entfällt, gibt es keinen Anwendungsbereich mehr für die bisherige aufschiebende Wirkung der Beschwerde. Andererseits ist es sinnvoll dem Antrag auf Zulassung aufschiebende Wirkung beizumessen, da ansonsten der Fall eintreten könnte, dass die Vollstreckung zunächst eine Zeitlang zulässig ist mit Zulassung und Einlegung der Berufung dann aber die aufschiebende Wirkung des § 154 eintritt. Das kann nur vermieden werden, wenn man bereits dem Antrag auf Zulassung der Berufung aufschiebende Wirkung beimisst.

Zu Nummer 17 (§ 157a -neu-)

Es handelt sich um eine Folgevorschrift zum neu einzufügenden § 106a SGG. Sie regelt die Geltung der Präklusionsvorschriften auch für die Rechtsmittelinstanz, sofern der Beteiligte vom Sozialgericht auf die Folgen verspäteten Vorbringens hingewiesen wurde.

Die Vorschrift gilt über § 165 SGG auch für das Revisionsverfahren.

Zu Nummer 18 (§ 160 Abs. 2)

Es handelt sich um eine redaktionelle Folgeänderung, bedingt durch die Aufhebung des § 109.

Zu Nummer 19 (§ 166)

Es handelt sich um eine redaktionelle Folgeänderung.

Zu Nummer 20 (§ 183 Satz 4)

Es handelt sich um eine redaktionelle Folgeänderung, bedingt durch die Aufhebung des § 109.

Zu Nummer 21 (§ 207)

Hier sind Übergangsvorschriften geregelt. Es wird bestimmt, auf welche Verfahren die neuen Vorschriften über die Zulassungsberufung und den Vertretungszwang Anwendung zu finden haben. Ferner wird klargestellt, dass auch nach Streichung des Hinweises auf § 109 in § 183 SGG bereits gerichtlich angeordnete Kostenübernahmen und Kostenvorschüsse nach § 109 wirksam bleiben; dies ist für Fälle erforderlich, in welchen noch vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes nach § 109 SGG verfahren wurde, der Rechtsstreit aber noch nicht beendet ist. Hinsichtlich der Präklusionsvorschriften bedurfte es keiner Übergangsregelungen.

Zu Artikel 2 (Änderung des Gerichtskostengesetzes)

Es handelt sich zum einen um redaktionelle Folgeänderungen, die sich an die Änderungen der §§ 144 und 145 SGG durch Artikel 1 Nr. 11 anschließen. Zum anderen handelt es sich um Änderungen, mit denen für die Verfahrensbeteiligten finanzielle Anreize geschaffen werden, es dem Gericht zu ermöglichen, von der schriftlichen Begründung eines in der mündlichen Verhandlung verkündeten Urteils abzusehen.

Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)

Artikel 3 regelt das Inkrafttreten.