A. Problem und Ziel
§ 15 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG), der in seiner zurzeit geltenden Fassung den Aufgabenträgern ein Wahlrecht bezüglich einer Direktvergabe insbesondere von Betriebsleistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bietet, ist an die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 anzupassen, die im Jahre 2009 die Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 ersetzt hat.
Ziel der Gesetzesänderung ist, eine rechtssichere Vorgehensweise insbesondere der SPNV-Aufgabenträger (aller Länder) bei anstehenden Verkehrsvertragsabschlüssen zu ermöglichen und dabei die von Europarecht eingeräumten Spielräume bei der Direktvergabe nutzen zu können.
B. Lösung
Durch eine Änderung des § 15 AEG wird das Primat der Norm als spezialgesetzliche Regelung gegenüber dem allgemeinen Vergaberecht verdeutlicht und für Rechtsklarheit gesorgt.
C. Alternativen
Keine.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Die Gesetzesänderung bestätigt das bestehende Wahlrecht der Aufgabenträger und verursacht daher keine Kosten.
E. Sonstige Kosten
Keine.
Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, 23. November 2010
An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag zu beschließen.
Ich bitte, den Gesetzentwurf gemäß § 36 Absatz 1 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen mit dem Ziel der abschließenden Befassung in der Plenarsitzung am 17. Dezember 2010.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angelica Schwall-Düren
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
Vom ...
Der deutsche Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Das Allgemeine Eisenbahngesetz vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378), zuletzt geändert durch das Sechste Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften (EBRÄndG 6) vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2497) wird wie folgt geändert:
§ 15 wird wie folgt gefasst:
§ 15 Öffentliche Dienstleistungsaufträge und Auferlegung
- (1) Für die Vereinbarung öffentlicher Dienstleistungsaufträge mit Eisenbahnverkehrsunternehmen und die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen von im allgemeinen Interesse liegenden öffentlichen Personenverkehrsdiensten ist die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 maßgebend. Zuständig im Sinne dieser Verordnung sind für Eisenbahnen des Bundes, soweit es sich nicht um deren Schienenpersonennahverkehr handelt, Behörden des Bundes, im übrigen nach Maßgabe des Landesrechts Behörden der Länder oder die Kreise, Gemeinden oder Gemeindeverbände.
- (2) Die zuständigen Behörden können öffentliche Dienstleistungsverträge an Eisenbahnverkehrsunternehmen entweder unter Beachtung der Vorschriften des 4. Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder diese Verträge nach Maßgaben der Verordnung (EG) Nr. 1370/2002 direkt vergeben.
- (3) Die zuständigen Behörden können Eisenbahnverkehrsunternehmen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen, wenn die entsprechenden Personenverkehrsdienste im allgemeinen Interesse liegen und anderweitig nicht sicher gestellt werden können. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Abschluss eines öffentlichen Dienstleistungsvertrages nicht zustande kommt oder eine Unterbrechung eines bestehenden Personenverkehrsdienstes droht. Die zuständige Behörde hat dem Eisenbahnverkehrsunternehmen auf dessen Antrag nach Maßgabe des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 die finanziellen Nachteile auszugleichen, die mit der Auferlegung einhergehen.
- (4) Die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsverträge unterliegt unbeschadet der Prüfungsmöglichkeiten von Aufsichtsbehörden und Vergabeprüfstellen der Nachprüfung durch die Vergabekammern. Die §§ 102 bis 126 und 128 bis 129 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gelten entsprechend.
Artikel 2
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung:
A. Allgemeines:
Nach Artikel 5 Absatz 6 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 können öffentliche Dienstleistungsaufträge im Eisenbahnverkehr direkt vergeben werden, sofern dies nach nationalem Recht nicht untersagt ist. Das deutsche Recht steht einer Direktvergabe zwar bereits heute nicht entgegen; es bietet diese Möglichkeit auf Grundlage der Bestimmung des am 01.01. 1994 in Kraft getretenen - immer noch aktuell geltenden - § 15 Absatz 2 AEG bereits zurzeit, da sie die Ausschreibung in das Ermessen der zuständigen Behörden stellt ("können"). § 15 AEG bezieht sich indessen auf die seit dem 03.12.2009 außer Kraft getretene Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 und ist schon deshalb an die sie ersetzende Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 anzupassen.
Die Änderung des § 15 AEG dient insbesondere der Rechtsklarheit. Der Vorrang der eisenbahnrechtlichen Vergabebestimmung des § 15 AEG vor den Regelungen des allgemeinen Vergaberechts wurde vermehrt in Zweifel gezogen. Mit der Änderung des § 15 AEG soll dessen Primat als spezialgesetzliche Regelung verdeutlicht werden.
Die Gesetzesnovellierung bewirkt eine Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben im Maßstab 1:1.
B. Einzelbegründung:
I. Zu Artikel 1 (Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes)
Absatz 1:
- Zentraler Begriff der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 ist der öffentliche Dienstleistungsauftrag. Er kann gemäß der Legaldefinition in Artikel 2 Buchstabe i der Verordnung durch "Übereinkunft", also durch Vereinbarung, aber auch einseitig in "Form eines Gesetzes oder einer Verwaltungsregelung für den Einzelfall" zustande kommen. Absatz 1 stellt grundsätzlich klar, dass für die Vereinbarung öffentlicher Dienstleistungsaufträge und für die einseitige Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 maßgeblich ist. Die Vorschrift legt darüber hinaus - in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage - die in Deutschland nach dieser Verordnung zuständigen Behörden fest.
Absatz 2
Absatz 2 regelt die im Wege der Vereinbarung mit Eisenbahnverkehrsunternehmen zustande kommenden öffentlichen Dienstleistungsaufträge.
Die Vorschrift stellt nunmehr ausdrücklich fest, dass neben den Vergabeverfahren nach den Vorschriften des 4. Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die nach Artikel 5 Absatz 6 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 gegebene Möglichkeit der Direktvergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen in Deutschland gewahrt bleibt.
Die Direktvergabe wird in Artikel 2 h) der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 legal definiert. Direktvergabe ist danach die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags an einen bestimmten Betreiber eines öffentlichen Dienstes ohne Durchführung eines vorherigen wettbewerblichen Vergabeverfahrens. Danach können öffentliche Dienstleistungsaufträge im Eisenbahnverkehr außerhalb des Anwendungsbereiches des 4. Teils des GWB abgeschlossen werden. Dabei sind die allgemeinen Grundfreiheiten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in Form der Transparenz, Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung selbstverständlich zu beachten.
Die Ermöglichung einer Direktvergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen ist zweckmäßig. So gibt es zahlreiche Fallkonstellationen - etwa wegen der Harmonisierung von verschiedenen Vertragslaufzeiten -, in denen es infolge der Eigenart des Bahnwesens objektiv notwendig ist, partiell Verkehre direkt zu vergeben. Dies ist auch ordnungspolitisch unbedenklich, weil die Direktvergabe vielfach erst das Wettbewerbsverfahren ermöglicht, also Mittel zum Zweck ist.
Die Vorschrift stellt zudem klar, dass die eröffnete Möglichkeit, Eisenbahnverkehrsleistungen direkt zu vergeben, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 zu erfolgen hat. Wird die Möglichkeit genutzt, so müssen die dort in Artikel 7 Absatz 2 genannten Informationen spätestens ein Jahr vorher veröffentlicht und die in Artikel 7 Absatz 3 genannten Informationen nach der Auftragsvergabe öffentlich zugänglich gemacht werden. Die Höchstlaufzeit der direkt vergebenen Dienstleistungsaufträge beträgt zehn Jahre. Die Ausgleichsleistungen unterliegen den Bestimmungen des Anhangs der Verordnung. Darüber hinaus sind die allgemeinen Transparenzgrundsätze zu beachten.
Werden öffentliche Dienstleistungsaufträge nach der 1. Variante des Absatzes 2 im Wettbewerb vergeben, ist der 4. Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zwingend anzuwenden. Die dort enthaltenen bewährten Vorschriften tragen zu einem rechtssicheren Umgang beim Zustandekommen der Verkehrsverträge bei.
Absatz 3
- Absatz 3 regelt den einseitig in "Form einer Verwaltungsregelung für den Einzelfall" zustande kommenden öffentlichen Dienstleistungsauftrag in Form der Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen. Eine Auferlegung kommt nicht nur als Notmaßnahme in Betracht, da hierfür Artikel 5 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 auch andere Möglichkeiten vorsieht und Artikel 2 Buchstabe i der Verordnung die einseitige Erteilung des öffentlichen Dienstleistungsauftrags allgemein vorsieht. Die Auferlegung kommt nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit gleichwohl nur in Ausnahmefällen in Betracht, nämlich dann wenn im allgemeinen Interesse liegende Personenverkehrsdienste nicht durch die Regelverfahren nach Absatz 2 sichergestellt werden können. Die Auferlegung vollzieht sich nach den Grundsätzen des Absatzes 1, also nach Maßgabe der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007. Dazu gehört als finanzielles Äquivalent der Auferlegung der Anhang der Verordnung.
Absatz 4
Die Regelung des Absatzes 4 erfolgt in Umsetzung des Artikels 5 Absatz 7 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007. Obwohl Verkehrsverträge im Eisenbahnwesen als öffentliche Dienstleistungsverträge öffentlichrechtlicher Wesensart sind, sorgt die Zuweisung der daraus resultierenden vergaberechtlichen Rechtsstreitigkeiten für einen vergaberechtlich einheitlichen Rechtsschutz.
Eine explizite Regelung des Rechtsweges im Falle von Auferlegungen nach Absatz 3 ist nicht notwendig. Die Auferlegung ist eine einseitige hoheitliche Inpflichtnahme zu gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen von Eisenbahnverkehrsunternehmen, also ein belastender Verwaltungsakt. Hiergegen steht nach allgemeinen Grundsätzen der Verwaltungsrechtsweg offen.
II. Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Diese Vorschrift setzt die Änderung des § 15 AEG einen Tag nach Verkündung des Gesetzes in Kraft.