919. Sitzung des Bundesrates am 14. Februar 2014
A
Der Ausschuss für Kulturfragen (K) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Auffassung, dass Geschäftsgeheimnissen als einer Form des geistigen Eigentums hohe Bedeutung zukommt, und die Absicht, angesichts zunehmender technischer, grenzüberschreitender Möglichkeiten Informationen auszuspähen, den Schutz der Rechteinhaber zu harmonisieren.
- 2. Der Bundesrat begrüßt daher die Initiative der Kommission, ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes durch die Schaffung eines ausreichenden und vergleichbaren Rechtsschutzes im Binnenmarkt in Fällen eines rechtswidrigen Erwerbs oder einer rechtswidrigen Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses zu gewährleisten.
- 3. Der Bundesrat unterstützt das Bestreben der Kommission, ein ausreichendes und vergleichbares Rechtsschutzniveau innerhalb des Binnenmarktes in Fällen einer rechtswidrigen Aneignung von Geschäftsgeheimnissen sicherzustellen und gleichzeitig ausreichende Schutzmaßnahmen zur Verhinderung eines missbräuchlichen Verhaltens bereitzustellen.
- 4. Der Bundesrat stellt jedoch fest, dass das Ziel der Kommission, ein möglichst einheitliches Rechtsschutzniveau für Geschäftsgeheimnisse innerhalb des Europäischen Binnenmarkts zu gewährleisten, mit dem derzeitigen Richtlinienvorschlag nicht hinreichend erreicht wird. Darüber hinaus finden in dem Richtlinienvorschlag die Interessen des (vermeintlichen) Verletzers teilweise nur unzureichend Berücksichtigung.
Zum Erwägungsgrund 9 i.V.m. Artikel 4
- 5. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass der Wortlaut der geplanten Richtlinie die Tatsache, dass neben Behörden auch öffentliche Archive Geschäftsgeheimnisse rechtmäßig offenbaren können, nicht ausreichend berücksichtigt.
Auf Grund des in Deutschland geltenden Prinzips der Trennung von Archiv und Verwaltung, welches vor allem in den Löschungssurrogaten der Datenschutzgesetze (vgl.
§ 20 Absatz 9 BDSG oder etwa § 19 Absatz 4 HmbDSG und § 3 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 HmbArchG) Ausdruck findet, werden öffentliche Archive nicht unmittelbar durch den Begriff "Behörde" in Erwägungsgrund 9 erfasst. Da es in Deutschland Informationsfreiheitsgesetze in ausdrücklicher Abgrenzung von den Archivgesetzen gibt, erstreckt sich zudem das in Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a genannte Recht auf Informationsfreiheit im allgemeinen Verständnis nicht unmittelbar auch auf den Zugang zu Informationen in Archiven.
- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, darauf hinzuwirken, dass - nationale öffentliche Archive in den Wortlaut des Erwägungsgrundes 9 Satz 3 eingefügt werden und - Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe a den Zugang zu Informationen nach den Archivgesetzen des Bundes und der Länder nicht ausschließt.
Zu Artikel 3
- 7. Artikel 3 Absatz 2 und 3 des Richtlinienvorschlags begegnen in ihrer derzeitigen Fassung unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit erheblichen Bedenken. Während in Artikel 3 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags definiert wird, unter welchen Voraussetzungen der Erwerb eines Geschäftsgeheimnisses ohne Zustimmung des Inhabers rechtswidrig ist, findet sich eine entsprechende Regelung für die Offenlegung und Nutzung des Geschäftsgeheimnisses in Artikel 3 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags. Die Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses soll unter anderem dann als rechtswidrig anzusehen sein, wenn sie ohne Zustimmung des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses vorsätzlich oder fahrlässig durch eine Person erfolgt, die auf rechtswidrige Weise in den Besitz des Geschäftsgeheimnisses gelangt ist (Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe a des Richtlinienvorschlags). Objektiver Anknüpfungstatbestand für die Rechtswidrigkeit der Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses ist somit die rechtswidrige Besitzerlangung. Es erschließt sich insoweit nicht, in welchem Verhältnis die Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe a des Richtlinienvorschlags zueinander stehen. Zwar spricht Artikel 3 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags von einem "Erwerb" und Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe a des Richtlinienvorschlags von einer "Besitzerlangung in rechtswidriger Weise". Ob und gegebenenfalls welcher Unterschied mit dieser unterschiedlichen Terminologie verbunden sein soll, erscheint unklar. Vor diesem Hintergrund stellt sich insbesondere die Frage, wie der Begriff der "Rechtswidrigkeit" in Artikel 3 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags zu verstehen sein soll. Unter Berücksichtigung von Artikel 3 Absatz 3 Buchstabe b des Richtlinienvorschlags, der wie Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe e des Richtlinienvorschlags auf die Verletzung einer Vertraulichkeitsvereinbarung abstellt, erscheint es jedenfalls nicht möglich, zur Definition der Rechtswidrigkeit der Besitzerlangung auf Artikel 3 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags abzustellen. Es sollte daher eindeutig klargestellt werden, unter welchen Voraussetzungen eine Person auf rechtswidrige Weise in den Besitz eines Geschäftsgeheimnisses im Sinne von Artikel 3 Buchstabe a des Richtlinienvorschlags gelangt ist.
- 8. Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe f des Richtlinienvorschlags, der auf "jedes sonstige Verhalten, das unter den jeweiligen Umständen als mit einer seriösen Geschäftspraxis nicht vereinbar gilt" abstellt, ist zu unbestimmt. Bei dieser Regelung handelt es sich um eine Generalklausel, deren genauer Inhalt erst sukzessive durch die Gerichte im Wege der Ausbildung bestimmter Fallgruppen mit Leben gefüllt werden müsste, was zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit beiträgt. Angesichts der Folgen, welche die Einordnung des Erwerbs eines Geschäftsgeheimnisses als rechtswidrig für den Einzelnen haben kann (vgl. die Artikel 11 und 13 des Richtlinienvorschlags, insbesondere Unterlassungsverfügung, Rückruf, Vernichtung und Schadenersatz), ist dies aus Sicht des Bundesrates im Interesse der Rechtssicherheit nicht hinnehmbar.
Zu Artikel 4 Absatz 2
- 9. In Artikel 4 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags werden bestimmte Fälle des (angeblichen) Erwerbs sowie der (angeblichen) Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen. Der Bundesrat begrüßt, dass die Inanspruchnahme wegen der Verletzung eines Geschäftsgeheimnisses Schranken unterliegen soll. Allerdings lassen sich die in Artikel 4 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags genannten absoluten Schrankenregelungen mit dem Ziel des Richtlinienvorschlags, einen angemessenen und wirksamen rechtlichen Schutz von vertraulichem Know-How und vertraglichen Geschäftsgeheimnissen im gesamten Binnenmarkt zu gewährleisten, nicht vereinbaren. Vielmehr ist es nach Auffassung des Bundesrates erforderlich, stets zwischen dem Interesse an der Wahrung des Geschäftsgeheimnisses und den in Artikel 4 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags genannten Interessen abzuwägen. Nur mit einer Interessenabwägung im Einzelfall ist es möglich, Fallkonstellationen hinreichend Rechnung zu tragen, bei denen der Schutz des Geschäftsgeheimnisses die in Artikel 4 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags genannten Interessen überwiegt. Eine zu einseitig die Interessen des Verletzers berücksichtigende Schrankenregelung könnte zudem dazu führen, dass aufgrund des damit verbundenen Prozessrisikos Geschädigte davon abgehalten werden, gerichtlich gegen eine aus ihrer Sicht rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung vorzugehen.
- 10. Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe d und e des Richtlinienvorschlags, die auf die "Erfüllung einer nichtvertraglichen Verpflichtung" bzw. auf den "Schutz eines legitimen Interesses" abstellen, sind zu unbestimmt und daher zu streichen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass diese Regelungen dazu führen, dass der mit der Richtlinie verfolgte Zweck, Geschäftsgeheimnisse möglichst umfassend zu schützen, durch eine extensive Anwendung der Schrankenregelungen unterlaufen wird.
Zu Artikel 6 Absatz 2
- 11. Die in Artikel 6 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags für den Fall einer missbräuchlichen Anrufung von Gerichten vorgesehenen Sanktionsmaßnahmen begründen eine erhebliche Missbrauchsgefahr, die redlich handelnde Unternehmen abschrecken könnte, Gerichtsverfahren einzuleiten. Diese müssten möglicherweise befürchten, dass die Gegenseite wahrheitswidrig Tatsachen im Sinne von Artikel 6 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags behauptet, um etwa das Verfahren zu verzögern. Verfahrensverzögerungen drohen auch dort, wo die Klage einer nicht berechtigten Partei ohne Weiteres abgewiesen werden könnte, die zusätzliche Frage nach der "unredlichen Absicht" aber eine umfangreiche Beweisaufnahme erfordert.
- 12. Artikel 6 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags lässt weder erkennen, welche Sanktionen die Justizbehörden bei einem missbräuchlichen Verfahren gegen den Antragsteller verhängen dürfen, noch, ob die zuständigen Justizbehörden solche Maßnahmen nur auf Antrag der obsiegenden Partei eines vorangegangenen Verfahrens oder von selbst treffen sollen. Dies wiegt umso schwerer, da die vorgeschlagene Richtlinie gegen eine von einer Justizbehörde im Sinne von Artikel 6 des Richtlinienvorschlags getroffene Maßnahme keine Rechtsschutzmöglichkeit vorsieht.
Zu Artikel 8
- 13. Der Bundesrat begrüßt, dass in Artikel 8 des Richtlinienvorschlags Regelungen zur Wahrung des Geheimnisschutzes während gerichtlicher Verfahren enthalten sind.
- 14. Problematisch erscheint jedoch, dass nach Artikel 8 des Richtlinienvorschlags auch den beteiligten Parteien selbst der Zugang zu Anhörungen versagt werden kann (Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 Buchstabe b des Richtlinienvorschlags). Zudem sollen offensichtlich auch vom Gericht zu verwertende Beweismittel den Parteien selbst vorenthalten werden dürfen. Dies lässt sich mit dem allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatz nach Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes, dass vor Gericht jedermann einen Anspruch auf rechtliches Gehör hat, in dieser allgemeinen Form nicht vereinbaren.
Zu Artikel 10
- 15. Artikel 10 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags sieht vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die zuständigen Justizbehörden in Bezug auf die in Artikel 9 genannten (vorläufigen und vorbeugenden) Maßnahmen befugt sind, vom Antragsteller einen mutmaßlich ohne Probleme zu beschaffenden Nachweis zu verlangen, dass die Voraussetzungen der Artikel 2 bis 4 des Richtlinienvorschlags erfüllt sind. Für eine solche Einschränkung der Nachweispflicht auf einen "ohne Probleme zu beschaffenden Nachweis" besteht im Hinblick auf den in Artikel 9 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags vorgesehenen Umfang der möglichen vorläufigen oder vorbeugenden Maßnahmen, der von einer Unterlassungsverfügung über das Verbot der Herstellung und des Vertriebs rechtsverletzender Produkte bis zu einer Beschlagnahme oder einer Herausgabeanordnung reicht, keine Veranlassung. Der Zusatz "mutmaßlich ohne Probleme zu beschaffenden" ist daher in Artikel 10 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags zu streichen.
- 16. Für die in Artikel 10 Absatz 3 Buchstabe a des Richtlinienvorschlags enthaltene Regelung, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass vorläufige Maßnahmen nach Artikel 9 auf Antrag des Beklagten u.a. dann (auch ohne eine vom Gericht gesetzte Frist, vgl. §§ 936, 926 ZPO) zurückgenommen oder auf andere Weise unwirksam werden sollen, wenn der Antragsteller innerhalb von 20 Arbeits- bzw. 31 Kalendertagen kein Verfahren einleitet, das zu einer Sachentscheidung der zuständigen Justizbehörde führt, besteht unter dem Gesichtspunkt des mit dem Richtlinienvorschlag angestrebten, möglichst effektiven Schutzes von Geschäftsgeheimnissen keine Veranlassung. Dem Interesse des (vermeintlichen) Verletzers kann bereits dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass dem Verletzten zunächst auf Antrag eine Frist zur Klageerhebung gesetzt wird und, falls diese erfolglos verstreichen sollte, sodann die vorläufige Maßnahme auf Antrag aufgehoben wird.
Zu Artikel 13
- 17. Die in Artikel 13 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags bei der Festsetzung der Höhe des Schadensersatzes beabsichtigte Einbeziehung von Faktoren, die nicht wirtschaftlicher Art sind, ist nicht erforderlich. Mit Blick auf die in Artikel 2 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags vorgenommene Legaldefinition eines Geschäftsgeheimnisses ist - anders als bei Rechten des geistigen Eigentums - keine haftungsbegründende Verletzungshandlung denkbar, die zu einem Schaden führt, der nicht wirtschaftlicher Art ist. Der mit der Richtlinie bezweckte Schutz vertraulichen Know-Hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) ist bereits durch einen der Höhe nach allein an materiellen ("wirtschaftlichen") Faktoren zu messenden Schadensersatzanspruch hinreichend gewährleistet.
- 18. Soweit nach Artikel 13 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags im Einzelfall auch andere als wirtschaftliche Faktoren in die Schadensberechnung einfließen sollen, wird im Richtlinienvorschlag - trotz gleichlautender Formulierungen in den englischsprachigen Fassungen der oben genannten Richtlinie sowie des Richtlinienvorschlags - anstatt auf den "immateriellen Schaden" beispielhaft auf den "moralischen Schaden" abgestellt. Was unter einem derartigen "moralischen Schaden" zu verstehen sein soll, erschließt sich nicht, so dass es einer näheren Definition dieses Begriffes in der Richtlinie bedarf.
B
- 19. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.