Freistaat Thüringen Erfurt, den 21. Dezember 2010
Die Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chefin der Staatskanzlei
An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
die Thüringer Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat den anliegenden Antrag für eine Entschließung des Bundesrates zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet durch Vereinheitlichung der Netzentgelte auf Übertragungs- und Verteilnetzebene zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Marion Walsmann
Entschließung des Bundesrates zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet durch Vereinheitlichung der Netzentgelte auf Übertragungs- und Verteilnetzebene
Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Netzentgelte auf Übertragungs- und Verteilnetzebene zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet schrittweise zu vereinheitlichen, indem die energierechtlichen Rahmenbedingungen in Zukunft wie folgt angepasst werden:
- 1. Investitionsbudgets nach § 11 Abs. 2 Nr. 6 Anreizregulierungsverordnung (ARegV) sollen anteilig entsprechend des in den Netzen jeweils vorhandenen Stromaufkommens auf alle Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber umgelegt und untereinander ausgeglichen werden, soweit es sich um Erweiterungs- und Umstrukturierungsinvestitionen in die Übertragungs- und Verteilnetze handelt, die zur Aufnahme des Stromaufkommens aus erneuerbaren Energien erforderlich sind.
- 2. Mit Ausgleichsenergiekosten der Übertragungsnetzbetreiber nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ARegV und Entschädigungszahlungen nach § 11 Abs. 1 EEG bzw. Vergütungszahlungen auf Grund marktbezogener Maßnahmen nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EnWG ist entsprechend zu verfahren.
- 3. Die regionalen Verteilnetzentgelte sollen gesenkt werden, indem vermiedene Netzentgelte gem. § 35 Abs. 2 EEG vom Übertragungsnetzbetreiber bei seinen Vergütungszahlungen an die Verteilnetzbetreiber nur insoweit in Abzug gebracht werden können, als sie sich auf grundlastfähige Erzeugungsanlagen beziehen.
Begründung:
Zur Zeit liegen die Netzentgelte in den Ländern Hamburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen auf der Übertragungsnetzebene etwa doppelt so hoch wie in den übrigen Ländern. Damit erleiden insbesondere große Industriekunden, die direkt über das Übertragungsnetz beliefert werden, Standortnachteile, die auf längere Sicht bestandsgefährdend wirken. Zudem fließen die hohen Übertragungsnetzentgelte in die Netzentgelte der nachgelagerten Netzebenen ein und sind dort ebenfalls preiswirksam.
Die Ursache der höheren Entgelte liegt ganz maßgeblich in dem im Vergleich zu anderen Regelzonen höheren Anteil regenerativer Energien, bezogen auf ein niedriges Stromaufkommen in der Regelzone der oben genannten Länder, die von der 50Hertz Transmission GmbH betrieben wird. Dies führt zu 100% höheren spezifischen Netzkosten in dieser Regelzone, die langfristige industrie- und standortpolitische Auswirkungen haben. In den nachgelagerten Verteilnetzen besteht ein analoges Problem.
Eine weitere wesentliche Ursache für die höheren spezifischen Netzkosten sind hohe Regelenergiekosten, die als Systemdienstleistung in die Netzentgelte eingehen.
Damit die aus regenerativen Energien erzeugten Strommengen vollumfänglich in das Stromversorgungsnetz eingespeist werden können, muss die vorhandene Netzinfrastruktur der Übertragungs- und Verteilernetze kontinuierlich und bedarfsgerecht ausgebaut werden. In den nächsten Jahren besteht in einigen Bundesländern ein erheblicher Zuwachs an Einspeiseleistung, für den ein weiterer Netzausbau erforderlich ist. Für die Netzbetreiber, die gemäß EEG verpflichtet sind, den stark steigenden Anteil erneuerbarer Energien in die Netze zu integrieren, ergibt sich daraus ein großer Investitionsbedarf. Da der Netzausbaubedarf regional sehr unterschiedlich ist, führt dies auch zu einem unterschiedlichen Anstieg der Netzkosten und damit der Netzentgelte.
Da die Einspeiseleistungen schneller ansteigen als der Netzausbau trotz der Regelungen zur Verfahrensbeschleunigung erfolgen kann, sieht das EEG die Möglichkeit der Reduzierung der Einspeiseleistung zur Gewährleistung der Netzsicherheit, das Einspeisemanagement, vor. Die Anlagenbetreiber haben im Falle des Aufrufes des Einspeisemanagements für die dadurch entgangene Einspeisevergütung einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung durch den jeweiligen Netzbetreiber. Die Entschädigungszahlungen sind Bestandteil der Netzentgelte. Die von den Netzbetreibern veröffentlichten Zahlen belegen, dass der Aufruf des Einspeisemanagements mit steigender Tendenz erforderlich ist.
In Anbetracht der veränderten Funktionsweise der Stromnetze hin zu einem Stromsystem, das von stark fluktuierender dezentraler Einspeisung geprägt ist, muss über das Konzept der vermiedenen Netzentgelte neu nachgedacht werden.
Das Konzept der vermiedenen Netzentgelte beruht auf zwei Annahmen, die beide im momentanen System nicht gegeben sind: 1) Netzkosten werden tatsächlich vermieden und 2) die Flussrichtung des Stromes erfolgt von der höchsten zur niedrigsten Spannungsebene.
Noch vor einigen Jahren konnte als Rechtfertigung für den im EEG verankerten Ansatz der vermiedenen Netzentgelte davon ausgegangen werden, dass wegen der relativ geringen EEG-Kapazitäten sowie der relativ geringen Stromeinspeisung aus EEG-Anlagen der Strom in der Region verbraucht wird und keine größeren Leistungsschwankungen auftreten. Inzwischen ist dies nicht mehr der Fall und die Netzentgelte der betreffenden Netzbetreiber werden mit diesen Kosten belastet.
Die aufgezeigten Kostenpositionen belasten die Netzentgelte zunehmend. Es besteht die Befürchtung, dass dadurch die Wettbewerbsfähigkeit vieler gewerblicher Stromverbraucher beeinträchtigt und zunehmend gefährdet ist.
Es besteht damit die Gefahr, dass die wirtschaftliche Entwicklung sowie die Entwicklung der Lebensverhältnisse der Länder auseinanderdriften.
Aufgrund des erhöhten Leitungsausbaubedarfes kann das Problem zukünftig in vielen Regionen der Bundesrepublik auftreten.
Der überproportionale Beitrag, den die genannten Länder bereits zur Sicherung der Klimaschutzziele leisten, führt also gleichzeitig dazu, dass sich in diesen Ländern kaum stromintensive Industriekunden ansiedeln. Diese werden in Ländern standortaktiv, die geringere Netzentgelte aufweisen. Dies wiederum erhöht den Leitungsausbaubedarf, weil weiterer Transportbedarf entsteht. Damit würde sich die oben beschriebene Problemlage weiter verschärfen.
Im Ergebnis wird damit bei Aufrechterhaltung des Status quo - also verschiedene Netzentgelte bei den vier Übertragungsnetzbetreibern - eine Dynamik in Gang gesetzt, die dem grundgesetzlich verankerten Gedanken der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland zuwiderläuft. Zudem muss verhindert werden, dass der Beitrag, den die genannten Länder bereits zum Klimaschutz leisten, mit einem industrie- und standortpolitischen "Malus" versehen wird.
Die Bundesrepublik Deutschland muss sich als Ganzes der Herausforderung stellen, die in der Vereinbarkeit einer ambitionierten Klimaschutzpolitik zur nachhaltigen Sicherung unserer Zukunft in allen Lebensbereichen mit den Anforderungen eines hochentwickelten Industrielandes an die Infrastruktur - und zwar insbesondere in Bezug auf Qualität und Wirtschaftlichkeit - liegt.
Daher wird die Bundesregierung aufgefordert gegenzusteuern, indem sie die Netzentgelte auf Übertragungs- und Verteilnetzebene schrittweise vereinheitlicht.