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Bewertung des Risikos durch Neutronenstrahlung
Strahlenschutzkommission
Vom 4. April 2001
(BAnz. vom 15.05.2001 S. 9502)
Verabschiedet in der 170. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 7. Dezember 2000
1 Vorbemerkung
Angesichts der bevorstehenden Wiederaufnahme von CASTOR-Transporten ist es zu erneuten Diskussionen um das Risiko von Neutronenstrahlung gekommen. Wegen dieser jüngsten Diskussionen hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) die Strahlenschutzkommission ersucht, unter Heranziehung neuester Erkenntnisse zu überprüfen, ob die gegenwärtigen Festlegungen im Strahlenschutz, und insbesondere die Strahlungs-Wichtungsfaktoren, die Neutronen richtig bewerten und damit hinreichenden Schutz bei Neutronenstrahlung gewährleisten.
2 Empfehlung der Strahlenschutzkommission
Der derzeitige Stand des strahlenbiologischen Wissens gibt, wie im Dokumentationsteil dargelegt, keinen Anlass, einen höheren Risikokoeffizienten als bisher und daher einen höheren Wichtungsfaktor für Neutronen im Strahlenschutz anzunehmen. Frühere Bestimmungen der Risikokoeffizienten für Neutronen hingen von der Extrapolation der Risikoschätzung für Photonen zu niedrigen Dosen ab. Grundlage dieser Empfehlung ist dagegen ein neuer Ansatz, der den Risikokoeffizienten für Neutronen von dieser Extrapolation entkoppelt und der allein von den RBE-Werten aus Tierversuchen und vom zusätzlichen relativen Risiko (ERR) für Krebsmortalität ausgeht, das bei 1 Gy in Hiroshima beobachtet wurde.
Mit dem Strahlungs-Wichtungsfaktor der ICRP wird die Gesamtwirkung der auf Menschen einfallenden Neutronen-Strahlung berücksichtigt, also sowohl die durch die Neutronen im Körper unmittelbar als auch die durch sie mittelbar über γ-Strahlung verursachte Dosis. In dem konkreten Fall eines CASTOR-Transportbehälters entsprechen die durch die ICRP-Publikation 60 vorgegebenen Wichtungsfaktoren einem Wichtungsfaktor von 16,8 für das gesamte Neutronenspektrum. Der in der nachfolgenden wissenschaftlichen Dokumentation abgeschätzte Risikofaktor für Neutronen entspricht demgegenüber einem Bewertungsfaktor von 12,8 für dasselbe Neutronenfeld. Die von der ICRP vorgeschlagenen und in die Europäischen Normen übernommenen Wichtungsfaktoren für Neutronen sind daher hinsichtlich der in der Umgebung eines CASTOR-Transportbehälters auftretenden Neutronenstrahlung nach derzeitigem Wissensstand konservativ. Die Strahlenschutzkommission wird auch künftig prüfen, ob neue Erkenntnisse - beispielsweise durch die Fortführung der epidemiologischen Beobachtung der Atombombenüberlebenden - zu einer Modifikation dieser Bewertung Anlass geben.
3 Wissenschaftliche Begründung
Der Dokumentationsteil erläutert die Bewertung der Neutronenstrahlung und basiert auf den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die biologische Wirkung von Neutronen auf den Menschen.
3.1 Einleitung
Eine zentrale Größe hinsichtlich der Festlegung von Grenzwerten im Strahlenschutz ist die effektive Dosis, E, eine über alle relevanten Organe und Gewebe im menschlichen Körper und über die unterschiedlichen Strahlenarten gewichtete Größe [1]:
E = ΣR,T wR × wT × DT,R
DT,R: | mittlere Energiedosis im Organ oder Gewebe T durch die externe Strahlungskomponente R |
wT: | Gewebe-Wichtungsfaktor für Organ oder Gewebe T (Σ wT = 1) |
wR: | Strahlungs-Wichtungsfaktor für die externe Strahlungskomponente R |
Die Energiedosis und die effektive Dosis haben die gleiche Einheit, J/kg. Zur besseren Unterscheidung wird jedoch für die Energiedosis der spezielle Name Gray (Gy) dieser Einheit verwendet und für die effektive Dosis der Name Sievert (Sv).
Die Werte der Gewebe- und Strahlungs-Wichtungsfaktoren sind 1990 von der Internationalen Kommission für Strahlenschutz (ICRP) empfohlen worden. Für Photonenstrahlung wurde, unabhängig von der Energie, der Strahlungs-Wichtungsfaktor wR gleich 1 gesetzt. Für Neutronen ist er von deren Energie abhängig und im für schnelle Neutronen typischen Energiebereich von 0,1 MeV bis 2 MeV gleich 20. Die Wichtungsfaktoren für die unterschiedlichen Strahlenarten tragen der durch zahlreiche experimentelle Untersuchungen belegten Tatsache Rechnung, dass eine bestimmte Energiedosis dicht ionisierender Strahlung - wie es schnelle Neutronen sind - wirksamer ist als dieselbe Energiedosis durch locker ionisierende Strahlung, wie γ-Strahlung oder Röntgenstrahlung.
Obwohl die Internationale Kommission für Strahlenschutz (ICRP) die von ihr empfohlenen und später in die Europäischen Normen übernommenen Dosisgrenzwerte nicht starr an Zahlenwerte des Risikos für stochastische Spätschäden gekoppelt hat, hat sie doch einen nominellen Risikokoeffizienten für tödliche Krebserkrankungen von 0,05/Sv abgegeben. Dieser Wert bezieht sich auf den Bereich kleiner Dosen, d. h. auf Dosen, die die Größenordnung der Grenzwerte nicht wesentlich überschreiten und daher deutlich kleiner als 1 Sv sind. Um die Frage nach der richtigen Einschätzung der Neutronenstrahlung zu beantworten, hatte die SSK zu prüfen, ob die nach gegenwärtigem Kenntnisstand beste Risikoschätzung für schnelle Neutronen dem von der ICRP angegebenen Risikowert etwa entspricht oder diesen Wert wesentlich überschreitet.
3.2 Generelle Beobachtungen
Bisher liegen keine ausreichenden epidemiologischen Studien vor, um die durch Neutronenstrahlung hervorgerufenen Erhöhungen von Krebserkrankungen oder von Erbschäden direkt zu untersuchen. Die Risikoschätzungen für Neutronen stützen sich deshalb auf epidemiologische Beobachtungen für γ-Strahlung und auf strahlenbiologische Untersuchungen zum Vergleich der Wirkung von Neutronen und γ-Strahlung bzw. Röntgenstrahlung. Das Verhältnis der γ- und Neutronendosen mit gleicher Wirkung bezeichnet man als die relative biologische Wirksamkeit der Neutronen (relative biological effectiveness, RBE).
(Stand: 16.06.2018)
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