umwelt-online: Vergleichende Bewertung der biologischen Wirksamkeit verschiedener ionisierender Strahlungen (2)

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2.1.2.2 Mutationen

Mutationen in den Körperzellen stellen einen wichtigen Schritt bei der Tumorinitiation dar. Mutationen in den Keimzellen können in der Nachkommenschaft zu schweren Erbkrankheiten führen. Mutationen können in vitro mit verschiedenen Verfahren untersucht und quantifiziert werden.

Der am meisten benutzte experimentelle Ansatz ist die Prüfung von Zellen auf Resistenz gegenüber 6-Thioguanin, welche durch einen Ausfall des Gens für das Enzym Hypoxanthin-Phosphoribosyl-Transferase (HPRT) bewirkt wird. Das Gen liegt auf dem X-Chromosom und kann daher, obwohl die Mutation rezessiv ist, auch in diploiden Zellen untersucht werden. Dies gilt auch für weibliche Zellen, da hier das zweite X-Chromosom in der Regel inaktiv ist. Ursache für die strahleninduzierte Ausschaltung des HPRT-Gens sind Deletionen innerhalb dieses Gens.

Mutationen an dem Gen für Thymidinkinase, welche zu einer Resistenz gegen Fluorothymidin führen, können nur in hemizygoten Zellen (TK6 und deren Derivaten) untersucht werden.

Ein besonders empfindliches Mutationssystem stellen AL-Zellen dar. Sie sind hybride Hamsterzellen, die ein menschliches Chromosom enthalten. Dieses trägt die Information für Oberflächenrezeptoren, an denen bestimmte Substanzen binden und damit die Zellen abtöten können. Eine Mutation der Gene, welche für diese Rezeptoren kodieren, verhindert diese selektive Empfindlichkeit. Da das menschliche Chromosom für die Hamsterzelle nicht essentiell ist, führt auch sein kompletter Verlust nicht zum Absterben der Zelle. Dieses System ist sehr empfindlich und kann daher auch bei relativ niedrigen Dosen eingesetzt werden. Dies liegt einmal an dem großen Treffbereich, zum anderen aber auch daran, dass im humanen Chromosom auch große Deletionen nicht zur Inaktivierung von für die Zelle essentiellen Genen führen.

2.1.2.3 Neoplastische Zelltransformation

Die neoplastische Transformation wird als wichtiger Schritt der initialen Phase der Karzinogenese angesehen. Der entsprechende Test besteht im Allgemeinen in der quantitativen Erfassung eines geänderten Wachstumsverhaltens in geeigneten Zell-Linien.

Diese können z.B. untransformierte embryonale Zellen sein (verwendet werden meist die des syrischen Hamsters: "Syrian hamster embryo cells", SHE), aber auch spezielle bereits immortalisierte Zellen, die in Dauerkultur gehalten werden können, z.B. die Mauszelllinie C3H1OT ½ oder verschiedene Maus-L-Linien. Alle diese Zellen wachsen normalerweise in Einzelzellschichten ("monolayers"), und als Indiz einer neoplastischen Transformation wird die Bildung von "Foci" betrachtet, d. h. das Auftreten begrenzter Zonen mit dreidimensionalem Wachstum nach Einwirkung karzinogener Agenzien. Andere Versuchsansätze benutzen als Indiz die Expression von Genen für typische Oberflächenproteine (dies ist in der Hybridlinie CGL1 der Fall) oder auch das Proliferationsvermögen in Medien mit niedriger Serumkonzentration.

Das wichtigste biologische Kriterium für eine definitive onkogene Transformation ist jedoch das Tumorwachstum in immunsupprimierten Versuchstieren nach Injektion transformierter Zellen.

Als Transformationshäufigkeit wird der Quotient aus der Anzahl der Transformationen und der Anzahl der Zellen bezeichnet, wobei zu unterscheiden ist, ob man sich auf die Anzahl der bestrahlten oder die Anzahl der überlebenden Zellen bezieht. Ähnlich wie bei Chromosomenaberrationen werden auch bei der neoplastischen Zelltransformation linearquadratische und lineare Dosis-Wirkungs-Beziehungen (vgl. Gl. 2.1 und 2.2) beobachtet. Abb. 2.2 zeigt Beispiele der Dosis-Wirkungs-Beziehungen für die neoplastische Zelltransformation.

2.1.2.4 Bystander-Effekt, "adaptive Response", genomische Instabilität

Die Vorstellung einer "Strahlenwirkung auf die Einzelzelle", die auch in diesem Bericht verwendet wird, hat durch die strahlenbiologische Forschung des letzten Jahrzehnts eine wesentliche Ergänzung erfahren. Zahlreiche Untersuchungen zeigten, dass von den durch ionisierende Teilchen getroffenen Zellen Signale ausgehen, die in nicht getroffenen Nachbar-Zellen (engl. bystanders) der gleichen Zellkultur die für Strahlenwirkungen typischen Phänomene ebenfalls auslösen können [ZHO 01]; Übersichten bei [MOT 01, ÖST 03]). Über die Natur der Signalübermittlung gibt es nach dem heutigen Stand nur Vermutungen. Die Existenz des Bystander-Effekts nicht nur unter In-vitro-Bedingungen, sondern auch in vivo gilt als nachgewiesen [MOT 02]. Für die im Strahlenschutz zur Bewertung der unterschiedlichen Wirksamkeit verschiedener ionisierender Strahlungen besonders herangezogenen Tierexperimente stellt der Bystander-Effekt jedoch keinen Anlass zur Revision der Ergebnisse dar, weil die im Tierversuch beobachteten makroskopischen Strahlenwirkungen, z.B. die Karzinogenese, die Wirkung der von getroffenen auf nicht getroffene Zellen übermittelten molekularen Signale mit einschließen. Dies schließt nicht aus, dass die Auswirkungen des Bystander-Effekts auch im Tierversuch im derzeit experimentell nicht zugänglichen Bereich bei sehr niedrigen Dosen besonders ausgeprägt sind, wodurch die Extrapolation der Dosis-Effekt-Beziehung in den niedrigen Dosisbereich mit weiteren Unsicherheiten belastet wird. Für andere Effekte, wie z.B. die "adaptive Response" (Reduktion der Strahlensensibilität durch eine Vorbestrahlung) oder die "genomische Instabilität" (über mehrere Zellgenerationen persistierende nichtklonale Anomalien), die noch Gegenstand der strahlenbiologischen Forschung sind, gilt ebenfalls, dass die Ergebnisse von Tierversuchen die Wirkungen dieser Effekte mit einschließen.

2.1.3 Tierversuche

2.1.3.1 Keimbahnmutationen

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