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63. Erläuterung zu 4,4'-Oxydianilin
(BArbBl. 5/95 S. 38)
Ein TRK-Wert für 4,4'-Oxydianilin wird nicht festgelegt, da der Stoff zur Zeit nur eine geringe technische Bedeutung hat. Die DFG-Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe hat 4,4'-Oxydianilin in die MAK-Gruppe III A2 eingestuft. Nach Beratung durch den Ausschuß für Gefahrstoffe wurde 4,4'-Oxydianilin als krebserzeugend in die Kategorie C 2 - nach Anhang I der GefStoffV - der TRGS 905 (Verzeichnis krebserzeugender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender Stoffe) eingeordnet. Zubereitungen sind als krebserzeugend im Sinne des § 35 Abs. 1 GefStoffV anzusehen, sofern der Massengehalt an 4,4'-Oxydianilin> 0,1 % beträgt.
Arbeitsmedizinische Erfahrungen
Arbeitsmedizinische Erfahrungen sind bisher nicht publiziert worden [1].
Toxikologische Erfahrungen
Im Ames-Test mit verschiedenen Salmonellen-Stämmen sowie in L5178Y-Mauslymphomzellen erwies sich 4,4'-Oxydianilin (ODA) mit und ohne metabolische Aktivierung als mutagen [2,3]. ODa erzeugte ebenfalls Mutationen in Photobacterium phosphoreum [4].
Die publizierten Ergebnisse bezüglich einer Auslösung von "unscheduled DNa synthesis" (UDS) durch ODa an Rattenhepatozyten in vitro sind uneinheitlich [2,5,6]. Waren die Spendertiere mit Aroclor 1254 oder Phenobarbital vorbehandelt worden, trat jedoch ein deutlicher Anstieg der DNA-Reparatursynthese auf [6]. In vivo konnte UDS nicht nachgewiesen werden [2,7].
An CHO-Zellen rief ODa sowohl Chromosomenaberrationen als auch Schwesterchromatidaustausch mit und ohne metabolische Aktivierung hervor [2,8]. Keine erhöhte SCE-Rate konnte in Knochenmarkszellen von Mäusemännchen nach i.p. Injektion von 75 mg/kg der Substanz beobachtet werden. Die Auslösung von DNA-Strangbrüchen in der Rattenleber nach i.p. Injektion von ODa ist umstritten [2].
Bei Diethylnitrosamin-initiierten Sprague-Dawley-Ratten, die eine ODA-haltige Diät erhielten (400 bzw. 500 mg/kg Futter, entsprechend einer wöchentlichen Substanzaufnahme von ca. 190 bzw. 230 mg ODA/kg KGW) wurde eine signifikante Zunahme veränderter hepatozellulärer Foci gefunden [9].
Die Gabe von insgesamt 4,12 g ODa pro Tier in 25-mg-Dosen (5 x pro Woche im Futter, später i.g.) erzeugte bei 16 überlebenden Rappolovo-Ratten nach 1,5 - 9 Monaten je ein Nierenmyelom, Leberfibrosarkom, Mammaadenom und Neurosarkom am Hals sowie 2 Seminome und 3 Retikulosarkome (keine Nieren- und Testestumoren in historischer Kontrolle). Subkutane Applikation einer Gesamtmenge von 2 g/Tier in wöchentlichen Einzeldosen von 25 mg/Tier führte bei 39 überlebenden Rappolovo-Ratten zu je einem Leberfibrosarkom, Retikulosarkom und Nierenkarzinom sowie je 2 Leukosen und Mammafibroadenomen. Eine signifikant erhöhte Inzidenz von Uteruskarzinomen wurde bei weiblichen (ab 400 mg ODA/kg KGW) bzw. Interstitialzell-Hodentumoren bei männlichen Sprague-Dawley-Ratten (ab 200 mg ODA/kg KGW) beobachtet, die ODa mit dem Futter verabreicht bekamen. Wistar-Ratten, denen bis zu einer Gesamtdosis von 14,4 g/kg KGW je einmal wöchentlich 100-300 mg/kg KGW ODa subkutan injiziert wurde, bildeten 22/40 benigne (Kontrolle: 13/50) und 22/40 (Kontrolle: 10/50) maligne Tumoren aus, wobei die Lebertumoren überwogen [2].
CC57W-Mäuse entwickelten Leukosen (6/14), Lungenadenome und Hämangiome der Ovarien (je 2/14), nachdem sie bis zu einer Gesamtdosis von 440 mg/Tier fünfmal pro Woche je 5 mg ODa mit dem Futter, später i.g., aufgenommen hatten. Die Leukoseinzidenz in historischer Kontrolle betrug 6,8 % [2].
Die differenziertesten Daten liefern die chronischen Fütterungsstudien des National Cancer Institute im Rahmen des U.S. National Toxicology Program (s. Tab. 1 und 2). Im Rahmen dieses Projekts wurden F344-Ratten 200, 400 und 500 mg ODa je kg Futter verabreicht (entsprechend ca. 90, 190 bzw. 230 mg ODA/kg KGW/Woche), während B6C3F1-Mäuse 150, 300 und 800 mg ODa pro kg Futter erhielten (entsprechend ca. 160, 320 bzw. 840 mg ODA/kg KGW/ Woche). Als Ergebnis der Zweijahresstudie wurde festgestellt, daß ODa bei weiblichen und männlichen Ratten Leberkarzinome bzw. neoplastische Noduli der Leber sowie Schilddrüsenfollikelzelladenome und -karzinome induziert; bei weiblichen Mäusen bilden sich Schilddrüsenfollikelzelladenome sowie bei Mäusen beiderlei Geschlechts Leberadenome, -karzinome und Adenome der Harder`schen Drüse (s. Tab. 1 und 2).
Zusammengefaßt erwies sich ODa im Tierexperiment als deutlich kanzerogen, und seine gentoxische Wirkung ist ebenfalls experimentell belegt.
Tab. 1: Tumorinzidenzen bei männlichen (m) und weiblichen (w) F344-Ratten nach ODA-Gabe im Futter (nach [2]):
500 | 400 | 200 | 0 mg/kg Futter | |
Leberkarzinome | m 22/50, w 6/50, |
23/50, 4/50, |
4/50. 0/49, |
0/50, 0/50, |
neoplast. Noduli d. Leber: |
m 17/50, w 11/50, |
18/50, 20/50, |
9/50, 0/49, |
1/50, 3/50, |
Schilddrüsenfollikel-
zelladenome: |
m 13/50, w 16/50, |
8/46, 17/48, |
1/47, 2/48, |
1/46, 0/49, |
Schilddrüsenfollikel-
zellkarzinome: |
m 15/50, w 7/50, |
9/46, 12/48, |
5/47, 2/48, |
0/46, 0/49. |
Tab. 2: Tumorinzidenzen bei männlichen (m) und weiblichen (w) B6C3F1-Mäusen nach ODA-Gabe im Futter (nach [2]):
800 | 300 | 190 | 0 mg/kg Futter | |
Adenome d. Harder`schen Drüse: | m 17/50, w 12/50, |
13/49, 14/50, |
17/50, 15/50, |
1/50, 2/50, |
Leberadenome: | m 10/50, w 14/50, |
11/49, 9/48, |
13/50, 6/49, |
11/50 4/50, |
Leberkarzinome: | m 26/50, w 15/50, |
23,49, 6/48, |
27/50, 7/49, |
18/50, 4/50, |
Schilddrüsenfollikel-zelladenome: | m 2/49, w 7/48, |
2/47, 0/42, |
0/47, 0/43, |
0/44, 0/46, |
Hypophysenadenome: | m 7/35, w 2/36, |
0/34, 4/41, |
0/44, 4/42, |
1/37, 2/42. |
Herstellung und Verwendung
Ein Verwender von 4,4'-Oxydianilin ist in der Bundesrepublik Deutschland bekannt. Der Stoff wird in kleinen Mengen (< 500 kg/a) zur Herstellung eines Speziallackes verwendet. Die Reaktion findet in einem geschlossenen System statt. Beim Einfüllen wird Vollschutz getragen.
Analytik und Meßergebnisse
Ein Meßverfahren zur Bestimmung von 4,4'-Oxydianilin in der Luft am Arbeitsplatz ist derzeit nicht bekannt. Ergebnisse von Arbeitsbereichsmessungen liegen nicht vor. Beim Verwender der Substanz wird zur Zeit ein Analysenverfahren entwickelt. Es zeichnet sich ab, daß die Bestimmungsgrenze voraussichtlich im Bereich um 0,02 mg/m liegt.
Anfragen zum Analysenverfahren sind an das Sekretariat des Ua V des Ausschusses für Gefahrstoffe zu richten (Anschrift: Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitssicherheit - BIA, Alte Heerstraße 111, 53757 Sankt Augustin).
Hinweise
Da Oxydianilin bis auf den bekannten Umgang in kleinen Mengen - bei dem Vollschutz getragen wird - keine technische Bedeutung hat. wird kein TRK-Wert festgelegt.
Sollte Oxydianilin jedoch wieder technische Bedeutung erlangen, ist durch eine Arbeitsbereichsanalyse unverzüglich festzustellen, ob ein Wert von 0,1 mg/m3eingehalten ist. Die Ergebnisse der Arbeitsbereichsanalyse sind dem Ausschuß für Gefahrstoffe (AGS) mitzuteilen. Dieser Wert orientiert sich insbesondere an den Möglichkeiten der Analytik.
4,4'-Oxydianilin hat sich im Tierversuch als hautsensibilisierend erwiesen.
Neben der inhalativen Aufnahme kann 4,4'-Oxydianilin auch über die Haut aufgenommen werden. Dem ist auch bei Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten zusätzlich durch geeignete Körperschutzmaßnahmen Rechnung zu tragen (weitere Hinweise: siehe TRGS 150 "Unmittelbarer Hautkontakt mit Gefahrstoffen").
Literatur
[1] Ergebnis einer Recherche im TOXALL Mitte 1993.
[2] Henschler, D.: Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe, Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründung von MAK-Werten: 4,4'-Oxydianilin. Kommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Verlag Chemie, Weinheim (1987)
[3] Mc Gregor, D. B., Brown, A., Cattanach, P., Edwards, I., Mc Bride, D., Riach, C. u. Caspary, W. J.: Responses of the L5178Y tk+/tk- mouse lymphoma cell forward mutation assay: III.72 coded chemicals. Environ. Mol. Mutagen. 12 (1988) 85-154
[4] Elmore, E. u. Fitzgerald, M. P.: Evaluation of die bioluminescence assays as screens for genotoxic chemicals. Prog. Clin. Biol. Res. 340 D (1990) 379-387
[5] Mori, H., Yoshimi, N., Sugie, S., Iwata, H., Kawai, K., Mashizu, N. u. Shimizu, H.: Genotoxicity of epoxy resin hardeners in the hepatocyte primary culture/DNa repair test. Mut. Res. 204 (1988) 683-688
[6] Shaddock, J. G., Heflich, R. H., Mc Millan, D. C., Hinson, J. A. u. Casciano, D. A.: Pretreatment with mixed-function oxidase inducers increases the sensitivity of die hepatocyte/DNa repair assay. Environ. Mol. Mutagen. 13/4 (1989) 281-288
[7] Mirsalis, J. C., Tyson, C. K., Steinmetz, K. L., Loh, E. K., Hamilton, C. M., Bakke, J. P. u. Spalding, J. W.: Measurement of unscheduled DNa synthesis and S-phase synthesis in rodent hepatocytes following in vivo treatment: testing of 24 compounds. Environ. Mol. Mutagen. 1413 (1989) 155-164
[8] Gulati, D. K., Witt, K., Anderson, B., Zeiger, E. u. Shelby, M. D.: Chromosome aberration and sister chromatid exchange tests in Chinese hamster ovary cells in virro. 3. Results with 27 chemicals. Environ. Mol. Mutagen. 13/2 (1989) 133-193
[9] Maronport, R. R., Pitot, H. C. u. Peraino, C.: Use of rat liver altered focus models for testing chemicals that have completed twoyear carcinogenicity studies. Toxicol. Pathol. 17/4.1 (1989) 651- 662
[10] National Cancer Institute (NCI): Bioassay of 4,4'-Oxydianiline for possible carcinogenicity. Techn. Rep. Ser. No. 205, U.S. Dep. of Health and Human Services, Washington, D.C., 1980
(Stand: 20.08.2018)
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