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70. TRK für 4,4'-Acethylendi-o-toluidin (3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan)
(BArbBl. 5/96 S. 58)
0,1 mg/m3 G, Kurzzeitwertkategorie: VI, H
Bemerkung: Der Grenzwert wird zum 30.6.1997 auf 0,05 mg/m3 abgesenkt, sofern nicht bis zum 15. Januar 1997 beim Ua V des AGS (Sekretariat: Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitssicherheit, Alte Heerstraße 111, 53757 Sankt Augustin) Meßergebnisse eingegangen sind, die einer Absenkung des Grenzwertes entgegenstehen.
3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan (4,4'-Methylendi-o-toluidin) ist in der TRGS 905 (Verzeichnis krebserzeugender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender Stoffe) als krebserzeugend in die Kategorie 2 - nach Anhang I der GefStoffV - eingeordnet. Zubereitungen sind als krebserzeugend im Sinne des § 35 Abs. 1 GefStoffV anzusehen, sofern der Massengehalt an 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan> 0,1 % beträgt.
Arbeitsmedizinische Erfahrungen
Es liegt eine epidemiologische Studie an 906 Arbeitern vor, die im Zeitraum von 1970-1992 von einer Farbstoff-Fabrik in Norditalien eingestellt worden waren. 53 Arbeiter davon waren in der Fuchsin- und Safranine T-Produktion beschäftigt und dabei gegenüber 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylinethan sowie gegenüber o-Nitrotoluol und o-Toluidin exponiert. 5 Personen aus dieser Gruppe starben an Blasenkrebs; der bei der Normalbevölkerung ermittelte Erwartungswert lag bei 0,08. Eine direkte Zuordnung der Blasenkrebsfälle zum 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan ist wegen der vorliegenden Mischexposition nicht möglich [1].
Toxikologische Erfahrungen
3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan zeigt in den 3 vorliegenden Ames-Testen nur in Gegenwart von S9-Mix eine deutliche mutagene Wirkung an den S. typhimurium-Stämmen Ta 98 und Ta 100 [2].
Die Kanzerogenität von 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan ist in mehreren Studien untersucht worden.
Im chronischen Versuch an Sprague-Dawley-Ratten beiderlei Geschlechts führte die 16 bis 19-monatige Verabreichung von 200 mg 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan /kg Futter (ca. 13 mg/kg KGW/Tag) zu erhöhten Tumorinzidenzen in Leber, Lunge, Mamma und Haut (siehe Tabelle 1). Auch die Applikation per Schlundsonde (50 mg/kg KGW/Tag, 5 Tage/Woche, max. 287 Tage) führte bei männlichen Ratten des gleichen Stammes zu erhöhten Tumorinzidenzen in den gleichen Organen wie im Fütterungsversuch (siehe Tabelle 1) [3].
Tabelle 1: Tumorinzidenzen bei Ratten nach chronischer Gabe von 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan (% in Klammern) [3]
Fütterungsversuch | Schlundsonde | |||||
Kontrolle | 200 ppm | Kontr. 50 mg/kg | ||||
M | W | M | W | M | W | |
eff. Tierzahl | 44 | 44 | 44 | 44 | 25 | 25 |
Tumorlokalis. | ||||||
Leber | 0 | 0 | 17* (39) | 27* (61) | 0 | l5* (60) |
Lunge | 1 (2) | 1 (2) | 9 (20) | 15* (34) | 0 | 12* (48) |
Mamma | 1 (2) | 17 (39) | 14* (32) | 25 (57) | 0 | 6* (24) |
Haut/Subcutis | 2 (5) | 0 | 18* (41) | 8 (18) | 0 | 11* (44) |
Magen | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 (4) |
*) P < 0,05 |
Im Rahmen eines weiteren Schlundsondenversuchs erhielten 24 männliche Ratten über einen Zeitraum von 10 Monaten an 5 Tagen pro Woche je eine Gabe von ca. 50 mg 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan/kg KGW (Gesamtdosis 10200 mg/kg KGW). Von den 23 bei Versuchsende untersuchten Tieren wiesen 20 (87 %) Lebertumoren, 12 (52 %) Tumoren der Subcutis, 1 (4 %) einen Darmpolypen und 1 (4 %) einen Mammatumor auf. Eine Kontrollgruppe wurde nicht mitgeführt [4].
6 weibliche Beagle-Hunde erhielten zunächst für 6 Wochen dreimal wöchentlich eine Gelatinekapsel mit 100 mg 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan (ca. 30 mg/kg KGW/Woche), dann für 5 Wochen fünfmal wöchentlich (ca. 50 mg/kg KGW/Woche) und dann bis zum Ende der Behandlungszeit nach 7 Jahren fünfmal wöchentlich 50 mg (ca. 25 mg/kg KGW/Woche). Bei den 3 Tieren, die mindestens 5,2 Jahre behandelt worden waren, wurden Lebertumoren und bei 2 der Tiere zusätzlich auch Lungentumoren festgestellt; die 3 bereits nach 2,7 - 4 Jahren verendeten Tiere sowie die 6 Kontrolltiere wiesen keine Tumoren auf [5].
15 weibliche Sprague-Dawley-Ratten erhielten eine einmalige subkutane Injektion von 15 mg 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan / Tier (ca. 150 mg/kg KGW) und wurden bis zum spontanen Tod weitergehalten. Es traten keine lokalen Tumoren auf und die Inzidenz der nicht-lokalen Tumoren (u.a. Mamma- und Hypophysentumoren) unterschied sich nicht signifikant von der Inzidenz in der Kontrollgruppe. Diese Studie entspricht hinsichtlich Versuchsaufbau und Dokumentation nicht den heutigen Anforderungen und ist daher nicht validierbar [6].
Insgesamt hat sich 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan im Bereich toxischer oraler Dosen als deutlich kanzerogen an Ratte und Hund erwiesen. Aufgrund der positiv verlaufenen Ames-Teste muß mit einem gentoxischen Potential gerechnet werden.
Meßverfahren
Für die Bestimmung von 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan gemäß Gesamtstaubdefinition in der Luft in Arbeitsbereichen liegt ein anerkanntes Verfahren in der Methodensammlung ZH 1/120 der Berufsgenossenschaften vor [7].
Die Probenahme erfolgt auf mit Schwefelsäure imprägnierte Glasfaserfilter bei einem Volumenstrom von 3,5 l/min. Die analytische Bestimmung wird nach Extraktion mit Wasser mittels HPLC durchgeführt. Die Bestimmungsgrenze beträgt 0,01 mg/m3 bei 500l Probeluft.
Herstellung und Verwendung
3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan ("Toluidinbase") wird in einer geschlossenen Apparatur durch Umsetzung von o-Toluidin mit Formaldehyd hergestellt. Der größte Teil der hergestellten Menge wird zum Cyclohexanderivat hydriert. Daneben dient die Substanz als Ausgangspunkt für die Herstellung von Farbstoffen.
Ergebnisse von Arbeitsbereichsmessungen
Herstellung
Aus dem Bereich der Herstellung liegen 22 Schichtmittelwerte vor. Die Ergebnisse liegen zwischen < 0,01 und 0,12 mg/m3, das arithmetische Mittel beträgt 0,025 mg/m3. Während den Messungen wurden Kontrolltätigkeiten und Probenahmen durchgeführt. Die Substanz wird nicht als Feststoff isoliert, sondern als Schmelze in festverlegten Rohrleitungen transportiert.
Verwendung
Toluidinbase wird als Schmelze über Rohrleitungen in einer Hydrierreaktor eingebracht. Die vorliegenden 15 Schichtmittelwerte sind alle kleiner als 0,01 mg/m3.
Hinweise
Neben der inhalativen Aufnahme kann 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan auch über die Haut aufgenommen werden. Dem ist auch bei Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten durch geeignete Körperschutzmaßnahmen Rechnung zu tragen (weitere Hinweise: siehe TRGS 150 "Unmittelbarer Hautkontakt mit Gefahrstoffen").
Literatur
[1] Rubino, G.F., Scansetti, G., Piolatto, G. u. Pira, E.: The carcinogenic effect of aromatic amines: An epidemiological study on the role of o-toluidine and 4,4'-methylene bis (2-methylaniline) in inducing bladder cancer in man; Environ. Res. 27, 241-254 (1982)
[2] BASF AG: AIDA-Grunddatensatz zu Benzeneamine; 4,4'-methylenebis (2-methyl) (CAS-Nr.: 838-88-0) vom 07.07.1992
[3] Stula. EF.. Sherman, H., Zapp Jr., JA. u. Clayton Jr.. J.W.: Expenmental neoplasia in rats from oral administration of 3,3'-dichlor-obenzidine, 4,4'-methylene-bis (2-methylaniline). Toxicol. Appl. Parmacol. 31, 159-176(1975)
[4] Munn, A.; Occupational bladder tumors and carcinogens: Recent developments in Britain, Bladder Cancer (Lampe, K.F., Hrsg.), Aesculapius Publishing Co., Birmingham, Alabama, USa (1967), Seite 187-193
[5] Stula, EF., Barnes, J.R., Sherman, H., Reinhardt, C.F. u. Zapp Jr., J.A.: Liver and lung tumors in dogs from 4,4'-methylene-bis(2-methylaniline). J. Environ. Pathol. Toxicol. I, 339 - 356 (1978)
[6] BASF AG: Abteilung Toxikologie, unveröffentlichte Untersuchung (VII/150) vom 20.08.1965; zitiert in [1]
[7] ZH 1/120.51: Verfahren zur Bestimmung von 3,3'-Dimethyl-4,4'-diaminodiphenylmethan. Carl Heymanns Verlag, Köln (1993).
(Stand: 20.08.2018)
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