Begründung zur Bewertung von Stoffen als sensibilisierend
16. Vorratsmilbenhaltiger Staub
(BArbBl. 1/98 S. 54)
Vorkommen:
Milben zählen zu den häufigsten Auslösern von allergischen Erkrankungen. Dabei wurden lange Zeit fast ausschließlich die zur Familie der Pyroglyphidae gehörenden Hausstaubmilben Dermatophagoides pteronyssinus und D. farinae in der Allergiediagnostik berücksichtigt. Erst in letzter Zeit werden Sensibilisierungen gegenüber Vorratsmilben, die den Familien Glycyphagidae und Acaridae hinzuzurechnen sind, häufiger beschrieben. Zu den Vorratsmilben gehören Arten wie Acarus siro, Lepidoglyphus destructor, Tyrophagus longior, T. palmarum, T. putrescentiae, Glycyphagus domesticus u.a.. Diese Milben sind u.a. im Heu, Getreide und Stroh anzutreffen.
Arbeitsmedizinische und experimentelle Daten:
Aufgrund ihres Vorkommens in organischen Stäuben sind Landwirte von IgE-vermittelten berufsbedingten Sensibilisierungen gegenüber Vorratsmilben überhäufig betroffen [1,2,3]. So fanden HALLAS und GUDMUNDSSON [4] 50.000 lebende Milben in einem Kilogramm Heu, das ein Jahr lang gelagert worden war. Außer in Getreide- bzw. Heulagern konnten Vorratsmilben auch im Staub von Rinderställen [5] und in verschiedenen anderen, der Landwirtschaft zuzuordnenden Bereichen nachgewiesen werden [6]. So wurden in 0,1 g Staub eines Bauernhauses neben 150-640 Hausstaubmilben auch 6-120 Vorratsmilben gefunden [7].
Die Sensibilisierungsrate unter Landwirten, die in der Regel typische Symptome einer Typ 1-Reaktion zeigen, wird von HALLAS und IVERSEN [1] zwischen 5 und 15 % angegeben. In Übereinstimmung damit geben van HAGE-HAMSTEN et al. [2] eine Prävalenz bei 2578 schwedischen Farmern von 6,2 % und MARX et al. bei Farmern aus Wisconsin eine Prävalenz bezüglich der Sensibilisierung gegenüber Vorratsmilben von 11,2 % an [8]. Auch KROIDL und FRANK [9] führten Untersuchungen zur Beurteilung der klinisch-allergologischen Relevanz von Vorratsmilben durch. Von 39 in tätigen Atopikern zeigten 19 (49 %) eine relevante Allergie gegen Vorratsmilben im bronchialen Provokationstest. In diesem Zusammenhang weisen die Autoren darauf hin, dass die Eingruppierung der Vorratsmilbe als "Berufsallergen" in der Landwirtschaft in Erwägung gezogen werden sollte.
Ein anderer Arbeitsbereich, in dem gehäuft über Vorratsmilbenallergien berichtet wird, ist das Backgewerbe, da hier Mehl und Korn verarbeitet werden [10]. So berichten de ZOTTI et al. [11], dass von 226 italienischen Bäckern und Konditoren 40 (17,7 %) auf mindestens eine Vorratsmilbe im Hauttest reagierten. In einigen Fällen war die Sensibilisierung mit dem Auftreten von Rhinokonjunktivitis und Asthma verbunden. Auch die Hauttest-Untersuchungen von 279 Angestellten einer britischen Bäckerei [12] ergaben, dass 33 % der Personen gegenüber Vorratsmilben sensibilisiert waren. Dieses Ergebnis wird von den Verfassern auf die kontinuierliche Exposition mit dem entsprechenden Staub zurückgeführt. Darüber hinaus konnten BLAINEY et al. [13] für Getreidehändler eine signifikante Korrelation zwischen positiven Hauttesten gegen Vorratsmilben und arbeitsabhängigen Beschwerden feststellen.
Auch unabhängig von der beruflichen Exposition werden Sensibilisierungen gegenüber Vorratsmilben festgestellt [10]. Da in diesen Fallen keine erkennbare Exposition mit Vorratsmilben vorliegt, wird eine mögliche Kreuzreaktivität zwischen Hausstaub- und Vorratsmilben diskutiert. In diesem Zusammenhang berichteten van HAGE-HAMSTEN et al. [14] über das vollständige Fehlen einer Kreuzreaktion zwischen diesen beiden Milben. Im Gegensatz dazu stehen Arbeiten von TEE [10], MÜSKEN et al. [15] und HARFAST et al. [161, die eine, wenn auch schwache, Kreuzreaktivität zwischen der Hausstaubmilbe Dermatophagoides pteronyssinus und Vorratsmilben beschreiben.
Bewertung:
Es wird deutlich, dass inbesondere Landwirte und z.T. auch Beschäftigte in Mühlen und Bäckereien stärker als die übrige Bevölkerung gegenüber Vorratsmilben exponiert sind. Das überhäufige Auftreten von IgE-vermittelten Atemwegsallergien ist die Folge. Auch wenn eine gewisse Kreuzreaktivität zwischen Hausstaubmilben und Vorratsmilben besteht und eine Hausstaubmilben-Sensibilisierung in den meisten Fällen als schicksalhaft gilt, so muß doch die Vorratsmilben-Sensibilisierung auf eine über das ubiquitäre Maß hinausgehende Vorratsmilben-Exposition zurückgeführt werden.
Literatur:
(Stand: 23.03.2021)
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