Ausgabe: Juli 1999
(BArbBl. 8/1999 S. 76)
(Ammoniummercaptoacetat, Mercaptoessigsäure)
Vorkommen:
Ammoniumthioglykolat (ATG) wird seit etwa 1940 zum Kräuseln (Kaltwelle) und Entkräuseln der Haare eingesetzt. Nach der Kosmetik-VO ist eine Konzentration von 11 % bei einem pH-Wert von 7-9,5 zulässig. Die Produkte müssen einen Warnhinweis erhalten. Verwendung in Enthaarungsmitteln und auch als Stabilisator in Haarfarben ist möglich [16]. ATG kann bis 2 % Dithioglykolat enthalten.
Exponiert sind die Anwender der Dauerwelle und Beschäftigte in der Herstellung.
Arbeitsmedizinische und experimentelle Daten:
Ganz überwiegend werden Friseure mit Verdacht auf allergisches Händeekzem mit ATG getestet. Von diesen reagierten 8 % (8//100) [9], 2,6 % (2/77) [2], 3,2 % (2/62) [14], 5 % (15/302) [7], 6,9 % (8/116) [5] auf ATG. Von 7 Patienten, die auf Kaltwelle im offenen Test reagiert hatten, zeigten 3 auch Testreaktionen auf ATG [11].
FROSCH et al. [4] fanden bei einer Auswertung der Europäischen Kontarkdermatitis-Gruppe insgesamt bei 3,8 % (31/809) Friseuren positive Testreaktionen auf ATG. In Deutschland lagen die Sensibilisierungsraten bei 5,5 %, in 9 anderen europäischen Kliniken zwischen 0 und 10,2 %. Eine Multizenterstudie in Deutschland ergab bei 2,1 % (4 von 190 Friseuren) positive Reaktionen auf ATG. Die Autoren schätzen die Sensibilisierungsrate als relativ gering ein [12].
Von 993 Untersuchten mit beruflichen Hauterkrankungen in Australien, darunter 66 Friseure, hatten insgesamt 7,7 % der Frauen und 0,4 % der Männer Reaktionen im Epikutantest auf ATG [17].
GUERRa [6] berichtete über Reaktionshäufigkeit von 1,1 % bei 261 Friseurkunden mit Hauterkrankungen.
4 Friseurlehrlinge mit Händeekzem reagierten im offenen Epikutantest auf Kaltwelle (mit 5 % ATG) und ATG (5 %ig und 2%ig), 2 auch schwach auf 1 % , keiner auf 0,1 % ATG. Diese Reaktionen wurden als Sensibilisierungen mit Relevanz für das Ekzem bewertet [18].
223 hautgesunden Probanden (1 Mann, 222 Frauen), von denen 101 Personen früher Kaltwelle angewandt hatten, wurden ATG (etwa ,6 %ig) und Thioglycerollösung für 48 Stunden auf dem Rücken appliziert. Nach 2 Wochen wurde die Prozedur wiederholt. Nach dem ersten Test reagierten 24 Probanden auf ATG, nach der zweiten Testung (n=2 13) 25 Probanden mit einer Früh-Reaktion und einer mit Früh- und Spät-Reaktion, 16 reagierten auf beide Substanzen [3].
In verschiedenen Untersuchungen wurde der "repeated insult patch test" an Probanden durchgeführt (Kaltwellösung oder ATG bis 18 %). Von 205 Personen reagierten 96 während der Induktion (ATG 18 %ig) oder nach der ersten Reexposition mit Erythem (irritativ). Von 7 Personen mit Erythem nach der ersten Serie wurden 3 noch einmal getestet, davon hatte nur einer ein Erythem nach 48 und 72 Stunden. Andere Studien fielen ähnlich im Sinne einer schwachen Irritation und nicht eindeutiger experimenteller Sensibilisierung aus [zit. bei 1].
20 Meerschweinchen wurde über 10 Tage eine 10 %ige Lösung von ATG offen epikutan appliziert, 2 Wochen später reagierten 3 Tiere auf 5 %ige Lösung, keines auf 2 %ige und 15 %ige Lösung [13].
30 %ige ATG-Lösung wurde 8 Hartley-Meerschweinchen okklusiv epikutan appliziert. Die Auslösekonzentrationen betrugen 0,2-30 %. 4 Tiere reagierten auf
30 %ige Lösung, keines auf 0,2 % ATG [8]. In anderen Untersuchungen war der Maximisationstest mit und ohne FCa mit Kaltwellösungen (bis 8,3 % ATG) negativ [zit. bei 1].
Kreuzreaktionen mit anderen Thioglykolsäurederivaten (Th.-Hydrazid, Th.-amid, Th.-ester, insbesondere Glycerylmonothioglykolat) werden beschrieben [7, 12, 13, 15]. Die Sensibilisierungspotenz des ATG scheint verglichen mit diesen Produkten deutlich schwächer zu sein [13].
Von einigen amerikanischen Autoren wird ATG überwiegend nur als hautreizend eingeschätzt [10].
Bewertung:
Aufgrund der nicht unerheblichen Zahl von Sensibilisierungen durch ATG bei Friseuren, der positiven Testergebnisse in verschiedenen Hautkliniken und der Kreuzreaktionen muß die sensibilisierende Wirkung für die Haut (R43) als gesichert angesehen werden. Im Vergleich mit Estern der Thioglykolsäure (z.B. Glycerylmonothioglykolat) ist die Sensibilisierungshäufigkeit deutlich geringer.
Experimentelle Untersuchungen fielen nicht eindeutig im Sinne einer Sensibilisierung aus.
Literatur:
[1] Anonym (Expert Panel): Final report on the safety assessment of ammonium and glyceryl thioglykolates and thioglycolic acid -11. J. Am. Colleg. Toxicol. 10 (1991), 135-192
[2] Cronin, E.: Contact Dermatitis. Edinburgh: Churchill Livingstone, 1980
[3] Downing, J. G.: Dangers involved in dyes, cosmetics and permanent wave lotion applied to hair and scalp. Arch. Derm Syph. 63 (1951), 561-564
[4] Frosch, P. J.; Barrows, D.; Camarasa, J. G.; Dooms-Goosens, A.; Ducombs, G.; Lahti, A.; Menné, T.; Rycroft, R. J. G.; Shaw, S.; White, I. R.; Wilkinson, J. D.: Allergic reaction to a hairdressers series: results from 9 European centres. Contact Dermatitis 28 (1993), 180-183
[5] Gehse, M.; Scheer, T.; Gehring, W.; Gloor, M.: Das Friseurekzem - Ergebnisse gutachterlicher Bewertungen von 1984-1987. Z. Hautkrankh. 64 (1989), 172-178
[6] Guerra, L.; Bardazzi, F.; Tosti, A.: Contact dermatitis in hairdressers clients. Contact Dermatitis 26 (1992), 108-111
[7] Guerra, L.; Tosti, E.; Bardazzi, F.; Pigatto, P.; Lisi, B.; Santucci, R.; Valsecchi, R.; Schena, D.; Angelini, G.; Sertoli, A.; Ayala, F.; Kokelj, F.: Contact dermatitis in hairdressers: the Italien Experience. Contact Dermatitis 26 (1992), 101-107
[8] Itoh, M.; Ishihara, M.; Hosono, K.; Kanton. H.; Nishimura, M.: Allergens in hairdresser hand dermatitis. Skin Res. 27 (1985), 510-520
[9] James, J.; Calnan, C. D.: Dermatitis in ladies hairdressers. Zit. bei [1]
[10] Marks, J.G.: Cosmetics. In: Adams, R. M.: Occupational skin disease. Philadelphia: W.B. Saunders Company, 1990, 326-348
[11] Matsunaga, K.; Hosokawa, K.; Suzuki, M. et al.: Occupational allergie contact dermatitis in beauticians. Contact Dermatitis 18 (1988), 94-96
[12] Peters, K.-P.; Frosch, P. J.; Uter, W.; Schnuch, A.; Arnold, R.; Bahmer, F.; Brasch, J.; Diepgen, T. L.; Elsner, F.; Fuchs, Th.; Henseler, T.; Müller, S.; Przybilla, B.; Schulze-Dirks, A.; Stary, A.; Zimmermann, J.: Typ 1V-Allergien auf Friseurstoffe. Dermatosen 42 (1994), 50-57
(Stand: 20.08.2018)
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