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Übereinkommen vom 26.07.1995 aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften
Vom 10. September 1998
(BGBl. II Nr. 37 vom 21.09.1998 S. 2324)
Hinweis: s.a. RL (EU) 2017/1371 Gültig
Die Hohen Vertragsparteien dieses Übereinkommens, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union -unter Bezugnahme auf den Rechtsakt des Rates der Europäischen Union vom 26. Juli 1995, in dem Wunsch sicherzustellen, daß ihre Strafrechtsvorschriften in wirksamer Weise zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften beitragen,
in Anbetracht der Tatsache, daß der Betrug im Zusammenhang mit den Einnahmen und Ausgaben der Gemeinschaften in vielen Fällen grenzüberschreitende Formen annimmt und häufig von kriminellen Organisationen begangen wird,
in der Überzeugung, daß der Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften es erfordert, betrügerische Handlungen zum Nachteil dieser Interessen strafrechtlich zu verfolgen und zu diesem Zweck eine einheitliche Definition festzulegen,
überzeugt von der Notwendigkeit, derartige Handlungen als Straftaten zu umschreiben und durch wirksame, angemessene und abschreckende strafrechtliche Sanktionen - unbeschadet der Verhängung andersartiger Sanktionen in geeigneten Fällen - ahnden zu können und zumindest in schweren Fällen mit Freiheitsstrafen zu bedrohen, die zu einer Auslieferung führen können,
in Anerkennung der Tatsache, daß Unternehmen in allen von den Europäischen Gemeinschaften finanzierten Bereichen eine wichtige Rolle spielen und daß die Entscheidungsträger in den Unternehmen in geeigneten Fällen nicht ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit entgehen sollten,
entschlossen, Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften gemeinsam dadurch zu bekämpfen, daß Verpflichtungen betreffend Gerichtsbarkeit, Auslieferung und wechselseitige Zusammenarbeit eingegangen werden -
sind wie folgt übereingekommen:
Artikel 1 Allgemeine Bestimmungen
(1) Für die Zwecke dieses Übereinkommens umfaßt der Tatbestand des Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften
(2) Vorbehaltlich des Artikels 2 Absatz 2 trifft jeder Mitgliedstaat die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen, um Absatz 1 so in sein innerstaatliches Recht umzusetzen, daß die von ihm erfaßten Handlungen als Straftaten umschrieben werden.
(3) Vorbehaltlich des Artikels 2 Absatz 2 ergreift jeder Mitgliedstaat ferner die erforderlichen Maßnahmen, damit die vorsätzliche Herstellung oder Bereitstellung falscher, unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen oder Unterlagen mit der in Absatz 1 erwähnten Folge als Straftat umschrieben wird, sofern sie nicht bereits entweder als selbständige Straftat oder als Beteiligung am Betrug im Sinne von Absatz 1, als Anstiftung dazu oder als Versuch eines solchen Betrugs strafbar ist.
(4) Der vorsätzliche Charakter einer Handlung oder Unterlassung im Sinne der Absätze 1 und 3 kann aus den objektiven Tatumständen geschlossen werden.
Artikel 2 Sanktionen
(1) Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen um sicherzustellen, daß die in Artikel 1 genannten Handlungen sowie die Beteiligung an den Handlungen im Sinne von Artikel 1 Absatz 1, die Anstiftung dazu oder der Versuch solcher Handlungen durch wirksame, angemessene und abschreckende Strafen geahndet werden können, die zumindest in schweren Betrugsfällen auch Freiheitsstrafen umfassen, die zu einer Auslieferung führen können; als schwerer Betrug gilt jeder Betrug, der einen in jedem Mitgliedstaat festzusetzenden Mindestbetrag zum Gegenstand hat. Dieser Mindestbetrag darf 50.000 ECU nicht überschreiten.
(2) Jedoch kann ein Mitgliedstaat in minderschweren Betrugsfällen, die einen Gesamtbetrag von weniger als 4000 ECU zum Gegenstand haben und bei denen gemäß seinen Rechtsvorschriften keine besonderen erschwerenden Umstände vorliegen, Sanktionen einer anderen Rechtsnatur als die in Absatz 1 vorgesehenen Strafen vorsehen.
(3) Der Rat kann den in Absatz 2 vorgesehenen Betrag einstimmig ändern.
Artikel 3 Strafrechtliche Verantwortung der Untemehmensleiter
Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit die Leiter, Entscheidungsträger oder Träger von Kontrollbefugnissen von Unternehmen bei betrügerischen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften gemäß Artikel 1, die eine ihnen unterstellte Person zum Vorteil des Unternehmens begeht, nach den Grundsätzen des innerstaatlichen Rechts des Mitgliedstaats für strafrechtlich verantwortlich erklärt werden können.
Artikel 4 Gerichtsbarkeit
(1) Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um seine Gerichtsbarkeit für gemäß Artikel 1 und Artikel 2 Absatz 1 umschriebene Straftaten in den Fällen zu begründen, in denen
(2) Jeder Mitgliedstaat kann bei der Notifizierung gemäß Artikel 11 Absatz 2 erklären, daß er die in Absatz 1 dritter Gedankenstrich dieses Artikels vorgesehene Regel nicht anwendet.
Artikel 5 Auslieferung und Verfolgung
(1) Liefert ein Mitgliedstaat nach seinem Recht seine eigenen Staatsangehörigen nicht aus, so trifft er die erforderlichen Maßnahmen, damit von ihm gemäß Artikel 1 und Artikel 2 Absatz 1 umschriebene Straftaten, die von seinen Staatsangehörigen außerhalb seines Hoheitsgebiets begangen werden, seiner Gerichtsbarkeit unterliegen.
(2) Jeder Mitgliedstaat befaßt, wenn einer seiner Staatsangehörigen beschuldigt wird, in einem anderen Mitgliedstaat eine Straftat im Sinne von Artikel 1 und Artikel 2 Absatz 1 begangen zu haben, und er den Betreffenden allein aufgrund von dessen Staatsangehörigkeit nicht ausliefert, seine zuständigen Behörden mit diesem Fall, damit gegebenenfalls eine Verfolgung durchgeführt werden kann. Zu diesem Zweck sind die die strafbare Handlung betreffenden Akten, Unterlagen und Gegenstände nach den Verfahren des Artikels 6 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens zu übermitteln. Der ersuchende Mitgliedstaat ist über die eingeleitete Verfolgung und über deren Ergebnisse zu unterrichten.
(3) Ein Mitgliedstaat darf die Auslieferung wegen eines Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften nicht allein aus dem Grund ablehnen, daß es sich um ein Abgaben- oder Zolldelikt handelt.
(4) Für die Zwecke dieses Artikels ist der Betriff "Staatsangehörige eines Mitgliedstaats" im Sinne der gegebenenfalls von dem betreffenden Mitgliedstaat gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens abgegebenen Erklärung und entsprechend Absatz 1 Buchstabe c des genannten Artikels auszulegen.
Artikel 6 Zusammenarbeit
(1) Stellt ein Betrug, wie er in Artikel 1 definiert ist, eine Straftat dar und betrifft er zwei oder mehr Mitgliedstaaten, so arbeiten diese Staaten bei den Ermittlungen, der Strafverfolgung und der Strafvollstreckung wirksam zusammen, zum Beispiel durch Rechtshilfe, Auslieferung, Übertragung der Strafverfolgung oder der Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat ergangener Urteile.
(2) Steht mehreren Mitgliedstaaten die Gerichtsbarkeit und die Möglichkeit zu, eine Straftat, die auf denselben Tatsachen beruht, wirksam zu verfolgen, so arbeiten die betreffenden Mitgliedstaaten zusammen, um darüber zu entscheiden, welcher von ihnen den oder die Straftäter verfolgt, um die Strafverfolgung nach Möglichkeit in einem einzigen Mitgliedstaat zu konzentrieren.
Artikel 7 Ne bis in idem
(1) Die Mitgliedstaaten wenden in ihrem innerstaatlichen Strafrecht das "Nebisin-idem"-Prinzip an, dem zufolge jemand, der in einem Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat nicht verfolgt werden darf, sofem im Fall einer Verurteilung die Sanktion vollstreckt worden ist oder derzeit vollstreckt wird oder nach dem Recht des verurteilenden Staates nicht mehr vollstreckt werden kann.
(2) Ein Mitgliedstaat kann bei der Notifizierung gemäß Artikel 11 Absatz 2 erklären, daß er in einem oder mehreren der folgenden Fälle nicht durch Absatz 1 gebunden ist:
(3) Ausnahmen, die Gegenstand einer Erklärung nach Absatz 2 waren, finden keine Anwendung, wenn der betreffende Mitgliedstaat den anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat um Verfolgung ersucht oder die Auslieferung des Betroffenen bewilligt hat.
(4) Zwischen den Mitgliedstaaten geschlossene einschlägige bilaterale oder multilaterale Übereinkünfte und die Erklärungen dazu werden von diesem Artikel nicht berührt.
Artikel 8 Gerichtshof
(1) Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten über die Auslegung oder Anwendung dieses Übereinkommens werden zunächst im Rat nach dem Verfahren des Titels VI des Vertrags über die Europäische Union mit dem Ziel ihrer Beilegung erörtert.
Ist die Streitigkeit nach Ablauf von sechs Monaten nicht beigelegt, so kann der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften von einer Streitpartei befaßt werden.
(2) Der Gerichshof kann mit Streitigkeiten zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Artikel 1 oder 10 dieses Übereinkommens befaßt werden, die nicht im Wege von Verhandlungen beigelegt werden konnten.
Artikel 9 Innerstaatliche Rechtsvorschriften
Dieses Übereinkommen hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, innerstaatliche Rechtsvorschriften zu erlassen, die über die Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen hinausgehen.
Artikel 10 Unterrichtung
(1) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission der Europäischen Gemeinschaften den Wortlaut der Vorschriften, mit denen ihre Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen in innerstaatliches Recht umgesetzt werden.
(2) Zum Zweck der Anwendung dieses Übereinkommens legen die Hohen Vertragsparteien im Rat der Europäischen Union fest, welche Informationen zwischen den Mitgliedstaaten oder zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission zu übermitteln oder auszutauschen sind und nach welchen Modalitäten dies zu erfolgen hat.
Artikel 11 Inkrafttreten
(1) Dieses Übereinkommen bedarf der Annahme durch die Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften.
(2) Die Mitgliedstaaten notifizieren dem Generalsekretär des Rates der Europäischen Union den Abschluß der Verfahren, die nach ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften für die Annahme dieses Übereinkommens erforderlich sind.
(3) Dieses Übereinkommen tritt 90 Tage nach der in Absatz 2 genannten Notifizierung durch den Mitgliedstaat, der diese Förmlichkeit zuletzt vornimmt, in Kraft.
Artikel 12 Beitritt
(1) Dieses Übereinkommen steht allen Staaten, die Mitglied der Europäischen Union werden, zum Beitritt offen.
(2) Der vom Rat der Europäischen Union erstellte Wortlaut dieses Übereinkommens in der Sprache des beitretenden Staates ist verbindlich.
(3) Die Beitrittsurkunden werden beim Verwahrer hinterlegt.
(4) Dieses Übereinkommen tritt für jeden Staat, der ihm beitritt, 90 Tage nach der Hinterlegung seiner Beitrittsurkunde oder aber zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Übereinkommens in Kraft, wenn dieses beim Ablauf des genannten 90-Tage-Zeitraums noch nicht in Kraft getreten ist.
Artikel 13 Verwahrer
(1) Verwahrer dieses Übereinkommens ist der Generalsekretär des Rates der Europäischen Union.
(2) Der Verwahrer veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften den Stand der Annahmen und Beitritte, die Erklärungen und die Vorbehalte sowie alle sonstigen Notifizierungen im Zusammenhang mit diesem Übereinkommen.
ENDE |