ThürBarrWebG - Thüringer Gesetz über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen
- Thüringen -
Vom 30. Juli 2019
(GVBl. Nr. 9 vom 19.08.2019 S. 312)
§ 1 Barrierefreier Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen
(1) Die öffentlichen Stellen im Sinne von § 2 gestalten ihre Websites und mobilen Anwendungen, einschließlich der für die Beschäftigten bestimmten Angebote im Intranet, barrierefrei.
Hierzu gestalten sie sie wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust.
(2) Dieses Gesetz gilt nicht für
- Dateiformate von Büroanwendungen, die vor dem 23. September 2018 veröffentlicht wurden, es sei denn, diese Inhalte sind für die aktiven Verwaltungsverfahren der von der betreffenden öffentlichen Stelle wahrgenommenen Aufgaben erforderlich,
- aufgezeichnete zeitbasierte Medien, die vor dem 23. September 2020 veröffentlicht wurden,
- live übertragene zeitbasierte Medien,
- Online-Karten und Kartendienste, sofern bei Karten für Navigationszwecke wesentliche Informationen in einer barrierefrei zugänglichen Weise digital bereitgestellt werden,
- Inhalte von Dritten, die von der betreffenden öffentlichen Stelle weder finanziert noch entwickelt werden noch deren Kontrolle unterliegen,
- Reproduktionen von Stücken aus Kulturerbesammlungen, die nach einer regelmäßigen, mindestens aber alle drei Jahre stattzufindenden umfassenden Prüfung von vorhandenen automatisierten Lösungen nicht vollständig barrierefrei zugänglich gemacht werden können aufgrund
- der Unvereinbarkeit der Barrierefreiheitsanforderungen mit entweder der Erhaltung des betreffenden Gegenstands oder der Authentizität der Reproduktion (zum Beispiel Kontrast) oder
- der Nichtverfügbarkeit automatisierter und kosteneffizienter Lösungen, mit denen Text aus Manuskripten oder anderen Stücken aus Kulturerbesammlungen einfach extrahiert und in mit den Barrierefreiheitsanforderungen kompatible Inhalte umgewandelt werden könnte,
- Inhalte von Extranets und Intranets, dass heißt Websites, die nur für eine geschlossene Gruppe von Personen und nicht für die allgemeine Öffentlichkeit verfügbar sind, die vor dem 23. September 2019 veröffentlicht wurden, bis diese Websites eine grundlegende Überarbeitung erfahren, spätestens jedoch fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes,
- Inhalte von Websites und mobilen Anwendungen, die als Archive gelten, dass heißt die ausschließlich Inhalte enthalten, die weder für aktive Verwaltungsverfahren benötigt werden noch nach dem 23. September 2019 aktualisiert oder überarbeitet wurden,
- Websites und mobile Anwendungen von Schulen und Tageseinrichtungen für Kinder in Trägerschaft öffentlicher Stellen, mit Ausnahme der Inhalte, die sich auf wesentliche Online-Verwaltungsfunktionen beziehen.
(3) Die barrierefreie Gestaltung der Websites und mobilen Anwendungen der öffentlichen Stellen erfolgt
- für Websites öffentlicher Stellen im Sinne von § 2 , die nicht vor dem 23. September 2018 veröffentlicht wurden, ab dem 23. September 2019,
- für Websites öffentlicher Stellen im Sinne von § 2 , die nicht unter Nummer 1 fallen, ab dem 23. September 2020,
- für mobile Anwendungen öffentlicher Stellen im Sinne von § 2 ab dem 23. Juni 2021.
(4) Die barrierefreie Gestaltung erfolgt nach Maßgabe der aufgrund des § 6 zu erlassenden Rechtsverordnung.
Soweit diese Rechtsverordnung keine Vorgaben enthält, erfolgt die barrierefreie Gestaltung nach den anerkannten Regeln der Technik.
(5) Insbesondere bei Neuanschaffungen, Erweiterungen und Überarbeitungen ist die barrierefreie Gestaltung bereits bei der Planung, Entwicklung, Ausschreibung und Beschaffung zu berücksichtigen.
(6) Unberührt bleiben die Regelungen zur behinderungsgerechten Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten zugunsten von Menschen mit Behinderungen in anderen Rechtsvorschriften, insbesondere im Neunten Buch Sozialgesetzbuch.
(7) Von der barrierefreien Gestaltung der Websites und mobilen Anwendungen können öffentliche Stellen im Einzelfall absehen oder diese schrittweise herstellen, soweit sie durch eine barrierefreie Gestaltung unverhältnismäßig belastet würden.
Als eine unverhältnismäßige Belastung im Sinne dieses Absatzes sind Maßnahmen zu verstehen, die
- einer öffentlichen Stelle eine übermäßige finanzielle Last in Hinblick auf Größe, Ressource und Art auferlegen,
- die Fähigkeit einer öffentlichen Stelle ihren Zweck zu erfüllen gefährden würden oder
- die Möglichkeit zur Veröffentlichung von Informationen, die für ihre Aufgaben und Dienstleistungen erforderlich oder relevant sind, gefährden würden.
Dabei ist dem voraussichtlich entstehenden Nutzen oder Nachteil für die Bürger, insbesondere für Menschen mit Behinderungen, Rechnung zu tragen, indem die geschätzten Kosten und Vorteile für die betreffende öffentliche Stelle im Verhältnis zu den geschätzten Vorteilen für Menschen mit Behinderungen abgewogen werden, wobei die Nutzungshäufigkeit und die Nutzungsdauer der digitalen Auftritte und Angebote zu berücksichtigen sind.
(8) Sieht die öffentliche Stelle nach Absatz 7 von der barrierefreien Gestaltung ab, hat sie die Gründe zu dokumentieren.
Die Verpflichtung nach § 3 bleibt davon unberührt. Die öffentliche Stelle soll nach drei Jahren prüfen, ob die Voraussetzungen für die Ausnahmeregelungen in Absatz 7 weiterhin vorliegen.
§ 2 Öffentliche Stellen
Öffentliche Stellen im Sinne der §§ 1 bis 6 sind
- das Land und die kommunalen Gebietskörperschaften, deren Behörden und Dienststellen einschließlich der Justizverwaltung und der Thüringer Rechnungshof sowie die landesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts im Sinne des § 105 der Thüringer Landeshaushaltsordnung sowie Beliehene und sonstige Landesorgane, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen (Träger der öffentlichen Gewalt),
- der Landtag, soweit er öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnimmt,
- Gerichte und Staatsanwaltschaften,
- sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die als juristische Personen des öffentlichen oder privaten Rechts zu dem besonderen Zweck gegründet worden sind, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen,
- wenn sie überwiegend von Trägern öffentlicher Gewalt finanziert werden oder
- wenn sie hinsichtlich ihrer Leitung oder Aufsicht einem Träger öffentlicher Gewalt unterstehen oder
- wenn sie ein Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan haben, das mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die durch Träger öffentlicher Gewalt ernannt worden sind.
Eine überwiegende Finanzierung wird angenommen, wenn mehr als 50 Prozent der Gesamtheit der Mittel durch den Träger der öffentlichen Gewalt aufgebracht werden.
§ 3 Erklärung zur Barrierefreiheit, Feedback-Mechanismus
(1) Die öffentlichen Stellen im Sinne von § 2 stellen gemäß Artikel 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie (EU) 2016/2102 eine detaillierte und umfassende Erklärung zur Barrierefreiheit ihrer Websites und mobilen Anwendungen bereit, die in einem zugänglichen Format unter Verwendung einer Mustererklärung veröffentlicht wird und aktualisieren diese bei Bedarf.
(2) Die Erklärung zur Barrierefreiheit enthält
- für den Fall, dass ausnahmsweise keine vollständige barrierefreie Gestaltung erfolgt ist,
- die Benennung der Teile des Inhalts, die nicht vollständig barrierefrei gestaltet sind,
- die Gründe für die nicht barrierefreie Gestaltung sowie
- gegebenenfalls einen Hinweis auf barrierefrei gestaltete Alternativen;
- eine unmittelbar zugängliche barrierefrei gestaltete Möglichkeit, elektronisch Kontakt aufzunehmen (Feedback-Mechanismus),
- um noch bestehende Barrieren zu melden,
- um die gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 und Abs. 7 ausgenommenen Informationen anzufordern;
- einen Hinweis auf das Durchsetzungsverfahren nach § 5, der
- die Möglichkeit ein Durchsetzungsverfahren durchzuführen, erläutert und
- eine Verlinkung zur Durchsetzungsstelle enthält.
(3) Mitteilungen, Anfragen oder Anforderungen nach Absatz 2 sollen innerhalb eines Monats von der jeweiligen öffentlichen Stelle im Sinne von § 2 beantwortet werden.
(4) Zu veröffentlichen ist die Erklärung zur Barrierefreiheit
- auf Websites öffentlicher Stellen im Sinne von § 2 , die nicht vor dem 23. September 2018 veröffentlicht wurden, ab dem 23. September 2019,
- auf Websites öffentlicher Stellen im Sinne von § 2 , die nicht unter Nummer 1 fallen, ab dem 23. September 2020,
- auf mobile Anwendungen öffentlicher Stellen im Sinne von § 2 ab dem 23. Juni 2021.
§ 4 Überwachung und Berichterstattung
(1) Bei dem für Finanzen zuständigen Ministerium wird eine zentrale Überwachungsstelle eingerichtet.
Ihre Aufgaben sind
- periodisch nach Maßgabe des Artikels 8 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie (EU) 2016/2102 zu überwachen, ob und inwiefern Websites und mobile Anwendungen öffentlicher Stellen den Anforderungen an die Barrierefreiheit genügen,
- zu überwachen, ob festgestellte Mängel beseitigt wurden, und, soweit erforderlich, die öffentlichen Stellen hinsichtlich der Beseitigung festgestellter Mängel zu beraten,
- die nach § 12c Abs. 2 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BOG) (Red. Anm.: Sinngemäß BGG) vom 27. April 2002 (BGBl. I S. 1467), zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 10. Juli 2018 (BGBl. I S. 1117), zu erstattenden Berichte des Landes mit Ausnahme der Berichte des Landtags zu erstellen und dem Landtag vorzulegen; die Berichte des Landtags werden von der zentralen Überwachungsstelle unverändert in die Berichte des Landes übernommen,
- als sachverständige Stelle die Durchsetzungsstelle nach § 5 zu unterstützen.
(2) Die öffentlichen Stellen im Sinne von § 2 sind verpflichtet, die Überwachungsstelle bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen.
(3) Die Überwachungsstelle wahrt bei ihrer Aufgabenerfüllung die verfassungsrechtliche Stellung des Landtags und gestaltet die Zusammenarbeit mit diesem kooperativ.
Sie berät den Landtag bei der Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz.
§ 5 Durchsetzungsverfahren, Durchsetzungsstelle
(1) Beim Beauftragten für Menschen mit Behinderungen wird eine Durchsetzungsstelle eingerichtet, die für das Durchsetzungsverfahren im Sinne des Artikels 9 der Richtlinie (EU) 2016/2102 zuständig ist.
(2) Die Durchsetzungsstelle kann die Überwachungsstelle im Sinne von § 4 über die Beratungspflichten hinaus beteiligen.
Sie kann im Einzelfall die Überprüfung einer Website oder mobilen Anwendung einer öffentlichen Stelle verlangen.
(3) Die öffentlichen Stellen im Sinne von § 2 sind verpflichtet, die Durchsetzungsstelle bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen.
(4) Die Durchsetzungsstelle wahrt bei ihrer Aufgabenerfüllung die verfassungsrechtliche Stellung des Landtags und gestaltet die Zusammenarbeit mit diesem kooperativ.
Sie berät den Landtag bei der Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz.
§ 6 Verordnungsermächtigung
Die Landesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/2102 Bestimmungen zu erlassen über
- die technischen Standards, die öffentliche Stellen bei der barrierefreien Gestaltung der Websites und mobilen Anwendungen anzuwenden haben,
- das Verfahren zur regelmäßigen Überprüfung und Aktualisierung der Standards der Informationstechnik,
- die konkreten Anforderungen an die Erklärung zur Barrierefreiheit nach § 3 und das Verfahren zur regelmäßigen Aktualisierung,
- die Anforderungen und das Verfahren zum Feedback-Mechanismus nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 3 sowie Abs. 3,
- das Verfahren der Überwachung und zur Berichterstattung nach § 4,
- das Verfahren vor der Durchsetzungsstelle nach § 5, die Durchführung von Schulungsprogrammen für öffentliche Stellen im Sinne des Artikels 7 Abs. 4 der Richtlinie (EU) 2016/2102 .
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