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Wissenschaftliche Stellungnahme zu der Berufskrankheit Nr. 2116 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung
"Koxarthrose durch Lastenhandhabung mit einer kumulativen Dosis von mindestens 9.500 Tonnen während des Arbeitslebens gehandhabter Lasten mit einem Lastgewicht von mindestens 20 kg, die mindestens zehnmal pro Tag gehandhabt wurden" hier:
Belastungsabhängige Hüftbeschwerden
Vom 1. Oktober 2022
(GMBl. Nr. 36 vom 20.10.2022 S. 823)
- Bek. des BMAS v. 1.10.2022 - IVa 4-45222-2116 -
Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat am 14. September 2022 folgende wissenschaftliche Stellungnahme zu der oben genannten Berufskrankheit beschlossen:
Der wissenschaftlichen Begründung für die Berufskrankheit Nr.2116 ist im Abschnitt "3. Krankheitsbild" zu den Voraussetzungen unter anderem Folgendes zu entnehmen: "Die Diagnose einer Koxarthrose im Sinne dieser Berufskrankheit hat folgende Voraussetzungen (Fürst 2004, Debrunner 2005, Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie 2019):
Chronische Hüftgelenksbeschwerden in Form von Schmerzen in Ruhe und nachts, andauernde Morgensteifigkeit länger als 30 und kürzer als 60 Minuten und/oder eine schmerzhafte Innenrotation." (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2020)
Gegenüber dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist die Auffassung vertreten worden, dass bei dieser Beschreibung der typischen Beschwerden im Sinne der Berufskrankheit 2116 belastungsabhängige Beschwerden beim Gehen und Aufstehen fehlen.
Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat diese Kritik geprüft und ist zu folgendem Ergebnis gekommen:
Die Beschreibung der Hüftgelenksbeschwerden in Nr.3.1 der wissenschaftlichen Begründung orientiert sich an der folgenden Empfehlung 3.4 der AWMF-Leitlinie Koxarthrose:
Empfehlung 3.4 | |
Bei Angabe von Hüftbeschwerden sollten in der speziellen Anamnese folgende Daten erfragt werden:
| Starker Konsens |
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (2019), die Ziffern in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis der Leitlinie |
Belastungsabhängige Hüftbeschwerden werden in der Empfehlung 3.4 somit nicht aufgeführt. Im Text nach der Empfehlung 3.4 steht zum Hintergrund Folgendes:
"Bei der Angabe von Hüftbeschwerden werden die Schmerzlokalisation in der Leiste und mögliche Ausstrahlungen in Richtung Oberschenkel bis Knie erfragt, dabei müssen Anlaufschmerzen von regelmäßig auftretenden belastungsabhängigen Hüftbeschwerden (isoliert oder in Kombination mit Nachtschmerzen) unterschieden werden."
(Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie 2019)
Der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten ist nach Prüfung dieser Ausführungen zu dem Ergebnis gekommen, dass der AWMF-Leitlinie Koxarthrose nicht klar zu entnehmen ist, ob belastungsabhängige Hüftbeschwerden zu den typischen Symptomen einer Koxarthrose gehören oder nicht.
Nach Fürst (2004, Seite 312, Tab. 12.2) kommt es bei der Koxarthrose im Initialstadium unter anderem zu Überlastungsschmerz nach Stunden. Bei der manifesten Koxarthrose tritt zunehmender Belastungsschmerz auf. Bei der dekompensierten Koxarthrose kommt es zu starkem Anlauf- und Belastungsschmerz und eventuell Ruheschmerz nach Belastungen.
Nach Debrunner (2005, Seite 977, Klinik) treten bei der Koxarthrose folgende Beschwerden auf: "Erstes Symptom sind vorübergehende Schmerzen in der Hüfte bei größeren Anstrengungen, später auch ohne solche. Typisch ist der sogenannte Anlaufschmerz. Die ersten Schritte am Morgen beim Aufstehen oder nach längerem Sitzen sind mühsam und schmerzhaft. Diese Schmerzen verschwinden nach wenigen Minuten. Der Patient hat den Eindruck, die Hüfte sei eingerostet. Wenn sie einmal richtig durchbewegt werde, funktioniert sie wieder besser. Später vergehen die Schmerzen auch in der Ruhe und nachts nicht mehr. Sie werden zuerst angegeben in der Leiste, dann seitlich im Trochanterbereich, im Gesäß und vor allem im Oberschenkel, vorne und bis ins Knie ausstrahlend".
Insgesamt kommt der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten zu dem Ergebnis, dass die von Fürst (2004) und Debrunner (2005) beschriebenen belastungsabhängigen Schmerzen in Ergänzung zu den Ausführungen in Nr.3.1 der wissenschaftlichen Begründung typisch für die Koxarthrose im Sinne der Berufskrankheit 2116 sind. Die Nr.3.1 der wissenschaftlichen Begründung wird wie folgt formuliert:
"1. Chronische Hüftgelenksbeschwerden in Form von Schmerzen, die in Ruhe, nachts oder belastungsabhängig auftreten, andauernde Morgensteifigkeit länger als 30 und kürzer als 60 Minuten und/oder eine schmerzhafte Innenrotation."
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2020) Wissenschaftliche Begründung für die Berufskrankheit "Koxarthrose durch Lastenhandhabung mit einer kumulativen Dosis von mindestens 9500 Tonnen während des Arbeitslebens gehandhabter Lasten mit einem Lastgewicht von mindestens 20 kg, die mindestens zehnmal pro Tag gehandhabt wurden", Gemeinsames Ministerialblatt vom 25.03.2020, Seite 218-227
Debrunner AM (2005) Orthopädie und orthopädische Chirurgie, patientenorientierte Diagnostik und Therapie des Bewegungsapparates, Bern, Verlag Hans Huber, Kapitel 64.9 Degenerative Hüftleiden, Koxarthrose, Seite 975-981
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie (2019) S2k-Leitlinie Koxarthrose, Microsoft Word - 033-001_LL_Koxarthrose_final_Juli2019_V02.docx (awmf.org) (Zugriff: 3.9.2022)
Fürst G (2004) Symptomatik und Verlauf der Koxarthrose, In: Wirth CJ, Zichner L (Hg.) Orthopädie und orthopädische Chirurgie, Teilband Becken, Hüfte, Stuttgart, Thieme-Verlag, Seite 312
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