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BKV Nr. 4113 - Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(Mikrogramm/m3) x Jahre]
Vom 30. Dezember 2009
(GMBl. Nr. 5/6 vom 04.02.2010 S. 105)
Merkblatt zur Berufskrankheiten-Verordnung
Wissenschaftliche Stellungnahme (08/2020)
I. Gefahrenquellen
Bei den polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) handelt es sich um eine Gruppe von Substanzen mit drei bis mehr als sechs aromatischen Ringsystemen. Benzo[a] pyren (BaP) ist die Leitkomponente für PAK. Die wesentlichen beruflichen Expositionsmöglichkeiten mit PAK sind Tabelle 1 zu entnehmen.
Die Höhe der BaP-Einwirkung in der Vergangenheit ist dem BaP-Jahre-Report zu entnehmen (Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften 1999).
Tabelle 1: PAK-Exposition in verschiedenen Branchen
Branche 1 | Umgang mit PAK2 | Expositionszeit |
Abbruchbetriebe | Abbruch und Schneidbrennen von SKTP3-beschichteten Metallteilen | bis heute |
Asphaltmischanlagen | Verarbeitung von SKTP3 als Bindemittel | bis ca. 1993 6 |
Aluminiumindustrie | Verarbeitung von SKTP3 zur Elektrographit-Herstellung und in der Söderbergelektrolyse | bis heute |
Bauindustrie | Abdichten von Fundamenten mit SKTP3 | keine Angaben |
Bootsbau | Abdichten mit SKTP3 | keine Angaben |
Böttchereibetriebe | Abdichten mit SKTP3 | keine Angaben |
Braunkohlenteer-Raffinerien | Destillation von Braunkohlenschwelteer | bis ca. 1990 |
Braunkohlenschwelereien | Herstellung von Braunkohlenschwelteer | bis ca. 1990 |
Brikettherstellung | Verwendung von Steinkohlenteerpech als Binder | bis ca. 1974 |
Chemieindustrie | Herstellung von PAK-haltigen Beschichtungsstoffen, Phosphor- herstellung nach dem Söderberg-Verfahren, Herstellung von Siliciumcarbid | bis heute bis 1989 bis 1993 |
Dachpappenherstellung | Verarbeitung von SKTP3 | keine Angaben |
Dachdeckerbetriebe | Verlegung und Abriss von SKTP3-haltigen Dachbahnen | bis heute 4 |
Druckindustrie | Verarbeitung von PAK-haltigen Druckfarben | keine Angaben |
Elektrographitindustrie | Verarbeitung von SKTP3 zur Elektrographitherstellung | bis heute |
Feuerungsbau | Verarbeitung von SKTP3-haltigen Feuerfeststeinen | bis heute |
Feuerfestindustrie | Herstellung von SKTP3-haltigen Feuerfeststeinen sowie Stopf- und Spritzmassen | bis heute |
Fischnetzherstellung | Herstellung von SKTP3-imprägnierten Netzen | keine Angaben |
Fugenverguss | Verarbeitung von SKTP3-haltigen Fugenvergussmassen | bis ca. 1990 |
Gaserzeugung | Steinkohlenteer und -teeröl als Beiprodukt, Einwirkung von Kokereigasen | bis ca. 1980 |
Gießereiindustrie | Verarbeitung von SKTP3-haltigen Feuerfeststeinen sowie Stopf- und Spritzmassen, Pyrolyse von Kohlestoffhaltigen Glanzbildern | bis heute |
Gummiindustrie | Verarbeitung von Kokerölen; Überführung von Altreifen zu aromatischen Rohstoffen (Recycling) | keine Angaben |
Hafenbetriebe | Hafenumschlag von SKTP3 | bis heute |
Holzimprägnierung | Imprägnierung mit Steinkohlenteeröl | bis heute |
Hüttenindustrie | Verarbeitung von SKTP3-haltigen Feuerfeststeinen sowie Stopf- und Spritzmassen | bis heute |
Isolierbetriebe | Verarbeitung von SKTP3 | keine Angaben |
Kfz-Schlosser-Betriebe | Umgang mit Altöl | bis heute |
Korksteinherstellung | Verarbeitung von SKTP3 | keine Angaben |
Lackierereien | Verarbeitung von SKTP3-haltigen Beschichtungen | bis heute 5 |
Metallindustrie | Verarbeitung von PAK-haltigen Kühlschmierstoffen, PAK- haltige Ölabschreckbäder in der Metallhärtung | bis ca. 1970 bis ca. 1970 |
Mineralölraffinerien | Gewinnung von Kokerölen, Gewinnung von aromatischen Gemischen in Crackanlagen | bis heute |
Optische Industrie | Verarbeitung von Holzteer zum Einkitten | bis heute |
Parkett- und Holzpflasterverlegung | Verarbeitung von SKTP3-haltigen Klebern | bis ca. 1990 |
Räuchereien | Einwirkung von PAK-haltigem Räucherrauch | bis heute |
Schornsteinfeger | Umgang mit PAK-haltigem Kaminruß | bis heute |
Schuhmacher | Verarbeitung von Schusterpech | keine Angaben |
Stahlerzeugung | Ofenbühne, Schmelzer, Abstecher | bis 1991 |
Steinkohlenkokereien | Kokereirohgase, Steinkohlenteer und -teeröl | bis heute |
Steinkohlenteerraffinerien | Umgang mit Steinkohlenteer und SKTP3 | bis heute |
Straßenbau | Verarbeitung von SKTP3 als Bindemittel | bis ca. 19936 |
Textilindustrie | Verwendung von PAK-haltigen Spindelölen | biss ca. 1970 |
1) alphabetisch geordnet, 2) Quelle: Bolm-Audorff 1998, Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften 1999, 3) Steinkohlenteerpech, 4) bezogen auf den Abbruch, 5) z.B. im Wasserbau bei der Beschichtung von Schleusentoren und Kaianlagen sowie in der Werftindustrie, 6) bezogen auf Teerbitumen (Karbobitumen) |
II. Pathophysiologie und Epidemiologie
BaP und andere PAK wirken in Zellexperimenten gentoxisch und in Tierversuchen krebserzeugend u. a. im Bereich der Haut und Atemwege. Für eine Übersicht wird auf die wissenschaftliche Begründung dieser Berufskrankheit (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 1998) sowie eine Übersichtsarbeit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2004) verwiesen.
In einer Vielzahl von epidemiologischen Kohorten-Studien und Fall-Kontroll-Studien konnte in der Kokereiindustrie, bei der Herstellung von Generatorgas und Aluminium sowie bei Straßenbauern, Dachdeckern und Schornsteinfegern im Vergleich zur übrigen Bevölkerung ein signifikant erhöhtes Lungenkrebsrisiko nachgewiesen werden. Im Einzelnen wird auf die Wissenschaftliche Begründung (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 1998) sowie eine neuere Übersichtsarbeit von Bosetti et al. (2007) verwiesen. Maßgeblich für die Ableitung des Dosis-Grenzwertes in Höhe von 100 Benzo[a]pyren-Jahren war die Studie von Armstrong et al. (1994) bei Beschäftigten in der Herstellung von Aluminium nach dem Söderbergverfahren, die bei einer BaP-Dosis von 100-199 [(Mikrogramm BaP/m3) x Jahre] ein signifikant um den Faktor 2,2 erhöhtes Lungenkrebsrisiko fanden, das für Rauchen adjustiert war.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Lungenkrebs im Sinne dieser Berufskrankheit unterscheidet sich in Klinik und Diagnose nicht von Lungenkrebserkrankungen anderer Genese. Die Frühsymptome sind uncharakteristisch. Häufig bestehen therapieresistenter Reizhusten, Belastungsdyspnoe, Bronchopneumonie und Haemoptysen. Eine frühzeitige zytologische oder histologische Klärung ist anzustreben. Feingeweblich werden alle bekannten Tumorformen gefunden. Differenzialdiagnostisch sind Metastasen anderer maligner Erkrankungen abzugrenzen.
IV. Weitere Hinweise
Mit den vorliegenden Daten lässt sich nicht entscheiden, ob ein additives oder multiplikatives Zusammenwirken zwischen der kumulativen beruflichen PAK-Dosis und Zigarettenrauchen in Bezug auf das Lungenkrebsrisiko besteht (Armstrong und Theriault 1996). Neuere Veröffentlichungen zu diesem Thema liegen nicht vor. Bei Verdacht auf Vorliegen dieser Berufskrankheit ist deshalb unabhängig vom Raucherstatus des Versicherten eine Berufskrankheitenanzeige zu erstatten.
Sofern bei den erkrankten Beschäftigten mit Verdacht auf diese Berufskrankheit gleichzeitig eine berufliche Asbeststaubeinwirkung vorliegt und der Dosisgrenzwert von 100 Benzojalpyren-Jahren nicht erreicht wird, ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Entwicklung einer Berufskrankheit 4114 vorliegen.
Bei Versicherten mit Lungenkrebs, die einer Einwirkung durch Kokereirohgase ausgesetzt waren, ist ebenfalls eine Berufskrankheit 4110 zu prüfen.
V. Literatur
Armstrong B, Tremblay C, Baris D., Theriault G. (1994) Lung cancer mortality and polynuclear aromatic hydrocarbons: a casecohort study of aluminium production workers in Arvida, Quebec, Canada, Am. J. Epid. 139: 250-262
Armstrong B, Theriault G (1996) Compensating lung cancer patients occupationally exposed to coal tar pitch volatiles, Occup. Environ. Med. 53: 160-167
Bolm-Audorff U (1998) Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, In: Konietzko J, Dupuis H. (Hg): Handbuch der Arbeitsmedizin, Landsberg, Ecomed-Verlag, Loseblattsammlung, 21. Ergänzungslieferung, Kapitel IV-2.33.1
Bosetti C, Bofetta P, La Veccia C (2007) Occupational exposure to polycyclic aromatic hydrocarbons, and respiratory and urinary tract cancers: a quantitative review to 2005. Ann. Oncol. 18: 431-446
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (1998) Bekanntmachung einer Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, Sektion "Berufskrankheiten": "Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo[a]pyren-Jahren [(Mikrogramm/m3) x Jahre]", Bekanntmachung des BMA vom 05.02.1998, Bundesarbeitsblatt, Nr. 4, Seite 80-87
Deutsche Forschungsgemeinschaft (2004) Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe Forschungsbericht, Weinheim, Wiley-VCH-Verlag
Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Hg.) (1999) BaP-Jahre-Report, Rundschreiben VB 18/99, St. Augustin.
ENDE |