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Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" - Koxarthrose durch Lastenhandhabung -
Berufskrankheiten-Verordnung
Vom 25. März 2020
(GMBl. Nr. 11 vom 25.03.2020 S. 218)
- Bek. d. BMAS v. - IVa 4452262 - Koxarthrose -
Der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat am 18. September 2019 empfohlen, in die Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung folgende neue Berufskrankheit aufzunehmen:
"Koxarthrose durch Lastenhandhabung mit einer kumulativen Dosis von mindestens 9.500 Tonnen während des Arbeitslebens gehandhabter Lasten mit einem Lastgewicht von mindestens 20 kg, die mindestens zehnmal pro Tag gehandhabt wurden"
Die hierzu vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat erarbeitete wissenschaftliche Begründung lautet wie folgt:
1. Gefahrenquellen
Als gefährdend im Sinne dieser Berufskrankheit gelten Lastenhandhabungen in Form des Hebens oder Tragens von Lasten mit einem Lastgewicht von mindestens 20 kg. Solche Belastungen treten nach den Erfahrungen mit der Berufskrankheit Nr. 2108 u. a. in folgenden Berufsgruppen auf: Kranken- und Altenpflegeberufe, Maurer und andere Bauberufe, Bergleute und Steinbrecher, LKW-Fahrer sowie Beschäftigte in der Landwirtschaft (Thiede et al. 2014).
Zur Ableitung der Mindestdosis wird auf Abschnitt 4 verwiesen.
2. Kenntnisse über die Wirkung
2.1 Biomechanische Studien
Nemeth et al. (1984) sowie Nemeth und Ekholm (1985) führten eine biomechanische Studie bei 15 männlichen Probanden durch, die ein Lastgewicht von 12,8 kg beidhändig vom Boden auf Hüfthöhe anhoben, und ermittelten mit einem statischen biomechanischen Modell nach Ableitung des Oberflächenelektromyogramms im Bereich von sieben Hüftmuskeln sowie Erfassung der Bewegung mit Hilfe einer Hochgeschwindigkeitskamera das Drehmoment sowie die Gelenkkraft im Hüftgelenk. Der Hebevorgang wurde einmal mit gebeugtem und einmal mit gestrecktem Kniegelenk durchgeführt. Das Drehmoment im Hüftgelenk erreichte maximal 125 Newtonmeter und die Gelenkkraft im Hüftgelenk das 3,2-fache des Körpergewichts. Das Drehmoment im Hüftgelenk ist beim Heben mit gestreckten Knien höher als beim Heben mit gebeugten Knien. Die Gelenkkraft ist jedoch nahezu gleich hoch.
Bergmann et al. (1997) ermittelten bei sechs männlichen Testpersonen die Höhe der Gelenkkraft im Hüftgelenk beim Tragen von Lasten mit einem Lastgewicht von bis zu 30 kg. Fünf der sechs Testpersonen wiesen normale Hüftgelenke auf. Bei der sechsten Testperson handelte es sich um einen Probanden mit implantierter Totalendoprothese des Hüftgelenkes, die die Messung der Höhe der Gelenkkraft ermöglichte. Die Höhe der Gelenkkraft im Hüftgelenk wurde mit Hilfe eines statischen biomechanischen Modells bei allen sechs Testpersonen berechnet. Ferner wurde bei der sechsten Testperson die berechnete und gemessene Gelenkkraft im Hüftgelenk verglichen. Der Medianwert der maximalen Gelenkkraft beim Gehen, der mit dem statischen biomechanischen Modell ermittelt wurde, lag bei 278 % des Körpergewichtes. Dieser Wert wurde als normal angenommen. Die Gelenkkraft im Hüftgelenk beim Tragen von Lasten wurde in Prozent dieses Normalwertes angegeben. Beim einseitigen Tragen von Lasten kam es zu einem deutlichen Anstieg der Gelenkkraft im kontralateralen Hüftgelenk. Es bestand eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Höhe des Lastgewichtes und der Gelenkkraft im kontralateralen Hüftgelenk. Die Beziehung war sehr eng (r=0,95, p < 0,001). Bei dem maximal getragenen Lastgewicht von 30 kg kam es zu einer Gelenkkraft im kontralateralen Hüftgelenk von etwa 165% des Normalwertes beim Gehen ohne Tragen einer Last. Beim einseitigen Tragen von Lasten wurde eine leichtgradige Senkung der Gelenkkraft im ipsilateralen Hüftgelenk, d. h. dem Hüftgelenk auf der Seite, auf der die Last einseitig getragen wird, beobachtet. Die Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Höhe des Lastgewichtes und der Senkung der Gelenkkraft im ipsilateralen Hüftgelenk war mittelgradig gut (r=-0,57, p < 0,01). Beim Tragen eines Lastgewichts von 30 kg kam es zu einer Senkung der Gelenkkraft im ipsilateralen Hüftgelenk von ca. 8 % im Vergleich zum Gehen ohne Tragen einer Last. Beim bilateralen Tragen, d. h.. dem Tragen der Last mit beiden Händen, kam es zu einer Erhöhung der Gelenkkraft in beiden Hüftgelenken. Es fand sich eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Höhe des beidseits getragenen Lastgewichtes und der Gelenkkraft in beiden Hüftgelenken. Die Beziehung war sehr eng (r=0,95, p < 0,001). Beim bilateralen Tragen einer Last mit einem Lastgewicht von 30 kg kam es zu einer Erhöhung der Gelenkkraft in beiden Hüftgelenken um etwa 30 % im Vergleich zum Gehen ohne Tragen einer Last. Die bei dem sechsten Probanden mit implantierter Totalendoprothese gemessene Gelenkkraft war um etwa 8% höher als die mit dem biomechanischen Modell ermittelte Gelenkkraft. Dies begründen die Autoren damit, dass die gemessene Gelenkkraft besser dynamische Prozesse berücksichtigt als das biomechanische Modell.
Varady et al. (2015) berechneten die Gelenkkraft im Hüftgelenk beim beidseitigen Heben, Umsetzen und Tragen von Lasten mit einem Lastgewicht von 25, 40 und 50 kg, beim Treppen steigen mit und ohne Tragen einer Last von 25 kg und beim Leitern steigen und verglichen diese Belastungen mit Alltagsbelastungen wie Gehen, Setzen und Aufstehen aus dem Sitz. Die Gelenkkraft im Hüftgelenk wurde mit Hilfe eines statischen biomechanischen Modells mit der Software AnyBody nach Ermittlung der Bodenreaktionskräfte mit einer Messplatte, einer Bewegungsanalyse mit Hilfe von Videoaufnahmen und einer instrumentierten Treppe und Leiter ermittelt. Die höchste Gelenkkraft im Hüftgelenk fand sich beim beidseitigen Umsetzen eines Lastgewichtes von 50 kg in Höhe von 637 ± 148 % des Körpergewichts. Bei folgenden Aktivitäten fand sich im Vergleich zum Gehen ohne Lastgewicht eine signifikant erhöhte Gelenkkraft im Hüftgelenk: Tragen eines Lastgewichtes von 40 und 50 kg, Umsetzen eines Lastgewichts von 25 und 40 kg sowie Treppaufgehen mit Tragen einer Last von 25 kg.
2.2 Zellexperimentelle Studien
Mehrere Autoren zeigten in zellexperimentellen Studien mit Chondrozytenkulturen, dass die Einwirkung von hydrostatischem Druck in Höhe von ein und fünf Megapascal (MPa) mit einer Dauer von zwei Stunden zu einer Zunahme der Synthese von Protheoglycan, einem wesentlichen Bestandteil der Knorpelmatrix, im Vergleich zum Umgebungsdruck führt. Ferner ist nach dieser Druckeinwirkung die Expression von Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) vermehrt, die für das Proteoglykankernprotein, für Aggrecan und Kollagen II sowie für TGF Beta1 kodierten. Aggrecan und Kollagen II sind wesentliche Bestandteile der Knorpelmatrix. TGF Beta1 ist ein Zytokin, das die Synthese von Knorpelmatrix fördert (Hall et al. 1991, Takahashi et al. 1997 und 1998, Toyoda et al. 2003). Dagegen führte die Einwirkung von hydrostatischem Druck auf Chondrozytenkulturen in Höhe von zehn und 50 MPa für eine Dauer von zwei Stunden zu einer Abnahme der Protheoglycansynthese sowie zur Expression von mRNA, die für das Hitzeschockprotein 70 (HSP 70) kodiert. HSP 70 ist ein Protein, das von Zellen gebildet wird, die z.B. durch Hitze, Ethylalkohol oder Schwermetalle geschädigt wurden (Takahashi et al. 1997).
Torzilli et al. (1999) beobachteten eine Zunahme der Protheoglycansynthese bei einer Einwirkung von hydrostatischem Druck in Höhe von 0,5 und 1,0 MPa und eine kontinuierliche Abnahme bei einer Einwirkung von fünf bis 65 MPa. Ferner beschrieben die Autoren, dass ab einer Einwirkung von zehn MPa zunehmend abgestorbene Chondrozyten beobachtet wurden.
Lammi et al. (1994) beschrieben ebenfalls die verminderte Proteoglycansynthese nach Einwirkung von hydrostatischem Druck in Höhe von 30 MPa für die Dauer von 20 Stunden, während die Einwirkung von hydrostatischem Druck in Höhe von fünf MPa keinen Effekt hatte.
Parkkinen et al. (1993) berichteten über eine verminderte Protheoglycansynthese und einen veränderten Golgiapparat nach 2-stündiger Einwirkung von hydrostatischem Druck in Höhe von 30 MPa auf Chondrozytenkulturen. Der Golgiapparat ist für die Proteoglycansynthese erforderlich.
Farquhar et al. (1996) fanden nach intermittierender hydrostatischer Druckbelastung von Knorpelexplantaten aus gesunden Schultergelenken von Hunden in Höhe von 0,5-50 MPa mit einer Frequenz von 0,2 Hertz für 30 Minuten folgende Ergebnisse:
Clements et al. (2001) legten eine experimentelle Studie vor, bei der 30 Präparate des Kniegelenksknorpels sowie des darunterliegenden Knochens von verstorbenen Kühen 3.600 zyklischen Druckbelastungen zwischen 17-1.176 N, entsprechen 0,4-25 MPa, ausgesetzt und mit unbelasteten Kontrollpräparaten verglichen wurden. Bis zu einer Druckkraft von 250 N (6 MPA) fand sich keine signifikante Zunahme der mit histologischen Methoden festgestellten Rate abgestorbener Chondrozyten. Darüber fand sich ein Anstieg der Rate abgestorbener Chondrozyten, die bei der maximalen Druckkraft von 1.176 N, entsprechend 25 MPa, bei ca. 60 % lag.
Nakamura et al. (2006) fanden nach Einwirkung von hydrostatischem Druck in Höhe von zehn und 50 MPa für eine Dauer von 12 oder 24 Stunden eine Erhöhung der Häufigkeit abgestorbener Chondrozyten in der Zellkultur.
Nerucci et al. (1999) beobachteten bei elektronenoptischen Untersuchungen, dass nach Einwirkung von hydrostatischem Druck auf Chondrozytenkulturen in Höhe von 24 MPa für die Dauer von drei Stunden der Golgiapparat und das endoplasmatische Retikulum in den Chondrozyten disorganisiert oder komplett aufgelöst waren. Dieser Effekt fand sich in nicht druckexponierten Kontrollen sowie nach zyklischer Einwirkung von hydrostatischem Druck in Höhe von ein und fünf MPa mit einer Frequenz von 0,25 Hertz nicht. Das endoplasmatische Retikulum ist für die Energieversorgung der Knorpelzelle erforderlich.
Verschiedene zellexperimentelle Studien zeigten, dass die Wirkung von hydrostatischem Druck auf Chondrozyten durch Beta1-Integrin vermittelt wird. Dabei handelt es sich um ein transmembranöses Glycoprotein, das als Mechanorezeptor fungiert. Für eine Übersicht siehe Millward-Sadler et al (1999) und Deschner et al. (2003).
Eine Übersicht über die Zusammenhänge zwischen statischer und intermittierender Druckbelastung auf Chondrozytenkulturen findet sich bei Sun (2010).
2.3 Tierexperimentelle Studien
Radin et al. (1973) fanden nach experimenteller zyklischer Einwirkung einer Druckkraft in der Größenordnung des Körpergewichtes auf das Kniegelenk von Kaninchen mit einer Frequenz von eins pro Minute für eine Stunde pro Tag folgende Ergebnisse:
Radin et al. (1984) beobachteten nach zyklischer Druckeinwirkung auf das Kniegelenk von Kaninchen in der Größenordnung des 1,5-fachen Körpergewichtes mit einer Frequenz von eins pro Sekunde, 40 Minuten pro Tag an fünf Tagen pro Woche zunächst einen kontinuierlichen Rückgang der Porosität des subchondralen Knochens, gefolgt von vermehrter Fibrillierung sowie horizontaler und vertikaler Rissbildung des Kniegelenksknorpels.
Gritzka et al. (1973) konnten in experimentellen Studien, bei denen die Ellbogengelenke von Kaninchen während der Bewegung einer Kompressionskraft ausgesetzt waren, die auf 110-270 kg/cm2 geschätzt wurde, arthrotische Veränderungen in den exponierten Ellbogengelenken induzieren, die weniger von der Höhe der Kompressionskraft als von der Dauer der Kompressionseinwirkung abhingen.
Refior (1974) belastete die Kniegelenke von Kaninchen durch Schienung in maximaler Beugestellung und durch Anlegen eines externen Kompressionsgerätes mit einer Federkraft von 12 kp. Durch die Belastung kam es nach einer Woche zu Eindellung des Gelenkknorpels, danach zur zunehmenden Freilegung von Faserstrukturen und nach drei- bis vierwöchiger Einwirkung zum mikromorphologischen Bild der Arthrose.
Ferner fanden sich in tierexperimentellen Studien, in denen das Kiefergelenk von Kaninchen einer Druckkraft ausgesetzt wurde, im Vergleich zu Kontrolltieren Hinweise für die Entwicklung von arthrotischen Gelenkveränderungen in Form einer Abnahme der Knorpeldicke sowie Osteophytenbildung (Imai et al. 2001, Fujisawa et al. 2003).
Tierexperimentelle Studien, die den Zusammenhang zwischen der Einwirkung erhöhter Gelenkkräfte auf das Hüftgelenk von Versuchstieren und der Entwicklung einer Koxarthrose untersuchen, liegen nicht vor. Die o. g. Studien sprechen jedoch für die biologische Plausibilität des Zusammenhangs zwischen einer erhöhten Gelenkkraft und der Entwicklung einer Arthrose in verschiedenen anderen Gelenken von Versuchstieren (Kniegelenk, Ellbogengelenk und Kiefergelenk).
2.4 Epidemiologische Studien
2.4.1 Kohortenstudien
Vingard et al. (1991a) legten das Ergebnis einer Kohortenstudie bei 116.581 Beschäftigten in Schweden vor, deren Beruf durch arbeitsmedizinische Experten als hochgradig belastet betreffend die Gelenke der unteren Extremität eingestuft wurde und verglichen diese Gruppe mit 91.057 Männern in Berufen mit niedriger Belastung. In beiden Gruppen wurde die Häufigkeit einer Krankenhausbehandlung wegen Koxarthrose während des Zeitraums 1981-1983 erfasst. Ebenso wurde vorgegangen bei 18.434 Frauen mit hoher und 24.145 mit niedriger Exposition. Bei den Männern der Geburtskohorte 1905-1924 mit hoher beruflicher Belastung fand sich im Vergleich zu der Kontrollgruppe mit niedriger beruflicher Belastung ein um den Faktor 2,2 (95 % Konfidenzintervall [KI] 1,6-2,8) signifikant erhöhtes Koxarthroserisiko. Bei den hoch belasteten Frauen war das Koxarthroserisiko nicht signifikant um den Faktor 1,6 (95 % KI 0,9- 3,1) erhöht. Ein besonders hohes Koxarthroserisiko wiesen männliche Landwirte (relatives Risiko 3,8, 95 % KI 2,9-3,9) auf.
Thelin und Holmberg (2007) veröffentlichten die Ergebnisse einer Kohortenstudie in Schweden bei 1.220 selbstständigen Landwirten, 1.130 Kontrollprobanden in ländlichen Regionen und 1.087 Kontrollprobanden in städtischen Regionen. In allen drei Gruppen wurde die Inzidenz einer Krankenhausbehandlung wegen Koxarthrose während des Zeitraums 1990-2003 anhand des Krankenhausentlassungsregisters ermittelt. Landwirte wiesen im Vergleich zu städtischen Kontrollprobanden ein signifikant um den Faktor 3,0 (95 % KI 1,7-5,3) erhöhtes Koxarthroserisiko auf, das für Alter adjustiert war. Dagegen bestand kein signifikanter Unterschied des Koxarthroserisikos zwischen der städtischen und ländlichen Kontrollgruppe.
Järvholm et al. (2008) legten die Ergebnisse einer prospektiven Studie bei 204.741 schwedischen Bauarbeitern vor, deren Koxarthroserisiko mit Hilfe des Krankenhausentlassungsregisters erfasst wurde. Mit Ausnahme von Malern (relatives Risiko 0,77, 95 % KI 0,54-1,12) wiesen alle Bauarbeiterberufe ein um den Faktor 1,10-1,58 nicht signifikant erhöhtes Koxarthroserisiko auf. Die Studie leidet darunter, dass das Koxarthroserisiko in den o. g. Bauarbeiterberufen nicht in Abhängigkeit von der Expositionsdauer dargestellt wird.
Andersen et al. (2012) beschrieben die Ergebnisse einer Kohortenstudie in Dänemark in folgenden Berufsgruppen:
Die Inzidenz einer Implantation einer Totalendoprothese wegen Koxarthrose wurde mit Hilfe des Krankenhausentlassungsregisters in den o. g. Berufsgruppen während des Zeitraums 1996-2006 ermittelt. Dabei fungierten Bürobeschäftigte als Kontrollgruppe. Das relative Risiko für Koxarthrose war bei männlichen Bauarbeitern mit einer Expositionsdauer von über zehn Jahren signifikant um den Faktor 1,83 im Vergleich zu Bürobeschäftigten erhöht (95 % KI 1,68-2,00), das für Alter, Kalenderzeit, Einkommen und Arbeitslosigkeit adjustiert war. Bei weiblichen Baubeschäftigten mit mehr als zehnjähriger Expositionsdauer war das Koxarthroserisiko nicht signifikant um den Faktor 1,57 (95 % KI 0,97-2,52) erhöht. In der Subgruppe der männlichen Bodenleger, Maurer und Straßenbauer fand sich bereits bei einer Expositionsdauer von sechs bis zehn Jahren ein signifikant um den Faktor 1,44 (95 % KI 1,21-1,72) erhöhtes Koxarthroserisiko. Bei mehr als zehnjähriger Expositionsdauer fand sich ein signifikant um den Faktor 2,23 (95 % KI 1,81-2,73) erhöhtes Koxarthroserisiko. Die Fallzahlen für weibliche Beschäftigte in dieser Berufsgruppe waren zu gering. Bei männlichen Landwirten und Gärtnern bestand bereits bei sechs- bis zehnjähriger Expositionsdauer ein signifikant um den Faktor 2,38 (95 % KI 2,20-2,57) erhöhtes Koxarthroserisiko, das bei mehr als zehnjähriger Expositionsdauer bei 3,00 (95 % KI 2,71-3,32) lag. Bei weiblichen Landwirten und Gärtnern war das Koxarthroserisiko deutlich niedriger: Expositionsdauer sechs bis zehn Jahre: Relatives Risiko 1,59 (95 % KI 1,37-1,84), Expositionsdauer über zehn Jahre: Relatives Risiko 1,62 (95 % KI 1,19-2,20). Bei männlichen Pflegehelfern war nach mehr als zehnjähriger Expositionsdauer das Koxarthroserisiko signifikant um den Faktor 1,71 (95 % KI 1,36-2,14) und bei weiblichen Pflegehelfern um den Faktor 1,57 (95 % KI 1,46-1,69) erhöht.
Rubak et al. (2013) legten die Ergebnisse einer Kohortenstudie in Dänemark bei 899.549 Frauen und 1.010.944 Männern vor, deren berufliche Belastung durch Lastenhandhabung mit Hilfe einer Branchen-Expositions-Matrix erfasst wurde, die von Experten aufgestellt wurde und die im Wesentlichen die kumulativ gehobene Last pro Arbeitstag berücksichtigte. Ferner wurde die Expositionsdauer der Tätigkeit in den jeweiligen Branchen ermittelt und das Auftreten einer Implantation einer Totalendoprothese wegen Koxarthrose mit Hilfe des landesweiten Krankenhausentlassungsregisters ermittelt. Bei Männern fand sich eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der kumulativen Hüftgelenksbelastung und dem Koxarthroserisiko, das in der höchsten Dosisklasse signifikant um den Faktor 1,33 (95 % KI 1,17- 1,53) erhöht war. Bei Frauen fand sich kein Zusammenhang zwischen der kumulativen Exposition und dem Koxarthroserisiko. Zwischen der kumulativen Exposition und dem Alter der Koxarthrosediagnose bestand eine signifikant negative Beziehung in dem Sinne, dass die Koxarthrose bei höher Exponierten früher diagnostiziert wurde als bei niedriger Exponierten. In der höchsten Dosisklasse wurde die Koxarthrose um 3,4 Jahre signifikant früher diagnostiziert als bei der nicht exponierten Kontrollgruppe. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Branchen-Expositions-Matrix das Risiko einer Missklassifikation beinhaltet, weil innerhalb einer Branche deutlich unterschiedliche Expositionen auftreten können. Diese Missklassifikation würde das beobachtete Koxarthroserisiko senken.
2.4.2 Fall-Kontroll-Studien
Thelin (1990) legte die Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Studie in Schweden bei 105 Männern mit chirurgischer Behandlung wegen Koxarthrose und einer Kontrollgruppe von 222 Männern aus der Wohnbevölkerung vor, die nach Alter und Wohnregion mit den Fällen vergleichbar waren. Probanden mit einer mindestens zehnjährigen Tätigkeit als Landwirt wiesen ein signifikant um den Faktor 3,2 (95 % KI 1,8-5,5) erhöhtes Koxarthroserisiko auf.
Vingard et al. (1991b) veröffentlichten eine Fall-Kontroll-Studie in Schweden bei 239 männlichen Fällen, bei denen wegen einer Koxarthrose eine Totalendoprothese des Hüftgelenkes implantiert wurde, sowie einer Kontrollgruppe von 302 männlichen Probanden aus der allgemeinen Wohnbevölkerung. Bei Fällen und Kontrollen wurde ein standardisiertes Interview zur Häufigkeit beruflicher Belastungen durch das Heben von Lasten durchgeführt. Bei Probanden im obersten Tertil mit Heben von Lasten mit einem Lastgewicht von über 40 kg fand sich ein signifikant um den Faktor 2,4 (95 % KI 1,5-3,8) erhöhtes Koxarthroserisiko, das für Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index (BMI) sowie sportliche Aktivitäten adjustiert war. Beschäftigte in dieser Gruppe hatten mindestens 25.000 Hebevorgänge von Lasten über 40 kg absolviert. Ferner wurde das Koxarthroserisiko in Abhängigkeit von dem kumulativ gehobenen Lastgewicht ermittelt. Dabei wurden auch leichtere Lastgewichte berücksichtigt. Bei Probanden mit einer kumulativ gehobenen Last von über 3.000 Tonnen fand sich ein signifikant um den Faktor 1,8 erhöhtes Koxarthroserisiko (95 % KI 1,1-3,0).
Vingard et al. (1992) legten eine Fall-Kontroll-Studie in Schweden bei 140 Fällen, die wegen Koxarthrose frühverrentet wurden, und einer Kontrollgruppe von 298 Probanden aus der allgemeinen Wohnbevölkerung vor. Bei Fällen und Kontrollen wurde eine standardisierte Befragung durchgeführt und die Höhe der beruflichen Hüftgelenksbelastung durch arbeitsmedizinische Experten in drei Gruppen (niedrig, mittelgradig und hoch) eingestuft. Probanden mit einer hohen Hüftgelenksbelastung wiesen ein signifikant um den Faktor 12,4 (95 % KI 6,7-23,0) erhöhtes Koxarthroserisiko auf. Bei mittelgradiger Hüftgelenksexposition war das Koxarthroserisiko signifikant um den Faktor 4,1 (95 % KI 2,4-7,1) erhöht. Besonders hohe Koxarthroserisiken fanden sich bei Landwirten und Forstarbeitern (relatives Risiko 13,8; 95 % KI 4,0-48,1) und Bauarbeitern (relatives Risiko 5,3; 95 % KI 2,6-10,6).
Croft et al. (1992a) führten eine Studie bei ehemaligen Patienten einer urologischen Krankhausabteilung in England durch, bei denen ein i.v.-Urogramm durchgeführt wurde und bei dieser Untersuchung, quasi als Nebenbefund, die Hüftgelenke dargestellt wurden. Probanden, bei denen sich eine Gelenkspaltverschmälerung auf < 2,5 mm oder ein Zustand nach Hüftgelenktotalendoprothese nachweisen ließ, wurden als Fälle eingestuft (n = 353). 434 Probanden mit einem Hüftgelenkspalt von > 3,5 mm in beiden Hüften wurden als Kontrollprobanden eingestuft. Probanden mit Handhabung von Lasten > 25 kg über einen Zeitraum von mindestens 20 Jahren wiesen ein signifikant um den Faktor 2,50 (95 % KI 1,10-5,7) erhöhtes Risiko für eine Koxarthrose auf, das für Alter und Krankenhaus adjustiert war.
Elsner et al. (1995) legten die Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Studie bei 220 Männern und Frauen, die in einer orthopädischen Praxis in Offenbach wegen Koxarthrose behandelt wurden, sowie einer Kontrollgruppe von 198 Patienten einer Allgemein- und Augenarztpraxis vor. Männliche Probanden, die immer oder häufig Lasten mit einem Lastgewicht von > 20 kg handhabten, wiesen ein nicht signifikant um den Faktor 1,10 (95 % KI 0,64-2,10) erhöhtes Koxarthroserisiko auf, das für Alter adjustiert war. Weibliche Probanden mit dieser Exposition wiesen ein nicht signifikant um den Faktor 1,9 (95 % KI 0,8-4,8) erhöhtes Koxarthroserisiko auf.
Vingard et al. (1997) veröffentlichten eine Fall-Kontroll-Studie in Schweden bei 230 weiblichen Fällen, bei denen eine Totalendoprothese der Hüfte implantiert wurde, und einer Kontrollgruppe von 273 Frauen aus der allgemeinen Wohnbevölkerung. Bei Fällen und Kontrollen wurde eine standardisierte Befragung in Bezug auf die Häufigkeit von Belastungen durch Heben von Lasten sowie die Höhe des Lastgewichtes durchgeführt und die Probanden in drei Gruppen (niedrige, mittelgradige und hohe Belastung) eingeteilt. Bei Probanden mit einer hohen Belastung durch Heben von Lasten fand sich ein nicht signifikant um den Faktor 1,5 (95 % KI 0,9-2,5) erhöhtes Koxarthroserisiko, das für Alter, BMI, Rauchen, sportliche Aktivität, Anzahl der Kinder und Hormontherapie adjustiert war. Die Studie leidet darunter, dass keine Daten zur Höhe der Lastgewichte oder der kumulativ gehobenen Masse in Bezug auf das Koxarthroserisiko dargestellt werden, obwohl diese Daten erhoben wurden.
Thelin et al. (1997) beschrieben die Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Studie in Schweden bei 216 männlichen Fällen mit radiologisch diagnostizierter Koxarthrose und einer Kontrollgruppe von 479 männlichen Probanden aus der lokalen Wohnbevölkerung, die nach Alter mit den Fällen vergleichbar waren. Landwirte und Landarbeiter wiesen ein signifikant um den Faktor 2,70 (95 % KI 1,94-3,77) erhöhtes Koxarthroserisiko auf. Zwischen der Dauer der Tätigkeit als Landwirt oder Landarbeiter und dem Koxarthroserisiko fand sich eine positive Expositions-Wirkungs-Beziehung: Expositionsdauer bis zu zehn Jahre: Odds Ratio (OR) = 1,63 (95 % KI 1,03-2,60), Expositionsdauer 11 bis 20 Jahre: OR = 1,67 (95 % KI 0,87-3,23), Expositionsdauer 21 bis 30 Jahre: OR = 4,20 (95 % KI 1,97-8,97) und Expositionsdauer > 30 Jahre: OR = 4,45 (95 % KI 2,90-6,83). Eine Beschäftigung in der Milchviehhaltung war mit einem signifikant um den Faktor 2,98 (95 % KI 2,07-4,28) erhöhten Koxarthroserisiko verbunden.
Coggon et al. (1998) veröffentlichten die Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Studie in England bei 210 männlichen Fällen, die auf einer Warteliste für die Implantation einer Endoprothese wegen Koxarthrose standen, und einer Kontrollgruppe von 210 Patienten aus der Wohnbevölkerung. Probanden, die Lasten mit einem Lastgewicht von mindestens 25 kg mehr als zehnmal pro Woche für mindestens 20 Jahre handhabten, hatten ein signifikant um den Faktor 2,3 (95 % KI 1,3-4) erhöhtes Koxarthroserisiko, das für BMI, Hüftgelenksverletzung und Heberden-Knoten adjustiert war. Die Fälle und Kontrollen waren ferner für Alter gematcht.
Lau et al. (2000) führten eine Fall-Kontroll-Studie in sieben von acht relevanten Krankenhäusern in Hongkong bei 138 Fällen mit einer Koxarthrose mit einem Kellgren-Grad von > 2 sowie einer Kontrollgruppe von 414 Patienten aus Hausarztpraxen derselben Region durch. Fälle und Kontrollen waren nach Alter und Geschlecht vergleichbar. Männer, die Lasten mit einem Lastgewicht von mindestens zehn kg über zehnmal pro Woche handhabten, hatten ein signifikant um den Faktor 5,3 (95 % KI 1,8-15,8) erhöhtes Koxarthroserisiko. Männer, die mehr als zehnmal pro Woche Lasten mit einem Lastgewicht von 50 kg oder mehr handhabten, hatten ein signifikant um den Faktor 9,6 (95 % KI 2,2-42,2) erhöhtes Koxarthroserisiko. Bei Frauen waren die Risiken etwas niedriger (Handhabung von zehn kg: OR 3,0 (95 % KI 1,8-5,1), Handhabung von 50 kg oder mehr: OR 2,9 (95 % KI 1,5-5,6).
Yoshimura et al. (2000) legten die Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Studie in Japan bei 114 Fällen mit Krankenhausbehandlung wegen Koxarthrose und einer gleich großen Gruppe von Kontrollprobanden aus der Wohnbevölkerung, die nach Alter und Geschlecht vergleichbar war, vor. Probanden, die mindestens einmal pro Woche Lasten mit einem Lastgewicht von 25 kg und mehr hoben, hatten ein signifikant um den Faktor 3,6 (95 % KI 1,3-9,7) erhöhtes Koxarthroserisiko. Probanden, die mindestens einmal pro Woche Lasten mit einem Lastgewicht von 50 kg und mehr hoben, hatten ein signifikant um den Faktor 5,4 (95 % KI 1,2-25,4) erhöhtes Koxarthroserisiko. Die Studie leidet darunter, dass die Häufigkeit der Lastenhandhabung mit mindestens einmal pro Woche sehr niedrig lag und Angaben zum Koxarthroserisiko bei Probanden, die Lastenhandhabung häufig pro Tag ausübten, fehlen.
Thelin et al. (2004) führte eine Fall-Kontroll-Studie in Schweden bei 369 Landwirten mit primärer Koxarthrose und einer gleich großen Gruppe von Landwirten ohne Koxarthrose durch. Landwirte, die mehr als 40 Stück Milchvieh hielten, hatten im Vergleich zu Kontrollprobanden ein signifikant um den Faktor 4,5 (95 % KI 1,86-10,97) erhöhtes Koxarthroserisiko. Dagegen war das Koxarthroserisiko bei Landwirten, die Feldfrüchte anbauten, signifikant erniedrigt.
Franklin et al. (2010) veröffentlichten die Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Studie in Island bei 896 Fällen mit Endoprothese wegen Koxarthrose, die mit Hilfe der Unterlagen von drei isländischen Kliniken ermittelt wurden, sowie einer Kontrollgruppe von 1.082 Probanden, bei denen es sich um Angehörige ersten Grades der Fälle (Eltern, Geschwister oder Kinder) handelte. Fälle und Kontrollen mussten ein Mindestalter von 60 Jahren aufweisen. Männliche Landwirte hatten einen signifikant um den Faktor 3,6 (95 % KI 2,1-6,2) erhöhtes Koxarthroserisiko, das für Alter und BMI adjustiert war. Bei weiblichen Landwirten fand sich ein grenzwertig signifikant erniedrigtes Koxarthroserisiko (relatives Risiko 0,62; 95 % KI 0,36-1,0). Die Wahl der Kontrollgruppe in dieser Studie wird für ungeeignet gehalten, weil Kinder häufig denselben Beruf ausüben wie Ihre Eltern. Dies gilt insbesondere für Landwirte. Daher dürfte das in der Studie beobachtete relative Risiko für die Entwicklung einer Koxarthrose bei Landwirten das wahre Risiko deutlich unterschätzen.
Kaila-Kangas et al. (2011) werteten die Health 2000-Studie in Finnland bei 6.556 Probanden aus. Bei diesen wurde nach Befragung und klinischer Untersuchung bei 129 Probanden eine Koxarthrose diagnostiziert. Die Übereinstimmung dieser klinischen Diagnose einer Koxarthrose mit einer röntgenologischen Diagnose der Koxarthrose war mittelgradig gut (Kappa-Wert = 0,66). In diese Studie wurde eine Fall-Kontroll-Studie bei 129 Fällen mit Koxarthrose und einer Kontrollgruppe von 6.427 Probanden ohne Koxarthrose durchgeführt. Bei Männern mit einer Handhabung von Lasten mit einem Lastgewicht von über 20 kg (Heben, Tragen oder Schieben) war das Koxarthroserisiko signifikant um den Faktor 2,0 (95 % KI 1,0-4,0) erhöht, das für Alter, BMI, Rauchen und traumatische Frakturen der Hüfte adjustiert war. Es fand sich folgende Beziehung zwischen der Expositionsdauer und dem Koxarthroserisiko: ein bis 12 Jahre Exposition: OR = 1,1 (95 % KI 0,4-3,2), 13 bis 24 Jahre Exposition: OR = 2,2 (95 % KI 0,8-5,9) sowie über 24 Jahre Exposition: OR = 2,3 (95 % KI 1,2-4,3). Bei Frauen mit einer Lastenhandhabung von Lasten über 20 kg fand sich ein signifikant um den Faktor 1,8 (95 % KI 1,1-2,8) erhöhtes Koxarthroserisiko. Es bestand folgende Beziehung in Abhängigkeit von der Expositionsdauer: Exposition ein bis 12 Jahre: OR = 1,6 (95 % KI 0,7-3,5), Exposition 13 bis 24 Jahre: OR = 3,8 (95 % KI 1,7-8,1) sowie Exposition über 24 Jahre: OR = 1,2 (95 % KI 0,7-2,1).
Rubak et al. (2014) veröffentlichten eine Kohortenstudie bei 1,6 Millionen Erwerbstätigen in Dänemark, in die eine Fall-Kontroll-Studie bei 1.950 Fällen mit implantierter Endoprothese wegen Koxarthrose und 3.545 Kontrollprobanden aus der allgemeinen Erwerbsbevölkerung eingebettet wurde. Die Fälle wurden mit Hilfe des dänischen Krankenhausentlassungsregisters ermittelt. Bei Fällen und Kontrollen wurde eine standardisierte Befragung unter anderem zur lebenslangen Arbeitsanamnese und der dabei ausgeübten Berufe durchgeführt. Die Höhe der beruflichen Belastung durch Heben von Lasten mit einem Lastgewicht von mindestens 20 kg wurde mit einer Berufs-Expositions-Matrix, die von Experten aufgestellt wurde, ermittelt. Aus der Dauer der beruflichen Tätigkeit wurde eine kumulative Belastung mit der Einheit Tonnenjahre berechnet. Dabei entspricht ein Tonnenjahr dem Heben von Lasten mit einem kumulativen Lastgewicht von einer Tonne pro Tag für die Dauer von einem Jahr. Bei Männern fand sich bei Probanden mit einer kumulativen Belastung durch Heben und Tragen von Lasten von mindestens 20 Tonnenjahren ein signifikant um den Faktor 1,35 (95 % KI 1,05-1,74) erhöhtes Koxarthroserisiko, das für BMI, Rauchen, eine Fraktur der unteren Extremität, familiäre Vorerkrankung, sportliche Belastungen und Wohnregion adjustiert war. Bei Frauen fand sich in der höchsten Dosisklasse kein erhöhtes Koxarthroserisiko (OR = 1). Männer in der höchsten Dosisklasse hatten eine mittlere Exposition von 47,1 Tonnenjahren und Frauen von 30,1 Tonnenjahren. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Verwendung einer Berufs-Expositions-Matrix die Gefahr einer Missklassifikation der Exposition beinhaltet, weil die berufliche Exposition durch Lastenhandhabung in einer Berufsgruppe deutlich variieren kann. Dies würde zu einer Senkung des ermittelten relativen Risikos führen.
2.4.3 Querschnittstudien
Jacobsson et al. (1987) verglichen in einer Querschnittstudie in Schweden folgende Gruppen:
Bei den Gruppen 1 und 2 mit Koxarthrose fand sich signifikant häufiger eine Tätigkeit als Landwirt oder Landarbeiter (67 und 55 %) im Vergleich zu den beiden Kontrollgruppen 3 und 4 (40 und 41 %).
Croft et al. (1992b) legten die Ergebnisse einer Querschnittstudie in England bei 167 Landarbeitern und einer Kontrollgruppe von 83 Bürobeschäftigten vor und ermittelten in beiden Gruppen die Häufigkeit einer Implantation einer Endoprothese wegen Koxarthrose bzw. einer radiologisch diagnostizierten Koxarthrose in einer Röntgenaufnahme der Hüfte. Bei Beschäftigten mit einer bis zu neunjährigen Tätigkeit als Landwirt oder landwirtschaftlicher Arbeiter fand sich ein signifikant um den Faktor 4,5 (95 % KI 0,8- 26,3) erhöhtes Koxarthroserisiko, das für Alter, Größe und Gewicht sowie generalisierte Arthrose adjustiert war. Bei mindestens zehnjähriger Tätigkeit als Landwirt oder Farmarbeiter war das Koxarthroserisiko signifikant um den Faktor 9,3 (95 % KI 1,9-44,5) erhöht. Das erhöhte Koxarthroserisiko fand sich in allen Branchen im Bereich der Landwirtschaft. Die Landwirte und landwirtschaftlichen Arbeiter mit Koxarthrose gaben in 96 % der Fälle an, Lasten mit einem Lastgewicht von 25 kg oder mehr zu handhaben.
Axmacher und Lindberg (1993) legten die Ergebnisse einer Querschnittstudie in Schweden bei 565 männlichen Landwirten und Landarbeitern und einer Kontrollgruppe von 1.250 Personen aus der Wohnbevölkerung vor. Bei den Landwirten und Kontrollprobanden wurde ermittelt, ob bei ihnen eine Röntgenuntersuchung des Dickdarms oder der ableitenden Harnwege durchgeführt wurde, die eine Beurteilung der Hüftgelenke zuließ. Diese Röntgenbilder wurden angefordert und bezüglich der Diagnose einer Koxarthrose ausgewertet. Als Koxarthrose wurde gewertet, wenn der Gelenkspalt im Hüftgelenk unterhalb von 3 mm lag. Bei männlichen Landwirten und Landarbeitern fand sich eine signifikant höhere Koxarthroseprävalenz im Vergleich zu den Kontrollprobanden (8,0 versus 0,8 %, p < 0,05). Bei weiblichen Landwirten und Landarbeitern fand sich kein signifikanter Unterschied (1,3 versus 0,8 %).
Teichtahl et al. (2015) veröffentlichten eine Querschnittstudie in Australien bei 198 Probanden, die Teil der Melbourne-Collaborative Cohort Study waren. Die Untersuchungsgruppe wurde nach dem Ergebnis einer standardisierten Befragung in die folgenden drei Gruppen eingeteilt:
In allen drei Gruppen wurden Probanden mit Diagnose einer Hüftgelenksarthrose, mit Hüftgelenksschmerzen, der Diagnose einer Arthritis und einer Hüftgelenksoperation ausgeschlossen. In allen drei Gruppen wurde eine Magnetresonanztomographie des Hüftgelenkes auf der dominanten Seite durchgeführt. Bei Probanden der Gruppe 1 fand sich im Vergleich zur Kontrollgruppe ein signifikant um den Faktor 1,6 (95 % KI 1,0-2,5) erhöhtes Risiko bezüglich des Nachweises von Knorpeldefekten mit einer Tiefe von mindestens 50% der Gesamtknorpelstärke im Bereich der zentralen superolateralen Region des Hüftkopfes, das für Alter und Geschlecht und BMI adjustiert war.
2.4.4 Systematische Reviews
Berücksichtigt wurden nur aktuelle systematische Reviews, die während der letzten zehn Jahre publiziert wurden.
Jensen (2008) legte die Ergebnisse eines systematischen Reviews über den Zusammenhang zwischen dem Heben schwerer Lasten und dem Koxarthroserisiko vor. Zu dieser Fragestellung wurden 14 epidemiologische Studien ausgewertet. Die Autorin kam zu dem Ergebnis, dass eine mittelgradige bis starke Evidenz für die Beziehung zwischen dem Heben schwerer Lasten und dem Koxarthroserisiko bestehe. Die Lasten müssten mindestens ein Lastgewicht von zehn bis 20 kg und die Dauer der Exposition mindestens zehn bis 20 Jahre betragen, ehe ein erhöhtes Koxarthroserisiko beobachtet werde.
Sulsky et al. (2012) veröffentlichten einen systematischen Review über den Zusammenhang zwischen den beruflichen Belastungen und dem Koxarthroserisiko. In dem Review wurden 30 epidemiologische Studien einbezogen, von denen sieben eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen beruflichen Belastungen und Koxarthroserisiko beschrieben. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass konsistente Evidenz über den Zusammenhang zwischen schwerer körperlicher Arbeit und dem Koxarthroserisiko bestehe, insbesondere über den Zusammenhang zwischen dem Heben schwerer Lasten und dem Koxarthroserisiko. Die Autoren sahen sich allerdings außerstande eine Dosis-Wirkungs-Beziehung abzuleiten.
Spahn et al. (2014) veröffentlichten die Ergebnisse eines systematischen Reviews zu Risikofaktoren für die Entwicklung einer Koxarthrose. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass berufliche Belastungen in einer Metaanalyse von fünf Querschnittstudien mit einem signifikant um den Faktor 1,8 (95 % KI 1,4-2,3) erhöhten Koxarthroserisiko verbunden sind. In diese Metaanalyse wurden folgende Studien einbezogen:
Die Zusammenfassung der o. g. fünf Studien in einer Metaanalyse ist aus den folgenden Gründen nicht sinnvoll:
Ferner führten Spahn et al. (2014) eine Metaanalyse von drei prospektiven Studien über den Zusammenhang zwischen beruflichen Belastungen und Koxarthroserisiko durch. Dabei fand sich ein relatives Risiko von 0,9 (95 % KI 0,7- 1,1). In diese Metaanalyse wurden folgende prospektive Studien einbezogen.
Die oben beschriebenen Studien sind überwiegend unmaßgeblich für diese Berufskrankheit. Eine Aussage über den Zusammenhang zwischen Lastenhandhabung und Koxarthroserisiko lassen die einbezogenen Studien nicht zu. Es fällt auf, dass Spahn et al. (2014) einen großen Teil der in Abschnitt 2.4.1-2.4.3 aufgeführten Studien in ihrem systematischen Review nicht einbezogen haben, darunter die Kohortenstudien von Vingard et al. (1991a) und Thelin und Holmberg (2007), die Fall-Kontroll-Studien von Thelin (1990), Vingard et al. (1991b), Vingard et al. (1992), Croft et al. (1992a), Elsner et al. (1995), Vingard et al. (1997), Thelin et al. (1997), Lau et al. (2000), Yoshimura et al. (2000), Thelin et al. (2004) und Kaila-Kangas et al. (2011) sowie die Querschnittstudie von Jacobsson et al. (1987).
Bergmann et al. (2017) veröffentlichten die Ergebnisse eines systematischen Reviews über den Zusammenhang zwischen beruflichen Belastungen und Koxarthroserisiko. In den Review einbezogen wurden fünf Kohortenstudien und 18 Fall-Kontroll-Studien und Querschnittstudien. Bei den sieben Studien, die eine Dosis-Wirkungs-Beziehung beschreiben (Vingard et al. 1991b, Croft et al. 1992a, Elsner et al. 1995, Coggon et al. 1998, Lau et al. 2000, Kaila-Kangas et al. 2011 sowie Rubak et al. 2014) fand sich bei Männern beim Vergleich der höchsten Dosisklasse mit der niedrigsten ein signifikant um den Faktor 2,09 (95 % KI 1,4-3,1) erhöhtes Koxarthroserisiko. Beim Vergleich der zweithöchsten mit der niedrigsten Expositionskategorie war das Koxarthroserisiko nicht signifikant um den Faktor 1,35 (95 % KI 0,9-1,9) erhöht. Bei Frauen bestand beim Vergleich der höchsten Dosiskategorie und der niedrigsten ein signifikant um den Faktor 1,41 (95 % KI 1,02-1,94) erhöhtes Koxarthroserisiko und beim Vergleich der zweithöchsten und der niedrigsten Expositionskategorie ein nicht signifikant um den Faktor 1,4 (95 % KI 0,9-2,2) erhöhtes Koxarthroserisiko. Die Autoren vertreten die Auffassung, dass ein Zusammenhang zwischen dem langjährigen Heben schwerer Lastgewichte und dem Risiko, an einer Hüftgelenksarthrose zu erkranken, bestehe, das mit steigender Exposition bei Männern zunehme. Die Datenlage für die Risikoabschätzung bei Frauen sei unzureichend.
Seidler et al. (2018) führten weitere Auswertungen zur Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der beruflichen Belastung durch Lastenhandhabung und dem Koxarthroserisiko durch. Einbezogen wurden die sieben epidemiologischen Studien, die auch von Bergmann et al. (2017) berücksichtigt wurden. Das Problem in diesen sieben epidemiologischen Studien besteht darin, dass die Höhe der beruflichen Belastung durch Lastenhandhabung unterschiedlich erfasst wurde. Die Höhe der kumulativen Belastung durch Lastenhandhabung in diesen sieben Studien wurde bewertet anhand der Deutschen Wirbelsäulenstudie (Seidler et al. 2009). Dabei wurde dem Perzentil der Belastung in der Originalstudie das Perzentil der Belastung in der Deutschen Wirbelsäulenstudie betreffend die berufliche Belastung durch Lastenhandhabung zugeordnet. In der Studie fand sich bei Männern eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der kumulativen Belastung durch Lastenhandhabung und dem Koxarthroserisiko mit einem mittleren Risiko in Höhe von 1,98 (95 % KI 1,20-3,29) pro 10.000 kumulative Tonnen gehandhabter Lasten mit einem Lastgewicht von mindestens 20 kg. Die Verdoppelungsdosis lag bei 10.100 kumulativen Tonnen während des Arbeitslebens. Wenn ausschließlich Lasten mit einem Lastgewicht von mindestens 20 kg berücksichtigt wurden, die mehr als zehnmal pro Tag gehandhabt wurden, lag die Verdoppelungsdosis bei 9.500 kumulativen Tonnen. Sofern die Anzahl der Hebe- und/oder Tragevorgänge von Lasten mit einem Lastgewicht von mindestens 20 kg berücksichtigt wurde, fand sich eine Verdoppelungsdosis von etwa 321.000 Lastenhandhabungen. Dagegen fand sich bei Frauen keine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der kumulativen Belastung durch Lastenhandhabung und dem Koxarthroserisiko.
3. Krankheitsbild
Die Diagnose einer Koxarthrose im Sinne dieser Berufskrankheit hat folgende Voraussetzungen (Fürst 2004, Debrunner 2005, Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie 2019):
Die Diagnose der Koxarthrose erfolgt entsprechend Empfehlung 3.1 der Leitlinie Koxarthrose der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (2019) anhand der Anamnese sowie des klinischen und radiologischen Befunds.
4. Abgrenzung der besonderen Personengruppe
Als besondere Personengruppe im Sinne des § 9 Absatz 1 SGB VII werden Beschäftigte angesehen, die während ihres Arbeitslebens einer kumulativen Dosis gehandhabter Lasten in Höhe von 9.500 Tonnen ausgesetzt waren. Nach Seidler (2018) handelt es sich bei der kumulativen Dosis gehandhabter Lasten in Höhe von 9.500 Tonnen um das 93 %-Perzentil bei Männern und das 99 %-Perzentil bei Frauen in der übrigen Bevölkerung. Berücksichtigt werden nur Lasten mit einem Lastgewicht von mindestens 20 kg, die mehr als zehnmal pro Tag gehandhabt wurden. Als Lastenhandhabung gilt das Heben und/oder Tragen von Lasten. Maßgeblich für diese kumulative Dosis sind die Studien von Bergmann et al. (2017) sowie Seidler et al. (2018). Sofern das Lastgewicht mindestens 20 kg betrug und mehr als zehnmal pro Tag gehoben oder getragen wurde, werden die pro Tag gehandhabten Lastgewichte aufaddiert, mit der Anzahl der exponierten Schichten pro Jahr und der Jahre insgesamt multipliziert. In dieser Form wird die Lebensdosis ermittelt. Bei Lastenhandhabungen, die sowohl einen Hebe- als auch einen Tragevorgang beinhalten, wird das Lastgewicht für die Berechnung der kumulativen Dosis nur einmal berücksichtigt.
Diese Berufskrankheit gilt sowohl für Männer als auch für Frauen, obwohl nach dem systematischen Review von Bergmann et al. (2017) eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der kumulativen Belastung durch Lastenhandhabung und dem Koxarthroserisiko nur bei Männern nachweisbar war (siehe Abschnitt 2.4.4). Es wird davon ausgegangen, dass sich dies damit begründet, dass bei Frauen die erforderliche kumulative Belastung durch Lastenhandhabung in Höhe von 9.500 Tonnen ausgesprochen selten vorkommt. Nach Seidler (2018) ist dies nur bei 1 % der Frauen in der übrigen Bevölkerung der Fall.
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