Druck- und LokalversionFür einen individuellen Ausdruck passen Sie bitte die
Einstellungen in der Druckvorschau Ihres Browsers an.
Regelwerk, Arbeitsschutz, Arbeits- und Sozialrecht, BKV
Frame öffnen

Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" - Harnblasenkrebs durch PAK -
Berufskrankheiten-Verordnung

Vom 1. Juli 2016
(GMBl Nr. 33/34 vom 26.08.2016 S. 659)



Zur Übersicht in der Anlage 1 der BKV

Wissenschaftliche Stellungnahme (08/2020)

Der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in seiner Sitzung am 12. Februar 2016 empfohlen, in die Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung folgende neue Berufskrankheit aufzunehmen:

"Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe
bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 80 Benzo(a)pyren-Jahren [(µgm3) x Jahre]
"

Die hierzu vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat erarbeitete wissenschaftliche Begründung lautet wie folgt:

1. Vorkommen und Gefahrenquellen

Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) sind eine Gruppe von Substanzen mit drei bis sieben aromatischen Ringsystemen. Als Leitkomponente für die toxikologische Bewertung und die messtechnische Überwachung dient Benzo(a)pyren (BaP) (Bolm-Audorff 1998, Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung 2013). Tabelle 1 sind Arbeitsplätze zu entnehmen, u.a. an denen in der Vergangenheit eine PAK-Einwirkung bestand.

2. Kenntnisse über die Wirkung

2.1 Aufnahme Metabolisierung und Ausscheidung

PAK werden inhalativ und über die Haut aufgenommen. Als Maß für die innere Einwirkung kann im Rahmen des Biomonitorings die Konzentration von 1-Hydroxypyren im Harn bestimmt werden (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2008 und 2015).

PAK werden durch Cytochrom-P-450 Monooxygenasen oxidiert und durch mikrosomale Epoxidhydrolasen hydrolysiert. Die entstehenden Diole können nach Glucuronidierung mit dem Stuhlgang oder dem Urin ausgeschieden werden. Eine andere Metabolisierungsmöglichkeit ist die weitere Oxydierung durch Cytochrom-P-450 Monooxygenasen zu Diolepoxiden. Bestimmte Diolepoxyde, z.B. 9,10-Epoxy-7,8-dihydroxy-7,8-dihydrobenzo(a)pyren, können eine kovalente Bindung mit der DNA eingehen und gelten als ultimales Kanzerogen der PAK. Andererseits können die Diolepoxide durch verschiedene Enzyme aus der Familie der Glutathion-S-Transferasen, insbesondere die Glutathion-S-Transferasen M1 (GSTM1), P1 (GSTP1) und T1 (GSTT1), mit Glutathion konjugiert und ausgeschieden werden. Die Giftung und Entgiftung von PAK ist somit von der interindividuell unterschiedlichen Enzymausstattung der exponierten Individuen abhängig. Eine wesentliche Bedeutung spielen hier insbesondere die verschiedenen Enzyme aus der Familie der Glutathion-S-Transferasen und Cytochrom-P-450 1A1 (IARC 2010). PAK werden hauptsächlich als GSH-, Glucuronsäure- und Schwefelsäure-Konjugate im Stuhlgang, in der Gallenflüssigkeit sowie über den Harn ausgeschieden (IARC 2010). Bei Kokerei- und Straßenbauarbeitern konnte jedoch auch unkonjugiertes BaP und andere PAK im Urin nachgewiesen werden (Haugen et al. 1986, Campo et al. 2006, 2009 2010, 2011 und 2014, Rossella et al. 2009, Sobus et al. 2009 und Fustinoni et al. 2010).

Tabelle 1: Branchen und Tätigkeiten mit PAK-Einwirkung (nach Bolm-Audorff 1998, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 1998 und Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung 2013)

Branche 1Tätigkeiten mit PAK-Einwirkung
AbbruchbetriebeAbbruch und Schneidbrennen von Metallteilen, die mit SKTP 2 beschichtet sind.
AluminiumindustrieVerarbeitung von SKTP 2 in der Elektrographit-Herstellung und in der Söderbergelektrolyse
BauindustrieAbdichten von Fundamenten mit SKTP 2
BootsbauerAbdichten mit SKTP 2
BötchereibetriebeAbdichten mit SKTP 2
Braunkohlenteer-RaffinerienDestillation von Braunkohlenschwelteer
BraunkohlenschwelereienHerstellung von Braunkohlenschwelteer
BrikettherstellungSteinkohlenteerpech als Binder
ChemieindustrieHerstellung von PAK-haltigen Beschichtungsstoffen
DachpappenherstellungVerarbeitung von SKTP 2
DachdeckerbetriebeVerlegung und Abriss von SKTP 2-haltigen Dachbahnen
DruckindustrieVerarbeitung von PAK-haltigen Druckfarben
ElektrographitindustrieVerarbeitung von SKTP 2 zur Elektrographitherstellung
FeuerfestindustrieHerstellung von SKTP 2-haltigen Feuerfeststeinen sowie Stopf- und Spritzmassen
FischnetzherstellungHerstellung von Netzen, die mit SKPT 2 imprägniert wurden.
GaserzeugungSteinkohlenteer- und Teeröl als Beiprodukt, Einwirkung von Kokereirohgasen
GießereiindustrieVerarbeitung von SKTP 2-haltigen Feuerfeststeinen sowie Stopf- und Spritzmassen, Pyrolyse von Kohlenstoffhaltigen Glanzbildnern
GummiindustrieVerarbeitung von Kokerölen; Überführung von Altreifen zu aromatischen Rohstoffen (Recycling)
HafenbetriebeHafenumschlag von SKTP 2
HolzimprägnierungImprägnierung mit Steinkohlenteeröl
HüttenindustrieVerarbeitung von SKTP 2-haltigen Feuerfeststeinen sowie Stopf- und Spritzmassen
IsolierbetriebeVerarbeitung von SKTP 2
KorksteinherstellungVerarbeitung von SKTP 2
LackierereienVerarbeitung SKTP 2-haltiger Beschichtungen 3
MetallindustrieVerarbeitung von PAK-haltigen Kühlschmierstoffen
MineralölraffinerienGewinnung von Kokerölen, Gewinnung von aromatischen Gemischen in Crackanlagen
Optische IndustrieVerarbeitung von Holzteer zum Einkitten von Linsenrohlingen
Parkett- und HolzpflasterverlegungVerarbeitung von SKTP 2-haltigen Klebern
RäuchereienEinwirkung von PAK-haltigem Räucherrauch
SchornsteinfegerUmgang von PAK-haltigem Kaminruß
SchuhmacherVerarbeitung von Schusterpech
SiliciumcarbidherstellungVerarbeitung von SKTP 2
SteinkohlenkokereienEinwirkung von Kokereirohgasen auf der Ofendecke und der Ofenseite
Steinkohlenteer-RaffinerienUmgang mit Steinkohlenteer und SKTP 2
StraßenbauVerarbeitung von SKTP 2 als Bindemittel
TextilindustrieVerwendung von PAK-haltigen Spindelölen
1)alphabetisch geordnet
2)Steinkohlenteerpech,
3)Z. B. im Wasserbau bei der Beschichtung von Schleusentoren und Kaianlagen sowie in der Werftindustrie

In Tabelle 2 ist die PAK-Konzentration im Harn bei polnischen Kokereiarbeitern und Kontrollen dargestellt. Kokereiarbeiter wiesen eine signifikant höhere Konzentration der PAK Phenanthren, Fluoranthen, Chrysen, Benz(a)anthracen und Anthracen auf. Dagegen war die BaP-Konzentration bei Kokereiarbeitern im Vergleich zu Kontrollen ebenfalls erhöht, der Unterschied war jedoch nicht signifikant. Bei der Interpretation der Daten ist zu berücksichtigen, dass die von Campo et al. (2014) untersuchten Kokereiarbeiter alle Nichtraucher waren. Dies wurde anhand der Cotinin-Konzentration im Harn kontrolliert. Dagegen waren drei der 49 Kontrollprobanden Raucher. Daher ist davon auszugehen, dass die in Tabelle 1 dargestellten Unterschiede der PAK-Konzentration im Harn zwischen Kokereiarbeitern und Kontrollprobanden noch deutlicher ausgefallen wären, wenn die drei rauchenden Kontrollprobanden ausgeschlossen worden wären.

Tabelle 2: PAK-Konzentration im Harn bei polnischen Kokereiarbeitern und Kontrollen (nach Campo et al. 2014)

PAKPAK-Konzentration im Harn (ng/l)
Kokereiarbeiter 1Kontrollen 2
Median5.-95. PerzentileMedian5.-95. Perzentile
Phenanthren219,7 35,8-858,820,67,5-99,5
Fluoranthen48,0 3< 2,2-157,83,0< 2,2-10,0
Chrysen14,9 3< 0,6-55,10,7< 0,6-2,5
Benz(a)anthracen13,4 3< 1,5-56,22,3< 1,5-5,9
Anthracen13,0 3< 0,8-69,41,3< 0,8-3,7
Benzo(a)pyren0,7< 0,5-17,2< 0,5< 0,5-1,1
1) 49 Nichtraucher

2) 3 Raucher und 46 Nichtraucher

3) p < 0,05

2.2 Experimentelle Evidenz

BaP und andere PAK können nach metabolischer Aktivierung eine kovalente Bindung mit der DNA eingehen und wirken mutagen im Ames-Test. In Zellkulturen wurde nach Applikation von Benzo[a]pyren und anderen PAK Schwesterchromatidaustausch, Chromosomenaberrationen und Punktmutationen nachgewiesen (IARC 2010).

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (2008) kam zu dem Ergebnis, dass BaP und zehn andere PAK in die Gruppe 2 der Stoffe eingestuft wurden, die als krebserzeugend für den Menschen anzusehen sind, weil durch hinreichende Ergebnisse aus Langzeit-Tierversuchen oder Hinweisen aus Tierversuchen und epidemiologischen Untersuchungen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten. U. a. wurde darauf hingewiesen, dass nach Implantation des PAK 1,2-Dibenzanthrazen in die Harnblase von Mäusen signifikant mehr Harnblasenkarzinome beobachtet wurden als bei Kontrolltieren (Clayson et al. 1968).

Die internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO kam zu dem Ergebnis, dass ausreichende Evidenz für eine krebserzeugende Wirkung von BaP und zwölf anderen PAK in tierexperimentellen Studien bestehe. BaP sei in allen untersuchten Tierspezies krebserzeugend und zwar unabhängig von der Applikation (oral, dermal, inhalativ oder durch intratracheale, intrabronchiale, subkutane, peritoneale oder intravenöse Applikation). BaP habe sowohl lokale als auch systemische krebserzeugende Wirkungen (IARC 2010).

2.3 Epidemiologische Studien

2.3.1 Systematische Reviews

Bosetti et al. (2007) kamen in einem systematischen Review über die bis zum Jahr 2005 veröffentlichten Kohortenstudien in Branchen mit PAK-Einwirkung zu dem Ergebnis, dass das Risiko für die Entwicklung eines Harnblasenkrebses weniger konsistent erhöht sei als das Risiko für die Entwicklung eines Bronchialkarzinoms. Das Risiko für Harnblasenkrebs sei mit Ausnahme der Beschäftigten in der Herstellung von Generatorgas in den meisten Branchen nur mäßiggradig erhöht. Eine Verzerrung könne nicht ausgeschlossen werden, weil die Rauchgewohnheiten in den meisten Kohorten unbekannt seien. Tabelle 3 zeigt das Ergebnis der Metaanalyse. In allen PAK-exponierten Kohorten mit Ausnahme der Verarbeitung von Bitumen zeigt sich ein erhöhtes relatives Risiko für die Entwicklung eines Harnblasenkarzinoms in der Metaanalyse, das zwischen 1,19 und 2,39 schwankt und in der Herstellung von Aluminium und Generatorgas sowie in Eisen- und Stahlgießereien signifikant erhöht ist.

Tabelle 3: Harnblasenkrebsrisiko in Kohorten mit PAK-Einwirkung nach Bosetti et al. (2007)

BrancheAnzahl
Kohorten
Anzahl
Fälle
Relatives
Risiko
95%-
Konfidenzintervall
Aluminiumherstellung81961,291,12-1,49
Generatorgasherstellung2122,391,36-4,21
Kokereien10k.A.1k.A. 1k.A. 1
Eisen- und Stahlgießereien7991,291,06-1,57
Steinkohlenteerraffinierung351,820,76-4,37
Dachdecker2161,570,96-2,56
Elektrographitherstellung4161,350,83-2.20
Bitumenverarbeitung im Straßenbau21091,020,85-1,23
1) Eine Metaanalyse wurde nicht durchgeführt.

In einem weiteren systematischen Review dieser Arbeitsgruppe wurden die bis zum Jahr 2014 veröffentlichten Kohortenstudien in Branchen mit PAK-Einwirkung beurteilt (Rota et al. 2014). Das Ergebnis der Metaanalyse ist Tabelle 4 zu entnehmen:

Tabelle 4: Harnblasenkrebsrisiko in PAK-exponierten Kohorten nach dem systematischen Review von Rota et al. (2014)

BrancheAnzahl
Kohorten
Anzahl
Fälle
Relatives
Risiko
95%-
Konfidenzintervall
Aluminiumherstellung102791,280,98-1,68
Eisen- und Stahlgießereien91511,381,00-1,91
Bitumenverarbeitung im Straßenbau21091,030,82-1,30
Rußherstellung3151,100,61-2,00

Insgesamt bestätigte sich das leichtgradig erhöhte Harnblasenkrebsrisiko von Beschäftigten im Bereich der Aluminiumherstellung sowie in Eisen- und Stahlgießereien. Dagegen fand sich kein wesentlich erhöhtes Harnblasenkrebsrisiko im Bereich der Bitumenverarbeitung im Straßenbau sowie in der Rußherstellung. Insgesamt vertreten die Autoren die Auffassung, dass ihr systematisches Review die Einstufung der IARC (2012) bestätigt, dass in der Aluminiumherstellung ein erhöhtes Krebsrisiko für Lungen- und Harnblasenkrebs bestehe. Ferner vertraten die Autoren die Auffassung, dass das erhöhte Harnblasenkrebsrisiko in Eisen- und Stahlgießereien nicht auf PAK allein zurückgeführt werden könne, weil in dieser Branche eine Mischexposition mit verschiedenen krebserzeugenden Stoffen, darunter verschiedenen Schwermetallen, Quarzstaub und Asbest vorkomme. In Bezug auf die Bitumen-Verarbeitung im Straßenbau sowie die Herstellung von Ruß seien die Daten in Bezug auf ein erhöhtes Harnblasenkrebsrisiko unzureichend.

In der Studie wird keine systematische Betrachtung der Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der beruflichen PAK-Einwirkung und dem Harnblasenkrebsrisiko durchgeführt.

Die IARC hat den Zusammenhang zwischen Einwirkungen in der Aluminiumherstellung und der Verursachung von Erkrankungen an Harnblasenkarzinom als ursächlich eingestuft (IARC 2012).

2.3.2 Dosis-Wirkungs-Beziehung

2.3.2.1 Fall-Kontroll-Studien

Kogevinas et al. (2003) legten die Ergebnisse einer gemeinsamen Auswertung von elf Fall-Kontroll-Studien in sechs europäischen Ländern, darunter drei Studien aus Deutschland, vor, die 3.346 Fälle und 6.840 Kontrollen umfasste. Mit einer finnischen Berufs-Expositions-Matrix wurde der Zusammenhang zwischen einer beruflichen PAK-Einwirkung und dem Harnblasenkrebsrisiko untersucht. Bei Beschäftigten mit einer hohen PAK-Einwirkung fand sich ein signifikant um den Faktor 1,27 (95 %-Konfidenzintervall 1,04- 1,54) erhöhtes Harnblasenkrebsrisiko.

Pesch et al. (2013) berichteten über die Ergebnisse einer multizentrischen Fall-Kontroll-Studie bei 879 Fällen mit Harnblasenkrebs und 966 Kontrollen ohne Harnblasenkrebs, die in eine multizentrische Kohortenstudie bei 521.000 Probanden der EPIC-Kohorte eingebettet wurde. Bei Fällen und Kontrollen wurde eine lebenslange Arbeitsanamnese für den ausgeübten Beruf durchgeführt und von drei Experten anhand einer Berufs-Expositions-Matrix die Wahrscheinlichkeit und Höhe der beruflichen PAK-Einwirkung eingeschätzt. Ferner lagen von den Fällen und Kontrollen Informationen über die Rauchgewohnheiten vor, für die adjustiert wurde. Bei Beschäftigten mit einer niedrigen PAK-Exposition lag das relative Risiko für Harnblasenkrebs bei 1,24 (95%-Konfidenzintervall 0,94-1,63) und bei mittelgradiger Exposition bei 1,09 (95 % -Konfidenzintervall 0,77-1,54). Bei Beschäftigten mit einer hohen PAK-Einwirkung nach der Experteneinstufung fand sich ein signifikant um den Faktor 1,50 (95 % -Konfidenzintervall 1,09-2,05) erhöhtes Harnblasenkrebsrisiko, das für Geschlecht, Alter, Region und Rauchgewohnheiten adjustiert wurde. Bei Beschäftigten mit einer hohen Einwirkung durch aromatische Amine lag das relative Risiko bei 1,37 (95 % -Konfidenzintervall 1,02-1,84).

2.3.2.2 Kohortenstudien

In vier Kohortenstudien wurde unabhängig voneinander der Zusammenhang zwischen der kumulativen PAK-Dosis und dem Harnblasenkrebsrisiko untersucht.

Romundstad et al. (2000) legten die Ergebnisse einer Kohortenstudie bei 11.103 Beschäftigten in sechs Aluminiumherstellenden Betrieben in Norwegen vor. In den Betrieben wurde sowohl nach dem Söderberg-Verfahren produziert, bei dem große Mengen von PAK freigesetzt werden, als auch mit Graphitelektroden mit geringerer PAK-Freisetzung gearbeitet. In Abhängigkeit von der Gesamtdosis partikulärer PAK fand sich eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung in Bezug auf das relative Harnblasenkrebsrisiko, das in der höchsten Dosisklasse grenzwertig signifikant um den Faktor 1,6 erhöht war. Bei einem mindestens 30-jährigen Zeitraum vor der Tumordiagnose, innerhalb dessen die PAK-Dosis unberücksichtigt blieb, war das Harnblasenkrebsrisiko signifikant um den Faktor 2,0 erhöht (Tabelle 5).

Tabelle 5: Zusammenhang zwischen der kumulativen PAK-Dosis und dem Harnblasenkrebsrisiko in der norwegischen Aluminiumindustrie (nach Romundstad et al. (2000)

Gesamtdosis partikulärer PAK
[(Mikrogramm/m3) x Jahre ]
Anzahl der FälleRelatives Risiko 1
Lag time 20 Jahre
0[(µg /m3) x Jahre]381,0
0,1-499[(µg /m3) x Jahre]221,3 (0,7-2,1)
500-1.999[(µg /m3) x Jahre]291,3 (0,8-2,1)
> 2.000[(µg /m3) x Jahre]411,6 (1,0-2,4)
Trend-Test: p = 0,08
Lag time 2 20 Jahre
0[(µg /m3) x Jahre]521,0
0,1-499[(µg /m3) x Jahre]201,3 (0,8-2,1)
500-1.999[(µg /m3) x Jahre]271,3 (0,8-1,9)
> 2.000[(µg /m3) x Jahre]311,8 (1,1-2,8)
Trend-Test: p = 0,04
Lag time 2 30 Jahre
0[(µg /m3) x Jahre]751,0
0,1-499[(µg /m3) x Jahre]151,0 (0,7-1,9)
500-1.999[(µg /m3) x Jahre]221,3 (0,8-2,0)
> 2.000[(µg /m3) x Jahre]182,0 (1,1-3,4)
Trend-Test: p = 0,003
1) In Klammern: 95%-Konfidenzintervall

2) Zeitraum vor der Tumordiagnose, innerhalb dessen die PAK-Dosis unberücksichtigt blieb

Spinelli et al. (2006) beschrieben die Harnblasenkrebs-Inzidenz bei 6.400 Beschäftigten eines Aluminiumherstellenden Betriebes in Kanada, in dem das Söderberg-Verfahren angewendet wurde. Zwischen der kumulativen BaP-Dosis und der Harnblasenkrebs-Inzidenz fand sich nach Adjustierung für Rauchen eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung mit einer signifikant um den Faktor 2,12 erhöhten Harnblasenkrebs-Inzidenz in der höchsten Dosisklasse mit mehr als 80 BaPjahren (p < 0,001, siehe Tabelle 6).

Tabelle 6: Zusammenhang zwischen der kumulativen BaP-Dosis bei Beschäftigten in der kanadischen Aluminium-Herstellung und der Harnblasenkrebs-Inzidenz (nach Spinelli et al (2006)

BaP-Dosis [(Mikrogramm BaP/m3) x Jahre ]Anzahl der Fällestandardisierte Inzidenz-Ratio 1, 2
0-0,5171,0
0,5-20200,82 (0,43-1,58)
20-40131,14 (0,55-2,36)
40-80181,62 (0,83-3,17)
> 80222,12 (1,11-4,06)
1) Adjustiert für Kalenderzeit, Alter und Raucherstatus

2) In Klammern: 95 %-Konfidenzintervall

Hogstedt et al. (2013) untersuchten die Krebsindidenz in einer Kohorte von 6.320 schwedischen Schornsteinfegern. Zwischen der Dauer der Tätigkeit als Schornsteinfeger und dem relativen Risiko für die Entwicklung eines Harnblasenkarzinoms fand sich eine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung mit einem grenzwertig signifikanten Trend (p = 0,055, Tabelle 7). Bei Beschäftigten mit mehr als 30-jähriger Expositionsdauer war das Harnblasenkrebsrisiko um den Faktor 2,26 signifikant erhöht.

Tabelle 7: Zusammenhang zwischen der Dauer der Tätigkeit als Schornsteinfeger und der Harnblasenkrebsinzidenz nach Hogstedt et al. (2013)

Dauer der TätigkeitAnzahl
der Fälle
Standardisierte
Inzidenzratio
95 %-Konfidenz-
Intervall
0-9 Jahre141,240,68-2,09
10-19 Jahre131,640,87-2,80
20-29 Jahre132,021,07-2,80
> 30 Jahre302,261,52-3,22

Die Studie leidet darunter, dass keine individuellen Daten über die Rauchgewohnheiten der Kohortenmitglieder vorliegen. Eine Befragung von 1.040 Schornsteinfegern in Schweden im Jahr 1972 ergab jedoch, dass die Raucherprävalenz um 25 % höher lag als in der altersvergleichbaren Wohnbevölkerung. Die Autoren vertreten die Auffassung, dass in Anlehnung an Axelson (1978) das stark erhöhte Harnblasenkrebsrisiko der Schornsteinfeger nicht auf diese moderate Erhöhung der Raucherprävalenz zurückgeführt werden könne.

Gibbs et al. (2014) berichteten über den Zusammenhang zwischen der kumulativen BaP-Dosis bei ca. 17.000 Beschäftigten eines anderen Aluminiumherstellenden Betriebes in Kanada mit dem Söderberg-Verfahren und der Harnblasenkrebsinzidenz. Auch in diesem Betrieb fand sich zwischen der kumulativen BaP-Dosis und der Harnblasenkarzinominzidenz ein positiver Trend (p < 0,001) mit einer signifikant um den Faktor 2,78 erhöhten standardisierten Inzidenz-Ratio bei Beschäftigten mit einer kumulativen BaP-Dosis von mindestens 80 BaP-Jahren (Tabelle 8). Diese Ergebnisse sind nicht für den Tabakkonsum der Kohortenmitglieder adjustiert. Folgende Überlegung spricht dagegen, dass der Tabakkonsum dieser Kohorte im Vergleich zur Wohnbevölkerung erhöht ist:

In einer Vorläuferveröffentlichung dieser Kohortenstudie fand sich nach Adjustierung für die Anzahl der pro Tag gerauchten Zigaretten keine wesentliche Änderung der Mortalität für Harnblasenkrebs im Vergleich zu den unadjustierten Daten (Gibbs et al. 2007).

Tabelle 8: Zusammenhang zwischen der kumulativen BaP-Dosis und der Harnblasenkrebs-Inzidenz bei Beschäftigten in der kanadischen Aluminiumherstellung (nach Gibbs et al. 2014)

BaP-Dosis [(Mikrogramm BaP/m3) x Jahre]Anzahl der Fällestandardisierte
Inzidenz-Ratio
0130,63
> 0-20830,99
> 20-40120,94
> 40-80241,70 1
> 80-160492,78 2
> 160-3201035,02 2
1) p < 0,05

2) p < 0,01

3. Krankheitsbild

Das Hauptsymptom ist die asymptomatische Mikro- oder Makrohämaturie. Die Diagnose erfolgt in der Regel im Rahmen einer Zystoskopie nach histologischer Untersuchung von entnommenem Tumorgewebe (Scholz et al. 2010).

4. Konkurrierende Faktoren

Als konkurrierender Faktor für die Entwicklung von bösartigen Tumoren der Harnwege ist insbesondere Aktivrauchen von Tabakprodukten anzusehen (IARC 2012).

5. Besondere Personengruppe

Als besondere Personengruppe im Sinne des § 9 Absatz 1 SGB VII gelten Beschäftigte, die einer beruflichen Einwirkung mit einer kumulativen Dosis in Höhe von mindestens 80 [(µg BaP/m3) x Jahre ] ausgesetzt waren. Bei dieser Dosis war nach den Studien von Spinelli et al. (2006) sowie Gibbs et al. (2014) das relative Risiko für die Entwicklung eines Harnblasenkarzinoms um mehr als das Zweifache erhöht. Dagegen wurde die Dosis-Wirkungs-Beziehung in der Studie von Romundstad et al. (2000) nicht für die Benennung der besonderen Personengruppe verwertet, weil in dieser Studie nur die Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Gesamtdosis partikulärer PAK und dem Harnblasenkrebsrisiko angegeben und die kumulative BaP-Dosis nicht berechnet wurde.

6. Kriterien für die Berufskrankheiten-Anzeige

Sofern folgende Kriterien erfüllt sind, ist eine Berufskrankheitenanzeige zu stellen:

  1. Berufliche Einwirkung mit PAK (siehe Kapitel 1).
  2. Nachweis von Schleimhautveränderungen, Krebs oder anderen Neubildungen der Harnwege.

7. Literatur

Axelson O: Aspects on confounding in occupational health epidemiology. Scand J Work Environ Health 4 (1978) 98- 102.

Bolm-Audorff U: Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, In: Konietzko, J; Dupius, H. (Herausgeber): Handbuch der Arbeitsmedizin Landsberg, Ecomed-Verlag, (Erg.1fg. 1998), 1-31.

Bosetti C, Boffetta P, La Vecchia C: Occupational exposures to polycyclic aromatic hydrocarbons, and respiratory and urinary tract cancers: a quantitative review to 2005. Annals of Oncology 18 (2007) 431-446.

Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA): Bekanntmachung einer Empfehlung des ärztlichen Sachverständigenbeirats, Sektion Berufskrankheiten: "Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren [(Mikrogramm/m3) x Jahre]", Bekanntmachung des BMA vom 05.02.1998, Bundesarbeitsblatt Nr. 4/1998, 54-61.

Campo L, Addario L, Buratti M, Scibetta L, Longhi O, Valla C, Cirla PE, Martinotti I, Foà V, Fustinoni S.: Biological monitoring of exposure to polycyclic aromatic hydrocarbons by determination of unmetabolized compounds in urine. Toxicol Lett 10 (2006) 132-138.

Campo L, Mercadante R, Rossella F, Fustinoni S.: Quantification of 13 priority polycyclic aromatic hydrocarbons in human urine by headspace solidphase microextraction gas chromatography-isotope dilution mass spectrometry. Anal Chim Acta 631 (2009) 196-205.

Campo L, Rossella F, Pavanello S, Mielzynska E, Kapka L, Bertazzi PA, Fustinoni S.: Urinary profiles to assess polycyclic aromatic hydrocarbons exposure in cokeoven workers. Toxicol Lett 15 (2010) 72-78.

Campo L, Fustinoni S, Bertazzi P.: Quantification of carcinogenic 4- to 6-ring polycyclic aromatic hydrocarbons in human urine by solid-phase microextraction gas chromatographyisotope dilution mass spectrometry. Anal Bioanal Chem 401 (2011) 625-634.

Campo L, Fustioni S, Consonni D, Pavanello S, Kapka L, Siwinska E, Mielzynska D, Bertazzi P: Urinary carcinogenic 4-6 ring polyxcyclic aromatic hydrocarbons in coke oven workers and in subjects belonging to the general population: role of occupational and environmental exposure. Int J Hyg Environ Health 217 (2014) 231-238.

Clayson DB, Pringle JAS, Bonser G, Wood M (1968) The technique of bladder implantation: further results and an assessment. Br J Cancer 22: 825-832.

Deutsche Forschungsgemeinschaft (2008) Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAH), gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe, toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründungen von MAK-Werten (maximale Arbeitsplatzkonzentration), Wiley-VCH Verlag, Loseblattsammlung, 45. Lieferung, Seite 1-209.

Deutsche Forschungsgemeinschaft (2015) MAK- und BAT-Werte-Liste 2015, Wiley-VCH Verlag.

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: BaP-jahre, BK-Report 2/2013, Berlin, 2013.

Fustinoni S, Campo L, Piero C, Martinotti I, Buratti M, Longhi O, Foà V, Bertazzi PA.: Dermal exposure to polycyclic aromatic hydrocarbons in asphalt workers. Occup Environ Med 67 (2010) 456-463.

Gibbs G.W, Armstrong B, Sevigny M, Mortality and cancer experience of Quebec aluminum reduction plant workers. Part 2: mortality of three cohorts hired on or before january 1, 1951. Occup Environ Med 49 (2007) 1105-1123.

Gibbs G W, Labréche F, Busque M A, Duguay P: Mortality and Cancer Incidence in Aluminum Smelter Workers, A 5-Year Update. Occup Environ Med 56 (2014) 739-764.

Haugen A, Becher G, Benestad C, Vahakangas K, Trivers G E, Newman M J, Harris C C: Determination of Polycyclic Aromatic Hydrocarbons in the Urine, Benzo(a)pyrene Diol Epoxide-DNA Adducts in Lymphocyte DNA, and antibodies to the Adducts in Sera from Coke Oven Workers Exposed to Measured Amounts of Polycyclic Aromatic Hydrocarbons in the Work Atmosphere. Cancer Res 46 (1986) 4178-4183.

Hogstedt C, Jansson C, Hugosson M, Tinnerberg H, Gustavsson P: Cancer Incidence in a Cohort of Swedish Chimney Sweeps, 1958-2006. Am J Publ Health 103 (2013) 1708- 1714.

International Agency for Research on Cancer (IARC): Polynuclear aromatic compounds, Part 3, Industrial exposures in aluminium production, coal gasification, coke production, and iron and steel founding. IARC monographs on the evaluation of carcinogenic risks to humans, Volume 34 (1984) 37-64.

International Agency for Research on Cancer (IARC): Some nonheterocyclic polycyclic aromatic hydrocarbons and some related exposures. IARC monographs on the evaluation of carcinogenic risks to humans, Volume 92 (2010).

International Agency for Research on Cancer (IARC): Personal Habits and Indoor Combustions, IARC Monographs on the evaluation of Carcinogenic Risks to humans, Volume 100E (2012a) 43-212.

International Agency for Research on Cancer (IARC): Chemical agents and related occupations. IARC monographs on the evaluation of carcinogenic risks to humans, Volume 100 F (2012b) 215-224.

Kogevinas M, Mannetje A, Cordier S, Ranft U, González CA, Vineis P, Chang-Claude J, Lynge E, Wahrendorf J, Tzonou A, Jöckel KH, Serra C, Porru S, Hours M, Greiser E, Boffetta P (2003). Occupation and bladder cancer among men in Western Europe. Cancer Causes and Control 14: 907-914.

Pesch B, Gawrych K, Rabstein S, Weiss T, Casjens S, Rihs H P, Ding H, Angerer J, Illig T, Klopp N, Buenode-Mesquita B, Ros M M, Kaaks R, Chang-Claude J, Roswall N, Tjonneland A, Overvad K, Clavel-Chapelon F, Boutron-Ruault M C, Dossus L, Boeing H, Weikert S, Trichopoulos D, Palli D, Sieri S, Tumino R, Panico S, Quiros J R, Gonzalez C, Sanchez M J, Dorronsoro M, Navarro C, Barricarte A, Ljungberg B, Johansson M, Ulmert D, Ehrnström R, Khaw K T, Wareham N, Key T J, Ferrari P, Romieu I, Riboli E, Brüning T, Vineis P.: N-acetyltransferase 2 Phenotype, Occupation, and Bladder Cancer Risk: Results vom the EPIC Cohort. Cancer Epidemiol Biomark Prev 22 (2013) 2055-2065.

Rossela F, Campo L, Pavanello S, Kapka L, Siwinska E, Fustinoni S.: Urinary polycyclic aromatic hydrocarbons and monohydroxy metabolites as biomarkers of exposure in coke oven workers. Occup Environ Med 66 (2009) 509-516.

Romundstad P, Andersen A, Haldorsen T: Cancer Incidence among workers in six Norwegian aluminium plants. Scand J Work Environ Health 26 (2000) 461-469.

Rota M, Bosetti C, Boccia S, Boffetta P, La Vecchia C: Occupational exposures to polycyclic aromatic hydrocarbons and respiratory and urinary tract cancers: an updated systematic review and a metaanalysis to 2014. Arch Toxicol 88(2014) 1479-1490.

Scholz M, Bucher A, De Santis M, Klimpfinger M: Leitlinie Blasenkarzinom. J Urol Urogynäkol 17 (2010) 22-30.

Sobus J R, Waidyanatha S, McClean M D, Herrick R F, Smith T J, Garshick E, Laden F, Hart J E, Zheng Y, Rappaprt S M.: Urinary naphthalene and phenanthrene as biomarkers of occupational exposure to polycyclic aromatic hydrocarbons. Occup Environ Med 66 (2009) 99-104.

Spinelli J J: Cancer risk in aluminum reduction plant workers (Canada). Cancer Causes Control 17 (2006) 939-948.

UWS Umweltmanagement GmbH

zurück zur Berufskrankheitenverordnung
ENDE

Frame öffnen