Für einen individuellen Ausdruck passen Sie bitte die Einstellungen in der Druckvorschau Ihres Browsers an. Regelwerk; BGI/GUV-I / DGUV-I |
DGUV Information 250-001 / BGI 585 - Berufliche Beurteilung bei Epilepsie und nach erstem epileptischen Anfall
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) Information
(Ausgabe 12/1999; 01/2007; 01/2015; 12/2019)
Diese Schrift, deren Vorversionen den Titel "Empfehlungen zur Beurteilung beruflicher Möglichkeiten von Personen mit Epilepsie" (1) (2) (3) (4) trugen, gibt Anhaltspunkte zur sachgerechten Beurteilung der beruflichen Möglichkeiten von Personen mit Epilepsie und von Personen nach einem ersten epileptischen Anfall, um deren Eingliederungschancen zu verbessern.
Dabei werden nur die Einschränkungen, die sich durch die Anfälle ergeben, berücksichtigt. Darüber hinausgehende Funktionsstörungen, z.B. psychische Beeinträchtigungen oder Lähmungen, bedürfen gesonderter Beurteilung, ggf. in einer Facheinrichtung für Epilepsie oder einer Rehabilitationseinrichtung.
Die Schrift gibt einerseits Hinweise zur Gefährdungsbeurteilung an konkreten Arbeitsplätzen unter Berücksichtigung des individuellen Krankheitsbildes, der Tätigkeit und des Arbeitsumfeldes (Abschnitt 2.2 Beurteilung einzelner Arbeitsplätze, Abschnitt 3. Beurteilung ausgewählter Tätigkeiten). Andererseits werden Hinweise für die Beurteilung der Berufseignung bei der Berufswahl gegeben (Abschnitt 4. Beurteilung ausgewählter Berufe). Die Empfehlungen zu einzelnen Berufen beziehen sich auf die Gesamtheit der Tätigkeiten in einem Beruf und machen keine Aussagen über konkrete Arbeitsplätze in diesem Beruf. Dies kann bedeuten, dass bei Berufen, die aufgrund der anfallsbedingten Risiken in dieser Schrift als in der Mehrzahl der Arbeitsplätze nicht möglich beurteilt werden, sich im Einzelfall dennoch ein leidensgerechter Arbeitsplatz finden kann. Dies ist besonders in Situationen, in denen eine Epilepsie erst nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung begonnen hat, zu berücksichtigen.
Die Empfehlungen dieser Schrift haben zunehmend Eingang in die Beratungspraxis bei Berufswahlentscheidungen von Menschen mit Epilepsie gefunden und sind auch Richtschnur bei der betrieblichen Eignungsbeurteilung. In einem Urteil aus dem Jahre 2006 hat das Bundessozialgericht zum Stellenwert der DGUV Information 250-001 (damalige Bezeichnung: BGI 585) entschieden: "Nur auf dieser Grundlage werden Feststellungen zur beruflichen Einsetzbarkeit eines Epilepsiekranken nachvollziehbar" (BSG Urteil 12.12.2006 Aktenzeichen: B 13 R 27/06 R).
Die bisherigen Ausgaben dieser Schrift haben sich an den Fahreignungsleitlinien bei der Festlegung akzeptabler beruflicher Risiken orientiert (1) (2) (3) (4). 2009 wurden die Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahreignung an die Richtlinie der Europäischen Kommission von 2009 (Richtlinie 2009/112/EG der Kommission vom 25. August 2009 über den Führerschein) angepasst (14). Danach gilt als wesentliche Voraussetzung für das Führen von Fahrzeugen der Gruppe 1 eine anfallsfreie Zeit von 1 Jahr. Die Empfehlungen in den Berufsgenossenschaftlichen Informationen von 2007 (BGI 585) waren noch von einer zweijährigen Anfallsfreiheit als wesentliche Voraussetzung für die Gruppe 1 ausgegangen (4). Insofern wurde eine Überarbeitung notwendig und in differenzierter Weise eine Anpassung an die neuen Regelungen vorgenommen.
Darüber hinaus sind in der betrieblichen Praxis erste epileptische Anfälle ein erhebliches Problem für alle Seiten. Das Risiko weiterer Anfälle ist, abhängig von der Ursache, sehr unterschiedlich. Es kann jedoch so gut abgeschätzt werden, dass differenzierte Regelungen für die Kraftfahrereignung möglich wurden. Die vorliegende Ausgabe enthält daher ein neues Kapitel zum Vorgehen nach einem ersten epileptischen Anfall (Abschnitt 5).
1 Arbeitsmedizinische Beurteilung der Epilepsien
1.1 Allgemeines
Bei der Beurteilung beruflicher Möglichkeiten von Personen mit Epilepsie wird davon ausgegangen, dass es verschiedene Formen von Epilepsie mit individuell unter schiedlichen Auswirkungen gibt und dass Epilepsien wirksam behandelt werden können (5). Fortschritte in Diagnostik und Therapie der verschiedenen Formen von Epilepsie und eine zunehmende Vielfalt von Berufen und Tätigkeiten innerhalb einzelner Berufsfelder machen heute in jedem Einzelfall eine differenzierte Abstimmung zwischen individuellen krankheitsbedingten Einschränkungen und beruflichen Möglichkeiten notwendig. Dabei müssen berücksichtigt werden:
1.2 Beurteilung des Gefährdungspotenzials der Anfälle
Anfälle sollten in ihrem Ablauf genau beschrieben werden, so dass eine individuelle Beurteilung der arbeitsmedizinischen Risiken möglich wird. Besonders zu beachten sind:
All diese Anfallsmerkmale sollten berücksichtigt werden, wenn es um die Beurteilung der Einsatzmöglichkeiten für den einzelnen Arbeitsplatz geht.
Für die Beurteilung der beruflichen Möglichkeiten (Berufsprognose) sollten fünf arbeitsmedizinisch relevante Gefährdungskategorien berücksichtigt werden (Abbildung 1, siehe Abschnitt 1.7).
Die 0-Kategorie mit arbeitsmedizinisch nicht relevanten Anfallssymptomen beinhaltet einfach fokale Anfälle mit die Fahrtauglichkeit nicht einschränkenden Anfallssymptomen (14).
Wissenschaftliche Studien (18, 20) und praktische Erfahrungen zeigen, dass in bestimmten Berufsbereichen Anfälle mit Verlust der Haltungskontrolle (Kategorie C) und Anfälle mit unangemessenen Handlungen bei Bewusstseinsstörungen (Kategorie D) aus arbeitsmedizinischer Sicht "gefährdender" anzusehen sind als Anfälle mit Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit bei erhaltenem Bewusstsein oder Anfälle mit Handlungsunterbrechung bei Bewusstseinsstörung (Kategorie A und B). Die Unterteilung der Anfallssymptome in die Kategorien A bis D drückt deshalb den Gefährdungsgrad unter arbeitsmedizinischen Gesichtspunkten, zunehmend von A nach D aus.
Tabelle 1: Gefährdungskategorien (zum praktischen Vorgehen siehe Abbildung 2 und Abschnitt 1.7)
"O" | erhaltenes Bewusstsein, erhaltene Haltungskontrolle und Handlungsfähigkeit Kommentar: Anfälle ausschließlich mit Befindlichkeitsstörungen ohne arbeitsmedizinisch relevante Symptome und ohne Übergang in Anfälle der Kategorien A, B, C oder D; möglicherweise wird eine Handlung bewusst unterbrochen bis zum Ende der subjektiven Symptome |
"A" | Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit bei erhaltenem Bewusstsein mit Haltungskontrolle Kommentar: Anfälle mit Zucken, Versteifen oder Erschlaffen einzelner Muskelgruppen |
"B" | Handlungsunterbrechung bei Bewusstseinsstörung mit Haltungskontrolle Kommentar: plötzliches Innehalten, allenfalls Minimalbewegungen ohne Handlungscharakter |
"C" | Handlungsunfähigkeit mit/ohne Bewusstseinsstörung bei Verlust der Haltungskontrolle Kommentar: plötzlicher Sturz ohne Schutzreflex, langsames Insich-Zusammensinken, Taumeln und Sturz mit Abstützen |
"D" | unangemessene Handlungen bei Bewusstseinsstörung mit/ohne Haltungskontrolle Kommentar: unkontrollierte komplexe Handlungen oder Bewegungen, meist ohne Situationsbezug |
Abb. 1 Einordnung in Gefährdungskategorien (Entscheidungsbaum von links nach rechts)
Sollten mehrere Anfallstypen gleichzeitig vorliegen, so ist derjenige mit dem höheren Gefährdungspotenzial maßgebend.
Die Beschreibung der Anfälle sollte immer durch einen Facharzt oder Fachärztin für Neurologie, einen Nervenarzt bzw. Nervenärztin oder Arzt bzw. Ärztin der Neuropädiatrie erfolgen, um so eine Einstufung in die zutreffende Gefährdungskategorie zu ermöglichen.
1.3 Häufigkeit der Anfälle
Neben den Anfallssymptomen ist ihre Häufigkeit ein wesentliches Merkmal der Schwere einer Epilepsie.
Die Anfallshäufigkeit wurde in 4 Stufen unterteilt:
Langfristige Anfallsfreiheit:
|
Mittelfristige Anfallsfreiheit:
|
Anfälle < 2/Jahr |
Anfälle > 3/Jahr |
Als Regelfall für mittelfristige Anfallsfreiheit gilt eine mindestens 1-jährige Anfallsfreiheit nach epilepsiechirurgischem Eingriff oder mit antiepileptischer Pharmakotherapie. In ausgewählten Einzelfällen kann bei prognostisch günstiger Konstellation auf eine Pharmakotherapie verzichtet werden. In diesem Fall ist eine regelmäßige Betreuung durch einen in der Epilepsiebehandlung erfahrenen Arzt oder Ärztin der Neurologie, Nervenheilkunde oder der Neuropädiatrie erforderlich.
In besonderen Fällen kann mittelfristige Anfallsfreiheit als Voraussetzung zur uneingeschränkten Ausübung eines Berufes erst nach 2-jähriger Anfallsfreiheit angenommen werden.
Die genannten anfallsfreien Fristen gelten auch für Betroffene, bei denen nach Erreichen von Anfallsfreiheit die Medikation erfolgreich, d. h. ohne Wiederauftreten der Anfälle abgesetzt wurde.
Die Häufigkeit der Anfälle kann aus der Dokumentation des Betroffenen (z.B. Anfallskalender) oder den Angaben des behandelnden Arztes oder der behandelnden Ärztin bestimmt werden.
1.4 Behandlungsstand und Prognose
Die Prognose einer Epilepsie hängt ab von der Art der Epilepsie und der Anfälle, dem Ausschöpfen der nach den Standards der modernen Epilepsiebehandlung eingesetzten therapeutischen Möglichkeiten (12) (siehe auch www.dgn.org) und der Mitarbeit des Patienten, insbesondere der zuverlässigen Medikamenteneinnahme. Technische Befunde (z.B. Elektroenzephalogramm (EEG), Magnetresonanz-Tomographie (MRT) oder Serumspiegel der antiepileptischen Medikation) können das Behandlungsergebnis nicht verlässlich prognostizieren, einziger Parameter einer erfolgreichen Therapie ist das Ausbleiben der Anfälle. Die Prognose sollte von in Epilepsiebehandlung erfahrenen Ärztinnen und Ärzten der Neurologie, Nervenheilkunde oder Neuropädiatrie gestellt werden. Im Einzelfall kann es angezeigt sein, einen Arzt bzw. Ärztin einer Schwerpunktpraxis für Epilepsie oder einer Anfallsambulanz beratend hinzuzuziehen (Adressen über http://www.dgfe.info).
Für die arbeitsmedizinische Beurteilung sollte der Behandlungsstand stabil sein. Es sollten keine tätigkeitsrelevanten Auswirkungen der Antiepileptika auf die Aufmerksamkeit und die Reaktionsfähigkeit vorliegen.
1.5 Anfallsauslöser und anfallsbegünstigende Umstände - Nacht- und Schichtarbeit
Bestimmte Berufe (z.B. ärztliche, pflegerische, sozialpädagogische) und viele andere Tätigkeiten erfordern Schichtarbeit mit Nachtarbeit oder nächtlicher Rufbereitschaft.
Verschiebungen des Schlaf-Wach-Rhythmus können Anfälle begünstigen, insbesondere Schlafentzug. Es gibt kein Untersuchungsverfahren, mit dem eine entsprechende Disposition festzustellen ist. Für den beruflichen Einsatz im Schichtbetrieb ergeben sich folgende
Konsequenzen:
1.6 Alleinarbeit - Hilfeleistung bei Anfällen
Grundsätzlich - also unabhängig vom Bestehen einer Epilepsie - sollten gefährliche Arbeiten nur bei besonderen betrieblichen Umständen von einer Person alleine ausgeführt werden (10); siehe auch Abschnitt 2.1).
Bei epilepsiekranken Mitarbeitern, die mittelfristige Anfallsfreiheit (siehe oben Abschnitt 1.3) noch nicht erreicht haben und alleine arbeiten, muss geprüft werden, ob anfallsbezogene Hilfeleistungen, sollte es während der Arbeitszeit zu einem Anfall kommen, erforderlich sind. Notwendigkeit und Art der Hilfeleistungen, z.B. Installation eines Sturzmelders, orientieren sich an der Gefährdungskategorie der Anfälle und an den Gegebenheiten des Arbeitsplatzes.
1.7 Praktisches Vorgehen
Für die Einordnung in die Gefährdungskategorien 0, A, B, C oder D ist eine Beschreibung der Anfälle erforderlich, nach der folgende Fragen beantwortet werden können:
Die alleinige Klassifizierung der Anfälle mit medizinischen Kategorien wie Absence, psychomotorischer Anfall etc. ist nicht ausreichend zur Beantwortung dieser Fragen. Entscheidend ist die Beschreibung in den arbeitsmedizinisch relevanten Gefährdungskategorien.
Tabelle 2: Medizinische Bezeichnungen, Anfallsbeschreibungen und die zugehörigen Gefährdungskategorien bei den häufigsten Anfallstypen
Anfalls-Klassifikation | Bewusstseinslage | Haltungskontrolle | Motorik | Gefährdungskategorie | Anfallsbeschreibung |
Myoklonische Anfälle | nicht gestört | meist erhalten | gestört |
A | plötzliche ein- oder mehrmalige heftige Zuckung, meist im Schulter-Arm-Bereich |
nicht gestört | selten Sturz | gestört |
C | bei Beteiligung der Beine oft Sturz | |
Einfachfokale Anfälle 1)
| nicht gestört | z. T. erhalten z. T. Sturz | gestört gestört |
A | plötzliche Verkrampfung oder Zuckungen einzelner Muskelgruppen oder Körperteile, oder Bewegungen ohne Handlungscharakter |
nicht gestört | erhalten | nicht gestört |
O | äußerlich nicht sichtbare Empfindung, wie Kribbeln, Wahrnehmungsänderungen, Gefühlsänderungen | |
Absencen | gestört | meist erhalten | gestört, meist Bewegungslosigkeit |
B | plötzliche sekundenlange Bewusstseinspause, nur mit Innehalten |
gestört | meist erhalten | selten unangemessene Handlungen |
D | z. T. mit automatischer Fortführung der Tätigkeit; bei längerer Dauer auch neu auftretende automatische Bewegungen | |
Generalisierter tonischklonischer Anfall
("Grand mal", "bilateralkonvulsiver Anfall") | gestört | Sturz | gestört |
C | z. T. Vorgefühle (Aura) verschiedener Dauer und Ausprägung; Bewusstlosigkeit, Sturz, Verkrampfung (tonische Phase), dann Zuckungen (klonische Phase), z. T. Zungenbiss, Blauwerden, Einnässen, Speichelfluss; unterschiedlich lange Erholungszeit, z. T. Nachschlaf |
gestört | Sturz | z. T. unangemessene Handlungen |
D | nicht selten bei oder nach Anfallsende Verwirrtheitszustände mit unangemessenen Handlungen | |
Komplex fokale Anfälle 2) ("dyskognitive Anfälle") | gestört | meist erhalten | gestört, z. T. Bewegungslosigkeit |
B | z. T. mit Vorgefühlen (Aura) verschiedener Dauer und Ausprägung beginnend, eingeschränktes bis aufgehobenes Bewusstsein, Unterbrechung der Tätigkeit, zum Teil ohne weitere Symptome |
gestört | meist erhalten | meist unangemessene Handlungen |
D | z. T. mit Vorgefühlen (Aura) verschiedener Dauer und Ausprägung beginnend, oft automatische Bewegungen, unangemessene Handlungen unterschiedlicher Ausprägung, z. T. auch mit Umherlaufen | |
gestört | Zu-Boden- Gehen oder Sturz | keine unangemessenen Handlungen |
C | z. T. mit Vorgefühlen (Aura) verschiedener Dauer und Ausprägung beginnend, (seltener) Sturz z.B., wenn initiale tonische Muskelverkrampfung ("C" nur wenn keine unangemessenen Handlungen) |
1) Fokale Anfälle ohne Einschränkung des Bewusstseins
2) Fokale Anfälle mit Einschränkung des Bewusstseins oder der Aufmerksamkeit (7, 8)
Das Vorgehen bei der Einordnung in Gefährdungskategorien ist Abbildungen 1 und Tabelle 1 zu entnehmen. Tabelle 1 zeigt, welche Fragen dem Betroffenen und den Zeugen seiner Anfälle gestellt werden müssen, um zu einer raschen und eindeutigen Einordnung in die zutreffende Gefährdungskategorie zu gelangen. Abbildung 1 hilft beim Vorliegen von Anfallsbeschreibungen, die zutreffende Gefährdungskategorie zu bestimmen. Besondere Sorgfalt ist bei der Zuordnung von komplexfokalen Anfällen zu den einzelnen Gefährdungskategorien geboten, da sie Kategorie D, aber auch B oder C entsprechen können (siehe Tabelle 2). Im Anschluss an das eigentliche Anfallsgeschehen kann es bei generalisierten tonischklonischen Anfällen (Grand mal-Anfällen) manchmal zu Verwirrtheitszuständen mit unangemessenen Handlungen kommen, die dann der Kategorie D zuzuordnen sind.
Die anhand von Tabelle 1 oder Abbildung 1 gefundene Gefährdungskategorie muss mit der aktuellen Anfallshäufigkeit (Angaben des Betroffenen, nach Möglichkeit durch Anfallskalender oder Fremdbeobachtung belegt) kombiniert werden. Hieraus ergibt sich die Schwere der Epilepsie unter arbeitsmedizinischen Gesichts punkten (siehe Abbildungen zur Beurteilung ausgewählter Tätigkeiten bzw. ausgewählter Berufe).
2 Beurteilung beruflicher Risiken bei Epilepsie
2.1 Gefährdungsbeurteilung
Kriterien für die Abstufung der Gefährdung sind vor allem Eigengefährdung, Fremdgefährdung und ökonomisches Risiko. Bei der Beurteilung einer beruflichen Tätigkeit ist zu berücksichtigen, dass innerhalb eines Berufes die Risiken bei den einzelnen Tätigkeiten unterschiedlich sein können. Diese Tatsache verlangt neben der betriebsärztlichen Beurteilung die Mitwirkung einer für das spezielle Berufsbild sachkundigen Person (z.B. Fachkraft für Arbeitssicherheit).
Beispiele für Eigengefährdung sind: Physikalische Einwirkungen (z.B. elektrischer Strom, Hitze), chemische (Gefahrstoffe) und biologische Einwirkungen (z.B. infektiöse Stoffe), Gefährdung durch Arbeitsablauf/-mittel (z.B. ungeschützte bewegte Maschinenteile, Absturzmöglichkeit, Arbeit in engen Räumen, Alleinarbeit). Auf den Einzelfall bezogen sollte geprüft werden, ob durch geeignete technische Vorrichtungen und Hilfen die Unfallgefährdung an einem bestimmten Arbeitsplatz so reduziert werden kann, dass er für eine Person mit Epilepsie geeignet ist.
Fremdgefährdung ist gegeben z.B. bei anfallsbedingter Unterbrechung der Aufsicht Minderjähriger bzw. geistig oder körperlich behinderter Menschen im Bereich sozialpflegerischer oder pädagogischer Berufe. In welchem Ausmaß eine Aufsicht erforderlich ist, hängt von dem Grad der körperlichen oder geistigen Einschränkungen sowie vom Grad der Gefährdung in der jeweiligen Situation ab.
Zur Reduzierung des Risikos der Eigen- bzw. Fremdgefährdung, sollte nach dem S-T-O-P-Prinzip (Grundlage Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), Gefahrstoffverordnung (GefStoffV), Biostoffverordnung (BioStoffV)) vorgegangen werden:
S Substitution, z.B. weniger giftige Gefahrstoffe verwenden
T Technische Schutzmaßnahmen zur Verringerung der Gefährdung auswählen u. anwenden
O Organisatorische Schutzmaßnahmen, z.B. Arbeiten zu zweit
P Persönliche Schutzmaßnahmen, z.B. Gehör-, Anseilschutz, schnittfeste Kleidung
Beispiele für ökonomische Risiken sind Fehlprogrammierungen, falsche oder unterlassene Reaktionen bei der Arbeit in Prozessleitsystemen.
Im Rahmen von Einstellungs-/Eignungsuntersuchungen und der Wiedereingliederung sollte die Einsatzfähigkeit von Personen mit Epilepsie in der Regel vom Betriebsarzt bzw. der Betriebsärztin in Zusammenarbeit mit dem Facharzt oder der Fachärztin für Neurologie/Nervenarzt/ Neuropädiatrie beurteilt werden.
2.2 Beurteilung einzelner Arbeitsplätze
Soweit es um die arbeitsmedizinische Beurteilung einer anfallskranken Person in Bezug auf einen konkreten Arbeitsplatz geht, sollte zunächst das Gefährdungspotenzial bzw. die Gefährdungskategorie der Anfälle entsprechend den in dieser Schrift gegebenen Hinweisen ermittelt werden (Abbildung 1) und dann in Kenntnis des Arbeitsplatzes geprüft werden, ob und ggf. welche gesundheitlichen Bedenken und welche Möglichkeiten bestehen. Zur sachgerechten Beurteilung ist in der Regel die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt, ggf. auch die Aufsichtsperson des Unfallversicherungsträgers, die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Sicherheitsbeauftragte des Betriebes hinzuzuziehen. Diese unterstützen den Unternehmer bei der erforderlichen Erstellung der Gefährdungsbeurteilung unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes, der Tätigkeit und des Arbeitsumfeldes.
Hilfreich zur Reduzierung von Gefährdungen können u. a. die folgenden Maßnahmen sein:
2.3 Beurteilung der Berufseignung
Es ist zwischen der Berufswahl vor der Erstausbildung und der Situation, in der eine Epilepsie erst nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung zu einem Wechsel der Tätigkeit zwingt, zu unterscheiden.
Bei einer Erstausbildung ist darauf zu achten, dass im angestrebten Beruf möglichst viele Tätigkeitsfelder offen stehen. Frühzeitig sollte deshalb eine Rehaberatung eingeschaltet werden, die den Betroffenen über mögliche Berufsalternativen berät und ggf. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben veranlassen kann.
Eine Ausbildung sollte nicht an Arbeiten mit erhöhter Unfallgefährdung scheitern, die aufgrund der Ausbildungsordnung für das Berufsbild nur während der Ausbildung ausgeführt werden müssen, für das Ausbildungsziel aber nicht wesentlich sind und bei der späteren Berufstätigkeit nicht mehr zwingend gefordert werden, beispielsweise Arbeiten an einer Drehmaschine in der Ausbildung "Technischen Systemplaner Stahl- und Metallbautechnik" oder der Nachtdienst in der Ausbildung zum pflegerischen Beruf. Die gesetzlichen Bestimmungen erlauben in vielen Fällen, mit der für die Prüfung zuständigen Stelle zu vereinbaren, dass sie auch dann als er folg reich abgeschlossen gilt, wenn die Person mit Behinderung diese Ausbildungsabschnitte nicht als Ausführender durchlaufen hat.
Bei Personen, die nach einer Berufsausbildung - evtl. auch erst im fortgeschrittenen Lebensalter - zu einem Tätigkeitswechsel gezwungen sind, sollte in erster Linie geprüft werden, ob - z.B. im Rahmen einer betrieblichen Umsetzung - die Möglichkeit besteht, weiterhin eine Tätigkeit auszuüben, bei der vor bestehende berufliche Kenntnisse und Erfahrungen verwertet werden können und die den behinderungsbedingten Einschränkungen Rechnung trägt. Die sich dabei ergebenden Fragen sollten zwischen betroffener Person, Betriebsarzt oder Betriebsärztin, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Arbeitgeber, Betriebsrat bzw. Personalrat und ggf. Schwerbehinderten-Vertrauensperson geklärt werden. Erst wenn sich herausstellt, dass dieser Weg nicht möglich ist, sollten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erwogen werden. Eine fundierte Empfehlung für einen bestimmten Beruf wird oft nur möglich sein, wenn sie sich auf eine differenzierte, individuelle sozialmedizinische Beurteilung stützen kann, verbunden mit einer eingehenden psychologischen Untersuchung und einer praktischen Arbeitserprobung oder einem Praktikum, durch die verlässliche Anhaltspunkte für die späteren beruflichen Einsatzmöglichkeiten gewonnen werden können. Ggf. sollte dies im Rahmen einer medizinischen Rehabilitationsbehandlung geklärt werden.
2.4 Haftungsfragen
Ein epileptischer Anfall während der Arbeitszeit stellt im Allgemeinen keinen Arbeitsunfall dar. Seine Folgen sind nicht zu entschädigen, da es sich hierbei um einen so genannten "Unfall aus innerer Ursache" handelt. Nur wenn betriebliche Umstände wesentlich zur Entstehung oder zur Schwere des Unfalles beigetragen haben, liegt ein Arbeitsunfall vor (z.B. Sturz infolge epileptischen Anfalls in eine besonders gefährdende Maschine).
Ein Regress des Unfallversicherungsträgers gegen Unternehmer oder Arbeitskollegen ist nur dann möglich, wenn sie den Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben (vgl. § 110 SGB VII).
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Gegebenheiten besteht kein Anlass für eine restriktive Beurteilung der beruflichen Möglichkeiten von Personen mit Epilepsie. Bei sachgerechter Prüfung der Einsatzmöglichkeiten entsprechend den vor liegenden Empfehlungen wird ein grob fahrlässiges oder gar vorsätzliches Handeln des Unternehmers oder von Vorgesetzten selbst dann nicht angenommen werden können, wenn sich wider Erwarten im Einzelfall doch einmal ein Arbeitsunfall infolge eines epileptischen Anfalls ereignen sollte.
3 Beurteilung ausgewählter Tätigkeiten
3.1 Allgemeines
Bei der Beurteilung von Tätigkeiten wird jeweils unterschieden zwischen
(+) Grundsätzlich keine Bedenken
(-) Nicht möglich
3.2 Bildschirmarbeit
An diesen Arbeitsplätzen werden Bildschirme zur Darstellung alphanumerischer Zeichen oder zur Grafikdarstellung ungeachtet des Darstellungsverfahrens eingesetzt. Die Arbeitsplätze können ausgestattet sein mit Einrichtungen zur Erfassung von Daten; Software, die den Beschäftigten bei der Ausführung ihrer Arbeitsaufgaben zur Verfügung stehen; Zusatzgeräten und sonstigen Arbeitsmitteln.
Personen mit Epilepsie sind an solchen Arbeitsplätzen einsetzbar, da im Allgemeinen keine Selbst- oder Fremdgefährdung durch Anfälle besteht. Eine Eingliederung ist grundsätzlich ohne besondere Einschränkungen möglich.
Dem gegenüber wird häufig die Befürchtung geäußert, dass an Bildschirmarbeitsplätzen ein erhöhtes Risiko für die Auslösung von Anfällen bei Personen mit Epilepsie aufgrund einer bestehenden Fotosensibilität, d. h. das Auftreten epilepsietypischer Veränderungen bei intermittierenden Lichtreizen, vorliegt und hierdurch epileptische Anfälle ausgelöst werden können. Solche Reaktionen treten nur bei etwa 5 % aller Betroffenen auf und zeigen sich in der Regel nur in sehr niedrigen Frequenzbereichen, am häufigsten zwischen 15 und 20 Hertz. Bei einer Frequenz von 65 Hertz und mehr sind nach Literaturangaben nur noch bei 4 % der fotosensiblen Personen mit Epilepsie EEG-Veränderungen zu beobachten (21). Auch weisen Bildschirmgeräte mit Kathodenstrahlröhrenanzeige (CRT) in der Regel Bildwechselfrequenzen zwischen 75 und 85 Hertz auf. In diesem Bereich wurden keine fotosensiblen Reaktionen bei Personen mit Epilepsie beobachtet. Überwiegend werden heute Bildschirme mit Flüssigkristallanzeige (LCD), bei denen (wegen des fehlenden zeilenweisen Bildaufbaus) kein Risiko einer Anfallsauslösung besteht und nur noch für spezielle Anforderungen Bildschirme mit CRT eingesetzt.
Denkbar ist eine Anfallsauslösung bei Personen mit Fotosensibilität, wenn schnell wechselnde kontrastreiche Bildschirminhalte - unabhängig von der Art des Bildschirmes - auftreten, z.B. Streifenmuster. Solche Bildschirminhalte kommen in aller Regel in der Berufspraxis nicht vor.
Monitore und Fernsehgeräte bei beruflicher Tätigkeit
Monitore oder Fernsehgeräte werden z.B. bei Überwachungstätigkeiten (siehe auch Abschnitt 3.4 "Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten") eingesetzt. Bei Personen mit fotosensibler Epilepsie kann es in folgenden Situationen zu einer Anfallsauslösung kommen:
Wie oben erwähnt, weisen lediglich ca. 5 % aller Personen mit Epilepsie eine Fotosensibilität auf, von denen etwa 90 % durch geeignete pharmakologische Behandlung die fotosensible Reaktion verlieren. Bei persistierender Fotosensibilität ist eine Versorgung mit Hilfsmitteln, z.B. einer polarisierenden, abdunkelnden Brille, oft wirksam (9).
Bei Personen mit Epilepsie, die an Monitoren und Fernsehgeräten beruflich tätig sind, sollte bei Hinweisen auf eine Fotosensibilität eine Untersuchung durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Neurologie/Nervenheilkund/Neuropädiatrie durchgeführt werden. Bei Bestätigung einer Fotosensibilität sollten die Personen hinsichtlich einer Auslösung von Anfällen durch Muster oder schnell laufende Bilder in enger Kooperation mit dem Betriebsarzt oder der Betriebsärztin beraten werden.
3.3 Tätigkeiten mit Absturzgefahr
In der Regel sind bei Absturzhöhen von mehr als 1 Meter Maßnahmen gegen Absturz erforderlich. Wegen der Vielfalt der Arbeitsplätze vor allem im Handwerk werden auch abweichende Regelungen beschrieben. Vorrang hat auf jeden Fall eine vollständige, umfassende, aktuelle arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogene Gefährdungsbeurteilung.
Die Einteilung in der Abbildung 2 gibt einen Überblick über das Ausmaß möglicher Gefährdungen im Zusammenhang mit Anfällen. Sofern die Gefährdungsbeurteilung nichts anderes ergibt, bestehen bei Tätigkeiten bis zu einer Absturzhöhe von 1 m im Allgemeinen keine gesundheitlichen Bedenken, da diese Gefährdung in der Regel denen des täglichen Lebens vergleichbar ist. Sehr schwere Epilepsien mit bis zu täglich auftretenden Anfällen der Gefährdungskategorien C und D bedürfen einer gesonderten Beurteilung. In der Praxis dürfte dies nur sehr selten vorkommen.
Bei der Beurteilung von beruflichen Möglichkeiten ist darauf zu achten, inwieweit Tätigkeiten mit Absturzgefahr berufsbestimmend sind oder nur gelegentlich vorkommen. Bei gelegentlichem Vorkommen kann Eignung bestehen, wenn die gefährdenden Tätigkeiten nicht ausgeführt werden müssen, z.B. weil ein Kollege bzw. eine Kollegin sie übernimmt (siehe Abbildung 3).
3.4 Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten
Das Gefährdungspotenzial der verschiedenen Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten ist ausgesprochen unterschiedlich, auch innerhalb der Untergruppen der einzelnen Tätigkeiten.
So existieren beispielsweise im Arbeitsbereich "Flurförderzeuge" Tätigkeiten, die als relativ ungefährlich eingestuft werden können, wenn Gefährdungen weder durch das Transportgut noch durch die örtlichen Gegebenheiten vorliegen, wie z.B. beim Befördern von Torfsäcken oder Ähnlichem mit einem einzelnen Gabelstapler in einer Gärtnerei. Dem gegenüber können von Staplerfahrern auch mit einem hohen Gefährdungspotenzial verbundene Tätigkeiten verlangt werden, beispielsweise Be- und Entladen von Hochregallagern, Laden und Entladen von Gefahrstoffen, insbesondere wenn das Umfeld durch Unübersichtlichkeit oder hohes Verkehrsaufkommen zusätzliche Gefahren birgt. Hier können die gesundheitlichen Anforderungen sogar höher zu bewerten sein, als sie für das Lenken eines solchen Gerätes im öffentlichen Straßenverkehr gestellt würden (siehe dazu Abbildung 4).
Daher ist zur Abschätzung der Einsetzbarkeit einer epilepsiekranken beschäftigten Person die Berücksichtigung der speziellen Arbeitsplatzsituation, die ggf. vor Ort beurteilt werden muss, unerlässlich.
Vergleichbar zu den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung muss bei der Beurteilung der gesundheitlichen Risiken am Arbeitsplatz das Risiko eines Anfalls minimal sein, wenn eine Selbstgefährdung oder die Fremdgefährdung möglich ist. Dabei kann die Differenzierung der gesundheitlichen Voraussetzungen für Fahrzeuge der Gruppen 1 und 2, wie in den Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahreignung, als Maßstab genommen werden.
Die Abbildungen 4 und 5 tragen der hohen Variabilität bzw. den individuell zu beurteilenden Umständen Rechnung.
Es ist nicht möglich, alle Arten von Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten zu erfassen, insbesondere auch deshalb, weil sich in dieser Domäne ein sehr rascher technischer Wandel vollzieht. Um die Eignung des Geräteführers für Arbeitsgeräte und -verfahren beurteilen zu können, die nicht aufgeführt sind, wie z.B. Manipulatoren und Geräte zum zerstörungsfreien Prüfen, ist eine exakte tätigkeitsbezogene Gefährdungsbeurteilung unerlässlich. Die in den Abbildungen genannten Tätigkeiten können dabei in Analogie als Anhaltspunkte dienen.
4 Beurteilung ausgewählter Berufe
4.1 Allgemeines
Bei der Beurteilung ist zu berücksichtigen, dass Berufe immer eine Vielzahl von Tätigkeiten umfassen und dass diese in der Praxis unterschiedlich verteilt sein können, so dass es im gleichen Beruf mehr oder weniger risikoreiche Arbeitsplätze geben kann. Dies ist bei Ausbildungsentscheidungen zu berücksichtigen (siehe auch Abschnitt 2.3). Bei einem bereits ausgeübten Beruf sollten jeweils die konkret ausgeübten Tätigkeiten beurteilt werden.
Für die Beurteilung folgt daraus die Abstufung:
grundsätzlich keine Bedenken
möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze
möglich in besonderen Fällen
4.2 Maschinenbautechnische und elektrotechnische Berufe
Zu Einzelheiten siehe Abbildungen 6 / 6a und 7 / 7a
4.3 Berufe des Gesundheitswesens
Allgemeine Voraussetzung für die Erteilung der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung ist in der Krankenpflege § 2 Krankenpflegegesetz, in der Physiotherapie § 2 Masseur- und Physiotherapeutengesetz, in der Ergotherapie § 2 Gesetz über den Beruf des Beschäftigungs- und Ergotherapeuten, in der Logopädie § 2 Gesetz über den Beruf des Logopäden. Dort wird gesagt, dass eine Erlaubnis nur erteilt werden darf, wenn die Person, die den Antrag stellt "nicht wegen eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner geistigen oder körperlichen Kräfte oder wegen einer Sucht zur Ausübung des Berufs unfähig oder ungeeignet ist". Für Psychologen und Psychologinnen, die in niedergelassener Praxis tätig werden wollen, bestimmt § 2 des Psychotherapeutengesetzes, dass die Approbation nur zu erteilen ist, wenn die antragstellende Person nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet ist.
Die Ausbildung zum Ergotherapeuten oder Logopäden ist durch fehlende gesundheitliche Voraussetzungen nicht beschränkt. Anders ist die Regelung in den Pflegeberufen und bei der Physiotherapie. Hier bestimmt § 5 Krankenpflegegesetz bzw. § 10 Masseur- u. Physiotherapeutengesetz u. a. als Voraussetzung für den Zugang zu einer Ausbildung, dass die Bewerberin oder der Bewerber nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet sein darf.
Auch wenn dies gesetzlich nicht gefordert wird, so ist es auch im Bereich der Ergotherapie, Logopädie und Psychotherapie empfehlenswert, die Eignung zur Berufsausübung schon bei Ausbildungsbeginn abzuklären.
Sind in der Krankenpflege, der Physio- oder Ergotherapie, Logopädie oder bei der Tätigkeit als Psychotherapeut nachträglich Tatsachen eingetreten, die die Aberkennung der Erlaubnis rechtfertigen würden, so ist diese zurückzunehmen bzw. zu widerrufen. Teilgenehmigungen sind nicht vorgesehen.
Die gesundheitliche Eignung ist im Bereich der Krankenpflege dann als nicht (mehr) gegeben anzusehen, wenn wesentliche Tätigkeiten des Berufs nicht (mehr) ausgeübt werden können. Gesundheitliche Eignung bezieht sich also nicht auf die Fähigkeit, jedwede im Beruf vorkommende Tätigkeit ausüben zu können (22).
Zu Einzelheiten siehe Abbildungen 8 -13.
4.4 Berufsrechtliche Besonderheiten bei sozialpflegerischen und sozialpädagogischen Berufen
Die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern, Haus-, Familien- und Kinderpflege ist landesrechtlich geregelt. Bei Berufen in der Familienpflege und mitunter auch bei der Kinderpflege muss die gesundheitliche Eignung für den Beruf schon vor Ausbildungsbeginn nachgewiesen werden. Bei Erzieherinnen und Erziehern wird bei Ausbildungsbeginn meist kein Nachweis der gesundheitlichen Eignung verlangt.
Die staatliche Anerkennung kann zurückgenommen werden, wenn es zu erheblichen Einschränkungen bei der Wahrnehmung der Aufsichtspflicht bzw. zu Eigengefährdung aufgrund von Störungen im körperlichen, geistigen und seelischen Bereich kommt. Die zuständigen Schul-/ Fachaufsichtsbehörden prüfen den jeweiligen Einzelfall.
Auch wenn seitens der staatlichen Aufsichtsbehörde die gesundheitlichen Voraussetzungen zur Berufsausübung erst am Ende der Ausbildung oder gar nicht überprüft werden, empfiehlt sich eine solche Abklärung schon vor Ausbildungsbeginn.
Zu Einzelheiten siehe Abbildungen 14 - 16.
5 Tätigkeitsbezogene Gefährdungseinschätzung nach erstem epileptischen Anfall
Eine von 1000 -2000 Personen erleidet pro Jahr einen ersten epileptischen Anfall. Bei etwa der Hälfte handelt es sich um ein Ereignis, das durch eine akute gesundheitliche Störung hervorgerufen wird, z.B. eine Intoxikation (Vergiftung) oder eine Gehirnverletzung (sog."akut symptomatische Anfälle"), bei der anderen Hälfte um Anfälle ohne akute Ursache (sog."unprovozierte Erstanfälle") (15, 16).
Die Wahrscheinlichkeit, nach einem ersten Anfall noch einmal einen Anfall zu erleiden, hängt bei akut symptomatischen Anfällen vom auslösenden Faktor und der Möglichkeit, diesen auszuschalten, ab. Bei unprovozierten Erstanfällen beträgt das Rezidivrisiko etwa 30 - 40 %, wobei etwa 2/3 der Rezidive innerhalb des ersten Jahres nach dem Erstereignis auftreten, die meisten im ersten halben Jahr (6).
Einteilung von Erstanfällen:
a | Erstmaliger provozierter Anfall (ohne Hinweise für beginnende Epilepsie) mit vermeidbarem Provokationsfaktor, z.B. prokonvulsiv wirkende Medikamente |
b | Erstmaliger unprovozierter Anfall (ohne Hinweise für beginnende Epilepsie) |
c | Erstmaliger Anfall (provoziert oder unprovoziert) mit Hinweisen für beginnende Epilepsie |
Bei fachgerechter Diagnostik und anschließender Einordnung in die Gruppen a, b oder c lässt sich das Risiko für das Auftreten weiterer Anfälle recht gut abschätzen. Allerdings kann nach einem ersten epileptischen Anfall nicht vorhergesagt werden, ob bei einem Rezidivanfall der Anfallstyp gleich bleibt oder sich ändert. Z. B. könnte als erstes ein Anfall der Gefährdungskategorie A und später als Rezidivanfall ein Anfall der Gefährdungskategorie C auftreten. Auch ist nicht sicher davon auszugehen, dass nach einem ersten Anfall aus dem Schlaf heraus ein weiterer Anfall wiederum an den Schlaf gebunden auftreten wird.
Die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung tragen diesen Erkenntnissen über epileptische Erstanfälle Rechnung, indem sie provozierten und unprovozierten Erstanfällen unterschiedliche anfallsfreie Beobachtungszeiten zuordnen. Die in Abbildung 17 ausgesprochenen Empfehlungen für anfallsfreie Beobachtungszeiten bei unterschiedlicher Schwere des Verletzungsrisikos bzw. Fremdgefährdung in der beruflichen Tätigkeit orientieren sich an den Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahreignung von 2009 (14).
Ganz anders ist die Situation nach einem ersten Anfall, wenn bereits eine berufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Es muss dann rasch entschieden werden, ob die Tätigkeit weiter ausgeübt werden kann. Möglicherweise müssen besonders gefährdende Einzeltätigkeiten ausgeschlossen werden oder eine zeitlich befristete Umsetzung in eine weniger gefährdende Umgebung erfolgen. Eventuell ist auch eine berufliche Um- oder Neuorientierung ratsam, z.B. im Rahmen von Leistungen zur Teilhabe. Es wird empfohlen, sich bei diesen Entscheidungen an Abbildung 17 zu orientieren.
6 Abbildungen 2-17
Abb. 2 Tätigkeiten mit Absturzgefahr
(+) grundsätzlich keine Bedenken
(-) nicht möglich
Abb. 3 Beispiele für Tätigkeiten mit erhöhter Absturzgefahr in unterschiedlichen Berufen
Abb. 4 Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten
Information |
Falls das Fahrzeug für den Straßenverkehr zugelassen ist (und somit einer Fahrerlaubnisklasse zugeordnet werden kann), gelten die gesundheitlichen Voraussetzungen nach der Fahrerlaubnisverordnung bzw. den Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahrereignung. |
Falls das Fahrzeug nicht für den Straßenverkehr zugelassen ist (und somit nicht einer Fahrerlaubnisklasse zugeordnet werden kann), und nicht eine Gerätegruppe in der Abbildung zutrifft, ist das Gewicht das entscheidende Kriterium. Ab 3500 kg Fahrzeuggewicht gelten dann die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2. |
Grundsätzlich ist bei besonderen Gefährdungssituationen eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen, auch bei für den Straßenverkehr zugelassenen Fahrzeugen. |
Abb. 5 Tätigkeiten in Prozessleitsystemen
Abb. 6 Beispiele maschinenbautechnischer Berufe
grundsätzlich keine Bedenken
möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze
möglich in besonderen Fällen
Abb. 6a Ausbildungsberuf für Menschen mit Behinderung im Metallbereich und die Ausbildungsberufe, an denen sich die Gefährdungsbeurteilung orientieren sollte
Abb. 7 Elektrotechnische Berufe
grundsätzlich keine Bedenken
möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze
möglich in besonderen Fällen
Abb. 7a Ausbildungsberuf für Menschen mit Behinderung im Elektrobereich und die Ausbildungsberufe, an denen sich die Gefährdungsbeurteilung orientieren sollte
Abb. 8 Gesundheitswesen - Krankenpflege
grundsätzlich keine Bedenken
möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze
möglich in besonderen Fällen
Abb. 9 Gesundheitswesen - Kinderkrankenpflege
grundsätzlich keine Bedenken
möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze
möglich in besonderen Fällen
Abb. 10 Gesundheitswesen - Altenpflege
grundsätzlich keine Bedenken
möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze
möglich in besonderen Fällen
Abb. 11 Nichtärztliche Heilberufe
grundsätzlich keine Bedenken
möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze
möglich in besonderen Fällen
Abb. 12 Gesundheitswesen - Klinische Psychologie, Sprachtherapie, Sportlehrer für Behindertensport
grundsätzlich keine Bedenken
möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze
möglich in besonderen Fällen
Abb. 13 Gesundheitswesen - Medizinisch-technische Assistenten
grundsätzlich keine Bedenken
möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze
möglich in besonderen Fällen
Abb. 14 Sozialpflegerische und sozialpädagogische Berufe: staatlich anerkannte/r Erzieher/in
grundsätzlich keine Bedenken
möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze
möglich in besonderen Fällen
Abb. 15 Sozialpflegerische und sozialpädagogische Berufe: Kinderpflegerinnen, Familienpflegerinnen
grundsätzlich keine Bedenken
möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze
möglich in besonderen Fällen
Abb. 16 Sozialpflegerische und sozialpädagogische Berufe: Sozialarbeiter, Sozialpädagogen
grundsätzlich keine Bedenken
möglich in der Mehrzahl der Arbeitsplätze
möglich in besonderen Fällen
Abb. 17 Tätigkeitsbezogene Gefährdungsabschätzung nach einem ersten epileptischen Anfall
Literatur | Anhang 1 |
Anschriften für allgemeine und weiterführende Informationen | Anhang 2 |
Dt. Gesellschaft für Epileptologie e.V.
Informationszentrum Epilepsie
Reinhardtstr. 27 c
10117 Berlin
Webseite: www.izepilepsie.de
Webseite Fachgesellschaft: www.dgfe.info
Telefon: 0700/13 14 13 00 (12 ct/min)
Telefax: 0700/13 14 13 99 (12 ct/min)
E-Mail: ize@dgfe.info
Bürozeiten:
Mo - Fr: 9 - 12 Uhr
Deutsche Epilepsievereinigung e.V.
Bundesgeschäftsstelle
Zillestraße 102
10585 Berlin
Sprechzeiten:
Montag - Donnerstag: 10.00 - 15.00 Uhr
Tel.: 030 - 342 4414
Fax: 030 - 342 4466
Webseite oder Homepage: www.epilepsievereinigung.de/
E-Mail: info@epilepsie.sh
Stiftung Michael
STIFTUNG MICHAEL
Alsstraße 12
53227 Bonn
Tel.: 0228 - 94 55 45 40
Fax: 0228 - 94 55 45 42
E-Mail: post@stiftungmichael.de
Homepage: www.stiftungmichael.de
Epilepsie Bundes-Elternverband
Geschäftsstelle
Susanne Fey
Am Eickhof 23
42111 Wuppertal
Tel./Fax: 0202 - 29 88.465
http://www.epilepsie-elternverband.de
1) Videobeispiele epileptische Anfälle auf DVD mit Zuordnung der Anfälle zur Gefährdungskategorie siehe 13 Ebner A, Brandt C, Specht U, Murafi L (2010) Epileptische Anfälle. Springer, München
ENDE |