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Regelwerk, Strahlenschutz

Zur Anwendung radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlen in der medizinischen Forschung
- Genehmigungsverfahren nach § 28a RöV und § 23 StrlSchV -
- Empfehlung der Strahlenschutzkommission -

Vom 27. Juli 2004
(BAnz. Nr. 158 vom 24.08.2004 S. 18874)



Verabschiedet in der 190. Sitzung der Strahlenschutzkommission vom 22/23 April 2004

1 Vorbemerkung

Die Anwendung von radioaktiven Stoffen und ionisierenden Strahlen ist für die zukunftsorientierte medizinische Forschung von großer Bedeutung. Im internationalen Vergleich erweisen sich die derzeitigen Rahmenbedingungen für medizinische Forschung in Deutschland als generell eher forschungshemmend; in diesem Zusammenhang werden auch § 28a der Röntgenverordnung (RöV) bzw. § 23 der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) in der Öffentlichkeit diskutiert. Die Strahlenschutzkommission ist der Auffassung, dass auch und gerade zur Weiterentwicklung von Verfahren, die mit einer geringeren Strahlenexposition von Patienten verbunden sein werden, gute Randbedingungen für die medizinische Forschung in Deutschland geschaffen werden müssen.

2 Genehmigungspflicht nach § 28a RöV bzw. § 23 StrlSchV

Die medizinische Forschung wird in § 3 Abs. 2 Nr. 14 StrlSchV definiert als "Anwendung radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlung am Menschen, soweit sie der Fortentwicklung der Heilkunde oder der medizinischen Wissenschaft und nicht in erster Linie der Untersuchung oder Behandlung des einzelnen Patienten dient". Bei der Anwendung radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlen am Menschen zum Zweck der medizinischen Forschung werden zwei Fälle unterschieden:

Sowohl die klinische als auch die nicht-klinische, biomedizinische Forschung unterliegen der Genehmigungspflicht nach § 28a RöV bzw. § 23 StrlSchV. Im Einzelnen überdeckt die Strahlenexposition dabei einen Expositionsbereich (Angaben jeweils als effektive Dosis), der sich von sehr niedrigen Dosen (< 0,1 mSv) über niedrige Dosen (1 bis 5 mSv) und mittlere Dosen (5 bis 15 mSv) bis zu höheren Dosen (>15 mSv) erstreckt. Zum Vergleich: Die jährliche effektive Dosis aus natürlicher Umgebungsstrahlung liegt in Deutschland bei 2,1 mSv (bei einer Spannweite von etwa 1 "bis 6 mSv).

3 Forschungshemmnisse/Problemfelder

  1. Das Genehmigungsverfahren nach § 28a RöV bzw. § 23 StrlSchV ist aufwändig, da für den Antrag auf Genehmigung ein umfangreicher Satz von Formularen ausgefüllt und eingereicht werden muss. Eine Vereinfachung des Verfahrens erscheint zumindest dann als angemessen, wenn die beantragenden Einrichtungen bereits im Besitz von Genehmigungen nach § ; 3 RöV oder § 7 StrlSchV oder wirksamen Anzeigen nach § 4 RöV zur. Anwendung ionisierender Strahlung oder radioaktiver Stoffe in der Heilkunde sind. Unterschiedliche Formblätter zu ein und demselben Vorhaben für die Genehmigungsverfahren bei den jeweils zuständigen Bundesoberbehörden (Bundesinstitut für Arzneimittel bzw. Paul-Ehrlich-Institut bei Genehmigungen nach dem Arzneimittelgesetz [AMG], Bundesamt für Strahlenschutz bei Genehmigungen nach RöV bzw. StrlSchV) sollten angeglichen werden.
  2. Die Zeiträume für die Erteilung der Genehmigung nach RöV bzw. StrlSchV für solche Forschungsvorhaben sollten den im Arzneimittelgesetz vorgesehenen Zeiträumen für das Genehmigungsverfahren klinischer Prüfurigen beim Bundesinstitut für Arzneimittel entsprechen, die auf der EG-Richtlinie "Good Clinical Practice" beruhen. Während die den Strahlenschutzregelungen zugrunde liegenden EURATOM-Grundnormen keine Frist enthalten, gilt für die ebenfalls auf europäischer Ebene erstellte GCP-Richtlinie eine Frist von längstens 60 Tagen, bis zu der ein Genehmigungsverfahren abzuschließen ist. Dieser Zeitraum sollte auch für Genehmigungsverfahren nach dem Strahlenschutzrecht maßgebend sein.
  3. Die Prüfung für Anträge auf Genehmigung nach § 28a RöV bzw. § 23 StrlSchV sollte sich am Strahlenrisiko orientieren. Es wird deshalb vorgeschlagen, bei Studien an Patienten mit einem, unter Berücksichtigung des Lebenszeitrisikos für stochastische Schäden geringen studienbedingten Risiko Richtwerte für eine vereinfachte Prüfung einzuführen (Tabelle 1). Die Angaben in der Tabelle orientieren sich an der Altersabhängigkeit des Risikos für Krebsinzidenz nach Preston et al. 2003, d. h. für die angegebenen Dosiswerte der unterschiedlichen Alterskategorien resultiert für jedes Alter ein ähnliches Risiko. Das Lebenszeitrisiko für Krebs und genetische Schäden (Detriment) für die in Tabelle 1 angegebenen Dosiswerte liegt nach ICRP 60 bei etwa 0,05 bis 0,2 o/oo
    Tabelle 1: Von der SSK empfohlene Richtwerte (effektive Dosis; im mSv) für eine vereinfachte Prüfung nach § 28a RöV bzw. § 23 StrlSchV im Rahmen der klinischen Forschung an Patienten.
    Alter
    (Jahre)
    Richtwert der effektiven Dosis
    (mSv)
    18 bis 403
    41 bis 605
    >6010

    Ähnliche Werte hat die Europäische Kommission für "helfende Personen" vorgeschlagen, die willentlich und wissentlich zu der Untersuchung und Behandlung nahestehender Personen beitragen (European Comission 1997). Danach werden folgende Dosisbeschränkungen empfohlen:
    Kinder (einschließlich ungeborene Kinder): 1 mSv,
    Erwachsene bis etwa 60 Jahre: 3 mSv und
    Erwachsene über 60 Jahre 15 mSv.
    Die Einbeziehung von Studien mit Kindern in ein vereinfachtes Prüfverfahren wird allerdings ausdrücklich nicht befürwortet.

  4. Bezüglich der Pflicht zur Deckungsvorsorge besteht die Problematik, dass sich die Versicherungswirtschaft nach wie vor nicht in der Lage sieht, einen Zeitraum von 30 Jahren - wie auf der Grundlage der Atomrechtlichen Deckungsvorsorge -Verordnung nach RöV bzw. StrlSchV gefordert - zu versichern. Eine: Bereitschaft der Versicherungswirtschaft, den für die Probandenversicherung, nach -AMG- üblichen Versicherungszeitraum von 5 jähren im Falle von Strahlenanwendungen auf 10 Jahre zu erhöhen, ist zwar zu erkennen, trotzdem bleibt aber ein nicht abgedeckter Zeitraum von 20 Jahren bestehen. Einige Bundesländer geben für an Forschungsvorhaben nach § 28a RöV bzw. § 23 StrlSchV teilnehmende Universitätseinrichtungen des Landes Freistellungserklärungen ab. Damit sind aber die bestehendem Probleme nicht gelöst, da zahlreiche Bundesländer keine Freistellungserklärungen für ihre Universitätseinrichtungen abgeben und da darüber hinaus alle anderen an der medizinischen Forschung beteiligten Einrichtungen (nichtuniversitäre Kliniken, Großforschungseinrichtungen, an multizentrischen Studien teilnehmende Arztpraxen usw.) nicht einbezogen sind.

4 Empfehlungen

Im Interesse, der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Forschungseinrichtungen ist es unbedingt erforderlich; die nachfolgend aufgeführten Maßnehmen so schnell wie möglich umzusetzen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass durch die derzeitigen Regelungen auch Forschungsprojekte behindert werden, die die Entwicklung "dosissparender" Verfahren zum Ziel haben.

In diesem Zusammenhang gibt die Strahlenschutzkommission folgende Empfehlungen ab:

  1. Die unter Nummer 3 Buchstabe a und b aufgeführten Maßnahmen zu Aufwand und Fristen des Genehmigungsverfahrens bedürfen keiner Änderung der Röntgenverordnung bzw. der Strahlenschutzverordnung. Sie sollten deswegen umgehend umgesetzt werden.
  2. Die unter Nummer 3 Buchstabe c vorgeschlagenen vereinfachten Prüfungen von Genehmigungsanträgen unter Zugrundelegung der in Tabelle 1 aufgeführten Richtwerte sollten umgehend in die, Praxis umgesetzt werden. Sofern hierzu die Verordnungen geändert werden müssten, sollte dies so bald wie möglich erfolgen:
  3. Die Vorgaben, zur Deckungsvorsorge sind im Atomgesetz und den darauf beruhenden Verordnungen verankert. Eine Änderung der derzeitigen Vorschriften unter Berücksichtigung entsprechender Regelungen in anderen europäischen Staaten erscheint ebenfalls als dringend erforderlich.
  4. Unverzüglich sollten bundeseinheitliche - den Vorgaben des AMG vergleichbare - und dem Risiko angemessene Regelungen zur Abdeckung des Versicherungszeitraums gefunden werden.

5. Literatur

[1] International Commission an Radiological Protection (ICRP): Recommendations of the International Commission on Radiological Protection, ICRP Publication 60. Pergamon Press Oxford - New York - Toronto - Sydney - Frankfurt, 1990

[2] Preston, D.L; Pierce, D.A.; Shimizu, Y.; Ron; E.; Mabuchi, K.; Dose. response and temporal patterns of radiation-associated solid cancer risks. Health Phys 85 (2003) 43-46

[3] European Commission: Radration Protection following Iodine-131. European Commission Luxembourg, 1997.