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Regelwerk

Grundsätze bei der Ableitung von Emissionsstandards bei gleichzeitig betriebenen Feldquellen
- Empfehlung der Strahlenschutzkommission -

Vom 5. Juni 2007
(BAnz. Nr. 127 vom 12.07.2007 S. 6945)



Nachfolgend wird die Empfehlung der Strahlenschutzkommission, verabschiedet in der 214. Sitzung der Kommission am 23. Februar 2007, bekannt gegeben.

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Im Frequenzbereich zwischen 0 und 300 GHz werden niederfrequente elektrische und magnetische Felder sowie hochfrequente elektromagnetische Felder in immer vielfältigerer Weise und bei immer vollständigerer Ausnutzung des zur Verfügung stehenden Frequenzspektrums durch technische Geräte und Anlagen erzeugt. Im Bereich niederfrequenter Felder treten außer 16 % bzw. 50 Hertz zunehmend Oberwellen auf, z.B. durch Phasenanschnittsteuerung; hoch- und höchstfrequente Felder werden in einem weiten Frequenzspektrum für immer neue Anwendungsbereiche insbesondere bei drahtlosen Kommunikationssystemen genutzt. Vor diesem Hintergrund und den intensiv geführten Diskussionen über gesundheitliche Auswirkungen elektrischer, magnetischer und elektromagnetischer Felder aller Frequenzbereiche hat das Bundesumweltministerium die Strahlenschutzkommission (SSK) gebeten, ein Konzept für die Bewertung gleichzeitiger Expositionen gegenüber mehreren Feldquellen im o. g. Frequenzbereich 0 bis 300 GHz zu erarbeiten.

1.2 Grenzwerte und technische Normen

Seit nunmehr zehn Jahren gibt es in Deutschland gesetzliche Regelungen zum Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren elektromagnetischer Felder. Die in der 26. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (26. BImSchV) festgelegten Grenzwerte basieren auf den Empfehlungen nationaler und internationaler Beratungsgremien und Fachorganisationen. Basis der Empfehlungen sind die Leitlinien der Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierenden Strahlen (International Come mission an Non-Ionizing Radiation Protection, ICNIRP) [ICNIRP 98]. Sie begrenzen im Niederfrequenzbereich die relevanten Wirkungen durch Körperstromdichten (J) und schütten vor Nervenreizungen; die spezifischen Absorptionsraten (SAR) schützen im Hochfrequenzbereich vor übermäßigen Körpererwärmungen.

Die ICNIRP-Leitlinien legen zur Vermeidung von Feldwirkungen sogenannte Basisgrenzwerte für J und SAR fest, die aber in der Praxis nicht direkt messbar sind. Deshalb werden in den ICNIRP-Leitlinien zusätzlich besser überprüfbare Referenzwerte für Feldgrößen angegeben. Diese werden aus den Basisgrenzwerten für ungünstigste Expositionsbedingungen abgeleitet, so dass die Unterschreitung der Referenzwerte auch die Einhaltung der Basisgrenzwerte sicherstellt. Bei Überschreitung der Referenzwerte könnten die Basisgrenzwerte dennoch eingehalten sein; dies muss dann im Einzelfall mit aufwändigeren Methoden überprüft werden.

Für ortsfeste Feldquellen (z.B. Sendeanlagen) sind die Referenzwerte als Grenzwerte in die 26. BImSchV aufgenommen worden. Für nichtortsfeste Feldquellen (Geräte) existieren verschiedene Normen, in denen die Emissionen infolge elektrischer, magnetischer und elektromagnetischer Felder begrenzt werden.

In diesen technischen Normen werden die ICNIRP-Leitlinien, die Immissionswerte enthalten, derzeit so umgesetzt, dass bereits die Emissionen einer einzelnen Feldquelle den Immissionsgrenzwert zu 100 % ausschöpfen dürfen. Dabei wird die mögliche Exposition einer Person durch mehrere Feldquellen in ihrer Umgebung nicht berücksichtigt, obwohl die Summation der Expositionen, z.B. von mehreren Geräten, in der Praxis häufig vorkommt.

2 Schutz bei Mehrfachexposition

2.1 Grundsätze

Die SSK hat das Problem der Mehrfachexposition bereits in früheren Stellungnahmen aufgegriffen [SSK 01, SSK 03] und bekräftigt hiermit erneut ihre Empfehlung an alle Hersteller, die Minimierung von Emissionen bei der Entwicklung von Geräten grundsätzlich als ein Qualitätsmerkmal zu realisieren, so dass sich bei Feldquellen mit nicht beabsichtigter Abgabe nieder- und hochfrequenter Felder weitere Bewertungsregeln erübrigen sollten.

Nach Auffassung der SSK ist die Beurteilung der möglichen Gesamtexpositionssituation bei der Einwirkung von gleichzeitig betriebenen Feldquellen für den Hersteller bzw. den Inverkehrbringer einer einzelnen Feldquelle im Rahmen der allgemeinen Produkthaftungs- sowie Betriebssicherheitsbestimmungen verpflichtend. Angaben über daraus abzuleitende Benutzungseinschränkungen sind in der Bedienungsanleitung anzugeben. Allerdings ist die Erfassung der Expositionssituation beim Kunden aufgrund der Vielzahl möglicher benutzter Feldquellen anderer Hersteller sehr variabel und messtechnisch aufgrund der Parametervielfalt oft nicht vollständig durchführbar.

Zur Gewährleistung der Einhaltung der ICNIRP-Leitlinien bei gleichzeitiger Exposition gegenüber mehreren Feldquellen im Frequenzbereich 0 bis 300 GHz (multipler Exposition) hat die SSK die folgenden Praxisregeln abgeleitet.

2.2 Gleichzeitiger Betrieb von Feldquellen im Frequenzbereich 0 bis 300 GHz: Regeln für Emissionsstandards und ihr Anwendungsbereich

Die folgenden Regeln gelten ausschließlich für den unkontrollierten Aufenthaltsbereich der Bevölkerung und für elektrische, magnetische und elektromagnetische Feldexpositionen, d. h. die Problematik direkter Kontaktströme wird hier nicht behandelt.

Die Regeln sind bei den Feldquellen anzuwenden, deren Funktion durch eine beabsichtigte Abgabe elektrischer, magnetischer und elektromagnetischer Felder (,intentional field emitting device", IFED) in solche Umgebungsbereiche realisiert wird, die nicht nur bei günstigen Verhältnissen, sondern auch bei den in der Praxis möglichen ungünstigsten Bedingungen des bestimmungsgemäßen

Gebrauchs mindestens Teilen des menschlichen Körpers zugänglich sind. Hierzu gehören beispielsweise alle hochfrequenten Feldquellen drahtloser Kommunikationsanwendungen, aber auch Induktionsöfen und Induktionskochherde, Diebstahlwarnanlagen und "Magnetfeld-Wellnessgeräte".

Regel 1:
Schöpfen die zu erwartenden Feldstärkewerte einer Feldquelle die nach ICNIRP gegebenen Referenzwerte nach Aufschlag aller Mess- und/oder theoretischen Bestimmungsungenauigkeiten (erweiterte Gesamtmessunsicherheit mit einem Erweiterungsfaktor von 2) maximal zu einem Drittel aus, so kann die Einhaltung der Basisgrenzwerte auch im Alltag beim Auftreten multipler Expositionen durch weitere Feldquellen vermutet werden, und es sind keine zusätzlichen Maßnahmen seitens des Herstellers notwendig. Zu dieser Aussage sind vom Hersteller nicht die typischen, sondern die im Sinne von Sicherheitsbetrachtungen erforderlichen Kriterien von ungünstigsten Betriebszuständen und Bediengeometrien heranzuziehen. In der Regel wird der geringste Körperabstand zu einer Feldquelle bei bestimmungsgemäßem Gebrauch betrachtet, auch der ungünstigste Fall von Körpergeometrien muss berücksichtigt werden. Weiteres Kriterium ist, dass diese Aussagen für alle produzierten Feldquellen, z.B. für alle Geräte einer Serie, gelten.

Regel 2:
Liegen die zu erwartenden Feldstärkewerte einer Feldquelle oberhalb der nach Regel 1 gegebenen Drittel-Schranke der Referenzwerte und kann der Hersteller durch zusätzliche Analysen/Messungen nach anerkanntem Stand der Technik und Wissenschaft unter den in Regel 1 aufgeführten Kriterien nachweisen, dass die Basisgrenzwerte zu nicht mehr als einem Drittel ausgeschöpft werden, so kann die Einhaltung der Basisgrenzwerte im Alltag auch beim Auftreten multipler Expositionen durch weitere Quellen vermutet werden, und es sind keine weiteren zusätzlichen Maßnahmen seitens des Herstellers notwendig.

Regel 3:
Führt die Exposition durch eine Feldquelle bei den Basisgrenzwerten zur Überschreitung der nach Regel 2 gegebenen Drittel-Schranke, muss der Hersteller nicht nur typische, sondern mit der gebotenen Sorgfalt und unter den in Regel 1 aufgeführten Kriterien in der Praxis mögliche ungünstigste Szenarien multipler Expositionen identifizieren. Die Gesamtexposition in Bezug auf die Basisgrenzwerte ist nach den in den ICNIRP-Leitlinien gegebenen Additionsregeln zu ermitteln. Warnhinweise auf mögliche Szenarien mit dem Risiko einer Überschreitung der Basisgrenzwerte sind in den Bedienungsanleitungen anzugeben und mit entsprechenden Anweisungen zu ergänzen, wie diese zu vermeiden sind.

3 Empfehlungen

Die SSK empfiehlt, die Umsetzung dieser Regeln bei europäischen und nationalen Normungsgremien einzufordern. Die SSK empfiehlt dem BMU, geeignete Schritte zu ergreifen (Selbstverpflichtung, Mandate für technische Normen, gesetzliche Regelungen), mit denen sichergestellt werden kann, dass die vorgeschlagenen Regeln in der Praxis Anwendung finden und damit von der Einhaltung der ICNIRP-Leitlinien auch bei gleichzeitigem Gebrauch mehrerer Feldquellen ausgegangen werden kann.

4 Wissenschaftliche Erläuterungen

In Regel 1 wird nicht berücksichtigt, dass der Basisgrenzwert "Stromdichte" linear, der Basisgrenzwert "SAR" dagegen quadratisch mit den abgeleiteten Referenzfeldstärkewerten zusammenhängt. Die hiermit "schärfere" Bewertung hochfrequenter Feldexpositionen in Regelt wird durch die praktische Erfahrung gestützt, dass relevante "Hintergrund-Expositionen" durch entferntere Feldquellen nur bei großen Sendeanlagen im Hochfrequenzbereich beobachtet wurden. Dies deckt sich mit dem theoretischen Abstandsverhalten von gestrahlten Feldern zu ihrer Quelle, die schwächer mit der Entfernung abklingen als das bei so genannten Nahfeldern. Darüber hinaus wurde eine möglichst einfache, praxistaugliche Regelung angestrebt.

Werden von Geräten im Hochfrequenzbereich ausschließlich Teilkörper-SAR-Basisgrenzwerte oberhalb der Drittel-Schranke ausgeschöpft, ist zunächst zu prüfen, ob eine Überlappung der oberhalb der Drittel-Regel exponierten Körpervolumina durch multiple Gerätebenutzung, ausgehend von den geometrischen Positioniermöglichkeiten der Geräte zueinander, möglich ist. Wenn dies nicht der Fall ist, so sind ebenfalls keine weiteren zusätzlichen Maßnahmen notwendig.

Die als Maßstab herangezogene Drittel-Regel bezüglich der Basisgrenzwerte (Regel 2) beruht auf der Auswertung existierenden Datenmaterials zu zahlreichen Expositionsszenarien aus der Praxis. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass mehr als drei Feldquellen (z.B. eine "Hintergrundquelle" und zwei "Nahfeldquellen") in denselben Körpervolumina die Basisgrenzwerte jeweils zu mehr als einem Drittel ausschöpfen.

Literatur

[ICNIRP 98] ICNIRP:
Guidelines for Limiting Exposure to Time-Varying Electric, Magnetic, and Electromagnetic Fields (up to 300 GHz). Health Physics 74 (4) : 494-522 (1998)

[SSK 01] Strahlenschutzkommission (SSK) :
Grenzwerte und Vorsorgemaßnahmen zum Schutz vor elektromagnetischen Feldern, Empfehlung der Strahlenschutzkommission, Berichte der SSK, Heft 29, Urban & Fischer, München, Jena (2001)

[SSK 03] Strahlenschutzkommission (SSK) :
Europäische Produktnormung zur Begrenzung elektromagnetischer Felder, Stellungnahme der Strahlenschutzkommission, Veröffentlichungen der SSK, Band 52, Urban & Fischer, München, Jena, S. 291-295 (2003)

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