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Regelwerk, Strahlenschutz

Strahlenschutz bei der Therapie mit β-Strahlern in flüssiger Form im Rahmen einer Brachytherapie, Radiosynoviorthese und einer Radioimmuntherapie
- Empfehlung der Strahlenschutzkommission -

Vom 29. Oktober 2003
(BAnz. Nr. 218 vom 21.11.2003 S. 24488)


Nachfolgend wird die vorgenannte Empfehlung der Strahlenschutzkommission, verabschiedet in der 184. Sitzung der Kommission am 31. März/1. April 2003, bekannt gegeben.

Strahlenschutz bei der Therapie mit β-Strahlern in flüssiger Form im Rahmen einer Brachytherapie, Radiosynoviorthese und einer Radioimmuntherapie Empfehlung der Strahlenschutzkommission Verabschiedet in der 184. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 31. März/1. April 2003

Einleitung

Offene, in Lösung befindliche β-Strahler (Sr-89, Y-90, I-131, Er-169, Re-186 und Re-188) werden zunehmend in der Nuklearmedizin zu Therapiezwecken eingesetzt. Im Gegensatz zur Radioiodtherapie von Schilddrüsenerkrankungen ist hierbei oft eine fachübergreifende Kooperation erforderlich (Kardiologie, Orthopädie, Rheumatologie, Onkologie usw.), z.B. bei der Applikation außerhalb der Nuklearmedizin oder bei fachspezifischen, nicht nuklearmedizinischen invasiven Applikationsverfahren.

Beim Einsatz von β-Strahlern kann es bei der Präparation und der Applikation des radioaktiven Arzneimittels sowohl durch externe Bestrahlung als auch infolge von Kontaminationen zu einer erhöhten Strahlenexposition des Personals, insbesondere von Ärzten, kommen. Beim routinemäßigen Einsatz von offenen, in Lösung befindlichen β-Strahlern sind deshalb besondere Strahlenschutzmaßnahmen erforderlich [2,3,4]. Die Anwendung hat entsprechend der Richtlinie "Strahlenschutz in der Medizin" [1] zu erfolgen.

Auf die Berücksichtigung der von den β-Strahlern herrührenden Photonenstrahlung wird im Folgenden nicht im Detail eingegangen.

Allgemeine Grundsätze zur Vermeidung von Strahlenexpositionen bei in Lösung befindlichen β-Strahlern

  1. Generatoren, Aufbereitungssysteme, Sterilfiltrationen und Fertiglösungen mit radioaktiven Stoffen in Fläschchen müssen sich in einer Plexiglasbox mit mindestens 10 mm Wandstärke befinden. Diese muss in einer "Bleiburg" zur Abschirmung der Gamma-bzw. Bremsstrahlung stehen.
  2. Jeglicher direkter Kontakt der Hände mit radioaktive Stoffe enthaltenden Systemen, wie z.B. Glasröhrchen mit Fertiglösungen, Injektionsspritzen, Nadeln, Kartuschen, Dreiwegehähnen, Schläuchen und Ansatzstutzen, ist zu vermeiden. Bei allen Manipulationen sind bei Verwendung von β-Strahlern mit einer maximalen Energie von > 1,0 MeV geeignete Abstandshalter zu verwenden (siehe Tabelle).
  3. Das Aufziehen von Einzelaktivitäten in Spritzen muss hinter einer Bleiglasabschirmung vorgenommen werden, bei leicht flüchtigen Radionukliden, wie z.B. 1-131, in einem Abzug. Es sind Spritzenabschirmungen aus Plexiglas mit einer der β-Energie angepassten Wanddicke erforderlich (bei einer maximalen β-Energie < 0,6 MeV: 2 mm, bei < 1 McV: 4 mm, bei > 1 MeV: 10 mm, ggf. mit zusätzlicher Wolframabschirmung) (siehe Tabelle).
  4. Bei allen Manipulationen von radioaktiven Stoffen während der Präparation und beim Aufziehen von Spritzen ist wegen der Kontaminationsgefahr geeignete Schutzkleidung, ggf. Ärmelschoner oder Einwegkleidung sowie "extradichte" Handschuhe (z.B. Nitrilhandschuhe; normale Latexhandschuhe sind unzureichend), zu tragen. Ein zusätzlicher Augenschutz durch eine Bleiglasbrille wird nicht für erforderlich gehalten.
  5. Automatische bzw. halbautomatische Elutions- und Aufbereitungsprozesse sind, soweit möglich, zu bevorzugen. Ggf. kann eine Überwachung des Präparationsprozesses mittels β-Messsonden erfolgen.
  6. Der Transport der abgeschirmten kalibrierten Spritzen zum Applikationsort hat der Art der Strahlung und der Höhe der Aktivität entsprechend in Transportbehältern aus Plexiglas oder PVC, ggf. mit Bleiwand, zu erfolgen. Bei Infusionen ist die radioaktive Infusionslösung während der gesamten Infusionsdauer abzuschirmen.
  7. Das Auftreten von Bremsstrahlung sowie die eventuelle γ -Komponente sind bei der Auslegung der Abschirmmaßnahmen entsprechend zu berücksichtigen.
  8. Am Applikationsort sind zur Begrenzung möglicher Kontaminationen unter Schlauchkupplungen, Dreiwegehähnen u. a. flüssigkeitsundurchlässige Folien unterzulegen. Die Benutzung von "extradichten" Handschuhen ist erforderlich. Personendosisüberwachung

Auf den Körper von außen einfallende β -Strahlung liefert wegen ihrer geringen Reichweite in der Regel einen zu vernachlässigenden Beitrag zur Ganzkörperdosis. Es sind insbesondere die Grenzwerte der lokalen Hautdosis und ggf. der Augenlinsendosis zu überwachen.

Vor Beginn der Arbeiten ist der Arbeitsplatz mit einem Ortsdosimeter für die Richtungs-Äquivalentdosis oder mit anderen geeigneten Messgeräten auf die Wirksamkeit von Strahlenschutzmaßnahmen zur Dosisverringerung zu überprüfen. Zu messen ist an Orten, die den Teilkörperstellen entsprechen, welche der Quelle am nächsten kommen. Im Falle einer Kontamination ist eine Abschätzung der Dosiswerte vorzunehmen.

Bei Messungen von β-Strahlung ist die Auswahl eines geeigneten Trageortes des Personendosimeters besonders wichtig. Die Hände werden in vielen Fällen anwendungsbedingt am stärksten exponiert. Fingerringdosimeter sind deshalb als Teilkörperdosimeter im Allgemeinen am besten geeignet. Der Detektor ist dabei auf die Quelle auszurichten. Bei uneinheitlicher Einfallsrichtung der β-Strahlung ist die Abschirmwirkung der Hand zu berücksichtigen und u. U. der größere Messwert eines weiteren Fingerringdosimeters mit anderer Ausrichtung des Detektors heranzuziehen. Armbanddosimeter sind nur in Ausnahmefällen zu empfehlen.

DA in β-Strahlungsfeldern immer auch Photonenstrahlung auftritt, sollten nur amtliche β -Teilkörperdosimeter getragen werden, die auch für Photonenstrahlung zugelassen sind. Der Rumpf als Trageort für Ganzkörperdosimeter ist für die hier behandelten Anwendungen nicht repräsentativ zur Überwachung der lokalen Hautdosis durch β -Exposition.

Die Forderung nach genauer Messung der Personendosis darf das allgemeine Strahlenschutzziel, die Exposition bei den Tätigkeiten am Arbeitsplatz so gering wie möglich zu halten, nicht behindern. Es hat wenig Sinn, ein Fingerringdosimeter am Ort maximaler Exposition (z.B. an den Fingerkuppen) zu tragen, wenn dadurch die Arbeiten behindert oder verlängert werden. Deshalb sollten vom zuständigen Strahlenschutzbeauftragten geeignete Trageorte festgelegt werden.

Radiosynoviorthese

Bei der Radiosynoviorthese handelt es sich um die Injektion von offenen, in Lösung befindlichen β-Strahlern in erkrankte Gelenke. Hierzu werden folgende Radionuklide benutzt: Y-90, Er-169, Re-186 (siehe Tabelle).

Vor dem Aufsetzen der Spritze mit dem β-Strahler ist die intraartikuläre Lage der Kanüle zu sichern, beim Knie durch Gewinnung von Gelenkflüssigkeit, bei allen anderen Gelenken durch Arthrographie. Das Kontrastmittel wird bei kleinen Gelenken unmittelbar, in die Kanüle unter Einblendung des Strahlengangs des C-Bogens zugeführt, bei mittleren und großen Gelenken über einen Schlauch von außerhalb des Strahlengangs des C-Bogens. Bei mittleren und großen Gelenken ist die Untertisch-Röhren-Anordnung des C-Bogengerätes zu bevorzugen.

Die Applikation des radioaktiven Stoffes erfolgt unmittelbar durch Aufsetzen des Spritzenkonus (Insulinspritze) auf die Nadel. Bei der Fixierung der Verbindung von Kanüle und Spritze sind bei Verwendung von β-Strahlern mit einer maximalen Energie > 1,0 MeV (siehe Tabelle) Abstandshalter (z.B. aus Plexiglas) zu benutzen. Nach erfolgter Injektion darf die Spritze nicht von der Nadel gelöst werden, da sonst das Radionuklid wegen des Gelenkinnendrucks zurückfließen kann. Nadel und Spritze werden zusammen mit Hilfe einer Klemme oder Zange herausgezogen. Bei mittleren und großen Gelenken wird zuvor die Restaktivität in der Kanüle z.B. mit physiologischer Kochsalzlösung in das Gelenk gespült (Dreiwegehahn).

Bei der Behandlung von Fingergelenken wird am Fingerendglied gezogen, um den Gelenkspalt während der Punktion zu vergrößern. Hierzu sollten spezielle Zangen eingesetzt werden, um die Hände des Personals durch größeren Abstand zum Durchleuchtungsfeld zu schützen.

Palliative Therapie von Skelettmetastasen

Hierzu werden folgende in Lösung befindliche β-Strahler benutzt: Sr-89, Y-90, Sm-153, Re-186 und Re-188 (siehe Tabelle). Das radioaktive Arzneimittel wird über einen venösen Zugang injiziert, ggf. unter Verwendung eines Dreiwegehahns zum Nachspülen mit physiologischer Kochsalzlösung, damit die Restlösung des β-Strahlers aus dem System entfernt werden kann. Eine Fixierung der Injektionsnadel während der Injektion des radioaktiven Arzneimittels mit der Hand ist zu vermeiden.

Radioimmuntherapie

Bei der Radioimmuntherapie werden z.B. mit I-131 oder mit Y-90 markierte monoklonale Tumorantikörper verwendet. Das radioaktive Arzneimittel wird intravenös injiziert oder infundiert. Eine Fixierung der Injektionsnadel während der Injektion des radioaktiven Arzneimittels mit der Hand ist zu vermeiden. Vorteilhaft ist die Verwendung eines Venenkatheters mit Dreiwegehahn zum Nachspülen.

Das Gleiche gilt für andere mit I-131 oder Y-90 markierte radioaktive Arzneimittel zu Therapiezwecken, z.B. I-131-MIBG oder Y-90-Somatostatin.

Intravasale Brachytherapie

Hierbei erfolgt eine Applikation von Re-188 in einen Ballonkatheter. Das primäre Eluat enthält eine Aktivität von 20 bis 40 GBq in 25 ml; für die intravasale Brachytherapie sind jedoch 2 bis 4 GBq/ml erforderlich. Daher erfolgt nach Elution aus einem Wolfram-188/Rhenium-188-Generator eine Aufkonzentrierung durch ein Anionen-/Kationen-Austauschsystem, anschließend wird eine Sierilfiltration vorgenommen. Nach Applikation des radioaktiven Stoffes in den Ballon des Katheters verbleibt er dort für einige Zeit. Das radioaktive Arzneimittel gelangt dabei nicht als freie Substanz in den Blutkreislauf des Patienten.

Die Applikation erfolgt im Katheterlabor über das Schlauchsystem des Ballonkatheters. Es sind Hochdruck-Dreiwegehähne zu benutzen. Eine erhöhte Strahlenexposition kann während der Injektion, während der intravasalen Bestrahlungszeit (durchschnittlich ca. 3 bis 10 Minuten) und während der Entleerung des Ballonkatheters auftreten. Während dieser Zeit dürfen weder die zuführenden Schlauchsysteme durch den Nuklearmediziner noch der Ballonkatheter selbst durch den Kardiologen/Angiologen unmittelbar angefasst werden; es sind Plexiglas-Abstandshalter oder Abstandszangen zu benutzen.

Die Zerlegung und Reinigung des Generators und des Systems zur Aufkonzentrierung sollte auch unter Verwendung von PlexiglasAbstandshaltern oder Abstandszangen erfolgen. Es sollten zuvor 7 bis 10 Halbwertszeiten vergehen.

Literatur

[1] Strahlenschutz in der Medizin - Richtlinie nach der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung - StrlSchV) vom 24. Juni 2002 (BAnz. Nr. 207a vom 7. November 2002)

[2] J. Mielcarek, I. Barth. Berufliche Strahlenexposition während der Produktion von Augenapplikatoren und bei der Radiosynoviorthese. Tagungsband 34. Jahrestagung des Fachverbands für Strahlenschutz e.V., Kloster Seeon, 21.-25. April 2002, S.463-470

[3] I. Barth, J. Mielcarek. Beta-Strahlenexposition des medizinischen Personals in der endovaskulären Brachytherapie (IVB). Tagungsband 34. Jahrestagung des Fachverbands für Strahlenschutz e.V., Kloster Seeon, 21.-25. April 2002, S.425-432

[4] Merkblatt zum Strahlenschutz bei der Radiosynoviorthese (RSO), Bundesamt für Strahlenschutz, Oktober 2002

Tabelle: Physikalische Daten der verwendeten Radionuklide

IsotopHalbwertszeitMaximale Energie der β-StrahlungMaximale Reichweite der β-Strahlung in Plexiglas*)Maximale Energie der γ -Strahlung" )
Strontium-8950,5 Tage1,495 MeV5,7 mmkeine
Iod-1318 Tage0,606 MeV1,9 mm364 keV
Yttrium-902,7 Tage2,28 MeV9,2 mmkeine
Erbium-1699,4 Tage0,35 MeV0,86 mmkeine
Rhenium-1863,8 Tage1,07 MeV3,8 mm137 keV
Rhenium-1880,7 Tage2,12 MeV8,5 mm155 keV

* ) Dichte von Plexiglas 1,18 g cm-3 ** ) Neben der γ -Strahlung tritt auch β-Bremsstrahlung auf.

ENDE