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Regelwerk, Strahlenschutz

Diagnostische Referenzwerte in der Nuklearmedizin
- Empfehlung der Strahlenschutzkommission -

(BAnz. Nr. 164 vom 01.09.2001 S. 19142)



Verabschiedet in der 167. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 6.17. Juli 2000

Vorgaben internationaler Gremien für Referenzwerte

Die Internationale Strahlenschutzkommission (IGRP) hat in ihren Empfehlungen Nr. 60 von 1990 [4] vorgeschlagen, "Dosisschranken" oder "Untersuchungsschwellen" für einige häufige diagnostische Verfahren festzulegen. Diese sollten flexibel gehandhabt werden und im Bedarfsfall aus triftigen Gründen auch überschritten werden dürfen. Weitergehende Beschränkungen oder Grenzwerte sollten nach Auffassung der ICRP nicht festgelegt werden, da sie dem Patienten unter Umständen zum Nachteil gereichen können [4].

In den aktuelleren Empfehlungen Nr. 73 von 1996 [5] empfiehlt die ICRP erstmals die Verwendung von "Referenzwerten" in der medizinischen Diagnostik. Diese Werte sollen Untersuchungsschwellen darstellen, die einfach zu bestimmen sind und in der Nuklearmedizin z.B. der verabreichten Aktivität entsprechen. Der Referenzwert soll dazu dienen, auf relativ einfache Art Situationen zu identifizieren, bei denen die verabreichte Aktivität ungewöhnlich hoch ist. Wenn sich herausstellt, dass die Referenzwerte bei bestimmten Untersuchungsverfahren ständig überschritten werden, sollen das Untersuchungsgerät und der Untersuchungsablauf vor Ort darauf hin überprüft werden, ob das Optimierungsgebot des Strahlenschutzes erfüllt ist.

In der Richtlinie 97/43/EURATOM vom 30. Juni 1997 [1] ist unter dem Stichwort "Optimierung" festgelegt, dass die Mitgliedsstaaten die Erstellung und Anwendung diagnostischer Referenzwerte für strahlendiagnostische Untersuchungen und die Verfügbarkeit einer, entsprechenden Anleitung unter Berücksichtigung europäischer diagnostischer Referenzwerte, sofern vorhanden, fördern. Die Mitgliedsstaaten sorgen dafür, dass bei jeder beständigen Überschreitung von diagnostischen Referenzwerten geeignete lokale Überprüfungen vorgenommen und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen getroffen werden" [1].

In dieser Richtlinie werden diagnostische Referenzwerte folgendermaßen definiert:

"Dosiswerte bei strahlendiagnostischen medizinischen Anwendungen oder - im Falle von Radiopharmaka - Aktivitätswerte für typische Untersuchungen an einer Gruppe von Patienten mit Standardmaßen oder an Standardphantomen für allgemein definierte Arten von Ausrüstung. Bei Anwendung guter üblicher Praxis hinsichtlich der diagnostischen und der technischen Leistung wird erwartet, dass diese Werte bei Standardverfahren nicht überschritten werden" [1].

Die Expertenkommission nach Artikel 31 des EURATOM-Vertrags ("Expertenkommission") befasst sich in ihren Empfehlungen "Strahlenschutz 109" ausführlich mit "Leitlinien für diagnostische Referenzwerte bei medizinischen Strahlenexpositionen" [2]. Bezüglich der Verfahren zur Aufstellung diagnostischer Referenzwerte schlägt die Kommission vor, dass die Referenzwerte in der nuklearmedizinischen Diagnostik in verabreichten Aktivitäten (MBq) und nicht als Energiedosen angegeben werden. Diese verabreichte Referenzaktivität soll nicht auf eine bestimmte Perzentile der Verteilung der verwendeten Aktivitäten abstellen, sondern auf die für eine gute Bildqualität bei einem Standardverfahren notwendige Aktivität. Der diagnostische Referenzwert in der Nuklearmedizin soll ein Leitwert für die verabreichten Aktivitäten sein; es wird empfohlen, dass dieser Aktivitätswert bei einer bestimmten Untersuchungsart in Standardsituationen verabreicht wird [2].

Damit ergibt sich nach den Empfehlungen der Expertenkommission ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Referenzwerte-System in der diagnostischen Radiologie und dem der nuklearmedizinischen Diagnostik. In der diagnostischen Radiologie ist der Referenzwert ein Wert, der erwartungsgemäß bei Patienten mit Standardmaßen nicht überschritten wird, wobei die Dosis bei Standardverfahren unter diesem Wert liegen sollte, während in der Nuklearmedizin der Wert bei Standardverfahren möglichst weitgehend angestrebt, aber auch nicht wesentlich überschritten werden sollte. In der Nuklearmedizin sollte daher als Referenzwert anstelle einer Perzentilen ein "Optimalwert" benutzt werden. Ein Referenzwert für verabreichte Radionuklidaktivitäten, die ausreichend sind, um Informationen für Standard-Patientengruppen (Erwachsene und Kinder) zu gewinnen, kann national anhand der Erfahrungen der Fachgremien festgelegt werden ("Expertenurteil") [2].

Die Expertenkommission führt in der Anlage zu ihren Empfehlungen Strahlenschutz 109 [2] eine Liste mit unterschiedlichen verabreichten Aktivitäten in den Mitgliedsstaaten auf. Diese Liste enthält Vorschläge zu Referenzaktivitäten für 52 verschiedene Radiopharmaka. Nach Einschätzung der Strahlenschutzkommission ist die Liste zu umfangreich und enthält Verfahren, die nicht als Standardverfahren im Sinne der Definition der EURATOM-Richtlinie 97/43 zu betrachten sind; einerseits sind hier veraltete Verfahren aufgelistet, während andererseits moderne Untersuchungsverfahren fehlen.

Die Expertenkommission stellt fest, dass es keine auf europäischer Ebene empfohlene Referenzwerte in der Nuklearmedizin gibt. Allerdings lägen in einigen Ländern, etwa im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden, Hinweise auf optimale Werte zu fast allen Untersuchungsarten vor, die von Fachgruppen erarbeitet und von den zuständigen Behörden genehmigt worden seien. Die von der Expertenkommission vorgestellte Liste enthält auch einige wenige Angaben aus Deutschland, die von den deutschen Behörden und nach Daten eines großen Instituts mitgeteilt worden seien. Diese Angaben sind lückenhaft und in der vorliegenden Form nicht als Referenzwerte nach EURATOM 97/43 geeignet.

Empfehlungen für Referenzwerte

In der nachfolgenden Tabelle 1 sind Vorschläge für Referenzaktivitätswerte in der nuklearmedizinischen Diagnostik aufgeführt, die von Experten des Ausschusses "Strahlenschutz in der Medizin" der Strahlenschutzkommission zusammengestellt wurden. Die Werte beziehen sich auf die nach der Häufigkeitsverteilung nuklearmedizinischer Untersuchungsverfahren im Jahre 1997 in Deutschland häufigsten Untersuchungsmethoden; mit der Liste sind über 95% aller in der Routinediagnostik anfallenden nuklear-medizinischen Untersuchungen abgedeckt. Des Weiteren sind die Verfahren mit der höchsten Exposition enthalten. Die Liste sollte gemäß den Empfehlungen der Expertenkommission nach Artikel 31 des EURATOM-Vertrags regelmäßig aktualisiert werden.

Ebenfalls den Empfehlungen der Expertenkommission folgend, sollte bei Kindern die verabreichte Aktivität in Relation zum Erwachsenenwert festgelegt werden. Die Arbeitsgruppe Pädiatrie der "European Association of Nuclear Medicine" (EANM) [3] hat eine Tabelle veröffentlicht, in der die Kindern zu verabreichende Aktivität als Bruchteil der verabreichten Erwachsenen-Aktivität in Bezug auf das Körpergewicht der Kinder aufgeführt ist (Tabelle 2). Die europäische Expertenkommission übernimmt in ihren Empfehlungen den Vorschlag der Arbeitsgruppe Pädiatrie der EANM, eine Mindestaktivität von 1/10 des Erwachsenenwerts zu verabreichen, da andernfalls die Aufnahmezeiten bei Kindern so lange ausfallen können, dass eine entsprechende Ruhigstellung problematisch wird [3]. Diesem Vorschlag sollte auch von deutscher Seite gefolgt werden.

Der Aktivitätsbedarf für eine bestimmte nuklearmedizinische Untersuchung darf nicht nur unter dem Minimierungsangebot des Strahlenschutzes gesehen werden. Höhere Aktivitäten können unter Umständen erforderlich werden zur Optimierung der Bildgebung bei adipösen Patienten oder Patienten mit eingeschränkter Organfunktion. Darüber hinaus können höhere Aktivitäten in bestimmten Fällen nötig sein, um Bewegungsartefakte bei unruhigen Patienten (Kinder!) zu vermeiden oder die Lagerungsdauer bei Schwerkranken zu verkürzen. In den genannten Situationen ist die mit der Verwendung höherer Aktivitäten verbundene Strahlenexposition mit dem individuellen Nutzen für den Patienten zu rechtfertigen [6].

In bestimmten Situationen kann das im Zusammenhang mit der diagnostischen Applikation von Radiopharmaka zu betrachtende Risiko für stochastische Strahleneffekte vernachlässigt werden, wenn z.B. ein Patient mit einer schweren Krankheit und sehr begrenzter Lebenserwartung die Latenzzeit bis zum Auftreten eines hypothetisch in Betracht zu ziehenden malignen Tumors gar nicht überlebt. Ganz entscheidend bei der Indikationsstellung und Rechtfertigung nuklearmedizinischer Untersuchungen ist der mit der Maßnahme verbundene Nutzen. Es lässt sich insbesondere für Untersuchungen bei Tumorpatienten sehr gut belegen, dass auch eine unter Umständen relativ hohe Strahlenexposition wegen des mit der Untersuchung verbundenen Nutzens nach sorgfältiger Abwägung vertretbar ist [7].

Die Strahlenschutzkommission empfiehlt dem BMU, das Bundesamt für Strahlenschutz zu beauftragen, die vorgeschlagenen Referenzaktivitäten für die Erstellung der diagnostischen Referenzwerte (nach Artikel 4 Abs. 2 der Richtlinie 97/43/EURATOM) für die Nuklearmedizin zu verwenden und diese in angemessenen Zeiträumen nach dem Stand der Wissenschaft zu aktualisieren.

Tabelle 1 Vorschläge für Aktivitäts-Referenzwerte in der Nuklearmedizin (in MBq)

OrganScan/TestRadiopharmakonReferenz-aktivitat*)
(MBq)
SchilddrüseUptake/ScanTc-99m-0475
I-123-NaI10
I-131-NaI3**)
SkelettKnochenTc-99m-MDP750
KnochenmarkTc-99m-Kolloid550
HerzPerfusion/VitalitätTc-99m-Sestamibi800
Tc-99m-Furifosmin800
Tc-99m-Tetrofosmin800
Tl-201-Chlorid75
Glucose-UptakeF-18-FDG400
Ventrikuläre FunktionTc-99m- Erythrozyten750
NierenERPFTc-99m-MAG3200
I-123-Hippuran50
GFRTc-99m-DTPA150
Uptake/ScanTc-99m-DMSA70
LungePerfusionTc-99m-MMA oder -Mikrospharen200
VentilationTc-99m-Aerosol1000 *
GehirnBlutflussTc-99m-HMPAO550
Tc-99m-ECD550
Benzodiazepin-RezeptorenI-123-Iomazenil200
Dopamin-RezeptorenI-123-IBZM200
Glucose-UptakeF-18-FDG400
LeberGalleflussTc-99m-HIDA150
TumorVitalitätTc-99m-Sestamibi800
Tl-201-Chlorid75
Ga-67-Zitrat110
Adrenerge FunktionI-123-MIBG370
I-131-MIBG75
Somatostatin- RezeptorenIn-111-Octreotide220
Glucose-UptakeF-18-FDG400
EntzündungLeukozytenTc-99m-Antikörper750
Tc-99m-Kolloid750
Tc-99m-HMPAO- Leukozyten750
*) Die bei Kindern zu verabreichende Aktivität ist als Bruchteil der Erwachsenen-Aktivität in Abhängigkeit vom Körpergewicht festzulegen (Tabelle 2). Zu beachten ist, dass die Minimalaktivität bei Kindern 1/10 der in Tabelle 1 aufgeführten Aktivitätswerte beträgt.
**) nur vor Radioiodtherapie
***) Aktivität im Vernebler, weniger als 10% werden in der Lunge deponiert.

Tabelle 2: Bruchteil verabreichter Erwachsenen-Aktivität bei Kindern unterschiedlichen Körpergewichts (nach Empfehlungen der Pädiatrischen Arbeitsgruppe der EANM [3])

Körpergewicht in kgBruchteil verabreichter
Erwachsenenaktivität
30,10
40,14
60,19
80,23
100,27
120,32
140,36
160,40
180,44
200,46
220,50
240,53
260,56
280,58
300,62
320,65
340,68
360,71
380,73
400,76
420,78
440,80
460,83
480,85
500,88
52-540,90
56-580,95
60-621,00
64-661,00
681,00
Die Mindestwerte sollen 1/10 der in Tabelle 1 aufgeführten Aktivitäten betragen.

Literatur

[1] Rat der Europäischen Union: Richtlinie 97/43/EURATOM des Rates vom 30. Juni 1997 über den Gesundheitsschutz von Personen gegen die Gefahren ionisierender Strahlung bei medizinischer Exposition und zur Aufhebung der Richtlinie 84/466/Euratom. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 180 vom 9. Juli 1997

[2] Expertenkommission nach Artikel 31 des EURATOM-Vertrags: Leitlinien für diagnostische Referenzwerte bei medizinischen Strahlenexpositionen. Veröffentlichung Strahlenschutz 109, Generaldirektion Umwelt, Nukleare Sicherheit und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission. Brüssel (1999)

[3] Piepsz, A., Hahn, K., Roca, I., Ciofetta, G., Toth, G., Gordon, I., Kolinska, J., Gwidlet, J.: A Radiopharmaceutical Schedule for Image in Pediatric. Recommendations of the Pediatric Task Group of the European Association of Nuclear Medicine. Eur J Nucl Med 17 (1990), 127-129

[4] Internationale Strahlenschutzkommission: Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission 1990, ICRP-Veröffentlichung 60. Stuttgart, Jena, New York: Gustav-Fischer-Verlag, 1993

[5] Internationale Strahlenschutzkommission: Strahlenschutz und Sicherheit in der Medizin, ICRP-Veröffentlichung 73. BfS-Schriften 19/99

[6] Reiners, Chr.: Einführung von Aktivitäts-Referenzwerten in der Nuklearmedizin. In: W. Oser, Chr. Reiners, C. Messerschmidt (Hrsg.): Einfluss moderner bildgebender Technologien auf die Strahlenexposition von Arzt und Patient. Band 41 der Serie Strahlenschutz in Forschung und Praxis. München, Jena: Urban & Fischer, 1999, Seiten 115-121

[7] Schicha, H., Weilner, U.: Nutzen-Risiko-Betrachtungen in der nuklear-medizinischen Diagnostik. In: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.). Strahlenexposition in der Medizinischen Diagnostik. Klausurtagung der Strahlenschutzkommission 18./19. Oktober 1993. Band 30 der Veröffentlichungen der Strahlenschutzkommission, Stuttgart, Jena, New York: Gustav-Fischer-Verlag, 1995, Seiten 386-419

ENDE