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Regelwerk, Strahlenschutz

Lungenkrebsrisiko durch Radonexpositionen in Wohnungen
- Stellungnahme der Strahlenschutzkommission -

Vom 12. Mai 2005
(BAnz. Nr. 118 vom 28.06.2005 S. 9737)


Verabschiedet in der 199. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 21./22. April 2005

1 Entwicklung des Wissensstandes

Ausgangspunkt des Wissens um das Lungenkrebsrisiko durch Radon waren Erkenntnisse über ein erhöhtes Risiko im Uranbergbau. Diese wurden zunächst rechnerisch auf die Exposition in Wohnungen übertragen (National Research Council 1999). Es folgte eine größere Zahl von Studien, die das radonbedingte Risiko in Wohnungen direkt untersuchten, von denen aber viele wegen ihrer zu geringen statistischen Teststärke (power) nicht aussagekräftig waren. Mit Fertigstellung der umfangreichen deutschen Radonstudien war eine Aussage zur Situation in Deutschland möglich (Wichmann et al. 1998, 1999, 2005; Kreienbrock et al. 2001; Kreuzer et al. 2003). Mittlerweile liegt die europäische Pooling-Studie vor, die wegen ihrer Größe genauere Risikoabschätzungen zulässt und daher für die Bewertung besonders wichtig ist (Darby et al. 2005a, b; Kreuzer 2005). Schließlich wurden die Ergebnisse der nordamerikanischen Pooling-Studie veröffentlicht (Krewski et al. 2005) .

Die Strahlenschutzkommission (SSK) hat sich in der Vergangenheit in mehreren Empfehlungen und Stellungnahmen zum Thema Radon geäußert. Die Empfehlung "Strahlenschutzgrundsätze zur Begrenzung der Strahlenexposition der Bevölkerung durch Radon und seine Zerfallsprodukte" (SSK 1991) basierte auf Messungen der Häufigkeitsverteilung der Radonkonzentration in der Raumluft von Wohnungen in der Bundesrepublik Deutschland, auf ersten Ergebnissen von Bergarbeiterstudien und auf zwei Empfehlungen der internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP). Die SSK empfahl "... Sanierungsmaßnahmen bei existierenden Häusern ..., wenn der langzeitige Mittelwert der Radon-Konzentration im Wohn- und Aufenthaltsbereich oberhalb von 250 Bq/m3 liegt. Für zukünftige Häuser sollte durch geeignete Planung gewährleistet werden, dass dieser Wert nicht überschritten wird."

Der Empfehlung "Strahlenschutzgrundsätze zur Begrenzung der Strahlenexposition durch Radon und seine Zerfallprodukte in Gebäuden" (SSK 1994) lagen verbesserte Auswertungen von Bergarbeiterstudien, eine erste Studie zum Lungenkrebsrisiko durch Radon in Wohnräumen und eine neue Empfehlung der ICRP zugrunde. Während die Bergarbeiterstudien einen eindeutigen Zusammenhang von Lungenkrebsmortalität und Radonexposition ergaben, konnte ein solcher Zusammenhang für Radonexpositionen in Wohnräumen noch nicht eindeutig nachgewiesen werden. Die SSK stellte fest: "Die Beobachtungen an Bergleuten, die erhöhten Radon-Konzentrationen ausgesetzt waren, sind mit der Annahme vereinbar, dass die Erhöhung der Lungenkrebsrate der Radonexposition proportional ist, und dass es keinen Schwellenwert der Radon-Konzentration gibt, unterhalb dessen kein zusätzliches Risiko für Lungenkrebs existiert." Die SSK empfahl: 250 Bq/m3 gilt wie bisher als oberes Ende des Normalbereiches der Radon-Konzentration in Wohngebäuden. Bei Werten im Normalbereich werden Maßnahmen als nicht notwendig erachtet."

Die Stellungnahme "Epidemiologische Untersuchungen zum Lungenkrebsrisiko nach Exposition gegenüber Radon" (SSK 2002) beruhte auf Ergebnissen von 11 Kohortenstudien von Bergarbeitern und 13 Fall-Kontrollstudien des Lungenkrebsrisikos durch Expositionen in Wohnungen. Zu den Fall-Kontrollstudien gehörten auch die beiden großen deutschen Studien zum Lungenkrebsrisiko durch Radonexpositionen in Wohnräumen. Weiterhin lag eine Meta-Analyse von 8 Fall-Kontrollstudien vor, die ein relatives Risiko von 1,10 (95 % Konfidenzintervall: 1,00 - 1,20) für eine 25-jährige Exposition von durchschnittlich 100 Bq/m3 ergab (Lubin und Boice 1997). Insgesamt bestand eine "... gute Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen aus den Kohortenstudien ... und den Fall-Kontrollstudien". Die SSK kam zu der folgenden Bewertung: "Auf Grundlage der Fallzahlen aller bisherigen Studien kann von einer statistisch signifikanten Erhöhung oberhalb von 250 Bq/m3 ausgegangen werden."

Für die Stellungnahme "Auswertung der vorliegenden Gesundheitsstudien zum Radon" (SSK 2004) standen die Ergebnisse von fünf weiteren Fall-Kontrollstudien und von einer gemeinsamen Auswertung der beiden großen Fall-Kontrollstudien in Deutschland West und Ost (deutsche Pooling-Studie) zur Verfügung. Letztere ergab eine statistisch signifikante Erhöhung des Lungenkrebsrisikos in der obersten Kategorie von Radonkonzentrationen oberhalb von 140 Bq/m3. Die SSK kam zu der folgenden Schlussfolgerung: "Das zusätzliche relative Lungenkrebsrisiko durch Radon liegt unter Annahme einer linearen Dosis-Wirkungsbeziehung ohne Schwellenwert ... bei etwa 10 % pro 100 Bq/m3 Radonkonzentration ... [Nach Berücksichtigung von Unsicherheiten der Expositionsabschätzung] ... liegt das zusätzliche Risiko eher höher als die vorliegenden Abschätzungen."

Im Folgenden werden die Ergebnisse der europäischen Pooling-Studie zusammengefasst., Einige in der öffentlichen Diskussion häufig gestellte Fragen werden beantwortet und schließlich wird eine zusammenfassende Bewertung des Lungenkrebsrisikos durch Radonexpositionen in Wohnungen gegeben.

2 Europäische Radonstudie

Die europäische Radonstudie ist eine Pooling-Studie. Sie umfasst 13 Einzelstudien aus 9 Ländern mit insgesamt 7148 Lungenkrebspatienten und 14208 Kontrollpersonen ohne diese Erkrankung (Darby et al. 2005a). Bei den Studienteilnehmern wurde in den jetzigen und früheren Wohnungen die Radonkonzentration über mindestens ein halbes Jahr gemessen. Ferner wurden alle Studienteilnehmer detailliert nach ihrem lebenslangen Rauchverhalten und anderen Riskofaktoren für Lungenkrebs befragt. Für jeden Studienteilnehmer wurde der zeitgewichtete Mittelwert der Radonkonzentrationen für die in den letzten 5 bis 34 Jahren bewohnten Wohnungen berechnet. In allen Risikoanalysen wurde das Rauchen als wichtigste Störgröße berücksichtigt.

Das relative Risiko für Lungenkrebs wird für verschiedene Expositionskategorien der Radonkonzentration angegeben. Als Referenz dient dabei die niedrigste Expositionskategorie von weniger als 25 Bq/m3. Das Lungenkrebsrisiko steigt deutlich mit steigender mittlerer Radonkonzentration in den während der letzten 5 bis 34 Jahren bewohnten Wohnungen (Abbildung 1). So wird beispielsweise für die Personengruppe mit einer Radonkonzentration von 100 bis 199 Bq/m3 ein statistisch signifikant um 20 % erhöhtes Risiko im Vergleich zur Referenzkategorie beobachtet. Im Bereich 200 bis 399 Bq/m3 liegt der beste Schätzwert für das Risiko ebenfalls bei ungefähr 20 %. Dieses Ergebnis ist allerdings nicht signifikant. Hier ist in der Studie noch der Bereich der Radonkonzentrationen, in dem statistische Schwankungen zu einer Nichtsignifikanz der Ergebnisse führen können. Für höhere Radonkonzentrationen wird wieder ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko beobachtet, und zwar um ca. 40 % im Bereich von 400 bis 799 Bq/m3 und ca. 100 % oberhalb von 800 Bq/m3.

Um die Form der Expositions-Wirkungs-Beziehung von Radon und Lungenkrebs zu untersuchen, wurden verschiedene Modellierungsansätze verwendet und miteinander verglichen. In einem linearen Modell ohne Schwellenwert nimmt das Lungenkrebsrisiko um 8,4 % (95 % Konfidenzintervall 3,0 %-15,5 %) je Anstieg der Radonkonzentration um 100 Bq/m3 zu. Beim kleinzelligen Bronchialkarzinom wurde sogar ein Risikokoeffizient von 31 % (95 % KI 13 % - 61 %) je 100 Bq/m3 beobachtet.

Abbildung 1:

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Relatives Risiko für Lungenkrebs in Abhängigkeit von der beobachteten Radonkonzentration in Wohnungen (aus Darby et al. 2005b). Die relativen Risiken und die 95 % Konfidenzintervalle sind für die Kategorien < 25, 25 - 49, 50 - 99, 100 - 199, 200 - 399, 400 - 799 und 800 + Bq/m3 angegeben. Ferner ist die geschätzte lineare Beziehung (RR = 1 + 0,00084 X, durchgezogene Linie) mit dem zugehörigen 95 % Konvidenzintervall (gestrichelte Linien) dargestellt. Das relative Risiko ist gleich 1 für 0 Bq/m3. Als Expositionsgröße wurde die zeitgewichtete durchschnittliche beobachtete Radonkonzentration festgelegt. Die angegebenen relativen Risiken sind für Studie, Alter, Geschlecht, Region und Rauchgewohnheiten adjustiert.

Um zu prüfen, ob ein Schwellenwert existiert, unterhalb dessen keine Risikoerhöhung auftritt, wurden verschiedene andere Modelle eingesetzt. Keines dieser Modelle lieferte eine statistisch signifikant bessere Modellanpassung als ein lineares Modell ohne Schwellenwert. Für lineare Modelle mit Schwellenwert konnten Schwellenwerte oberhalb von 150 Bq/m3 ausgeschlossen werden. Des Weiteren wurden die Risikoberechnungen auf Studienteilnehmer mit Radonkonzentrationen unter 200 Bq/m3 beschränkt. Auch bei dem so eingeschränkten Datensatz wurde mit einem linearen Expositions-Wirkungs-Modell ein statistisch signifikantes Risiko nachgewiesen.

Um für die Unsicherheiten der Ermittlung der Radonexposition zu korrigieren (Darby et al. 2005b), wurde in der europäischen Pooling-Studie aufgrund von Erfahrungen mit Mehrfachmessungen angenommen, dass die Messunsicherheiten multiplikativ sind. Das heißt, dass beispielsweise bei einer Radonkonzentration von 100 Bq/m3 die Messunsicherheit doppelt so groß ist wie bei 50 Bq/m3. Für die Korrektur wurde ein Verfahren entwickelt, das auf der Bayes-Statistik beruht. Die sich ergebende Verteilung der korrigierten Konzentrationswerte ist schmäler als die Verteilung der gemessenen Konzentrationswerte, d. h. kleine Werte werden im Mittel nach oben und große Werte nach unten korrigiert. Bei Anwendung dieses Verfahrens erhöht sich der Risikokoeffizient in der linearen Dosis-Wirkungsbeziehung für die korrigierten Radonwerte, und zwar von 8,4 % (95 % Konfidenzintervall 3,0 % bis 15,5 %) auf 16 % (95 % Konfidenzintervall 5 % bis 31 %) je 100 Bq/m3.

Auf Wunsch der deutschen Teilnehmer der Europäischen Pooling-Studie wurde eine Rechnung durchgeführt, die die Kategorien der deutschen Radonstudie verwendet (<50, 50 bis 79, 80 bis 139, 140 bis 399, 400 +B/m3). Hierbei ergab sich ab der Kategorie 80 - 139 Bq/m3 ein signifikant erhöhtes Risiko (Darby et al. 2005b).

3 Wichtige Einzelaspekte Rauchen und Radon

Ein wesentliches Ergebnis der europäischen Studie ist, dass das relative Lungenkrebsrisiko durch Radon für lebenslange Nichtraucher, Exraucher und derzeitige Raucher vergleichbar hoch ist. Der Anstieg für lebenslange Nichtraucher ist mit 11 % je 100 Bq/m3 (unkorrigiert) signifikant erhöht und höher als für Raucher mit 7 % je 100 Bq/m3. Der Unterschied ist aber nicht signifikant. Für die lebenslangen Nichtraucher ist das Lungenkrebsrisiko nicht nur im Intervall 100 bis 199 Bq/m3, sondern auch in allen Intervallen mit höheren Radonkonzentrationen signifikant erhöht. Für aktive Raucher allein und Exraucher allein ist die Risikoerhöhung in den meisten Fällen statistisch nicht signifikant. Die besten Schätzwerte für die Erhöhung sind allerdings mit der Erhöhung für die Nichtraucher konsistent.

Da Raucher ein wesentlich höheres Ausgangsrisiko für Lungenkrebs haben, führt ein vergleichbares relatives Risiko durch Radon zu einem deutlich höheren absoluten Risiko für Raucher als für Nichtraucher. Die Mehrzahl der mit der Radonexposition assoziierten Sterbefälle tritt deshalb bei Rauchern auf. Ein Großteil der durch die Radonexposition zusätzlichen Fälle ist durch die Wechselwirkung vom Rauchen mit der Radonexposition bedingt.

Die Berücksichtigung des Rauchens beeinflusst den Schätzer für das radonbedingte Risiko erheblich. In der deutschen Pooling-Studie wurde das Rauchen in der Form log (Packungsjahre +1), 4 Kategorien für Exraucher und eine Variable für sonstige Raucher als Confounder im Modell berücksichtigt. Es zeigte sich, dass ein erhöhtes Risiko durch Radon nur nachweisbar war, wenn für das Rauchen korrigiert (adjustiert) wurde. Grund hierfür ist die Tatsache, dass in Deutschland Radon und Rauchen negativ korreliert sind (weil radonbelastete Regionen ländlich sind und dort traditionell weniger geraucht wird als in städtischen Regionen mit niedrigeren Radonkonzentrationen) .

Der überwiegende Anteil aller Lungenkrebsfälle (über 90 %) ist durch das Rauchen verursacht. Eine multiplikative Wechselwirkung von Rauchen und Radonexposition bewirkt, dass von den übrigen Fällen der größere Anteil durch die Interaktion beider Noxen und der kleinere Teil durch die Radonexposition allein bedingt sind.

Andere Risikofaktoren

Neben Rauchen und Radon können auch andere Risikofaktoren für die Entstehung von Lungenkrebs verantwortlich sein. So wurde in der deutschen Pooling-Studie immer auch für Asbest am Arbeitsplatz adjustiert. In der ostdeutschen Radonstudie wurden zusätzlich Passivrauchen, Ernährung und Sozialstatus betrachtet. Durch die Berücksichtigung dieser Risikofaktoren änderten sich die Ergebnisse nicht nennenswert.

In jüngster Zeit wurde ein Zusammenhang zwischen der Feinstaubimmission und dem Auftreten von Lungenkrebs nachgewiesen (Pope et al. 2002), wobei der Dieselrußanteil im Feinstaub als primäres Agens angesehen wird. Dieser Risikofaktor wurde in den Radonstudien nicht berücksichtigt, und man könnte die Frage stellen, ob das dem Radon zugeordnete Risiko nicht tatsächlich auf Feinstaub zurückzuführen ist. Davon ist allerdings nicht auszugehen. Damit eine solche Verzerrung auftreten könnte, müsste eine deutliche positive Korrelation zwischen den Expositionen gegenüber Radon und Feinstaub bestehen. Dafür gibt es aber keine Hinweise. Im Gegenteil, da die Feinstaubimmission in großen Städten und Industrieregionen höher ist als auf dem Land und die Radonexposition in den Städten niedriger ist als auf dem Land, ist - wenn überhaupt - eine negative Korrelation zu erwarten. Dies würde aber bedeuten, dass die Expositions-Wirkungs-Beziehung für Radon steiler würde, wenn man die Feinstaubimmission mit einbeziehen könnte. Bei der gegebenen Größe der Einzelrisiken wäre dieser Effekt jedoch nur klein. Insgesamt ist also davon auszugehen, dass durch die fehlende Berücksichtigung der Feinstaubimmission die Radoneffekte geringfügig unterschätzt, aber jedenfalls nicht überschätzt werden.

Statistische Auswertung, Modellabhängigkeit der Risikoergebnisse

Bei der statistischen Auswertung wird in medizinischen und epidemiologischen Studien üblicherweise ein Ergebnis als statistisch signifikant angesehen, wenn eine zufällige Assoziation mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als 5 % ausgeschlossen werden kann. Statistisch signifikante Risikoerhöhungen werden zur Grundlage von Entscheidungen gemacht.

Bei der statistischen Modellierung der europäischen Studie wurden verschiedene Modellansätze zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Radonexposition und Lungenkrebsrisiko miteinander verglichen. Das einfachste Modell ist eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung ohne Schwellenwert. Kein anderes Modell beschrieb die Daten signifikant besser.

In der deutschen Pooling-Studie wurden, wie auch in der europäischen Pooling-Studie, zwei Modelle verwendet, nämlich ein "freies" Modell, welches die Radonexposition als kategorielle Variable auf Stufen verwendet, und ein lineares Modell. Die Ergebnisse des freien Modells sind mit einer linearen Expositions-Wirkungs-Beziehung kompatibel.

Epidemiologische Kausalitätsbetrachtungen

Legt man die üblichen epidemiologischen Kausalitätskriterien an, so ergibt sich für das Lungenkrebsrisiko durch Radon in Wohnungen folgendes:

Insgesamt folgt daraus, dass nach den vorliegenden Befunden Radon in Wohnungen als kausale Ursache von Lungenkrebs bei Rauchern und Nichtrauchern anzusehen ist.

Unsicherheiten bei der Rauchexposition

Für die deutsche Radonstudie wurde die Frage untersucht, wie sich Unsicherheiten bei der Rauchexposition auf das Ergebnis für das Radonrisiko auswirken (Heid 2001.. Wie bei den Unsicherheiten der Radonexposition wurde das Ergebnis für das Risiko größer, wenn Unsicherheiten (klassische Fehler) bei der Tabakrauchexposition (Erhebung der Packungsjahre) berücksichtigt werden. Andererseits bewirkte die Verwendung von Packungsjahren als Surrogat für die Lungendosis durch inhalierte Karzinogene im Rauch eine Verringerung der statistischen Teststärke. Selbst kleine Korrelationen zwischen Radonexposition und den Packungsjahren bewirken Verzerrungen der Studienergebnisse. Eine negative Korrelation, wie sie in der europäischen und der deutschen Studie vorliegt, führt zu einer Unterschätzung des Risikokoeffizienten.

Verzerrung durch unterschiedliche Hintergrundrisiken in den Einzelstudien

In der europäischen Pooling-Studie wurde neben anderen Faktoren auch für die einzelnen Studien adjustiert. Damit wurde eine Verzerrung der Ergebnisse aufgrund von unterschiedlichen Hintergrundrisiken in den Einzelstudien ausgeschlossen.

In den deutschen Radonstudien werden jeweils Lungenkrebspatienten aus den alten Bundesländern mit Kontrollpersonen aus den alten Bundesländern und Lungenkrebspatienten aus den neuen Bundesländern mit Kontrollpersonen aus den neuen Bundesländern verglichen. Eine Verzerrung der Ergebnisse durch einen (unzulässigen) Vergleich der alten mit den neuen Bundesländern ist daher ausgeschlossen.

Prinzip einer Fall-Kontrollstudie

Bei einer Fall-Kontrollstudie werden Patienten mit der interessierenden Krankheit (Fälle) mit Kontrollpersonen verglichen, bei denen diese Krankheit nicht vorliegt. Da die Häufigkeit (Prävalenz und Inzidenz) der meisten Krankheiten geschlechts- und alters-abhängig ist, wird in der Regel ein Matching nach Geschlecht und Alter durchgeführt (so auch in den Radonstudien). Durch diese Vorgehensweise ist die Vergleichbarkeit zwischen Fällen und Kontrollen gewährleistet. Dabei ist es unerheblich, dass Kontrollpersonen gegebenenfalls im späteren Alter erkranken können.

Limitationen bei der Bestimmung der Radonexposition

Eine vollständige Charakterisierung der Radonexposition des Menschen würde eine Bestimmung mittels Personendosimeter über einen langen Zeitraum voraussetzen. Solche Daten liegen in epidemiologischen Studien nicht vor. Vielmehr wird vereinfacht die Radonkonzentration in Wohnungen zugrunde gelegt. Die Radonkonzentration im Freien beträgt für die Studiengebiete der deutschen Radonstudie etwa 10 - 15 Bq/m3 und liegt damit bei etwa 20 % der Konzentration in Wohnungen. Für den Arbeitsplatz zeigen internationale Untersuchungen, dass die Radonkonzentrationen bei etwa 30 % der Konzentrationen in Wohnungen liegen (Schaffrath Rosario et al. 2004). In der deutschen Radonstudie wird ebenso wie in der europäischen Studie die Radonbelastung im Freien und am Arbeitsplatz nicht berücksichtigt, da hierfür keine individuellen Messungen vorliegen. Da dies Fälle und Kontrollen in gleicher Weise betrifft, ist kein großer Einfluss auf den Radonschätzer zu erwarten, zumal Personen, die an radonbelasteten Arbeitsplätzen arbeiten, aus den Studien ausgeschlossen wurden.

Luftverwirbelungen, die durch Türöffnen und -schließen und durch Bewegungen in der Wohnung verursacht sind, bedingen eine Erhöhung des Luftaustausches während der Anwesenheit der Bewohner einer Wohnung. Radonkonzentrationen sind deshalb im Mittel während dieser Zeiten geringer als während der gesamten Messperioden, die auch Abwesenheitszeiten einschließen. Dieser Effekt führt tendenziell zu einer Überschätzung der Radonexpositionen der Bewohner. Da sich die Ergebnisse der Studien jedoch auf die gemittelte Radonkonzentration in den Wohnungen und nicht auf die Radonexposition der Bewohner beziehen, wirkt sich der Effekt kaum auf die Studienergebnisse aus.

Die Tatsache, dass Häuser aus Gründen der Wärmedämmung heute im Mittel stärker abgedichtet sind als früher, führt zu einer Zunahme der Radonkonzentrationen in Wohnungen. Das bedeutet, dass die gemessenen Radonkonzentrationen möglicherweise höher waren als die früher in den Wohnungen vorhandenen Radonkonzentrationen. Auch trägt dieser Effekt zur Unsicherheit der abgeschätzten Radonkonzentrationen bei. Beides bewirkt, dass die Studien das zusätzliche Risiko je Zunahme der Radonkonzentration eher unterschätzen. Zusätzlich bewirkt eine Zunahme der Radonkonzentration in den Wohnungen, dass das Risiko für die Bevölkerung tendenziell zunimmt.

Nordamerikanische Pooling-Studie

Die mittlerweile ebenfalls verfügbare nordamerikanische Pooling-Studie (Krewski et al. 2005) umfasst 3662 Fälle und 4966 Kontrollen. Sie findet eine Expositions-Wirkungs-Beziehung mit einem Risikoschätzer von 11 % (95 % KI 0 % bis 28 %) pro 100 Bq/m3. Die Ergebnisse sind ähnlich zu denen der europäischen Pooling-Studie, wegen der geringeren statistischen Teststärke aber häufig nicht signifikant.

4 Zusammenfassende Risikobewertung

Die europäische Pooling-Studie zeigt einen klaren Anstieg des Lungenkrebsrisikos mit steigender Radonkonzentration in Wohnungen. Besonders wichtig ist, dass diese Erhöhung nicht nur in der Gruppe aller Studienteilnehmer nachgewiesen wurde, sondern auch für die Untergruppe der lebenslangen Nichtraucher. Ruf-rund der deutschen Radonstudie war die SSK in ihrer letzten Stellungnahme von einer linearen Expositions-Wirkungs-Beziehung ohne Schwellenwert von etwa 10 % pro 100 Bq/m3 Radonkonzentration ausgegangen. Dieser Zusammenhang bestätigt sich in der europäischen und auch in der nordamerikanischen Studie.

In der europäischen Studie wurde für Unsicherheiten in der Expositionsabschätzung korrigiert, wodurch sich der Schätzwert für das Radonrisiko deutlich erhöhte. Da die Datengrundlage für das Korrekturverfahren begrenzt ist und mehrere Annahmen beispielsweise über die Fehlerstruktur und über die Verteilung der wahren Radonkonzentrationen gemacht werden, ist das Ergebnis des Korrekturverfahrens selbst mit einer größeren Unsicherheit behaftet. Unabhängig davon ist davon auszugehen, dass eine Korrektur für Unsicherheiten der Expositionsabschätzungen zu einer Erhöhung des Schätzwertes für das Risiko führt.

Die europäische Pooling-Studie hat den Nachweis einer Erhöhung des Lungenkrebsrisikos bei längerem Aufenthalt (30 Jahre) in Wohnungen bei Radonkonzentrationen erbracht, die niedriger sind als der in früheren Empfehlungen der SSK erwähnte Wert von 250 Bq/m3. Angesichts der statistisch gut abgesicherten Ergebnisse der europäischen Studie ist bei Entscheidungen über konkrete Maßnahmen zur Reduzierung von Radonkonzentrationen in Wohnungen auch der Bereich unterhalb von 250 Bq/m3 zu berücksichtigen.

Für die Gruppe der lebenslangen Nichtraucher, für welche die Ergebnisse nicht durch das Rauchen beeinflusst sein können, wurde eine signifikante Risikoerhöhung ab dem Konzentrationsintervall von 100 - 199 Bq/m3 nachgewiesen.

Es gibt kein anderes umweltrelevantes Kanzerogen, bei dem die epidemiologische Datenlage so umfassend und eindeutig ist wie beim Radon. Für zahlreiche andere Umweltkanzerogene wie Asbest oder Dioxine bestehen rechtliche Regelungen, obwohl kein direkter Nachweis der Schädlichkeit in der Umwelt vorliegt, sondern das Wissen auf tierexperimentellen Daten und Daten am Arbeitsplatz beruht. Im Sinne der zu fordernden Konsistenz von Risikoeinstufungen sind deshalb auch Regelungen zur Begrenzung von Radonexpositionen in Wohnungen zu fordern.

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