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Regelwerk, Gefahrgut, Schifffahrt, MEPC

MSC-MEPC.7/Circ.7 Anleitung für die Meldung von Beinahe-Unfällen *

Vom 12. Januar 2009
(VkBl. Nr. 2 vom 31.01.2009 S. 46)



(angenommen 10. Oktober 2008)

1 Der Schiffsicherheitsausschuss auf seiner vierundachtzigsten Tagung (07. bis 16. Mai 2008) und der Ausschuss für den Schutz der Meeresumwelt auf seiner achtundfünfzigsten Tagung (06. bis 10. Oktober 2008) stellten fest, dass der Schiffsicherheitsausschuss auf seiner vierundsiebzigsten Tagung (30. Mai bis 08. Juni 2001) das Thema der Meldung von Beinahe-Unfällen und der Förderung einer offenen Fehlerkultur behandelt und das Rundschreiben MSC/Circ.1015 zur Förderung der Meldung von Beinahe-Unfällen herausgegeben hatte.

2 Außerdem stellten die Ausschüsse fest, dass eine Anleitung erforderlich war:

  1. um zu Meldungen über Beinahe-Unfälle anzuregen, damit Abhilfemaßnahmen ergriffen werden können, um Wiederholungen zu vermeiden und
  2. zur Durchführung von Meldungen über Beinahe-Unfälle gemäß den Anforderungen von Abschnitt 9 des ISM Codes betreffend der Meldung gefährlicher Situationen.

3 Daher hat der Ausschuss, um Meldungen über Beinahe-Unfälle anzuregen und um eine Sicherheitskultur zu fördern, die Anleitung in der Anlage verabschiedet.

4 Den Mitgliedsregierungen und internationalen Organisationen wird empfohlen, dieses Rundschreiben allen Beteiligten zur Kenntnis zu bringen.

Anleitung für die Meldung von Beinahe-Unfällen

1 Einleitung

1.1 Die Unternehmen sollen Beinahe-Unfälle als rechtliche Anforderung gemäß dem Teil Gefährliche Vorkommnisse des ISM-Codes untersuchen. Abgesehen davon, dass die Meldung von Beinahe-Unfällen eine Anforderung ist, ist sie auch im Geschäftsinteresse und wirtschaftlich sinnvoll, denn sie kann die Leistung von Schiffen und Besatzung verbessern und oftmals Kosten senken. Die Untersuchung von Beinahe-Unfällen ist ein Bestandteil der ständigen Verbesserung von Sicherheits-Management-Systemen. Dieser Vorteil kann nur erzielt werden, wenn die Seeleute sicher sein können, dass eine Meldung nicht zu Strafmaßnahmen führt. Aus Beinahe-Unfällen zu lernen soll dazu beitragen, die Sicherheit von Schiffen zu verbessern, da Beinahe-Unfälle auf dieselben Ursachen zurückgeführt werden können wie Verluste.

1.2 Damit ein Unternehmen den vollen Umfang der Vorteile der Meldung von Beinahe-Unfällen realisieren kann, müssen die Seeleute und die Angestellten an Land die Definition eines Beinahe-Unfalls verstehen, damit sichergestellt ist, dass alle Beinahe-Unfälle gemeldet werden. Außerdem muss das Unternehmen klar festlegen, wie die Person, die den Beinahe-Unfall meldet und die betroffenen Personen zu behandeln sind. Die folgende Anleitung regt an, dass das Unternehmen durch die Anwendung eines "Kultur der Fairness"-Ansatzes zu Meldungen und Untersuchung von Beinahe-Unfällen anregen soll.

1.3 Eine "Kultur der Fairness" beinhaltet eine Atmosphäre verantwortungsbewussten Verhaltens und Vertrauens, in dem die Menschen dazu ermutigt werden, wesentliche sicherheitsrelevante Informationen zu liefern, ohne eine Bestrafung befürchten zu müssen. Es wird jedoch ein Unterschied gemacht zwischen annehmbarem und unannehmbarem Verhalten. Unannehmbares Verhalten erhält nicht notwendigerweise die Garantie, dass eine Person keine Konsequenzen zu erwarten hat.

1.4 Eine entscheidende Anforderung ist, dass das Unternehmen ganz klar die Umstände festlegt, unter denen ein straffreies Ergebnis und Vertraulichkeit garantiert sind. Das Unternehmen soll für alle beteiligten Personen Ausbildungsmaßnahmen und Informationen über ihren "Kultur der Fairness"-Ansatz bei Meldung und Untersuchung von Beinahe-Unfällen bereitstellen.

2 Begriffsbestimmung eines Beinahe-Unfalls

2.1 Beinahe-Unfall: Eine Reihe von Vorkommnissen und/oder Bedingungen, die zu einem Verlust hätten führen können. Dieser Verlust wurde nur durch einen zufälligen Bruch in der Kette der Vorkommnisse und/oder Bedingungen verhindert. Der potentielle Verlust könnte in Verletzungen von Personen, Umweltschäden oder negativen Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb (z.B. Kosten für Instandsetzung oder Ersatz, Zeitverlust, Vertragsverletzungen, Verlust des guten Rufs) bestehen.

2.2 Einige allgemeine Beispiele eines Beinahe-Unfalls tragen zur Erläuterung dieser Begriffsbestimmung bei:

  1. Jedes Vorkommnis, das zur Durchführung eines Notfallverfahrens, Notfallplans oder einer Notfallreaktion führt und auf diese Weise einen Verlust verhindert. Wenn zum Beispiel eine Kollision knapp vermieden wird oder ein Besatzungsmitglied ein Ventil nochmals überprüft und eine für die Versorgung falsche Druckanzeige entdeckt.
  2. Jedes Vorkommnis, bei dem eine unerwartete Gegebenheit zu einer nachteiligen Folge führen könnte, die aber nicht eintritt. Wenn zum Beispiel eine Person eine Stelle verlässt unmittelbar bevor ein Kran unerwartet dort einen Teil der Ladung fallen lässt, oder wenn ein Schiff vom Kurs abkommt in normalerweise flachen Gewässern, aber wegen einer ungewöhnlich hohen Springtide nicht auf Grund läuft.
  3. Jede gefährliche oder riskante Situation oder Gegebenheit, die erst entdeckt wird, nachdem die Gefahr vorüber ist. Wenn zum Beispiel ein Schiff ohne Zwischenfall einen Anlaufhafen verlässt und erst einige Stunden später feststellt, dass der Schiffsfunk nicht auf die Funkfrequenz des Hafenkapitäns eingestellt war, oder wenn festgestellt wird, dass der Maßstab des ECDIS-Bildschirms nicht mit dem Maßstab, der Projektion oder der Orientierung der Seekarten- und Radarbilder übereinstimmt.

3 Überwindung von Barrieren bei der Meldung von Beinahe-Unfällen

3.1 Es gibt viele Barrieren im Zusammenhang mit der Meldung von Beinahe-Unfällen. In vielen Fällen ist ein Beinahe-Unfall nur der/den unmittelbar betroffenen Person(en) bekannt, die dann entscheiden, den Vorfall zu melden oder nicht zu melden. Einige der hauptsächlichen Barrieren bei der Meldung von Beinahe-Unfällen bestehen in der Furcht, beschuldigt, diszipliniert, blamiert oder rechtlich verantwortlich gemacht zu werden. Dies trifft umso mehr in einer Organisation zu, die eine schuldorientierte Kultur hat. Zu den anderen Barrieren gehören eine unkooperative Einstellung der Unternehmensleitung, wie etwa Gleichgültigkeit bezüglich bekannter Mängel, Unehrlichkeit bei der Behandlung von Sicherheitsthemen und das Abbringen von der Meldung von Beinahe-Unfällen durch die Forderung an die Seeleute, Untersuchungen außerhalb ihrer Arbeitszeit durchzuführen.

3.2 Diese Barrieren können durch Initiativen des Managements überwunden werden, z.B.:

  1. Durch Anregung zu einer "Kultur der Fairness" im Unternehmen, die auch die Meldung von Beinahe-Unfällen umfasst.
  2. Durch Gewährleistung von Vertraulichkeit für die Meldung von Beinahe-Unfällen, sowohl als Politik des Unternehmens als auch durch "Bereinigen" von Analysen und Berichten, sodass persönliche Angaben (Angaben, durch die eine Person identifiziert wird) über diejenigen, die von einem Beinahe-Unfall betroffen sind, entfernt werden und vertraulich bleiben. Persönliche Angaben sollen nach Abschluss der Untersuchungs- und Meldeverfahren nicht aufbewahrt werden.
  3. Durch Gewährleistung von angemessenen Mitteln für die Untersuchungen.
  4. Durch Aufgreifen der Vorschläge und Empfehlungen im Bericht über den Beinahe-Unfall. Wenn eine Entscheidung über die Umsetzung oder Nichtumsetzung getroffen ist, sollen die Empfehlungen des Berichts weithin verbreitet werden.

4 Der Prozess der Untersuchung eines Beinahe-Unfalls

4.1 Zumindest die folgenden Informationen sollen über jeden Beinahe-Unfall eingeholt werden:

  1. Wer und was war betroffen?
  2. Was geschah wo, wann und in welcher Reihenfolge?
  3. Welcher Art waren die möglichen Verluste und wie schwerwiegend wären sie?
  4. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Verlusts?
  5. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Kette der Vorkommnisse und/oder Bedingungen, die zu dem Beinahe-Unfall geführt haben, wiederholt?

4.2 Die Antworten auf diese Fragen bestimmen, ob eine detaillierte Untersuchung erforderlich ist oder ob ein knapper Bericht ausreicht. Eine detaillierte Untersuchung ist bei den Beinahe-Unfällen erforderlich, die sich wahrscheinlich wiederholen könnten und/oder die schwerwiegende Folgen gehabt haben könnten.

4.3 Wenn eine Entscheidung über die Durchführung einer umfassenden Untersuchung gefallen ist, werden weitere Entscheidungen getroffen hinsichtlich des erforderlichen Personals, wer verantwortlich sein soll und welche Mittel nötig sind, damit die Untersuchung erfolgreich abgeschlossen werden kann. Die wichtigsten Schritte in der Untersuchung sind:

Einholen von Informationen über den Beinahe-Unfall

4.4 Unabhängig von der Art des Beinahe-Unfalls sollen die grundlegenden Kategorien einzuholender Informationen umfassen: Personen, Papiere, elektronische Daten, materielle Angaben und Position/Ort. Diese Daten sind unbedingt notwendig, um sicher zu stellen, dass eine Festlegung darüber erzielt werden kann, was geschehen ist, wie, mit wem und schließlich warum der Beinahe-Unfall erfolgt ist. Das Sammeln der Daten geschieht durch Befragung des Schlüsselpersonals und das Zusammentragen von materiellen, Positions- und Ortsdaten unter Verwendung von, unter anderem, Photographien, Aufzeichnungen des Schiffsdatenschreibers, Seekarten, Logbüchern oder beschädigten Komponenten. Außerdem sollen Informationen eingeholt werden über vorhandene Sicherheitsmaßnahmen für an Bord befindliche und andere Personen und über das Betriebssystem, das einen Einfluss auf den Beinahe-Unfall hatte.

Analyse der Informationen

4.5 Die Anwendung von Datenanalysetechniken hilft dabei, festzustellen, welche Daten noch eingeholt werden müssen, um noch offene Fragen über den Beinahe-Unfall und seine Ursachen zu klären. Dadurch kann die Sammlung weiterer Daten effizienter gestaltet werden. Das endgültige Ziel dieser Tätigkeit ist es, alle ursächlichen Faktoren zu bestimmen.

Bestimmung der ursächlichen Faktoren

4.6 An diesem Punkt sind dann das Wer, Was, Wo, Warum und Wann des Beinahe-Unfalls verstanden und das menschliche Versagen oder die Schiffbau-/Maschinen-/Ausrüstungs-/Ausstattungsprobleme und die äußeren Faktoren, die zu dem Beinahe-Unfall geführt haben, ermittelt. Der nächste Schritt besteht darin, die ursächlichen Faktoren, die zu dem Beinahe-Unfall beigetragen haben, besser zu verstehen. Es gibt eine Vielzahl von Bestimmungsmethoden zu diesem Zweck, einschließlich der Taxonomie von Ursachen. Sie können dazu benutzt werden, um tiefergehende Untersuchungen anzustellen, die über die offensichtlichen Ursachen hinausgehen.

Die Erarbeitung und Umsetzung von Empfehlungen

4.7 Werden Empfehlungen gemacht, so müssen sie alle erkannten ursächlichen Faktoren ansprechen, um die organisatorischen und auf dem Schiff angewendeten Strategien, Praktiken und Verfahren zu verbessern. Die Umsetzung der geeigneten Empfehlungen ist der Schlüssel für die Beseitigung oder Verringerung der Möglichkeit, dass sich ein ähnlicher Beinahe-Unfall oder ein schwerwiegenderer Verlust wiederholen kann.

5 Abschluss der Untersuchung

5.1 Der Abschluss des Untersuchungsprozesses erfordert das Erstellen eines Berichts (entweder kurz oder ausführlich, das hängt von der Tiefe der durchgeführten Analyse und dem Grad des Risikos ab) sowie das Zusammenfassen und Speichern der Information auf eine Weise, die eine spätere (langfristige) Trendanalyse unterstützt.

5.2 Der letztliche Zweck der Meldung und Untersuchung von Beinahe-Unfällen ist es, Problembereiche zu ermitteln und angemessene Abhilfemaßnahmen umzusetzen, um zukünftige Verluste zu vermeiden. Dazu ist es notwendig, dass Berichte geschrieben, verteilt, gelesen und befolgt werden. Die Unternehmen sind dazu aufgefordert, zu überlegen, ob ihr Bericht nicht an einen größeren Personenkreis verteilt werden sollte.

5.3 Es kann Jahre dauern, bis Sicherheitstrends erkannt werden, daher sind Berichte zu archivieren und von Zeit zu Zeit neu zu prüfen. Berichte über Beinahe-Unfälle sollen zusammen mit Berichten über Todesfälle oder Zwischenfälle betrachtet werden, damit Trends erkannt werden können. In allen Berichten über Beinahe-Unfälle und Todesfälle/Zwischenfälle sollen die Methoden zur Identifizierung und die Nomenklatur von ursächlichen Faktoren übereinstimmen.

Internationaler Code für Massnahmen zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs und zur VERHÜTUNG der Meeresverschmutzung (ISM-CODE)

Vom 12. Januar 2009
(VkBl. Nr. 2 vom 31.01.2009 S. 46)

Nachfolgend wird die Richtlinien MSC-MEPC.7/Circ.7, die für die betriebliche Umsetzung des internationalen Code für die Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs durch Unternehmen zu berücksichtigen ist, bekannt gemacht.

UWS Umweltmanagement GmbHENDE