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Richtwerte für Benzaldehyd in der Innenraumluft

Fassung 2010
(Bundesgesundheitsbl. Nr. 6/2010)



Mitteilung der Adhoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte der Innenraumlufthygiene- Kommission des Umweltbundesamtes und der Obersten Landesgesundheitsbehörden
- Bekannmachung des Umweltbundesamtes -

1 Stoffidentifikation

IUPAC-Name: Phenylmethanal Synonyme: Benzoylaldehyd, Benzolcarbonal, Phenylformaldehyd, Bittermandelöl

CAS-Nr.: 100-52-7
Summenformel: C7H6O
Strukturformel:

1.1 Physikalisch-chemische Eigenschaften

Molekulargewicht: 106,12 g/mol
Schmelzpunkt:- 26°C
Siedepunkt: 179°C
Dichte: 1,04 g/ml bei 20°C
Dampfdruck: 0,13 kPa bei 20°C
Wasserlöslichkeit: 6,55 g/1 bei 25°C
Log Pow: 1,48
Umrechnung: 1 ppm = 4,4 mg/m3 bei 1013 mbar/20°C

1.2 Stoffeigenschaften und Verwendung

Benzaldehyd ist eine farblose, nach längerem Stehen gelbliche Flüssigkeit mit einem stechenden, aromatischen, bittermandelartigen Geruch. Wesentliche Verunreinigungen technischer Benzaldehyd-Produkte sind Toluol und Benzoesäure [1].

Benzaldehyd ist als Zusatzstoff in Lebensmitteln zugelassen und wird in Parfums verwendet. Es kommt in freier Form in ätherischen Ölen, zum Beispiel Hyazinthen, Zitronengras und Zimt, vor und als Cyanoglykosid (Amygdalin) in Bittermandeln, Pfirsichen und Aprikosen. Benzaldehyd wird als Lösungsmittel für Harze verwendet [l].

Bei Kammeruntersuchungen von 5o üblicherweise im Innenraum eingesetzten Bauprodukten (unter anderem sieben Acryl- und sechs Silikondichtmassen, 13 Holzwerkstoffe, sechs Kunstharzfertigputze, fünf Lacke, sechs Wandfarben, vier Klebstoffe) wurde Benzaldehyd am häufigsten in Kunstharzfertigputzen und in Fußbodenfarben, vereinzelt auch in einer OSB-, Gipskarton- und Buchenholzplatte in geringen Konzentrationen gefunden [2].

2 Exposition

Benzaldehyd lässt sich in der Luft der meisten Innenräume nachweisen. Tabelle 1 enthält Wochenmittelwerte einer repräsentativen Untersuchung zum Vorkommen von Benzaldehyd in Wohninnenräumen, in denen sich Kinder in Deutschland bei üblicher Nutzung der Räume überwiegend aufhielten (in 96 % der Fälle war dies das Kinderzimmer) [3]. Ferner sind Ergebnisse aus Untersuchungen der Raumluft von Schulen und Kindertagesstätten in Schleswig-Holstein [4] und Bayern [5] aufgeführt. In Schleswig-Holstein waren alle Räume vor der Messung mindestens acht Stunden ungelüftet, in Bayern erfolgte die Messung während der Unterrichtszeit. In der vorletzten Zeile der Tabelle sind überwiegend anlassbezogene Messungen auf Benzaldehyd, die zumeist in acht Stunden lang ungelüfteten Räumen stattfanden, in verschiedenen Innenräumen (Wohnungen, Büros, Schulen und anderes) dargestellt 161. Bei den Messungen in Büroräumen 2001 (Berlin) [7] und 2005 bis 2009 (Mecklenburg-Vorpommern) [8] handelt es sich um Messungen unter Betriebsbedingungen. Die statistischen Angaben in Tabelle 1 beziehen sich jeweils auf die Gesamtheit der untersuchten Proben.

Aktuelle Angaben zur oralen und dermalen Exposition gegenüber Benzaldehyd wurden nicht gefunden. Der in den 1980er-Jahren erstmals vorgeschlagene Summen-ADI-Wert von 5 mg Benzyl-Derivate pro kg Körperwicht und Tag, der auch Benzaldehyd einschließt, wurde 2001 bestätigt [9].

3 Toxikokinetik

Benzaldehyd wurde in einem Kurzzeit-Inhalationsversuch von Ratten schnell und nahezu vollständig resorbiert. Nach dem Übertritt ins Blut wird Benzaldehyd rasch im Organismus verteilt und verstoffwechselt. Die Halbwert zeit von Benzaldehyd im Blut beträgt zirka zehn Minuten [10]. Durch die Aldehyddehydrogenase wird Benzaldehyd überwiegend zu Benzoesäure oxidiert, die nach Konjugation als Hippursäure oder als Benzoylglucuronsäure ausgeschieden wird [11]. Ein geringerer Anteil wird zu Benzylalkohol reduziert und als Benzylmercaptursäure ausgeschieden [12]. Im Unterschied zu anderen Aldehyden bleibt der Benzaldehyd-Metabolismus vom Aldehyddehydrogenase-2-Polymorphismus unberührt [13].

4 Gesundheitliche Wirkung

Als wesentliche gesundheitliche Wirkung von Benzaldehyd nach akuter oder chronischer inhalativer Exposition ist eine Reizwirkung im Atemtrakt anzusehen. Irritative Effekte traten auch am Auge und an der Haut auf. Bei höheren Expositionskonzentrationen wirkt Benzaldehyd neurotoxisch.

Humanstudien

Reizerscheinungen im oberen Atemtrakt und an den Augen gaben erwachsene Probanden nach einer einminütigen Exposition gegenüber 20 mg Benzaldehyd/m3 an [14]. Bei Beschäftigten traten nach Exposition gegenüber im Mittel 5 mg Benzaldehyd/m3 vermehrt Atemwegserkrankungen auf; ferner wurden leichte Augenreizungen und erhebliche Hautreizungen genannt [15]. Die Expositionsdauer war nicht angegeben. Beide Studien lagen der Adhoc-Arbeitsgruppe nicht im Original vor und konnten deshalb nicht abschließend bewertet werden.

Von 26 Beschäftigten in der Parfumherstellung, die Parfums in kleinere Gebinde abfüllten, zeigten 20 Beschäftigte eine allergische oder irritative Kontaktdermatitis oder sonstige Reaktionen auf Duftstoffe. Neben Geraniol (zwölf Fälle) wurden Benzaldehyd (neun Fälle), Zimtaldehyd (sechs Fälle) sowie weitere Substanzen (vier Fälle) als Verursacher identifiziert [16].

Als Geruchsschwelle wird ein Wert von 0,2 mg Benzaldehyd/m3 angegeben [1]. Beschäftigte nahmen BenzaldehydKonzentrationen von 2-3 mg/m3 über 1-4 Stunden geruchlich deutlich wahr, 9 mg

Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2010 . 53:636-640
DOI 10.1007/s00103-010-1090-3
© Springer Medizin Verlag 2010

Richtwerte für Benzaldehyd in der Innenraumluft. Mitteilung der Adhoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte der Innenraumlufthygiene-Kommission des Umweltbundesamtes und der Obersten Landesgesundheitsbehörden

Zusammenfassung

Zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung setzt die Adhoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte des Umweltbundesamtes und der Obersten Landesgesundheitsbehörden Richtwerte für die Innenraumluft fest. Für eine gesundheitliche Bewertung von Benzaldehyd in der Raumluft liegen zwei unzureichend dokumentierte Humanstudien sowie eine als valide anzusehende tierexperimentelle Untersuchung mit subakuter inhalativer Exposition vor. Als niedrigste nachteilige Wirkungskonzentration für den Endpunkt Irritation bei chronischer Exposition am Arbeitsplatz sieht die Adhoc-Arbeitsgruppe einen Wert von 5 mg Benzaldehyd/m3 an. Die subakute tierexperimentelle Studie umfasst nur einen sehr schmalen Dosisbereich. Angesichts deutlicher Effekte bei der untersten Expositionskonzentration kann nach Auffassung der Adhoc-Arbeitsgruppe aus dieser Studie kein sicherer LOAEL abgeleitet werden. Aus dem LOAEL von 5 mg/m3 lässt sich unter Verwendung eines Faktors 3 zur Extrapolation auf eine kontinuierliche Exposition, eines Faktors 5 für die interindividuelle Variabilität der Reizwirkung sowie eines Faktors 2 zur Berücksichtigung der unsicheren Datenlage bei Kindern ein Richtwert II (Gefahrenrichtwert) von 0,2 mg Benzaldehyd/m3ableiten. Angesichts der Lücken in der Datenlage sieht die Adhoc-Arbeitsgruppe den abgeleiteten Richtwert für Benzaldehyd in der Innenraumluft als vorläufig an. Zum Schutz vor Geruchsbelästigungen schlägt die Adhoc-Arbeitsgruppe einen vorläufigen Richtwert I (Vorsorgerichtwert) von 0,02 mg Benzaldehyd/m3 Raumluft vor.

Schlüsselwörter

Benzaldehyd - Innenraumluft - Irritation Geruch - Richtwert

Indoor air guide values for benzaldehyde

Abstract

To protect public health the German Working Group an Indoor Guidelines of the Federal Environmental Protection Agency and the States' Health Authorities is issuing indoor air guide values. For health evaluation of benzaldehyde in indoor air only two poorly documented human studies and a valid subacute inhalation animal study are ava i la b I e. Occu pationa I exposure data suggest a lowest observed adverse effect level of 5 mg benzaldehyde per cubic meter for the endpoint irritation. This was used as pivotal information for the risk assessment by the Working Group. A safe LOAEL could not be derived from the subacute animal study due to several limitations. By applying a factor of 3 for extrapolation to continuous exposure, a factor of 5 for interindividual variability and a modifying factor of 2 regarding data gaps especially for children a tentative health hazard guide value (RW II) of 0.2 mg benzaldehyde/m3 indoor air is obtained.To protect from unpleasant odour a tentative health precaution guide value (RW I) of 0.02 mg benzaldehyde/m3 indoor is recommended.

Keywords

Benzaldehyde - Indoor air Irritation - Odour - Guide value

Tabelle 1: Vorkommen von Benzaldehyd in der Luft ausgewählter Innenräume in Deutschland

InnenraumNBG
[μg/m3]
n > BG
(% > BG)
Median
[μg/m3]
95. Percentil
[μg/m3]
Maximalwert
Kinderzimmer 2003-2006,
Wochenmittel [3]
5860,5573 (98)3712
Schule/Kita 2005-2007 [4]2851168 (59)2946
Schule 2004-2005,
Sommerhalbjahr [5]
760,172 (95)256
Büro, Wohnung, Schule, Kita und anderes 2002-2006 [6]15641984 (63)415120
üros 2001-2009 [7, 8]150551 (34)< 51033

Benzaldehyd/m3 über 15 Minuten wurden als penetranter Geruch empfunden [14].

Tierexperimentelle Studien

Die sensorische Reizwirkung eingeatmeten Benzaldehyds im Atemtrakt von Mäusen wurde in einer standardisierten Untersuchung (Nur-Kopf-Exposition) an zwei Mäusestämmen (Swiss-Webster und B6C3F,) ermittelt. Ziel war die Bestimmung der Konzentration, die nach einer zehnminütigen Exposition zu einer 50 %igen Abnahme der Atemrate (respiratorische Dosis - RD50) führte. Für Benzaldehyd wurden RD50-Werte von 1465 beziehungsweise 1734 mg/m3 ermittelt [17].

In einer weiteren Kurzzeitstudie wurde die Neurotoxizität von Benzaldehyd untersucht. Nach einer einstündigen Exposition gegenüber unverdünnten Benzaldehyd-Dämpfen nahm die motorische Aktivität von Swiss-Mäusen im Vergleich zur Kontrollgruppe um 44% ab [18].

Die Wirkung einer subakuten und subchronischen inhalativen Exposition gegenüber Benzaldehyd wurde an Ratten untersucht. In einer subakuten Studie wurden jeweils 14 männliche und 14 weibliche Sprague-Dawley-Ratten an sechs Stunden pro Tag über 14 Tage gegenüber 0, 2200, 3300 oder 4400 mg Benzaldehyde/m3 (0, 500, 750 oder 1000 ppm) exponiert [19]. Im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigten sich bei allen exponierten Tieren Nasen- und Augenreizungen, eine Verringerung der Atemrate, eine reduzierte Gewichtszunahme und eine signifikante Hypothermie und reduzierte motorische Aktivität. Die Tiere zitterten, hatten Krampfanfälle, und ihre Haare richteten sich auf. In der höchsten Dosisgruppe verstarben 71% der weiblichen und 7% der männlichen Tiere in der ersten Expositionswoche, aus der mittleren Expositionsgruppe starben einige Tiere in der 2. Woche. Histopathologisch fand sich bei den exponierten Tieren im nasalen respiratorischen Epithel eine Metaplasie der mukösen Becherzellen. Die Untersuchung des hämatologischen Profils nach Ende der Exposition ergab im Vergleich zur Kontrollgruppe eine Erhöhung der Anzahl der Monozyten um den Faktor to bei allen weiblichen Expositionsgruppen. Ebenfalls bei allen weiblichen Expositionsgruppen war die Cholinesterase-Konzentration im Serum signifikant verringert.

In einer weiteren subakuten Studie gegenüber 800 mg Benzaldehyd/m3 (vier Stunden/Tag, fünf Tage/Woche, zwei Wochen) wurde ebenfalls eine Reizung im Atemtrakt während der Exposition beobachtet, histopathologische Veränderungen im Atemtrakt wurden jedoch nicht gesehen [20]. In einer subchronischen Studie (fünf Stunden pro Tag über vier Monate) wurden Ratten gegenüber 6 oder 26 mg Benzaldehyde/m3 exponiert [21]. Bei der höheren Dosisgruppe fanden sich nicht näher spezifizierte Veränderungen im Blut und im Körpergewicht. Die Adhoc-Arbeitsgruppe konnte diese beiden Studien nicht abschließend bewerten, da sie nicht im Original vorlagen.

Neurotoxische Effekte (Degeneration und Nekrose von Nervenzellen der Körnerschicht des Kleinhirns und des Hippokampus), Zellschädigungen in Leber und Niere sowie Vormagenhyperplasien fanden sich bei männlichen und weiblichen

F344/N-Ratten nach 13-wöchiger Fütterung mit 800 mg Benzaldehyd pro kg Körpergewicht, jedoch nicht mit 400 mg/ kg und nicht bei B6C3F1-Mäusen bis zu einer Dosis von 1200 mg/kg [22].

In oralen Langzeitstudien an B6C3F1-Mäusen und F344/N-Ratten mit täglichen Dosen von o, 20o beziehungsweise 400 mg Benzaldehyd/kg Körpergewicht traten bei den Mäusen signifikant vermehrt Vormagenpapillome auf (männliche Tiere: 1/50; 2/50; 5/50, weibliche Tiere: 0/50; 5/50; 6/50) [23]. Histologisch ließ sich jedoch keine Progression von den Vormagenhyperplasien zu den Papillomen belegen. Bei den exponierten Ratten wiesen zwei weibliche Tiere der höchsten Dosisgruppe Vormagenpapillome auf. Wegen des Fehlens von Hyperplasien wurden diese Papillome aber nicht auf die Verabreichung von Benzaldehyd zurückgeführt. In der Bewertung dieser beiden Studien stellte NTP fest, dass sich unter diesen Bedingungen bei B6C3F1-Mäusen ein Hinweis auf eine Krebs erzeugende Wirkung von Benzaldehyd ergab, nicht jedoch bei F344/N-Ratten. Die MAK-Kommission führt die beobachteten gutartigen Veränderungen des Vormagens bei Mäusen und Ratten auf die Reizwirkung von Benzaldehyd zurück und bewertet diese Tumore wegen ihrer speziesspezifischen Lokalisation als nicht relevant für den Menschen [24].

Benzaldehyd zeigte keine mutagene Aktivität in bakteriellen Systemen [25, 26]. In Chinesischen Hamsterovar- (CHO-)Zellen mit oder ohne metabolische Aktivierung induzierte Benzaldehyd keine chromosomalen Aberrationen, wohl aber

vermehrten Schwester-Chromatid-Austausch [27]. Ohne metabolische Aktivierung zeigte sich eine gentoxische Aktivität von Benzaldehyd in Mauslymphomzellen [28]. Das Muster einer fehlenden Mutagenität von Benzaldehyd in bakteriellen Systemen, aber einer möglichen schwachen klastogenen Wirkung in Säugetierzellen zeigt sich auch bei seinen Metaboliten Benzoesäure, Benzylalkohol und Hippursäure [23]. Nach Ansicht der MAK-Kommission ergeben sich aus den Befunden der Langzeitstudien und der allenfalls schwachen gentoxischen Aktivität insgesamt keine Hinweise auf ein Krebs erzeugendes Potenzial von Benzaldehyd [24].

Reproduktionstoxische oder entwicklungstoxische Effekte bei Dosen, die für die Muttertiere nicht toxisch waren, wurden nicht beobachtet [9].

5 Gesundheitliche Bewertung

Der Kenntnisstand zur gesundheitlichen Wirkung von Benzaldehyd in der Luft beruht auf wenigen Beobachtungen am Menschen und einigen tierexperimentellen Studien vor allem aus den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Hauptwirkung im unteren Dosisbereich war in den Inhalationsstudien an Mensch und Tier die Reizwirkung im Atemtrakt sowie an Augen und Haut.

Nach Fütterung von Mäusen oder Ratten mit Benzaldehyd ergaben sich in Langzeitstudien keine eindeutigen Hinweise auf ein Krebs erzeugendes Potenzial von Benzaldehyd. Seit Ende der 1980er-Jahre sind offenbar keine weiteren relevanten Untersuchungen zur Toxizität von Benzaldehyd durchgeführt worden.

5.1 Einstufungen/Regelungen

In der Europäischen Union (EU) existiert kein Grenzwert für Benzaldehyd am Arbeitsplatz. Die amerikanische Industriehygienevereinigung nennt einen Achtstundenmittelwert von 2 ppm. Benzaldehyd (9 mg/m3)

5.2 Ableitung von Richtwerten für Benzaldehyd in der Innenraumluft

Zur Ableitung von Richtwerten für Benzaldehyd in der Innenraumluft liegen nur wenige, unzureichend dokumentierte Ergebnisse am Menschen vor. Hinsichtlich ihrer Aussagekraft sind diese Studien in die Klimisch-Kategorie 4 ("Studies or data from the literature, which do not give sufficient experimental details and which are only listed in short abstracts or secondary literature") [29] einzustufen. Tierexperimentell steht eine als zuverlässig anzusehende subakute Inhalationsstudie (Klimisch-Kategorie 2) zur Verfügung, die jedoch nur einen sehr schmalen Expositionsbereich (2200-4400 mg Benzaldehyd/ m3) überstreicht. Valide Langzeituntersuchungen wurden mit oraler Exposition gegenüber Benzaldehyd durchgeführt, diese Studien bieten jedoch keine Information, wenn als kritischer Endpunkt die Reizwirkung im Atemtrakt angesehen wird. Vor diesem Hintergrund hat die Adhoc-Arbeitsgruppe folgende Ableitungsmöglichkeiten für Richtwerte für Benzaldehyd in der Innenraumluft geprüft.

Bei kurzzeitiger Exposition gegenüber 20 mg Benzaldehyd/m3 gaben Probanden eine Reizwirkung an. Es ist davon auszugehen, dass bei wiederholter Exposition gegenüber Benzaldehyd in der Luft bereits niedrigere Konzentrationen eine Irritation auslösen könnten. Hierfür spricht die Beobachtung, dass nach längerer Exposition am Arbeitsplatz von im Mittel 5 mg Benzaldehyd/m3 vermehrt Atemwegserkrankungen, die jedoch nicht näher spezifiziert wurden, sowie Augen- und Hautreizungen auftraten. Als niedrigste nachteilige Wirkungskonzentration (lowest observed adverse effect level, LOAEL) für den Endpunkt Irritation bei chronischer Exposition am Arbeitsplatz nimmt die Adhoc-Arbeitsgruppe einen Wert um 5 mg Benzaldehyd/m3 an. Da die Expositionsdauer nicht genau bekannt ist, verwendet die Adhoc-Arbeitsgruppe zur Extrapolation auf eine kontinuierliche Exposition einen Faktor 3. Bei Berücksichtigung der interindividuellen Variabilität der Reizwirkung mit einem Faktor 5 [30] sowie der unsicheren Datenlage bei Kindern (Faktor 2) ergäbe sich ein Richtwert II von 5/3/5/2 = (gerundet) 0,2 mg Benzaldehyd/m3.

Tierexperimentell liegen zwei subakute und eine subchronische Untersuchung nach inhalativer Exposition gegenüber Benzaldehyd vor. In der einen subakuten Studie an Sprague-Dawley-Ratten [19] zeigten sich nach einer Exposition ab 2200 mg Benzaldehyde/m3 an sechs Stunden pro Tag über 14 Tage im Vergleich zur Kontrollgruppe bei allen exponierten Tieren dosisabhängig Nasen- und Augenreizungen, eine Verringerung der Atemrate sowie neurotoxische Wirkungen. Histopathologisch fand sich bei den exponierten Tieren im nasalen respiratorischen Epithel eine Metaplasie der mukösen Becherzellen. Im Serum der exponierten weiblichen Tiere war die Zahl der Monozyten um den Faktor to erhöht. Angesichts dieser deutlichen Effekte kann diese Expositionskonzentration nicht als LOAEL angesehen werden. Gemäß Basisschema [31] ist in diesem Fall der LOAEL um einen Faktor 3 zu vermindern; daraus folgt ein LAEL von 2200/3 = 730 mg Benzaldehyd/m3. Diese Konzentration stimmt gut mit der Beobachtung in der anderen subakuten Studie [20] überein, in der nach Exposition gegenüber 800 mg Benzaldehyd/m3 (vier Stunden/Tag, fünf Tage/Woche, zwei Wochen) eine Reizung im Atemtrakt auffiel; allerdings fehlte ein histopathologisches Korrelat. Die subchronische Studie kann wegen unzureichender Dokumentation der Ergebnisse nicht ausgewertet werden.

Wenn man von dem tierexperimentellen LOAEL von 730 mg Benzaldehyd/m3 ausgeht und von einer subakuten auf eine chronische Exposition mit einem Faktor von 6 [32] und auf eine kontinuierliche Exposition mit einem Faktor von 24/6 x 7/5 = 5,6 extrapoliert, ergäbe sich als LAELchron ein Wert von 730/5, 6/6 = (gerundet) 22 mg Benzaldehyd/m3. Unter Berücksichtigung der oben dargestellten interindividuellen Variabilität der Reizwirkung einschließlich der von Kindern mit einem Gesamtfaktor von to ergäbe sich daraus ein Richtwert II von 2 mg Benzaldehyd/m3.

In der Gewichtung der beiden Ableitungen gibt die Adhoc-Arbeitsgruppe dem Richtwert II von 0,2 mg Benzaldehyd/m3 den Vorzug. Für die zuerst aufgeführte Ableitung spricht, dass a) diese Ableitung auf Humandaten gründet, die, obwohl unzureichend dokumentiert (Klimisch-Kategorie 4), in sich konsistent sind und b) die kritische tierexperimentelle Studie zwar ausreichend dokumentiert, aber nur einen engen Dosisbereich umfasst (Klimisch-Kategorie 2), sodass aufgrund der erheblichen Effekte angenommen werden muss, dass der LOAEL unterhalb der niedrigsten untersuchten Dosis liegen dürfte.

Angesichts der Lücken und Unsicherheiten in der Datenlage kann die Adhoc-Arbeitsgruppe den abgeleiteten Richtwert für Benzaldehyd in der Innenraumluft insgesamt nur unter Vorbehalt empfehlen und sieht ihn als vorläufig an:

Vorläufiger Richtwert II = 0,2 mg Benzaldehyd/m3

Entsprechend dem Basisschema [31] wird ein vorläufiger Richtwert I festgelegt:
Vorläufiger Richtwert I = 0,02 mg Benzaldehyd/m3

Anmerkungen

Diese Mitteilung wurde federführend von Dr. Helmut Sagunski und Dr. Birger Heinzow erstellt und im Februar 2010 von der Adhoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte verabschiedet. Die Literaturrecherche wurde im Dezember 2009 abgeschlossen.

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