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Regelwerk; Immissionsschutz; LAI
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Stickstoffleitfaden BImSchG-Anlagen -
Hinweise zur Prüfung von Stickstoffeinträgen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung für Vorhaben nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz-
"Leitfaden zur Auslegung des § 34 BNatSchG im Rahmen immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren"

Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI)

Vom 19. Februar 2019
(Quelle: lai-immissionsschutz.de)



Anwendungsbereich

Dieser Leitfaden wurde von der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Immissionsschutz (LAI) und der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA) im Auftrag der Umweltministerkonferenz (UMK) erarbeitet. Er gilt für die FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP) von N-Einträgen durch nach dem BImSchG genehmigungspflichtige Vorhaben. Dieser Leitfaden kann auch bei nicht BImSchG genehmigungsbedürftigen Anlagen als Erkenntnisquelle herangezogen werden. Fachliche Grundlage des Leitfadens sind die "Hinweise zur Prüfung von Stickstoffeinträgen bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung von Straßen - Stickstoffleitfaden Straße (H PSE)" 1, die die maßgebliche Fachkonvention zur Beurteilung der naturschutzfachlichen Fragen darstellen. Weiterführende Erläuterungen können den Ergebnissen des FE-Vorhabens FE 84.0102/2009 entnommen werden, die in einem ausführlichen Endbericht dokumentiert sind (BMVBS 2013 2). Daher werden hier nur die grundsätzlichen Prüfschritte sowie die bei BImSchG-Vorhaben zu beachtenden Besonderheiten dargestellt. In Detailfragen kann auf die H PSE zurückgegriffen werden.

Die Habitatfunktion von Vogelhabitaten in Vogelschutzgebieten wird von diesem Leitfaden nicht abgedeckt. Für Tierarten des Anhangs II der FFH-Richtlinie werden ebenfalls keine Aussagen gemacht.

Die Anwendung des Leitfadens erfordert spezifische Fachkenntnisse.

Zu folgenden Themen gibt es in diesem Leitfaden keine weiteren Ausführungen:

  1. Bezüglich der Säureeinträge ist regelmäßig eine gesonderte Betrachtung erforderlich.
  2. Bei der Ermittlung der Stickstoffeinträge ist neben dem Luft-Boden-Pfad ggf. auch der Boden-Grundwasser-Pfad zu berücksichtigen, z.B. bei möglichen N-Einträgen über die Auslaufflächen von Geflügelhaltungsanlagen.

1 Einleitung

1.1 Stickstoffeinträge in der FFH-VP

Stickstoff ist ein wichtiger Nährstoff für Lebewesen. Zahlreiche Arbeiten belegen aber, dass lang anhaltende anthropogene Stickstoffeinträge bereits in niedrigen Dosen zu Eutrophierung und Versauerung von empfindlichen Lebensräumen führen können. Dadurch kann der Standort und die Artenvielfalt von Lebensräumen von Natura 2000-Gebieten negativ beeinflusst werden.

Daher ist im Rahmen von sog. FFH-Vorprüfungen oder von FFH-Verträglichkeitsprüfungen (im Folgenden kurz "FFH-VP") für geplante Vorhaben eine Prüfung notwendig, ob von den zu erwartenden zu berücksichtigenden stickstoffhaltigen Emissionen erhebliche Beeinträchtigungen auf FFH-Gebiete ausgehen können.

Rechtlich gefordert ist für die FFH-VP die Anwendung des besten wissenschaftlichen Kenntnisstandes. Dies gilt auch in Bezug auf mögliche Beeinträchtigungen durch Stickstoffeintrag. Im wissenschaftlichen Raum haben sich die sogenannten "Critical Loads" für eutrophierende und versauernde Stickstoffeinträge (im Folgenden kurz "CL") und - untergeordnet - "Critical Levels" (im Folgenden kurz "CLe") für kritische Luftkonzentrationen als geeignete Maßstäbe zur Beschreibung der Stickstoffempfindlichkeit von Ökosystemen etabliert. Die Vorgaben dieses Leitfadens und den H PSE basieren auf einer Anwendung dieser Maßstäbe in der FFH-VP. Gegenstand sind FFH-Lebensraumtypen des Anhangs I und Pflanzenarten des Anhangs II der FFH-RL.

1.2 Grundsätze der Erheblichkeitsbeurteilung

Gemäß § 34 Abs. 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines FFH-Gebiets zu prüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, ein Natura 2000-Gebiet erheblich zu beeinträchtigen. Gemäß § 34 Abs. 2 BNatSchG ist ein Projekt unzulässig, wenn die Prüfung der Verträglichkeit ergibt, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen könnte. Gefordert ist somit eine vorsorgliche Beurteilung nach Maßgabe eines Möglichkeitsmaßstabs. Behörden dürfen im Rahmen einer FFH-VP erhebliche Beeinträchtigungen nur dann verneinen, wenn sie unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse Gewissheit darüber erlangt haben, dass sich ein Plan oder Projekt nicht nachteilig auf ein FFH-Gebiet auswirkt. 3 Es ist aber nicht erforderlich, rein theoretische Besorgnisse zu berücksichtigen oder ein Nullrisiko zu gewährleisten. 4 Kenntnislücken und Prognoserisiken können anhand von Prognosewahrscheinlichkeiten, Schätzungen, Analogieschlüssen, Worst-Case-Betrachtungen oder durch ein geeignetes Risikomanagement bewältigt werden. 5

Die Beurteilung, ob ein Projekt erhebliche Beeinträchtigungen in einem FFH-Gebiet auslösen könnte, erfordert eine naturschutzfachliche Einzelfallbetrachtung, die die speziellen Bedingungen und Schutzziele vor Ort berücksichtigt. Wie für andere Wirkfaktoren sind die möglichen Auswirkungen von Stickstoffeinträgen und ihre jeweilige Erheblichkeit für jeden einzelnen Schutzgegenstand bzw. für jedes Erhaltungsziel separat zu prüfen. Die Prüfung erfolgt somit für jeden einzelnen FFH-Lebensraumtyp und für jede Anhang II-Pflanzenart getrennt. Eine gemeinsame Bearbeitung ist möglich, wenn nachvollziehbar begründet wurde, dass sich die zusammengefassten Arten oder Lebensraumtypen (LRT) im Hinblick auf die prüfrelevanten Wirkfaktoren gleich verhalten.

Bei der Prüfung, ob erhebliche Beeinträchtigungen auftreten könnten, sind Beeinträchtigungen durch mehrere Wirkfaktoren im Ergebnis gemeinsam zu beurteilen. Eine Beeinträchtigung z.B. eines FFH-Lebensraumtyps durch Stickstoffeintrag kann für sich genommen unerheblich sein, im Zusammenwirken mit anderen Wirkfaktoren, wie etwa direkte Flächeninanspruchnahme aber zu erheblichen Beeinträchtigungen führen. Nachfolgend wird nur die Beurteilung von Stickstoffeinträgen beschrieben.

Gemäß BVerwG ist für die Beurteilung der Frage, inwieweit Beeinträchtigungen von Erhaltungszielen als erheblich im Sinne des § 34 Abs. 2 BNatSchG einzustufen sind, der günstige Erhaltungszustand das maßgebliche Kriterium."Ein günstiger Erhaltungszustand muss trotz Durchführung des Vorhabens stabil bleiben". 6

Für eine flächenhafte Beeinträchtigung von FFH-Lebensraumtypen gilt als Erheblichkeitsmaßstab, dass ein günstiger Erhaltungszustand jedenfalls dann gewährleistet ist, wenn der Flächenumgriff des Lebensraumtyps beständig ist oder sich ausdehnt. Somit ist grundsätzlich jeder direkte Flächenverlust von FFH-Lebensraumtypen als erhebliche Beeinträchtigung zu werten. Ausnahmen davon sind lediglich in engen Grenzen im Sinne von Bagatellfällen zulässig, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ableiten. Für den direkten Flächenverlust wurden vom BVerwG die Bagatellgrenzen als Entscheidungshilfe anerkannt, die in LAMBRECHT/TRAUTNER (2007) aufgeführt werden. 7 Dieses Bewertungsinstrument kann analog auch auf Beeinträchtigungen von FFH-Lebensraumtyp-Flächen durch Stickstoffeintrag übertragen werden. Da eine Beeinträchtigung durch die Zusatzbelastung mit Stickstoffeinträgen nicht mit einem dauerhaften und vollständigen Verlust von FFH-Lebensraumtypflächen gleichzusetzen ist, ermöglicht das in LAMBRECHT/TRAUTNER (2007) beschriebene Instrument des prozentualen Funktionsverlustes eine angemessene Bewertung.

Für die Beurteilung von eutrophierenden bzw. versauernden Stickstoffeinträgen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung besitzt der Maßstab der Critical Loads eine besondere Bedeutung. Critical Loads stellen naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen dar. Bleibt die Gesamtbelastung unter den maßgeblichen CL, so können erhebliche Beeinträchtigungen durch den betrachteten Stoff mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Critical Loads ermöglichen, die in der FFH-VP geforderte Einzelfallbegutachtung auf eine quantifizierte Grundlage zu stellen.

Wenn eine LRT-Fläche eine irreversible Standortveränderung erfahren hat, die eine Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes nachweislich ausschließt, ist eine unmittelbare Anwendung des CL-Ansatzes als Beurteilungsinstrument nicht sinnvoll. In diesem Fall ist eine Abstimmung mit der zuständigen Naturschutzbehörde erforderlich. Weitere Hinweise zum Umgang mit degradierten Standorten siehe Anhang III in BMVBS (2013).

Flächen, auf denen in der Gesamtbelastung eine Überschreitung von Critical Loads zu erwarten ist, sind im Regelfall als erheblich beeinträchtigt zu werten, wenn das Vorhaben in mehr als bagatellhafter Weise mit zusätzlichen Belastungen beteiligt ist. Dies gilt zumindest, soweit keine weitergehenden standortspezifischen Erkenntnisse vorliegen, die abweichend von den in den Anhängen I und II gelisteten Critical Loads eindeutig eine geringe Empfindlichkeit eines Standortes gegenüber Stickstoffeintrag nachweisen (Hinweise dazu in BMVBS 2013, Kapitel 8).

Bei der Prüfung von zumutbaren Alternativen und der Verhältnismäßigkeit von Schadensbegrenzungsmaßnahmen ist zu berücksichtigen, dass eine Überschreitung der Critical Loads nicht im Sinne einer nachgewiesenen Ursache-Wirkungs-Beziehung mit einer erheblichen Beeinträchtigung gleichzusetzen ist. Die CL entsprechen vielmehr dem FFH-rechtlich geforderten Nachweis, dass bei Unterschreitung dieser Werte die Möglichkeit erheblicher Beeinträchtigungen ausreichend sicher ausgeschlossen werden kann.

1.3 Vorgehensweise

Die folgende Abb. 1 zeigt schematisch die Vorgehensweise bei der Prüfung, ob projektbedingte Stickstoffeinträge in FFH-Gebiete zu erheblichen Beeinträchtigungen führen können.

Abb. 1: Schematische Übersicht der Vorgehensweise; Quelle: H PSE (mit Anpassungen)

1.4 Übersicht der Erheblichkeitsbeurteilung 8

Abb. 2 zeigt eine grundsätzliche Übersicht der Erheblichkeitsbeurteilung bei Stickstoffeinträgen. Die Prüfschritte sind detailliert in Abb. 1 dargestellt. Sie müssen nicht in der dargestellten Reihenfolge durchlaufen werden. Je nach vorhandenen Informationen kann es einfacher sein, zuerst die zu erwartende Gesamtbelastung, die vorhabenbedingte Zusatzbelastung oder die grundsätzliche Betroffenheit der Fläche zu prüfen.

Abb. 2: Übersicht der Erheblichkeitsbeurteilung bei Stickstoffeinträgen (nach BMVBS 2013)

Danach sind drei wesentliche Prüfungsansätze zu unterscheiden, ob das zu prüfende Vorhaben im Hinblick auf seinen Stickstoffeintrag in einen FFH-Lebensraumtyp genehmigungsfähig ist. Alle drei existieren nebeneinander. Führt einer der Prüfungsansätze zum Ergebnis, dass das Vorhaben danach als unproblematisch anzusehen ist, sind keine weiteren Prüfungen erforderlich, da keine erheblichen Beeinträchtigungen durch Stickstoffeintrag zu konstatieren sind.

A. Prüfung der Unterschreitung des Abschneidekriteriums (1.4.1)

Unterschreitet der Stickstoffeintrag des beantragten Vorhabens das absolute Abschneidekriterium (in Höhe von 0,3 kg N ha-1 a-1), ist das Vorhaben insoweit unproblematisch und genehmigungsfähig. Diesem Ansatz liegt die Überlegung zu Grunde, dass sehr geringe zusätzliche Mengen Stickstoffeintrag im Kontext des Gesamteintrags von Stickstoff in Deutschland nicht als ursächlich für eine negative Veränderung angesehen werden können.

B. Prüfung der Unterschreitung des Critical Loads durch die Gesamtbelastung (1.4.2)

Unterschreitet die Gesamtbelastung des zu prüfenden konkreten Lebensraums den hierfür maßgeblichen Critical Load, ist das Vorhaben insoweit unproblematisch und genehmigungsfähig. Die Gesamtbelastung ergibt sich bei diesem Prüfansatz nach Abbildung 3 aus einer Summierung

Diesem Ansatz liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Critical Loads Stickstoffeinträge definieren, bei deren Unterschreitung langfristig negative Veränderungen der jeweiligen Lebensraumtypen ausgeschlossen sind.

C. Prüfung der Unterschreitung der N-Bagatellschwelle (1.4.3)

Trotz Überschreitung des Abschneidekriteriums und trotz Überschreitung des maßgeblichen Critical Load durch die Gesamtbelastung ist von der Rechtsprechung anerkannt, dass aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein Vorhaben dennoch genehmigungsfähig ist, wenn die vorhabenbedingte Zusatzbelastung gemeinsam mit weiteren kumulativ zu berücksichtigenden Plänen und Projekten (kumulative Zusatzbelastung - Abb. 4) nicht größer als 3 % des jeweils relevanten Critical Load beträgt.

Diesem Ansatz liegt die Überlegung zu Grunde, dass es auch bei einer Überschreitung des Critical Load durch die Gesamtbelastung unbillig wäre, bagatellhafte zusätzliche Belastungen eines neuen Vorhabens auszuschließen. Damit dieses Instrument aber nicht durch eine Vielzahl im Einzelnen geringfügiger, aber in der Summe durchaus erheblicher Stickstoffeinträge zu erheblichen Beeinträchtigungen des Lebensraumtyps führt, sind an dieser Stelle in die Kumulation nicht nur weitere künftige zusätzliche Belastungen, sondern auch alle bisherigen zusätzlichen Belastungen seit Gebietslistung einzubeziehen. Auf diese Weise kann auch ein Missbrauch dieses Ansatzes verhindert werden.

1.4.1 Prüfung des Abschneidekriteriums

Hier ist ausschließlich zu prüfen, ob die vorhabenbedingten Zusatzbelastungen für einen FFH-Lebensraumtyp isoliert den Wert von 0,3 kg N ha-1 a-1 nicht überschreiten.

1.4.2 Prüfung der Gesamtbelastung

Hier ist zu prüfen, ob die nach Verwirklichung des Vorhabens zu prognostizierende gesamte Stickstoffdeposition den maßgeblichen Critical Load nicht überschreitet.

Abb. 3 zeigt die Belastungsanteile, die - sofern vorhanden - berücksichtigt werden müssen, um zu prüfen, ob die Gesamtbelastung den Critical Load überschreiten wird.

Abb. 3: Zusammensetzung der Gesamtbelastung zur Prüfung, ob der Critical Load überschritten wird (siehe auch Abschnitt 3.5.1 H PSE)

Für eine Beurteilung von vorhabenbedingten Stickstoffeinträgen anhand von Critical Loads benötigt man Informationen zum gesamten Stickstoffeintrag des zu beurteilenden Standortes. Die Gesamtbelastung eines Standortes ergibt sich aus der Summe der (ggf. korrigierten) Hintergrundbelastung und der vorhabenbedingten Zusatzbelastung.

Für den Fall, dass das Vorhaben in relevanter Weise zur Stickstoffbelastung im FFH-Gebiet beiträgt (Überschreitung des Abschneidekriteriums), sind die Hintergrundbelastung und die zu erwartende Gesamtbelastung speziell zu betrachten.

In manchen Fällen ist die Hintergrundbelastung zu korrigieren. Das liegt zum einen an der verfügbaren Datenlage (UBA-Datensatz), die eine begrenzte räumliche Auflösung hat. Dadurch kann ggf. eine (räumliche) Korrektur der Hintergrundwerte erforderlich werden (siehe Abschnitt 3.3.2 H PSE).

Zum anderen bezieht sich der Hintergrunddatensatz immer auf einen bestimmten Erhebungszeitraum. Zur vollständigen Ermittlung der Vorbelastung (= korrigierten Hintergrundbelastung) müssen zusätzlich alle Projekte einbezogen werden, die nach dem Ende dieses Bezugszeitraumes genehmigt wurden und Auswirkungen auf das FFH-Gebiet haben (siehe Abschnitt 3.3.3 H PSE).

1.4.3 Prüfung der N-Bagatellschwelle

Hier ist zu prüfen, ob trotz Überschreitung des Critical Load durch die Gesamtbelastung das Vorhaben dennoch als Bagatelle zugelassen werden kann. Dabei ist zu beurteilen, ob die Zusatzbelastung durch das Vorhaben sowie weitere zu kumulierende Pläne und Projekte nicht mehr als 3 % des jeweils relevanten Critical Load beträgt. Die Gesamtbelastung kann in dieser Betrachtung außer Acht gelassen werden.

Abb. 4 zeigt die Zusammensetzung der kumulativen Zusatzbelastung für den Fall, dass die Überschreitung des CL durch die Gesamtbelastung zu erwarten bzw. schon gegeben ist. Dies kann durch hohe Hintergrundbelastungen vielerorts der Fall sein. Dann ist die Ermittlung der in Abb. 3 dargestellten Belastungsanteile der Gesamtbelastung nicht notwendig, sondern es reicht die Prüfung, ob die Zusatzbelastung (Summe der kumulierten Zusatzbelastung aus Vorhaben Dritter und der vorhabenbezogenen Zusatzbelastung) die N-Bagatellschwelle unter- oder überschreiten wird.

Abb. 4: Zusammensetzung der Zusatzbelastung zur Prüfung, ob die Bagatellschwelle für Stickstoffeinträge überschritten wird (siehe auch Abschnitt 3.5.2 H PSE)

Zur Frage, welche Projekte oder Pläne mit ihren Immissions- bzw. Depositionsbeiträgen an welcher Stelle in die FFH-VP von Stickstoffeinträgen einzustellen sind, ist sowohl eine Abgrenzung in die Vergangenheit als auch in die Zukunft notwendig. Die Einbeziehung von Depositionsbeiträgen anderer Pläne oder Projekte für die Vergangenheit erfolgt bei der Zusatzbelastung so, dass Pläne und Projekte zu kumulieren sind, die nach der Gebietslistung realisiert wurden und deren Stickstoffeinträge jeweils höher als 0,3 kg N ha-1 a-1 sind.

Beim Blick in die Zukunft sind zur Prüfung auf die N-Bagatellschwelle außerdem genehmigte 9 Projekte Dritter, die nachweislich das Abschneidekriterium überschreiten, bei der Berechnung der kumulativen Zusatzbelastung zu berücksichtigen. Es sind nur solche Projekte einzubeziehen, deren Auswirkungen und damit das Ausmaß der Summationswirkung verlässlich absehbar sind und die damit als Emissionsquelle in die eigene Ausbreitungsberechnung einbezogen werden können.

1.4.4 Übergreifende Aspekte

Bei den Berechnungen sind gegebenenfalls auch nichtstoffliche Beeinträchtigungen anderer Pläne und Projekte zu berücksichtigen. In diesem Fall sind stoffliche Beeinträchtigungen zusätzlich im Sinne der Methodik von LAMBRECHT/TRAUTNER (2007) in Äquivalenzwerte umzurechnen und auf Einhaltung der Gesamtbelastung bzw. der Zusatzbelastung zu prüfen.

Es kann die vermeintliche Paradoxie auftreten, dass ein und dasselbe Vorhaben Dritter für die Ermittlung der Gesamtbelastung zur korrigierten Hintergrundbelastung zählt, für die Ermittlung einer kumulativen Zusatzbelastung aber zu den in die Kumulation einzubeziehenden Zusatzbelastungen gehört. Es besteht aber nicht die Gefahr, das Vorhaben doppelt einzuberechnen, da es sich um zwei voneinander unabhängige Prüfschritte handelt.

Im Kontext der FFH-VP werden andere Planungen unter dem Gesichtspunkt des Zusammenwirkens ihrer Beeinträchtigungen mit denen des zu prüfenden Vorhabens betrachtet. Das bedeutet, dass in der Regel nur solche Daten einbezogen werden müssen, die von den Genehmigungsbehörden zur Verfügung gestellt werden können. Angesichts der Schwierigkeit der Beschaffung von Daten von Planungen und Projekten Dritter ist dabei die Verhältnismäßigkeit zu wahren.

Werden durch Anfrage bei der zuständigen Behörde die ihr vorliegenden Informationen zu relevanten zugelassenen Drittemittenten zur Verfügung gestellt, sind diese Daten als Emissionsquelle in die Immissionsberechnung einzubeziehen. Liegen der Behörde keine ausreichenden Informationen vor, um eine verlässliche Depositionsberechnung vorzunehmen, kann hilfsweise eine überschlägige Abschätzung der Emission vorgenommen werden, z.B. auf Basis anderer Genehmigungen. Weitere eigenständige Ermittlungen des Vorhabenträgers von Emissionsdaten zur Einbeziehung von Projekten Dritter sind in der Regel nicht erforderlich.

Wenn N-Einträge vorhandener Projekte oder Pläne als erheblich eingestuft wurden und Kohärenzsicherungsmaßnahmen festgelegt wurden, sind sie nicht in die kumulative Zusatzbelastung einzubeziehen, sondern nur - wenn zutreffend - bei der Ermittlung der korrigierten Hintergrundbelastung zu berücksichtigen.

Die Beurteilung eines Projektes knüpft grundsätzlich an die "behördlich zugelassene Bestandssituation" an. Daraus können sich Be- und Entlastungseffekte ergeben. Die behördlich zugelassene Bestandssituation ist ggf. anders als die reale Situation zu bewerten. Beispielsweise kann ein noch vorhandener Lebensraumtyp schon in einem anderen Genehmigungsverfahren als Verlust bewertet worden sein, oder es kann ein besonderes Flächenmanagement festgelegt worden sein, das die zusätzlichen Einträge kompensiert.

Die in Abschnitt 3 und in den Anhängen I und II H PSE beschriebene Vorgehensweise stellt einen vorwiegend rechnerischen Ansatz dar. Es ist stattdessen auch möglich, im Rahmen einer standortspezifischen Einzelfallbetrachtung eine vertiefende fachliche Bewertung der Erheblichkeit der vorhabenbedingten Auswirkungen vorzunehmen, wenn weitergehende standortspezifische Erkenntnisse vorliegen, die abweichend von den in den Anhängen I und II gelisteten Critical Loads eindeutig eine geringe Empfindlichkeit eines Standortes gegenüber Stickstoffeintrag nachweisen (Hinweise dazu in BMVBS 2013, Kapitel 8.7). Damit ist auch eine Methodik möglich, die fachlich prüft, ob der günstige Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und Pflanzenarten bei der jeweiligen Gesamtbelastung gewahrt bzw. wieder hergestellt werden kann.

2 Besonderheiten beim Zusammentreffen von FFH-VP und immissionsschutzrechtlichen Genehmigungs- und Anzeigeverfahren

2.1 Änderung der Stickstoffeinträge

Auftreten können erhebliche Beeinträchtigungen im Sinne von § 34 BNatSchG bei Neugenehmigung/Neuerrichtung von Anlagen, die Stickstoffverbindungen emittieren (§ 4 BImSchG in Verbindung mit § 10 BImschG oder § 19 BImSchG). Die Beachtung der Anforderungen des § 34 BNatSchG ("andere öffentlich-rechtliche Vorschrift" im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) ist Voraussetzung für die Erteilung einer BImSchG-Genehmigung. Im Hinblick auf die Beurteilung der Stickstoffeinträge gilt das in diesem Leitfaden unter Abschnitt 1 Gesagte.

Bei einer Teilgenehmigung nach § 8 BImSchG müssen die Genehmigungsvoraussetzungen für den beantragten Teil gegeben sein sowie eine positive vorläufige Gesamtbeurteilung vorliegen. Insofern sind die Anforderungen nach § 34 BNatSchG als sonstige öffentlich-rechtliche Vorschrift nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG sowohl bezogen auf den beantragten Teil als auch bei der vorläufigen Gesamtbeurteilung zu beachten.

Die Zulassung vorzeitigen Beginns nach § 8a BImschG kommt in Betracht, wenn die Genehmigungserteilung überwiegend wahrscheinlich ist. Diese positive Prognose muss sich auch auf die sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG und damit auch die Beachtung des § 34 BNatSchG erstrecken.

Ein Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage kommt nach § 9 BImSchG in Betracht, wenn eine positive vorläufige Gesamtbeurteilung abgegeben werden kann. Diese positive Gesamtbeurteilung muss sich auch auf die Verträglichkeitsprüfung nach § 34 BNatSchG beziehen.

Werden bislang nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so erweitert, dass die für die Genehmigungsbedürftigkeit maßgebende Leistungsgrenze oder Anlagengröße erstmals überschritten wird, so bedarf die gesamte Anlage der Genehmigung (§ 1 Abs. 5 der 4. BImSchV). Für diese Erstgenehmigung gelten daher die §§ 4 ff. BImSchG wie bei der Neuerrichtung einer Anlage. Die Beachtung der Anforderungen des § 34 BNatSchG ist nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG Genehmigungsvoraussetzung.

Für die Änderung immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen gelten die §§ 15, 16 BImSchG. Die wesentliche Änderung genehmigungsbedürftiger Anlagen bedarf nach § 16 BImSchG selbst einer Genehmigung. Einfache Änderungen, die nicht unter § 16 BImSchG fallen, bedürfen nach § 15 BImSchG einer vorhergehenden schriftlichen Anzeige, wenn sie sich auf die in § 1 BImSchG genannten Schutzgüter auswirken können. Ist dies ausgeschlossen, ist auch eine Anzeige nach § 15 BImSchG entbehrlich.

2.1.1 Wesentliche Änderung bereits immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen

Die Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage bedarf gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 BImSchG der Genehmigung, wenn durch die Änderung nachteilige Auswirkungen hervorgerufenen werden können und diese für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erheblich sein können (wesentliche Änderung).

Gegenstand der immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigung sind diejenigen Teile der Anlage, die geändert werden sollen. Die übrigen, nicht geänderten Anlagenteile und Verfahrensschritte sind im Rahmen des Genehmigungsverfahrens vom Prüfumfang der Behörde erfasst, wenn und soweit die Änderung Auswirkungen auf diese Teile haben kann.

Nach § 34 Abs. 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen. Die Auslösung einer Prüfung nach § 34 BNatSchG allein begründet noch nicht die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit einer Änderung, da sie nicht für die Prüfung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG von Bedeutung ist. Allerdings können Stickstoffeinträge in diesen Fallkonstellationen die Folge zusätzlicher Emissionen nach der Anlagenänderung darstellen. Zusätzliche Emissionen sind ihrerseits in der Regel für die Prüfung nach § 6 Abs.1 Nr. 1 BImSchG erheblich und können daher die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung begründen. Das Abschneidekriterium von 0,3 kg N ha-1 a-1 kann in diesem Zusammenhang auch als Maßstab dazu dienen, festzustellen, ob ein Änderungsgenehmigungsverfahren nach § 16 Abs. 1 BImSchG erforderlich ist.

Im immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigungsverfahren nach § 16 BImSchG ist im Hinblick auf den naturschutzrechtlichen Prüfmaßstab im Rahmen des § 34 BNatSchG im Falle einer Erweiterung der Bestandsanlage durch Zubau neuer Produktionseinheiten (z.B. zusätzlicher Kraftwerksblock, zusätzlicher Hähnchenmaststall, ohne dass der Altbestand verändert wird) folgende Besonderheit zu berücksichtigen:

Die von der Bestandsanlage ausgehenden Einträge - sofern sie vor der Aufnahme des jeweiligen Gebietes in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung genehmigt oder in Betrieb genommen wurde - gehen in die Hintergrundbelastung ein. Wurde die Anlage seit diesem Referenzdatum nicht geändert, sind somit ausschließlich die Einträge durch die Änderung der Bestandsanlage bzw. der neuen Produktionsanlage zu berücksichtigen.

Wurde die Anlage dagegen seit dem Referenzdatum geändert, ergeben sich die vorhabenbedingten Stickstoffeinträge aus der Differenz der Einträge der geplanten Gesamtanlage und derjenigen Einträge, die zum Zeitpunkt der Aufnahme des jeweiligen Gebietes in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung von der Bestandsanlage ausgingen.

2.1.2 Änderung bestehender bisher nicht immissionsschutzrechtlich genehmigter Anlagen

Wenn bei Änderungen/Erweiterungen bestehender, nur baurechtlich genehmigter Anlagen eine Neugenehmigung nach § 4 BImSchG erforderlich ist, kann die Genehmigung trotz der Überschreitung des jeweiligen Critical Loads durch die Gesamtbelastung (einschließlich der Emissionen bereits bestehender Anlagenteile) im FFH-Gebiet aus naturschutzrechtlichen Gründen erteilt werden, wenn mit der Anlagenänderung eindeutige Verbesserungen verbunden sind. Dies kann angenommen werden, wenn durch die Änderung die von der Anlage ausgehenden Zusatzbelastungen (Stickstoffoxid- oder Ammoniakemissionen) gegenüber dem Ist-Zustand mehr als 50 % reduziert werden. In diesen Fällen kann davon ausgegangen werden, dass bei der Abweichungsprüfung nach § 34 Absatz 3 BNatSchG die dort in Nummer 1 genannten "zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses" gegeben sind, weil mit der Verwirklichung des Vorhabens erhebliche Verbesserungen des Stickstoffeintrags im Gebiet verbunden sind.

2.1.3 Unwesentliche Änderung

Anzeigeverfahren gemäß § 15 BImSchG kommen dann in Betracht, wenn sich die Änderung auf in § 1 genannte Schutzgüter auswirken kann. Wenn im Rahmen der Anzeige festgestellt wird, dass Lebensraumtypen mit Depositionen oberhalb des Abschneidekriteriums von 0,3 kg N ha-1 a-1 10 belastet werden, kann dies wegen zusätzlicher Emissionen der Anlage in ein Änderungsgenehmigungsverfahren münden (s. 2.1.1).

2.2 Einwirkbereich der Anlage

Erhebliche Beeinträchtigungen durch vorhabenbedingte Stickstoffeinträge können in einem FFH-Gebiet nur auftreten, wenn die zu erwartende vorhabenbedingte Zusatzbelastung eine relevante Größenordnung erreicht, d.h. über 0,3 kg N ha-1 a-1 liegt.

Der Einwirkbereich einer Anlage wird definiert als das Gebiet, in dem die vorhabenbedingte Zusatzbelastung den o.a. Wert überschreitet. Hinweise für vereinfachte Abschätzungen des Einwirkbereichs ohne eigene Ausbreitungsrechnung gibt die VDI-Richtlinie 3783 Blatt 15 mit ihren Teilblättern. Die VDI-Richtlinie 3783 Blatt 15.1 befasst sich mit bodennahen Quellen. Der Einwirkbereich kann neben der Stickstoffdeposition auch für die Kenngröße Ammoniakkonzentration ermittelt werden (s. Tabelle), wenn nach 2.4 zusätzlich auf Critical Levels für Ammoniak geprüft werden muss. Weitere Teilblätter für andere Quellarten sollen folgen.

2.2.1 Einwirkbereiche für Anlagen mit niedrigen Quellhöhen (z.B. Tierhaltungsanlagen)

Bei Anlagen mit Quellhöhen von maximal 20 m kann für Entfernungen bis etwa 10 km die Abschätzung des Einwirkbereichs über eine Abstandsformel erfolgen (VDI-Richtlinie 3783 Blatt 15.1).

Die Formel für die Kenngröße Stickstoffdeposition lautet:

Dabei ist r der Abstand von der Quelle in Metern für den Einwirkbereich, js der einzuhaltende Schwellenwert der Stickstoffdeposition (d. h., 0,3 kg/(ha*a)), Q die Emissionsrate von Stickstoff aus NH3 (QN, NH3) bzw. aus NOx (QN, NOx) in Mg/a. Die Emissionsrate von Stickstoff aus NH3 ergibt sich aus der Emissionsrate von NH3 multipliziert mit 14/17, die Emissionsrate von Stickstoff aus NOx aus der Emissionsrate von NOx als NO2 multipliziert mit 14/46. Bei Anlagen mit mehreren bodennahen Quellen ist als Emissionsrate die Summe der Emissionsraten der Quellen anzusetzen. F ist ein stoffspezifischer Faktor (s. Tabelle).

KenngrößeFaktor F
Stickstoffdeposition aus NH3 (FN, NH3)345.000 m2 (kg/(ha*a))/(Mg/a)
Stickstoffdeposition aus NOx als NO2 (FN, NOx)175.000 m2 (kg/(ha*a))/(Mg/a)
Ammoniakkonzentration aus NH3 (FNH3)120.000 m2 (µg/m3)/(Mg/a)

Die Formel für die Kenngröße Ammoniakkonzentration lautet:

Die Formeln sowie die Faktoren beruhen auf einer Vielzahl an Ausbreitungsrechnungen mit unterschiedlichen Meteorologien, Rauhigkeitslängen von 0,1 m und 0,5 m und Entfernungen bis etwa 10 km. Die Methodik zur Ableitung der Faktoren wird in der VDI-Richtlinie 3783 Blatt 15.1 dargestellt. Lokale Besonderheiten wie zum Beispiel extreme topographische Einflüsse oder Meteorologien sind in dem Verfahren nicht berücksichtigt.

Länderspezifische Anpassungen für die Faktoren Fs sind auf Basis des Verfahrens der VDI 3783 Blatt 15.1 möglich, analog zum LAI-Stickstoffleitfaden.

Die Formeln sind anwendbar für Quellen mit Quellhöhe bis 20 m und Entfernungen bis etwa 10 km. Bei Anlagen, die außerhalb des Anwendungsbereichs der Formeln liegen, sowie bei extremen topographischen oder meteorologischen Gegebenheiten ist eine Ausbreitungsrechnung zur Ermittlung des Einwirkbereichs notwendig.

Eine graphische Darstellung der mit der Formel für die Stickstoffdeposition und einem Schwellenwert von 0,3 kg ha-1 a-1 berechneten Abstände für Quellen, die nur NH3 emittieren zeigt Abb. 5. Sofern innerhalb des mit dieser Formel ermittelten Einwirkbereichs keine FFH-Gebiete mit N-empfindlichen Lebensraumtypen liegen, kann von der Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung abgesehen werden.

Abb. 5: Mit der Formel für Stickstoffdeposition und einem Schwellenwert von 0,3 kg ha-1 a-1 berechnete Abstände in Abhängigkeit von der Stickstoffemission aus NH3 in Mg/a, ohne NOx-Emissionen

Die Einwirkbereiche von Anlagen sind abhängig von den Emissionen. Unter bestimmten morphologischen bzw. meteorologischen Bedingungen (z.B. bei Kanalisierung des Windes in engen Tälern) können sich die Einwirkbereiche vergrößern. In solchen Fällen ist eine separate Betrachtung erforderlich.

Sind innerhalb des so ermittelten Einwirkbereichs stickstoffempfindliche FFH-LRT vorhanden, ist für die weitere Betrachtung (Bestimmung der Zusatzbelastung) eine Ausbreitungsrechnung durchzuführen (siehe Kapitel 3.1 H PSE). Mit dieser Ausbreitungsrechnung kann auch der Einwirkbereich genauer ermittelt werden. Da die Abstandsformel tendenziell konservativ ist, d. h., höhere Abstände ergibt, kann sich durch die Ausbreitungsrechnung ein

kleinerer Einwirkbereich ergeben. Wenn innerhalb des durch Ausbreitungsrechnung ermittelten Einwirkbereichs keine stickstoffempfindlichen FFH-LRT vorhanden sind, kann von der Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung abgesehen werden.

2.2.2 Einwirkbereiche für BImSchG-Anlagen mit Quellhöhe von mehr als 20 m

Für industrielle und gewerbliche BImSchG-Anlagen mit Schornsteinhöhen von mehr als 20 m ergeben sich wegen der nach TA Luft erforderlichen Ableitbedingungen (Schornsteinhöhe) in der Regel nur bei Auftreten von Ammoniak-Emissionen Stickstoffdepositionen von 0,3 kg N ha-1 a-1 oder mehr. Anlagen mit Schornsteinhöhen von mehr als 20 m, die an Stickstoffverbindungen nur NOx emittieren, sind demnach in der Regel nicht relevant für Stickstoffdeposition. Unter bestimmten Bedingungen, etwa besonderen morphologischen bzw. meteorologischen Bedingungen (z.B. bei Kanalisierung des Windes in engen Tälern) oder bei einer Vielzahl zu berücksichtigender NOx-Quellen, können sich in Einzelfällen auch bei Anlagen, die nur NOx emittieren, Einwirkbereiche ergeben.

Wenn eine Anlage Ammoniak emittiert, muss eine separate Betrachtung durchgeführt werden (Ermittlung des Einwirkbereichs über Ausbreitungsrechnung).

2.3 Bestimmung der vorhabenbedingten Zusatzbelastung

Die vorhabenbedingte Zusatzbelastung ist entsprechend der Vorgehensweise nach TA Luft zu ermitteln. Das Rechengebiet ist dabei so zu wählen, dass es den Einwirkbereich des Vorhabens vollständig erfasst. Diese Vorgehensweise ist konservativ.

Der Einwirkbereich ist diejenige Fläche, in der die vorhabenbedingte Zusatzbelastung der Stickstoffdeposition einen Wert von 0,3 kg N ha-1 a-1 überschreitet.

Für Ammoniak erfolgt die Ausbreitungsrechnung entsprechend den Vorgaben der TA Luft mit einer Depositionsgeschwindigkeit von 0,01 m/s. Diese im Referenzmodell (AUSTAL2000) fest eingestellte Depositionsgeschwindigkeit ist in vielen Fällen für die Berechnung der Stickstoffdeposition nicht ausreichend. Depositionsgeschwindigkeiten für verschiedene Kategorien der Oberflächenbeschaffenheit sind in der Richtlinie VDI 3782 Blatt 5 11 dargestellt. So wird z.B. für Wald in dieser Richtlinie eine mittlere Depositionsgeschwindigkeit von 0,02 m/s angegeben.

Um über die Vorgaben der TA Luft hinaus den Stickstoffeintrag in ein Ökosystem mit einer anderen als der in AUSTAL2000 enthaltenen Depositionsgeschwindigkeit abzuschätzen, wird die mit AUSTAL2000 berechnete trockene Deposition mit dem Verhältnis der für das jeweilige Ökosystem zutreffenden Depositionsgeschwindigkeit (vd;Ö) aus der Richtlinie VDI 3782 Blatt 5 [17] zu der in AUSTAL2000 hinterlegten (mesoskaligen) Depositionsgeschwindigkeit (vd;M) multipliziert.

Wenn der Emissionsmassenstrom in der Ausbreitungsrechnung für Ammoniak und nicht für Stickstoff angegeben wird, ist die mit AUSTAL2000 berechnete Deposition für Ammoniak (sNH3) über das Verhältnis der Molmassen von Stickstoff ( MN = 14 g/mol) zu Ammoniak ( MNH3 = 17 g/mol) in einen Wert für die Stickstoffdeposition umzurechnen.

Daraus ergibt sich folgende Berechnungsvorschrift:

Mit der so ermittelten Zusatzbelastung wird die Prüfung auf Einhaltung des Abschneidekriteriums durchgeführt. Bei Einhaltung des Abschneidekriteriums sind keine weiteren Untersuchungen erforderlich.

2.4 Bestimmung der Empfindlichkeit von FFH-LRT und Anhang II-Pflanzenarten gegenüber Stickstoffeintrag

Die Prüfung ist entsprechend dem in den H PSE beschriebenen Vorgehen durchzuführen. Ergänzend ist bei Anlagen, die Ammoniak emittieren, auch die Einhaltung der Critical Levels (CLe) zu prüfen, wenn Flechten oder Moose als charakteristische Arten des betrachteten Lebensraumes betroffen sind (1 µg m-3) oder die Critical Loads der betroffenen Biotope 12 kg N/ha*a im Offenland und 16 kg N/ha*a im Wald übersteigen. 12 In solchen Fällen können die in BMVBS (2013), Kapitel 8.8 aufgeführten Informationen herangezogen werden. Als Abschneidekriterium bzw. zur Bestimmung des Einwirkbereichs ist in diesen Fällen als Konvention ebenfalls der für die Stickstoff-Deposition gültige Wert in Höhe von 0,3 kg N ha-1 a-1 anzuwenden (s. Kapitel 2.2). 13

2.5 Vermeidungsmaßnahmen

Vorrangig sind die folgenden Vermeidungsmaßnahmen/Verminderungsmaßnahmen zu prüfen:

Begriffsbestimmungen

Abschneidekriterium

Kenngröße für die Höhe von Stickstoffeinträgen, bei deren Einhaltung ein Vorhaben nicht in relevanter Weise zur Stickstoffbelastung in FFH-Gebieten beiträgt. Das Abschneidekriterium hat den Wert von 0,3 kg N ha-1 a-1.

Bagatellschwelle für Stickstoffeinträge (N-Bagatellschwelle)

Kenngröße für die kumulative Zusatzbelastung durch Stickstoffeinträge, bei deren Einhaltung auch bei Überschreitung des Critical Load die Genehmigung nicht versagt werden darf. Die Bagatellschwelle beträgt 3 Prozent des maßgeblichen Critical Loads.

Critical Load (kritischer Eintragswert - CL)

Immissionswert für Stickstoffeinträge zum Schutz von Natura 2000-Gebieten, bei dessen Einhaltung ein Vorhaben nicht geeignet ist, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen.

Critical Level (kritische Konzentration - CLe)

Immissionswert für die Konzentration von NOx und NH3, bei deren Einhaltung ein Vorhaben nicht geeignet ist, ein Natura 2000-Gebiet erheblich zu beeinträchtigen.

FFH-Richtlinie

Richtlinie 92/43/EWG DES RATES vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen.

FFH-Vorprüfung

Prüfung, ob durch das Vorhaben erhebliche Beeinträchtigungen eines Natura 2000-Gebietes nachweislich auszuschließen sind und eine vertiefende FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht erforderlich ist.

FFH-Verträglichkeitsprüfung (FFH-VP)

Die gemäß § 34 BNatSchG erforderliche Prüfung, ob ein Vorhaben einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet ist, ein Natura 2000-Gebiet erheblich zu beeinträchtigen.

Gebietslistung

Datum der ersten Aufnahme des FFH-Gebietes in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung.

Gesamtbelastung

Die Gesamtbelastung eines Standortes ergibt sich aus der Summe der (ggf. korrigierten) Hintergrundbelastung und der vorhabenbedingten Zusatzbelastung.

Hintergrundbelastung

Kenngröße für Stickstoffeinträge, die in den vom Umweltbundesamt veröffentlichten Karten "Hintergrundbelastungsdaten Stickstoff" für ein Bezugsjahr dargestellt ist (http://gis.uba.de/website/depo1/).

Korrigierte Hintergrundbelastung (Vorbelastung)

Kenngröße für die vorhandene Belastung durch Stickstoffeinträge. Sie wird aus der Hintergrundbelastung unter Berücksichtigung erforderlicher räumlicher und zeitlicher Korrekturen ermittelt. 14

Kumulative Zusatzbelastung

Kenngröße für die Zusatzbelastung durch Stickstoffeinträge, die aus der Zusatzbelastung des Vorhabens und Stickstoffeinträgen von anderen Plänen und Projekten ermittelt wird. Berücksichtigt werden Pläne und Projekte, die nach der Gebietslistung realisiert wurden und deren Stickstoffeinträge jeweils höher als 0,3 kg N ha-1a-1 sind.

Natura 2000-Gebiet

Europäisches Schutzgebietssystem, das Gebiete der Vogelschutzrichtlinie sowie die der FFH-Richtlinie beinhaltet.

Vogelschutzrichtlinie

Richtlinie 2009/147/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten.

1) Hinweise zur Prüfung von Stickstoffeinträgen bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung für Straßen - Stickstoffleitfaden Straße (H PSE) - in Druck.

2) BMVBS (2013, Hrsg.): Untersuchung und Bewertung von straßenverkehrsbedingten Nährstoffeinträgen in empfindliche Biotope. Autoren: Balla S., Uhl R., Schlutow A., Lorenz H., Förster M., Becker C., Müller-Pfannenstiel K., Lüttmann J., Scheuschner Th., Kiebel A., Düring I. und Herzog W. Bericht zum FE-Vorhaben 84.0102/2009 der Bundesanstalt für Straßenwesen, Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik Band 1099; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Abteilung Straßenbau, Bonn.

3) Urteil des EuGH vom 07.09.2004, Az. C 127/02, NuR 2004, 788-791.

4) Siehe Urteil des BVerwG vom 17.01.2007, Az. 9 A 20/05, NuR 2007, 336-358, Rn. 60.

5) Siehe Urteil des BVerwG vom 17.01.2007, Az. 9 A 20/05, NuR 2007, 336-358, Rn. 64.

6) Urteil des BVerwG vom 12.03.2008, Az. 9 A 3.06, NuR 2008, 633-659, Rn. 94.

7) Urteil des BVerwG vom 12.03.2008, Az. 9 A 3.06, NuR 2008, 633-659, Rn. 124-125.

8) Dieser Abschnitt entspricht inhaltlich Abschnitt 3.1 H PSE.

9) Abweichend von dieser Rechtsprechung stellt das OVG NRW (Urteil vom 01.12.2011, Az. 8 D 58/08.AK; Urteil vom 16.06.2016, Az. 8 D 99/13.AK) auf die Einreichung eines prüffähigen Genehmigungsantrags ab; das BVerwG hat mit Beschluss vom 31.07.2017, Az. 7 B 15/16, Rn. 1 wegen dieser Frage die Revision zugelassen.

10) Anders OVG NRW, das ein Abschneidekriterium in Höhe von nicht mehr als 0,5 % des CL des jeweils in Betracht kommenden Lebensraumtyps zu Grunde legt. Dies entspreche 1/6 der 3 %-Bagatellschwelle. Das Abschneidekriterium solle jedoch nicht weniger als 0,05 kg N/(ha*a) betragen, um den Rechercheraum nicht ausufern zu lassen, OVG NRW, Urteil vom 16. Juni 2016, a.a.O., juris, Rn. 560 ff.

11) VDI 3782 Bl. 5 (2006): Umweltmeteorologie; Atmosphärische Ausbreitungsmodelle; Depositionsparameter.

12) Der Critical Level für höhere Pflanzen in Höhe von 3 µg m -3 wurde mit den Depositionsgeschwindigkeiten der VDI-Richtlinie 3782, Blatt 5 für Gras (1,5 cm s -1) und Wald (2 cm s -1) in vergleichbare Werte der Stickstoffdeposition umgerechnet.

13) 0,3 kg ha-1 a-1 entsprechen 0,06 µg m -3 (mit Depositionsgeschwindigkeit für Wald) bzw. 0,08 µg m -3 (mit Depositionsgeschwindigkeit für Grasland. In Bezug auf die Critical Level (Beurteilungswert) in Höhe von 1 bzw. 3 µg m -3, entspricht das Abschneidekriterium von 0,3 kg ha-1 a-1 somit zwischen 2 % und 8 %.

14) Siehe hierzu: Hintergrundbelastungsdaten Stickstoffdeposition - Ergebnisse und Daten des PINETI-Projekts - Erläuterungen des Umweltbundesamtes, Stand 31.08.2017 - http://gis.uba.de/website/depo1/download/Erlaeuterungen DepoKartendienst UBA.pdf.

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