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11. 2,2-Dichlor-1,1,1-trifluorethan
(CAS-Nr.: 306-83-2)
(BArbBl. 3/97 S. 66)
2,2-Dichlor-1,1,1-trifluorethan (HCFC-123; R-123) ist strukturchemisch dem Halothan (2-Brom-2-chlor1,1,1-trifluorethan) sehr ähnlich. HCFC-123 wird oxidativ und reduktiv metabolisiert. Der Hauptweg des oxidativen Stoffwechsels verläuft über die Bildung von Trifluoracetylchlorid, das kovalent an Makromoleküle binden kann, zur Trifluoressigsäure. Der reduktive Weg beginnt mit einer Dehalogenierung und verläuft dann über eine radikalische Zwischenstufe zur Bildung von 2-Chlor-1,1-difluorethan und von 2-Chlor-1,1,1-trifluorethan, das bei der Ratte nach Schlundsondenapplikation zu Uteruskarzinomen und Leydigzelltumoren führte [1].
Makromolekulare Bindung:
Nur die Struktur der 2,2-Dihalo-1,1,1-trihaloethane führt im oxidativen Stoffwechsel zu elektrophilen Säurechloriden, die kovalent an Makromoleküle (z.B. Leberproteine) binden können [2].
Bei der Ratte kommt es nach HCFC-123-Inhalation zu stabilen Proteinaddukten in der Leber (maximale Bildungsrate bei 1000 ppm nach 6-stündiger Exposition). Nach einmaliger i.p.-Gabe (1529 mg/kg KGW) treten bei männlichen Ratten neben Proteinaddukten in Leber und Niere auch Proteinaddukte im Herzen auf (2].
In einer weiteren Inhalationsstudie an Ratten (2000 ppm, 6 Std.) wird ebenfalls eine kovalente Bindung von 14C-HCFC-Metaboliten an Proteine in Leber, Niere und Lunge, nicht jedoch in Pankreas und Hoden, nachgewiesen [3].
Genotoxizität:
HCFC-123 und sein Metabolit Trifluoressigsäure zeigen im AmesTest mit und ohne Zusatz von 59-Mix keine mutagene Aktivität [1]. Während ein Chromosomenaberrationstest an CHO-Zellen in vitro negativ verlief (4], wirkt HCFC-123 offenbar in Abhängigkeit von Expositions-Konzentration und -Zeit klastogen an Humanlymphozyten in vitro sowohl mit als auch ohne Zusatz von S9-Mix. Die bisher durchgeführten in vivo-Untersuchungen (Chromosomenaberration/Rattenlymphozyten, UDS-Test/Rattenhepatozyten, Mikronucleus-Test/Maus-Knochenmark) mit inhalativer Exposition verliefen alle negativ. Auch in einem 90 Tage-Inhalationsversuch an Ratten (5000 ppm, 6 h/d, 5 d/w) treten keine Chromosomenaberrationen in den peripheren Lymphozyten auf [1].
Kanzerogenität:
Je 80 männliche und 80 weibliche Sprague-Dawley-Ratten wurden über einen Zeitraum von 104 Wochen für 6 Stunden/Tag an 5 Tagen/Woche gegenüber HCFC-123-Konzentrationen von 300; 1000 bzw. 5000 ppm (1875; 6250 bzw. 31250 mg/m3) Ganzkörper-exponiert. Folgende toxische Effekte wurden beobachtet: Gewichtsverlust (M 5000, W ab 1000), erhöhtes relatives Lebergewicht (M 5000), erniedrigtes Nierengewicht (M 5000, W ab 1000), basophile Leberfoci (ab 300), diffuse Retina-Atrophie (ab 300), erniedrigte Triglyzerid- und Glucosespiegel (ab 300), erhöhte Fluorid-Ausscheidung im Harn (ab 300); Serum-Cholesterinspiegel erniedrigt (W ab 300; M 5000); ß-Oxidation erhöht (M ab 300; W ab 1000). Bei einer Zwischensektion nach 12 Monaten konnte keine erhöhte Zellproliferation in der Leber nachgewiesen werden; die ß-Oxidation als Indikator für eine Peroxysomenproliferation war bei allen mit HCFC-123 behandelten Männchen und bei den Weibchen ab 1000 ppm signifikant erhöht.
Hepatozelluläre Adenome traten vermehrt bei den Weibchen der 300 ppm- und bei Männchen und Weibchen der 5000 ppm-Gruppe auf. Bei den Weibchen der 5000 ppm-Gruppe wurden hepatische Cholangiofibrome und bei allen mit HCFC-123 behandelten Männchen vermehrt gutartige Tumoren der Azinarzellen des Pankreas und der Leydigzellen beobachtet. Hyperplasien der Azinarzellen des Pankreas und der Leydigzellen traten bereits ab 300 ppm (signifikant ab 1000 ppm) vermehrt auf und können als Adenom-Vorstadien gewertet werden. Die Tumorinzidenzen sind in Tabelle 1 zusammengestellt.
Tabelle 1: Tumorinzidenzen bei der Ratte nach chronischer HCFC-123-Exposition [4]
Inzidenzen (%) | ||||||||
Kontrolle | 300 | 1000 | 5000 | |||||
Tumortyp/ Lokalisation | m | w | m | w | m | w | m | w |
Leberadenom | 4 | 0 | 3 | 8° | 3 | 3 | 12° | 10° |
Cholangiofibrom/Leber | - | 0 | - | 0 | - | 0 | - | 9° |
Azinarzellhyperplasie | 7 | 0 | 9 | 6 | 20* | 9* | 29* | 12* |
Azinarzelladenom | 1 | 0 | 6 | 3 | 19* | 0 | 21* | 3 |
Azinarzellkarzinom | 1 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 3 | 0 |
Leydigzellhyperplasie | 12 | - | 23 | - | 35* | - | 45* | - |
Leydigzelladenom | 6 | - | 18* | - | 14* | - | 21* | - |
M: Männchen; W: Weibchen; *) statistisch signifikant (P<0,05) °) signifikanter Unterschied im Vergleich zur Kontrolle (Fisher's Exact Test) |
Während die Leberadenome wahrscheinlich im kausalen Zusammenhang mit der Peroxysomenproliferation in der Leber gesehen werden müssen, ist der Mechanismus der Cholangiofibromentstehung und der Tumorbildung in den anderen Organen nicht so klar. Allerdings wurde auch bei einigen anderen Peroxysomenproliferatoren wie z.B. Gemfibrozil, Trichlorethylen und Ammoniumperfluorooctanonat eine erhöhte Inzidenz an Leydigzelladenomen beobachtet.
Azinarzelladenome wurden ebenfalls auch nach Behandlung mit Peroxysomenprohliferatoren wie Clofibrat und Nafenopin beobachtet. Darüber hinaus wird die Entwicklung dieser Tumoren durch Steroide (z.B. Testosteron) und durch andere endogene Substanzen wie z.B. Cholecystokinin begünstigt [4].
Im Zelltransformationstest in vitro an BHK 21-Zellen ist HCFC-123 in Gegenwart von S9-Mix inaktiv (keine näheren Angaben) [1].
Schlußfolgerungen zur Frage der Kanzerogenität:
Aufgrund der in einer Inhalations-Kanzerogenesestudie an Ratten vermehrt aufgetretenen Tumoren (Leberzell-, Pankreas- und Leydigzell-Adenome sowie Cholangiofibrome) ergibt sich der Verdacht auf eine kanzerogene Wirkung der Substanz. Die gleichzeitig beobachtete Peroxysomenproliferation in der Leber könnte im kausalen Zusammenhang mit der Leberzelltumorbildung stehen. Der Mechanismus der Entstehung der anderen Tumortypen ist, besonders angesichts der bisher fehlenden Hinweise auf eine gentoxische Aktivität in vivo, noch unklar.
Reproduktionstoxizität:
Die Exposition von trächtigen Ratten gegenüber 5000 oder 10000 ppm 2,2-Dichlor-11,1-trifluorethan (6 Std/Tag, 6.-15. Trächtigkeitstag) führte zu maternaler Toxizität (Gewichtsverlust bzw. narkotische Symptome), jedoch zu keinen embryotoxischen oder teratogenen Effekten.
Bei trächtigen Kaninchen kam es nach Exposition gegenüber 500 -5000 ppm ebenfalls zu maternaltoxischen Effekten (Gewichtsverlust, verringerte Futteraufnahme), jedoch zu keinen Anzeichen einer embryonalen Toxizität oder teratogenen Wirkung.
Die Ganzkörper-Exposition von Ratten gegenüber 300 - 5000 ppm beginnend 4 Wochen vor der Verpaarung und endend in der 11. Lebenswoche der Nachkommen führte zu leichten toxischen Effekten bei den F0-Männchen ab 300 ppm (verzögerte Gewichtszunahme, verringerter Plasmatriglyzerid-Spiegel) und bei den F0-Weibchen ab 1000 ppm (verringerte Faeces-Ausscheidung, FSH-Spiegel erhöht). An reproduktionstoxischen Effekten wurden eine leicht (1000 ppm) bzw. signifikant (5000 ppm) erniedrigte Implantationsrate sowie ab 1000 ppm eine Verringerung von Wurfgröße und Geburtsgewicht festgestellt. Weiterhin kam es bei F1-Männchen ab 300 ppm zu Gewichtsretardierung, verringertem Plasmatriglyzerid-Spiegel und verzögerter Trennung der Hautfalten zwischen Präputium und Penis und bei F1-Weibchen ab 1000 ppm zu einem erhöhten FSH-Spiegel und zu einer Lebervergrößerung [1].
Sensibilisierung:
An der Rückenhaut von Meerschweinchen zeigte HCFC-123 als 10 %ige oder 50 %ige Lösung in Propylenglykol keine hautsensibilisierende Wirkung [1].
Fazit:
Kanzerogenität:
Angesichts dieser Datenlage (Langzeitversuch nur an einer Spezies durchgeführt; Hinweis auf kanzerogene Wirkung, keine Gentoxizität in vivo) ergibt sich gemäß den EU-Einstufungskriterien eine Einstufung als krebserzeugend Kategorie 3.
Genotoxizität:
Aufgrund der negativen Ergebnisse aus in vivo-Gentoxizitätstesten ergibt sich gemäß den EU-Einstufungskriterien keine Einstufung als Mutagen (M: -).
Reproduktionstoxizität:
Gemäß den EU-Einstufungskriterien kommt eine Einstufung als reproduktionstoxisch nicht in Betracht (RF.E:-).
Sensibilisierung:
Die Substanz wirkt im Tierversuch nicht hautsensibilisierend und ist daher gemäß den EU-Einstufungskriterien nicht so einzustufen.
Literatur:
[1] Greim, H. (Hrsg.): Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe. Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründung von MAK-Werten: 2,2-Dichlor-1,1,1-trifluorethan. VCH, Weinheim (1994)
[2] Huwyler, J.; Gut, J.: Exposure to the chlorofluorocarbon substitute 2,2-dichloro 1,1,1-trifluoroethane and the anaesthetic agent halothane 15 associated with transient protein adduct formation in the heart. Biochem. Biophys. Res. Commun. 184, 1344-1349 (1992)
[3] Urban, G.; Dekant, W.: Metabolism of 1,1-dichloro-2,2,2-trifluoroethane in rats. Xenobiotica 24, 881-892 (1994)
[4] Malley, L.A.; Carakostas; M.; Hansen, J.F.; Rasch, G.M.; Kelly, D.P.; Trochimowicz, H.J.: Two-year inhalation toxicity study in rats with hydrochlorofluorocarbon 123. Fundam. Appl. Toxicol. 25,101-114 (1995).
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