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18. o-Phenylendiamin
(CAS-Nr.:95-54-5) und
o-Phenylendiamindihydrochlorid
(CAS Nr.: 615-28-1)
(BArbBl. 4/97 S. 64)
Zu o-Phenylendiamin und zu o-Phenylendiamin-Dihydrochlorid liegt eine ausführliche toxikologisch-arbeitsmedizinische Bewertung vor, auf die im folgenden weitgehend bezuggenommen wird [1].
o-Phenylendiamin (OPD) als freie Base ist als Feststoff sowie vor allem in flüssiger oder in gelöster Form instabil. In Gegenwart von Sauerstoff oder anderen Oxidationsmitteln bilden sich besonders bei Lichteinwirkung braungefärbte Oxidationsprodukte. Das Dihydrochlorid (OPD 2HCI) ist als Feststoff stabil gegenüber Oxidantien [1].
Die Oxidation des OPD verläuft über die Bildung des reaktiven o-Chinondiimins, das mit einem weiteren OPD-Molekül zum 2,3-Diaminophenazin reagiert. Durch Folgereaktionen können auch längere Oligomere des Diaminophenazins gebildet werden [1].
OPD ist ein Methämoglobinbildner. Die akute Toxizität bei der Ratte ist gering mit LD50-Werten von 720-1600 mg/kg KGW nach oraler und von > 5000 mg/kg KGW nach dermaler Applikation [1].
Genotoxizität:
OPD zeigt in bakteriellen Testsystemen nur nach metabolischer Aktivierung eine genotoxische Wirkung. Ebenfalls genotoxisch wirkt OPD im UDS-Test an isolierten Rattenhepatozyten sowie im Chromosomenaberrationstest an Säugerzellen in vitro ohne Zusatz von S9-Mix; durch Zusatz von S9-Mix wird die Aktivität stark abgeschwächt oder völlig inhibiert. An Humanlymphozyten in vitro führt OPD nur in Gegenwart von S9-Mix und nur bei Zellen in der G2-Phase zu Chromosomenaberrationen. Im Mikronucleus-Test an Maus, Hamster und Meerschweinchen zeigt OPD nach i.p.-Injektion (bei der Maus auch nach oraler Gabe) eine clastogene Wirkung. Ein Fellfleckentest an der Maus mit i.p.-Injektion im Bereich der MTD sowie ein Dominant-Letal-Test an männlichen Ratten mit einer allerdings recht niedrigen i.p.-Dosis (20 mg/kg KGW) sind jedoch negativ [1]. Ebenfalls inaktiv ist OPD im SLRL-Test an Drosophila [2].
Nach oraler Gabe von 200 mg/kg KGW kommt es zwar zu einer ca. 30 %igen Hemmung der DNA-Replikation im Hoden von Swiss-Mäusen; dieser Effekt ist jedoch offensichtlich lediglich durch die toxische Wirkung der Substanz bedingt (Senkung der Körpertemperatur) und daher bezüglich der Genotoxizität von OPD als Artefakt anzusehen [3]. Bei NMRI-Mäusen führt die i.p.-lnjektion von >= 200 mg/kg KGW zu einem signifikant erhöhtem Anteil an diploiden Spermien. Außerdem wird über Spermienkopfanomalien sowie über clastogene Effekte in den Oozyten bei Mäusen nach OPD-Gabe in vivo berichtet (keine Angaben zu Dosis und Applikationsart) [l]:Oxidationsprodukte des OPD wie z.B. 2,3-Diaminophenazin zeigen eine deutlich stärkere genotoxische Wirkung im Vergleich zu OPD [1].
Kanzerogenität:
Zur Frage der kanzerogenen Wirkung liegt eine Fütterungsstudie mit OPD-Dihydrochlorid (97-99 % rein) an männlichen CD-Ratten und an CD-1 Mäusen beiderlei Geschlechts vor. Es wurden 25 Tiere pro Geschlecht und Dosisgruppe eingesetzt; die Behandlungsdauer betrug 78 Wochen gefolgt von einer Nachbeobachtungszeit von 26 (Ratten) bzw. 13 Wochen (Mäuse). Zu toxischen Symptomen werden keine Angaben gemacht.
Bei den männlichen Ratten traten nur in der hohen Dosisgruppe (4000 ppm im Futter; ca. 180 mg OPD/kg KGW/Tag) signifikant vermehrt Lebertumoren auf (Tabelle l) [1].
Tabelle 1: Lebertumor-Inzidenzen bei männlichen CD-Ratten nach 78-wöchiger Gabe von OPD-Dihydrochlorid im Futter [1]
Konz. ppm OPD-Dosis | Kontrolle | histor. Kontrolle | 2000 90 mg/kg/d | 4000 180 mg/kg/d |
Leberkarzinome | 0/16 | 2/111(1,8%) | 0/14 | 5/16 (31%)* |
*) statistisch signifikant {P < 0,025) |
Bei den Mäusen war bereits bei der niedrigen Dosis (4000-8000 ppm im Futter; ca. 615 mg OPD/kg KGW/Tag) die Lebertumorinzidenz signifikant erhöht (Tabelle 2). Andere Tumortypen werden bei Ratte und Maus nicht erwähnt [1].
Tabelle 2: Lebertumor-Inzidenzen bei CD-1 Mäusen nach 78-wöchiger Gabe von OPD-Dihydrochlorid im Futter [1]
Konz.ppm OP-Dosis | Kontrolle | histor. Kontr. | 4000/ 8000 615 mg/kg/d | 8000/ 16000 1230 mg/kg/d |
Männliche Mäuse | ||||
Leberkarzinome | 0/14 | 7/99 (7 %) | 5/17 (29 %) | 3/14 (21 %) |
Weibliche Mäuse | ||||
Leberkarzinome | 1/15(7 %) | 1/102 (1 %) | 6/18 (33 %)* | 6/15 (40 %)* |
*)statistisch signifikant (P <0,025) |
Es liegt noch eine ältere Kanzerogenesestudie an Ratten vor mit subkutaner Injektion von OPD. Bei den beiden verwendeten Dosierungen (45 mg/kg KGW alle 2 Tage über 11 Monate; 90 mg/kg KGW alle 2 Tage über-5 Monate) wurden an den je 5 eingesetzten Tieren keine Tumoren an der Einstichstelle beobachtet [1].
Reproduktionstoxizität:
Aus verschiedenen Studien ergeben sich Hinweise auf reproduktionstoxische Wirkungen von OPD [1]:
1) Beeinträchtigung der Fertilität:
2) Entwicklungstoxizität:
Abgesehen vom Dominant-Letal-Test ist jedoch zu vermuten, daß die verwendeten Dosierungen bereits im für die Elterntiere toxischen Bereich lagen (LD50 oral Ratte, Maus: ca. 1000 mg/kg KGW; LD50 i.p. Ratte: 173 bzw. 516 mg/kg KGW; LD50 i.p. Maus: 245 mg/kg KGW) [1].
Sensibilisierung:
Im Tierversuch an Meerschweinchen wirkt OPD stark hautsensibilisierend. Eine Sensibilisierung beim Menschen wurde bisher nur in einem einzigen Fallbericht beschrieben [1].
Fazit:
Kanzerogenität:
Aufgrund der vorliegenden Kanzerogenesestudie ergibt sich ein Verdacht auf eine kanzerogene Wirkung von OPD-Dihydrochlorid nach Verabreichung mit dem Futter.
Wegen der nur sehr unvollständigen Dokumentation der Ergebnisse (keine Angaben zu toxischen Effekten und zu Tumorinzidenzen in anderen Organen und Geweben) ist die Bewertung dieser Studie sehr erschwert.
Angesichts der genotoxischen Wirkung von OPD und seinen Oxidationsprodukten erscheint insgesamt gemäß den EU-Einstufungskriterien eine Einstufung von OPD und seines Dihydrochlorids als krebserzeugend Kategorie 3 als angemessen.
Genotoxizität:
Es liegen experimentelle Daten vor, die belegen, daß OPD oder seine Metaboliten die männlichen und weiblichen Keimzellen erreichen (clastogene Effekte in Spermien und Oozyten). Außerdem liegt ein positiver Mikronucleus-Test an Maus, Hamster und Meerschweinchen vor.
Andererseits erbrachten ein Dominant-Letal-Test an der Ratte und ein Fellfleckentest an der Maus negative Resultate. Insgesamt scheint OPD offenbar kein nennenswertes erbgutveränderndes Potential in Bezug auf die Keimzellen zu besitzen. Daher erscheint eine Einstufung von OPD in Kategorie 2 als nicht angemessen. Angesichts der positiven Befunde aus mehreren Mikronucleus-Testen werden daher OPD und sein Dihydrochlorid gemäß den EU-Einstufungskriterien als erbgutverändernd Kategorie 3 eingestuft.
Reproduktionstoxizität:
Eine Einstufung als reproduktionstoxisch kommt gemäß den EU-Einstufungskriterien für OPD und sein Dihydrochlorid nicht in Betracht (RF,E:-), da keine entsprechenden Studienergebnisse aus geeigneten Tierversuchen vorliegen, und da sich auch keine Hinweise auf derartige Effekte an exponierten Personen ergeben haben.
Sensibilisierung:
Aufgrund der deutlich positiven Befunde im Tierversuch wird OPD und sein Dihydrochlorid gemäß den EU-Einstufungskriterien als hautsensibilisierend eingestuft (R 43).
Literatur:
[1] Greim, H. (Hrsg.): Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe. Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründung von MAK-Werten: o-Phenylendiamin. VCH, Weinheim (1995)
[2] Gocke, E., Wild, D., Eckhardt, K., King, M.-T.: Mutagenicity studies with the mouse spot test. Mutat. Res. 117, 201-212 (1983)
[3] Donatsch, P., Gürtler, J., Matter, B.E.: Critical appraisal of the ,Mouse Testicular DNA-Synthesis Inhibition Test' for the detection of mutagens and carcinogens. Mutat. Res. 92, 265-273 (1982).
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