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Begründung zur Bewertung von Stoffen als sensibilisierend
p-Phenetidin
(CAS-Nr.: 156-43-4)
(p-Phenetidin)

Ausgabe: Oktober 2002



Vorkommen:

4-Ethoxyanilin (EA), häufig auch als p-Phenetidin bezeichnet, ist ebenso wie die beiden anderen stellungsisomeren Ethylether von o- und p-Aminophenol ein Zwischenprodukt für die Synthese von Riech- und Farbstoffen, Pflanzenschutzmittelwirkstoffen, Pharmaka und Laborchemikalien. Insbesondere ist EA nicht nur eine Vorstufe bei der Herstellung von Phenacetin und anderen strukturell verwandten Schmerzmitteln, sondern wird auch neben dem Hauptmetaboliten Paracetamol als ein weiterer wichtiger Metabolit nach Einnahme von Phenacetin im Körper des Menschen gebildet.

EA ist ferner ein Ausgangsstoff für die Synthese des Antioxidans-Wirkstoffs Ethoxyquin und tritt als Verunreinigung in technischen Ethoxyquin-Gemischen auf, die z.B. als Alterungsschutzmittel in der Kautschukindustrie und für Futtermittelstabilisatoren verwendet werden.

Darüber hinaus wird EA bei der Herstellung des (in Deutschland inzwischen verbotenen) Süßstoffes Dulcin verwendet.

Allein in Deutschland wird EA in Mengen von mehr als 1000 Tonnen/Jahr hergestellt (VCI 1988, 1995).

Arbeitsmedizinische, pharmakologische und experimentelle Daten:

In der arbeitsmedizinischen Literatur wurde EA erstmals Anfang der 70er Jahre als sensibilisierender Stoff erwähnt (PAMBOR, 1971). In einem Betrieb, der Futtermittel herstellte, wurde als ekzemauslösende Noxe ein Produkt "Niflex D" ermittelt, das Ethoxyquin als antioxidierenden Wirkstoff und als Verunreinigung 1-2 % EA enthielt. "Niflex D" wurde als Stabilisator mit einem Anteil von 1-2 % den Wirkstoffmischungen zugesetzt. Nach 3 Monaten Verwendung des Stabilisators kam es infolge der starken Staubentwicklung beim Mischen und Abfüllen der Wirkstoffmischungen bei 8 Produktionsarbeitern unter Juckreiz zu einer Hautentzündung, zunächst an den freien Körperstellen, später auch an Stamm und Oberschenkeln. 18 Beschäftigte des Betriebes wurden untersucht, wobei die 8 Patienten (6 männlich und 2 weiblich) bei unterschiedlicher Verteilung der Ekzemherde morphologisch gleichartige Befunde boten. Mykologische Untersuchungen waren negativ.

Im Epikutantest zeigten 4 der erkrankten Patienten eine positive Reaktion gegenüber EA ab 0,1 %-1 %, 3 davon auch gegenüber dem unverdünnten Stabilisator. Auch 1 p-Phenylendiamin löste bei diesen 4 Patienten eine positive Reaktion im Sinne einer Gruppenallergie aus, andere Parastoffe wie 10 % Benzokain und 2 % Anilin waren hingegen negativ. Bei den übrigen 14 Stabilisator-exponierten Beschäftigten war die Testung mit Berufssubstanzen negativ mit Ausnahme von unverdünntem EA, das in 6 Fällen eine positive Reaktion verursachte. Nach Abheilen des Ekzems reagierten die 4 Patienten mit nachgewiesener epidermaler Allergie prompt auf eine erneute Exposition, bei den anderen 4 Ekzempatienten traten Ekzemrückfälle erst nach längerer Zeit der Exposition wieder auf.

Zum Vergleich wurde ein weiterer Epikutantest mit 58 Patienten aus dem unausgewählten Krankengut der Klinik sowie mit 12 Patienten mit bekannter p Phenylendiamin-Allergie durchgeführt. Tests mit 1 % EA und 1 % p-Phenylendiamin ergaben weitgehend übereinstimmende Ergebnisse im Sinne einer Gruppenallergie. EA in Konzentrationen von 1 % und 5 % ergab bei 15 bzw. 17 Testpersonen eine positive Reaktion, 10 % und 100 % EA (toxische) positive Reaktionen bei 24 bzw. 48 der 70 Patienten. Parastoffe wie 10 % Benzokain , 2 % Anilin oder 1 % p-Aminophenol führten bei 9 bzw. 3 bzw. bei 2 von den 70 Patienten zu positiven Hautreaktionen.

In einer anderen Untersuchung zeigte sich, dass auch das Antioxidans Ethoxyquin in dem Stabilisator "Niflex D" Ekzeme auslösen kann (SCHUBERT et al., 1973). In einem Kälberaufzuchtmittel war der Stabilisator zu ca. 1 % und Ethoxyquin zu ca. 0,01 % enthalten. Nur die 3 Arbeiter, die Ekzeme entwickelt hatten, reagierten im Epikutantest positiv auf das Futtermittel selbst, auf den unverdünnten Stabilisator sowie auf 0,2 % Ethoxyquin. 7 weitere exponierte Arbeiter sowie ein nicht exponiertes Kontrollkollektiv von 10 Personen reagierten nicht auf diese Stoffe. Keine der 20 getesteten Personen reagierte auf 1 % EA bzw. eine ganze Reihe weiterer getesteter, z. T. typischer Futtermittelzusatzstoffe. Im Maximierungstest nach Magnussen und Kligman wurden je 10 Meerschweinchen mit maximal 5 % Testsubstanz in Freund'schem Adjuvans vorbehandelt. Testung nach 14 Tagen mit 0,2 % Ethoxyquin bzw. 1 % EA ergab nur mit Ethoxyquin bei 7 von 10 Tieren eine positive Reaktion, während EA nur bei einem Tier eine fraglich positive Reaktion auslöste, ansonsten aber negativ war. Eine Kreuzreaktion zwischen beiden Stoffen zeigte sich nicht.

Bereits Anfang der 70er Jahre war bekannt, dass chronischer Phenacetin Missbrauch das pathologisch von anderen Nierenerkrankungen abgrenzbare Bild der interstitiellen Nephritis mit Papillen-Nekrosen erzeugen kann. Als mögliche Ursache wurde die Bildung des Phenacetin-Metaboliten EA sowie seiner besonders toxischen Folgemetaboliten 2-Hydroxy-EA und N-Hydroxy-EA angesehen (z.B. RAAFLAUB und DUBACH, 1972). Diese Autoren stellten die Hypothese auf, dass der Abbauweg des Phenacetins über EA möglicherweise durch einen immuntoxischen Mechanismus die Niere schädigt.

Zur Erhärtung der Hypothese wurden Epikutantests auf Phenacetin und seinen Metaboliten Paracetamol und EA in Salbenform (0,3 %, 1 %, 3 % und 10 %, Vaseline als Grundlage) an 21 Patienten mit regelmäßiger Einnahme von phenacetinhaltigen Analgetica und verschiedenen Nierenkrankheiten sowie an 29 nierengesunden Patienten durchgeführt (RÜEGGER et al., 1973). Bei der Kontrollgruppe reagierten 2 Probanden schon bei der niedrigsten Konzentration von EA mit ausgeprägter Rötung der ganzen Kontaktfläche, 2 weitere mit schwacher Rötung ab 3 % EA, weitere 8 Probanden mit schwacher oder deutlicher Rötung bei 10 % EA. 5 der Kontrollprobanden reagierten ab 3 % Paracetamol, weitere 4 bei 10 % Paracetamol mit schwacher oder deutlicher Rötung.

Hingegen trat bei keinem der Patienten mit regelmäßiger Phenacetin-Einnahme eine Epikutanreaktion auf.

Bei den beiden empfindlichsten Probanden waren Stimulationstests in kultivierten Lymphozyten mit EA und 2-Hydroxy-EA positiv, nicht aber mit Paracetamol.

Die Studie weist zwar methodische Mängel auf (Beurteilung der Reaktion nach 24 Stunden) und ist deshalb nur begrenzt bewertbar, das Ergebnis ist aber in der Tendenz unerwartet.

Für dieses Ergebnis lieferten FREY et al. (1974) eine mögliche Erklärung: Im Test am Meerschweinchen kann die orale Aufnahme von EA oder Phenacetin Immuntoleranz und Desensibilisierung erzeugen. Zunächst zeigten sie, dass Meerschweinchen durch intradermale oder epikutane Applikation von EA und 2-Hydroxy-EA, nicht aber durch Phenacetin oder Paracetamol sensibilisiert werden. Mit EA lag die Sensibilisierungsschwelle bei 5 x 10 µg intradermal. Die Challenge nach 21-35 d erfolgte epikutan mit 0,3 %, 1 % oder 3 % bzw. intradermal mit der Prüfsubstanz. Zwischen EA und 2-Hydroxy-EA traten Kreuzreaktionen auf. Im Lymphozyten-Transformationstest konnte mit EA eine deutliche und dosisabhängige Stimulation der DNA-Synthese in Lymphozyten sensibilisierter Tiere nachgewiesen werden.

Immuntoleranz wurde durch orale Verabreichung relativ hoher Dosierungen, nämlich von jeweils 50, 100 oder 200 mg EA/kg KG pro Tag für eine Dauer von 8 Wochen vor der intradermalen Applikation mit 5 x 1 mg EA erzielt (epikutane Testung nach 56105 Tagen bzw. nach 384 Tagen). Auch die orale Verabreichung von 200 bzw. 400 mg Phenacetin/kg KG für 6 Wochen erzeugte Immuntoleranz gegen EA. Eine intravenöse Applikation mit 1 x 60 mg EA/kg KG 21 Tage vor der intradermalen Applikation bei sonst gleicher Versuchsanordnung führte nicht zur Immuntoleranz.

Ebenso waren Versuche zur Desensibilisierung nur nach oraler Verabreichung erfolgreich (5 x 200 mg EA/kg KG pro Woche für 6 Wochen): Eine Woche nach Ende der oralen Behandlung waren 2 von 24 Tieren, weitere 2 Wochen später 7 von 24 Tieren desensibilisiert. In der Kontrollgruppe blieben alle Tiere sensibilisiert. Auch die Ausprägung der Sensibilisierung sank in der behandelten Gruppe deutlich gegenüber der Kontrollgruppe.

Ein neuerer Maximierungstest nach Magnusson und Kligman (OECD-Versuchsprotokoll unter GLP) mit 5 % EA intradermal bzw. unverdünnter Prüfsubstanz topisch ergab bei der Provokation mit unverdünnter bzw. 25 %iger Prüfsubstanz eine Reaktion nach 48 h bei 65 % bzw. 90 % der behandelten Tiere, bei den Kontrollen 10 % bzw. 0 %. Eine zweite Provokation mit 12 %-iger bzw. 3 %-iger Prüfsubstanz ergab eine Reaktion nach 48 h bei 25 % bzw. 5 % der Tiere (BAYER AG, 1992).

Zur Prüfung auf eine Sensibilisierung vom Soforttyp wurden 8 weibliche Meerschweinchen 3 x intradermal induziert (10 % EA in Maiskeimöl, jeweils 2 x 100 µl). Nach 21-24 Tagen erfolgte eine Provokation mit 23 mg EA/m3 in der Atemluft für ca. 30 min. Am 25. Tag wurden die Tiere getötet, Lunge und Trachea wurden makroskopisch und histologisch untersucht. Spirometrische und histologisch-pathologische Untersuchungen ergaben keine Hinweise auf eine Sensibilisierung der Atemwege durch EA beim Meerschweinchen (BAYER AG, 1993).

Bewertung:

Über die primäre Sensibilisierung von 4 Personen durch EA im Sinne einer Kontaktallergie liegt ein Fallbericht vor. Für diesen und in einem Testkollektiv mit anamnestisch bekannter p-Phenylendiamin-Allergie wurde auch über Kreuzreaktionen mit diesem Parastoff berichtet. Der Maximierungstest am Meerschweinchen war positiv. Die Sensibilisierung gelang auch ohne Adjuvans. Beim Meerschweinchen wurde eine Kreuzrektion mit dem EA-Metaboliten 2-Hydroxy-EA nachgewiesen. Human- oder Meerschweinchen-Lymphozyten konnten im Transformationstest mit EA konzentrationsabhängig stimuliert werden. Die in vivo-Befunde beim Meerschweinchen und beim Menschen begründen die Einstufung von EA als sensibilisierend durch Hautkontakt (R43).

Literatur:

[1] Bayer AG (1992): p-Phenetidin dest. - Untersuchungen auf hautsensibilisierende Wirkung bei Meerschweinchen (Maximierungstest nach Magnusson und Kligman). -Bericht Nr. 21472 vom 01.07.1992 (Autoren: M. Dreist und J. Kolb; unveröffentlicht).

[2] Bayer AG (1993): p-Phenetidin. - Orientierende Untersuchungen zur Lungensensibilisierung am Meerschweinchen nach intradermaler Induktion. - Bericht Nr. 22223 vom 30.04.1993 (Autor: J. Pauluhn: unveröffentlicht).

[3] Pambor, M.: Ein p-Phenetidin-haltiges Antioxydans als berufliches Ekzematogen bei der Herstellung von Spezialfuttermischungen. Dermatosen 19 (1971), 285-91.

[4] Raaflaub, J und C. U. Dubach: Zur Frage der Pathogenese der chronisch-interstitiellen Nephritis nach protrahiertem Schmerzmittelabusus. - Klin. Wschr. (1972) 55, 489-497.

[5] Rüegger et al.: Immunologische Aspekte der Sensibilisierung auf Phenacetin. - Dtsch. Med. Wschr. 98 (1973), 762-769.

[6] Schubert, H., et al.: Untersuchungen zur Sensibilisierungsfähigkeit von Aethoxyquin und p-Phenetidin. Dermatol. Monatsschrift 159 (1973), 791-796.

[7] VCI (1988): Verband der Chemischen Industrie (Hrsg.): VCI-Altstoffliste. - Chem. Ind. - Zeitschr. für Chemie, Umwelt und Wirtschaft. - Sonderdruck aus Heft 4/88.

[8] VCI (1995): Verband der Chemischen Industrie (Hrsg.): Altstoff Grunddatensätze, Band 11. - Frankfurt/Main.

Stand: Mai 2002