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Begründung zu Getreide- und Futtermittelstäube in TRGS 907
Ausgabe: Dezember 2011
1 Vorkommen
Getreide- und Futtermittelstäube sind in der Zusammensetzung variierende Gemische verschiedener Getreide- und Pflanzenbestandteile (z.B. Gerste, Weizen, Hafer, Roggen, Mais, Sorghum, Soja, Tapioka, Palmkern) und ihrer Verunreinigungen (z.B. Bakterien, Pilzsporen, Mykotoxine, Milben- und Insektenbestandteile, Pestizide, anorganische Bestandteile sowie mikrobielle Komponenten den so genannten MAMPs (microbialassociated molecular pattern) zu denen u.a. Endotoxine und ß-Glucane gehören) [16, 20, 23]. Exponierte kommen hauptsächlich aus dem Lager- und Transportgewerbe, der Nahrungsmittelindustrie und der Landwirtschaft.
2 Arbeitsmedizinische und experimentelle Daten
Die Exposition gegenüber Getreide- und Futtermittelstaub verursacht obstruktive Lungenkrankheiten, was auch in epidemiologischen Untersuchungen belegt werden konnte [5]. In Querschnittuntersuchungen wurden akute [14] und chronische Effekte an Schleimhäuten der oberen und mittleren Atemwege, in Längsschnittuntersuchungen Tendenzen der Entwicklung von Atemwegserkrankungen in Abhängigkeit von der Höhe und von der Dauer der Einwirkung gezeigt [4, 8, 9, 15, 17, 21].
Die Pathogenese dieser obstruktiven Atemwegserkrankungen ist offensichtlich komplex und von der Zusammensetzung der Stäube abhängig. In vielen Fällen liegen neben sensibilisierenden auch irritative Effekte vor. Belege für eine sensibilisierende Wirkung finden sich vor allem in folgenden Studien:
Nachdem bereits in den 30er Jahren allergische Reaktionen bei Umgang mit Getreidestäuben vermutet worden waren, berichteten SKOULAS u.a. [21] im Rahmen einer klinischen Studie zu Getreidestaubwirkungen über diesbezügliche Allergiediagnostik an 51 Getreidespeicherarbeitern mit Beschwerden. Als Vergleichsgruppe dienten 22 Speicherarbeiter ohne Beschwerden. Mittels Intrakutantest erwiesen sich 31 Probanden (61 %) der Gruppe mit Beschwerden als positiv gegenüber Extrakt aus abgelagertem Gerstenstaub (32% in der Kontrollgruppe). Für positive Reaktionen gegenüber abgelagertem Weizenstaub war die Differenz geringer (51 gegenüber 41 %). Weizenextrakt selbst ergab keine differenten Ergebnisse zwischen beiden Gruppen, während Haferextrakt in der Gruppe mit Beschwerden häufiger positiv war. Eine nichtexponierte Kontrollgruppe fehlt in dieser Studie.
1974 wurden von WARREN et al. [24] Resultate allergologischer Haut- und Inhalationstests bei Farmern und Getreidespeicherarbeitern mit Atemwegsbeschwerden publiziert. Von 17 Probanden zeigten 10 positive Pricktests (8mal gegenüber Eigenextrakten aus Getreidestaub vom Arbeitsplatz, 2mal gegenüber Candida). Kommerzieller "Getreidemühlenstaub" erzeugte nur in 4 Fällen positive Hautreaktionen. Die Eigenextrakte ergaben negative Testresultate bei 12 Kontrollpersonen. Im inhalativen Provokationstest mit den Eigenextrakten reagierten 7 der 8 Hauttestpositiven und eine von 7 Hauttestnegativen Personen mit Obstruktion. Damit wurde die klinische Relevanz der Sensibilisierung belegt, ohne dass die tatsächlich sensibilisierende Komponente präzisiert werden konnte. Schimmel und Pollen schließen die Autoren weitgehend aus, da die diesbezüglichen Hauttests nicht mit den Getreidestaubergebnissen korrelierten. Prinzipiell ist es jedoch aufgrund von Kreuzreaktivitäten nicht auszuschließen, dass Allergiker, die gegen ubiquitäre Allergene sensibilisiert sind, auch ohne berufliche Exposition auf einzelne, in dieser Begründung beschriebene, Allergene reagieren.
Bei der detaillierten Untersuchung einer Gruppe von 22 Getreidestaubexponierten mit Beschwerden und Lungenfunktionsveränderungen durch CHAN-YEUNG et al. [6] reagierten 6 von diesen Probanden positiv im spezifischen inhalativen Provokationstest mit selbst hergestellten Extrakten aus "Getreidestaub" vom Arbeitsplatz. Diese Reaktionen waren mit Cromoglykat bzw. Kortikoiden hemmbar. Die übrigen 16 zeigten keine spezifische Reaktion, hatten aber als Hinweis für Hyperreagibilität eine niedrige Schwelle im Methacholinprovokationstest. Hauttests und Präzipitinbestimmungen waren unauffällig. 11 Arbeitnehmer ohne Symptome und Lungenfunktionsveränderungen aus dem gleichen Unternehmen (Hafen von Vancouver) reagierten weder im unspezifischen noch im spezifischen Provokationstest. Die Autoren vermuten, dass der inhalative Provokationstest bei einer Reihe von Probanden mit Beschwerden (5 von 16) falschnegativ war. Vermutlich habe der Extrakt nicht die tatsächlichen Allergene enthalten. Die anderen 11 Fälle werden als obstruktive chronische Bronchitis interpretiert, für die ebenfalls eine kausale Beziehung zur Getreidestaubbelastung angenommen wird.
Eine Querschnittsstudie an 133 Getreidespeicherarbeitern in Großbritannien bestätigte die hohe Prävalenz arbeitsbedingter obstruktiver Beschwerden (33%) in dieser Berufsgruppe [2]. In einem Fall wurde die allergische Pathogenese durch einen positiven inhalativen Provokationstest belegt. Auch das Gesamt-IgE war in der Gruppe mit arbeitsbedingten Beschwerden signifikant erhöht. Die Testergebnisse mit Getreidebestandteilen selbst korrelierten nicht mit den Beschwerden. Schimmelpilze wurden nicht getestet. Zur Erklärung der Diskrepanz gegenüber negativen Ergebnissen anderer Autoren zum Vorkommen von Vorratsmilben im Getreidestaub wird auf einen möglicherweise höheren Feuchtigkeitsgrad des Getreides in Großbritannien verwiesen.
ANTO et al. [1] beschreiben zusammenfassend die Kenntnisse zur epidemischen Asthmaauslösung durch sojahaltigen Staub bei Anwohnern des Hafens von Barcelona nach entsprechenden Umschlagarbeiten. Bei den mehrfach Erkrankten wurde IgE- Antikörper-Bildung gegenüber Soja in 13 von 18 untersuchten Seren nachgewiesen. Die epidemiologisch nachgewiesene Häufung von Notaufnahmen wegen Asthma bronchiale war auf die Hafenumgebung lokalisiert, wurde 20 Monate nach der ersten Entladung von Soja in Barcelona festgestellt, war in der Folge eng zeitlich mit der Entladung von Schiffen an einem bestimmten Speicher assoziiert und war nach dem Einbau von Filtern in diesem Speicher nicht mehr nachweisbar. In einer Fall-Kontroll-Studie zeigten diese Asthmanotfälle der Entladetage in 74,4% der Fälle im RAST spezifisches IgE für Soja, die Asthmafälle an anderen Tagen nur in 4,6% (OR = 61). Als Majorallergen wurde ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht 14,4 kD identifiziert, ein aus der Sojahülle stammendes Protein. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei den Auslöser einer Sojamehl-Sensibilisierung bei Bäckern um Allergene mit größerem Molekulargewicht [19]. CUMMINGS et al. [12] beschrieben in ihrer Studie mit 147 Beschäftigten, die entöltes und enthülltes Sojaschrot zu Sojapulver verarbeiteten, eine hohe Prävalenz an Atemwegssymptomen und Sojaspezifischem IgE. Hier zeigte sich, dass Beschäftigte mit Sojaspezifischem IgE 6mal häufiger eine Asthmasymptomatik angaben, die in der arbeits-(expositons)freien Zeit abnahm, als Personen ohne Sojaspezifisches IgE. Für Soja sind Kreuzreaktivitäten beschrieben [24].
Mit klinischexperimentellem Ansatz durchgeführte vergleichende Untersuchungen von Mais- und Sojaextrakten sowie Endotoxinpräparationen mittels Provokationstest bei gesunden freiwilligen Probanden ohne berufliche Vorbelastung erbrachten untereinander ähnliche initiale Effekte bezüglich des Airflow mit einem Wirkungsmaximum nach 30 Minuten [11]. Im peripheren Blutbild fand sich 6 Stunden nach Applikation aller drei Testlösungen eine periphere Leukozytose, während nur bei Maisextrakt außerdem eine Lymphopenie und in der nasalen Lavage nach 24 Stunden eine Vermehrung der Lymphozyten festzustellen war. Der Endotoxingehalt vermag also nicht allein alle Wirkungen von Getreidestäuben auf die Atemwege zu erklären. Die Autoren verweisen darauf, dass offenbar eine Sensibilisierung erfolgen muss, um die schweren akuten Obstruktionen, wie beim Hafenumschlag von Getreide beobachtet, auszulösen. Zell- und Zytokinbestimmungen in bronchialer Lavageflüssigkeit ergaben später in einem ähnlichen Versuchsansatz allerdings keine Unterschiede nach Endotoxin bzw. Getreidestaubextraktapplikation [18]. Auch vergleichende Inhalationstests mit Getreidestaubextrakten bei gesunden Atopikern und Nicht-Atopikern erbrachten keine Unterschiede [3]. Insgesamt belegen diese klinischexperimentellen Ansätze an Gesunden also die Verursachung entzündlicher und in funktioneller Hinsicht obstruktiver Veränderungen an den Atemwegen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit endotoxinbedingt sind. Immunologische Mechanismen lassen sich damit nicht belegen, aber auch nicht ausschließen.
Eine Anfrage bei der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) ergab, dass dort keine Berufskrankheitenfälle durch Soja angefallen sind.
3 Bewertung
Die komplexe und variable Zusammensetzung von Getreide- und Futtermittelstäuben hat nicht eine spezifische, sondern eine Reihe verschiedener respiratorischer Krankheiten, die sowohl IgE-vermittelt als auch ohne Beteiligung von IgE ablaufen können, zur Folge [7, 20]. Neben chronischer Bronchitis und Getreidestaubfieber kommen ohne Zweifel immunologisch vermitteltes "Getreidestaubasthma" (auf der Basis verschiedener sensibilisierender Komponenten wie Soja oder Vorratsmilbenantigene] und allergische Alveolitis vor. Die immunologische Pathogenese des bei Umgang mit Getreide und Futtermitteln auftretenden Asthmas ist in mehreren Arbeiten durch Hauttests und das entsprechende klinische Bild, im Falle von Soja und Vorratsmilben auch durch Nachweis von spezifischem IgE in Erkrankungsfällen belegt. Da in vielen Fällen von obstruktiven Atembeschwerden bei Umgang mit Getreide und Futtermitteln der ätiologischen Differenzierung Grenzen gesetzt sind, wird der Gruppeneintrag (in Analogie zu den Gruppen der Isocyanate, Nutztierbestandteile, Holzstäube u. ä.) vorgenommen.
4 Literatur
[1] Anto JM, Sunyer J, Taylor AJM. Comparison of soybean epidemic asthma and occupational asthma. Thorax 1996; 51, 743-749.
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[4] Broder I, Corey P, Davies G, Hutcheon M, Mintz S, Inouye T, Hyland R, Leznoff A, Thomas P. Longitudinal study of grain elevator and control workers with demonstration of healthy worker effect. J Occup Med 1985; 27:873-880.
[5] Brown MA. NIOH and NIOSH basis for a occupational health standard: Grain dust, health hazards of storing, handling and shipping grain. National Institute for Occupational Safety and Health, US centers for Disease control, US Public Health Services, Atlanta, Georgia, United States of America, in Cooperation with the National Institute of Occupational Health, Solna Sweden DHHs (NIOSH) (1988) Publ. No. 89-126.
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[9] Chan-Yeung M, Enarson D, Kennedy SM. The impact of grain dust on respiratory health. Am Rev Respir Dis 1992; 145:476-487.
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[16] Huy T, de Schipper M, Chan-Yeung M, Kennedy SM. Grain dust and lung function, dose response relationships. Am Rev Respir Dis 1991; 144:1314- 1321.
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[24] Ferreira F, Hawranek T, Gruber P, Wopfner N, Mari A. Allergic crossreactivity: from gene to the clinic. Allergy. 2004; 59:243-67.
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