Der Bundesrat hat in seiner 933. Sitzung am 8. Mai 2015 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 20. Vor dem Hintergrund der von der Kommission in ihrem Grünbuch hierzu ausgeführten Zahlen hält der Bundesrat die Entwicklung von europäischen Märkten für Privatplatzierungen für sinnvoll. Solche Märkte könnten insbesondere für den Mittelstand und für Infrastrukturprojekte eine geeignete und zugleich kosteneffiziente Finanzierungsmöglichkeit bieten. Bei der Schaffung von EU-Märkten für Privatplatzierungen gilt es, bewährte und gut funktionierende Finanzierungsinstrumente - wie beispielsweise das Schuldscheindarlehen - angemessen zu berücksichtigen und etwaige negative Auswirkungen auf diese Instrumente zu vermeiden.
- 21. Die Kommission zieht die Entwicklung eines einheitlichen, vereinfachten Rechnungslegungsstandards für KMU in Betracht (Frage 8). Der Bundesrat stimmt der Kommission zu, dass eine einheitliche Rechnungslegung grenzüberschreitend für bessere Transparenz und damit für mehr Vertrauen sorgen kann. Auch dürfte die Anwendung der internationalen Rechnungslegungsvorschriften (International Financial Reporting Standards - IFRS) für KMU zu aufwändig sein, so dass vereinfachte Standards sinnvoll sind.
Der Bundesrat vermisst jedoch in der Konsultation einen Hinweis, in welchem Verhältnis der noch zu entwickelnde Standard zu dem bereits bestehenden, vom "International Accounting Standards Board" entwickelten Standard der "IFRS for SMEs" stehen soll. Es sollte vermieden werden, dass KMU für die Suche nach Anlegern innerhalb der EU einerseits und nach Anlegern außerhalb der EU, insbesondere den USA, zwei verschiedene Rechnungslegungsstandards anwenden müssen (gegebenenfalls noch neben einem dritten, nationalen Standard). Da nicht alle KMU auf Fremdfinanzierungen außerhalb des Bankensektors angewiesen sein werden, sollte zudem der noch zu entwickelnde Standard nicht verbindlich für alle KMU vorgeschrieben werden.
Inhaltlich sollte nach Auffassung des Bundesrates darauf geachtet werden, dass der Jahresabschluss trotz der notwendigen Vereinfachungen ein zutreffendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Unternehmen vermittelt und der notwendige Gläubiger- und Anlegerschutz gewahrt wird.
- 22. Soweit die Kommission beabsichtigt, die Informationsgrundlagen über Unternehmen unter anderem durch eine Rechnungslegung auf der Grundlage der IFRS zu verbessern, darf damit kein bürokratischer Mehraufwand für Unternehmen, die an einer Kapitalmarktfinanzierung kein Interesse haben, verbunden sein. Der Schaffung neuer Informationspflichten steht der Bundesrat kritisch gegenüber.
- 23. Die Kommission beobachtet eine zunehmende Nachfrage nach Sicherheiten im Finanzsystem und leitet daraus die Gefahr ab, dass künftig dieselbe Sicherheit für mehrere Transaktionen gleichzeitig eingesetzt werde. Die Kommission erwägt daher eine Regulierung dieser Sicherheiten (Frage 27).
Der Bundesrat sieht keine Veranlassung, in die unterschiedlichen, von den einzelstaatlichen Rechtsordnungen vorgesehenen Systeme zur Vereinbarung und Stellung von Sicherheiten einzugreifen und die Mitgliedstaaten zu verpflichten, bewährte und funktionierende zivilrechtliche Instrumente um zusätzliche Regulierungs- oder Erfassungsmechanismen zu erweitern. Das gilt insbesondere für Kreditsicherungen nach deutschem Recht wie - neben Grundpfandrechten - der Forderungsabtretung, dem Eigentumsvorbehalt und der Sicherungsübereignung. Diese werden gleichermaßen zur Sicherung von Krediten von Banken und anderen institutionalisierten Gläubigern eingesetzt wie auch im alltäglichen Warenverkehr zwischen Herstellern, Groß-, Zwischen- und Einzelhändlern bis hin zum Endkunden. Diese Sicherheiten sind nicht auf nationale Kreditgeber beschränkt, sondern können in gleicher Weise von Kreditgebern oder Warenlieferanten in anderen Mitgliedstaaten bei Geschäften mit deutschen Kreditnehmern/Warenbeziehern genutzt und im Problemfall durchgesetzt oder auch weiterveräußert werden.
Die Kommission macht in ihrem Grünbuch nicht deutlich, worin genau sie eine Beschränkung des freien Sicherheitenflusses erblickt, so dass die Problemlage vom Bundesrat nicht nachvollzogen werden kann. Jedenfalls lehnt der Bundesrat Regulierungsmechanismen ab, die zu einer Bürokratisierung der Sicherheitenbestellung und damit zu Behinderungen des Warenverkehrs und der Kreditaufnahme für deutsche Unternehmen führen würden.
- 24. Die Kommission spricht sich in ihrem Grünbuch dafür aus, durch weitere Reformen des Gesellschaftsrechts Hemmnisse für die Niederlassung und Geschäftstätigkeit von Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten zu verbessern. Als solche Hemmnisse betrachtet die Kommission die verschiedenen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften in den Mitgliedstaaten, denen grenzüberschreitend tätige Gesellschaften unterworfen sind, und benennt beispielhaft hierfür den Fall der Trennung von Register- und Verwaltungssitz einer Gesellschaft (Frage 28).
Der Bundesrat sieht derzeit kein Bedürfnis, weitere Harmonisierungen im europäischen Gesellschaftsrecht in solchen Bereichen zu unternehmen, die bereits Gegenstand des Richtlinienvorschlags der Kommission vom 9. April 2014 sind (Richtlinienvorschlag über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter (COM (2014) 212 final,
Ratsdok. 8842/14, BR-Drucksache 165/14 (PDF) ) - "Societas Unius Personae" (SUP)). Dieser Vorschlag sieht einheitliche Vorschriften für die Gesellschaftsgründung sowie Bestimmungen zur Sitztrennung, zum Mindestkapital und zum Gläubigerschutz vor, die Gegenstand umfassender fachlicher und politischer Diskussionen in den Mitgliedstaaten sind. Der Bundesrat nimmt insoweit ergänzend Bezug auf die Ausführungen in seiner Stellungnahme vom 11. Juli 2014 (BR-Drucksache 165/14(B) (2)). Es besteht daher kein Anlass, vor Abschluss dieser Diskussionen in den betroffenen Bereichen eine weitere Harmonisierung vorzuschlagen.
- 25. Nach Einschätzung der Kommission weisen die Rahmenvorschriften der nationalen Insolvenzordnungen noch immer unterschiedlich effektive Regelungen auf, die für Gläubiger und Investoren nachteilige Auswirkungen haben könnten. Die Kommission beabsichtigt insoweit eine weitere Angleichung und Ergänzung des Insolvenzrechts um Vorschriften zur Einführung früher Restrukturierungsverfahren und von Bestimmungen über eine "zweite Chance", die eine frühzeitige Umschuldung von Unternehmen ermöglichen (Frage 29).
Der Bundesrat sieht derzeit keinen Bedarf dafür, in die schon bestehenden einzelstaatlichen Systeme zur frühzeitigen Sanierung von Unternehmen über das bisherige Maß hinaus einzugreifen, soweit solche Verfahren in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vorgesehen sind. Die Ergebnisse der im Grünbuch erwähnten Evaluation sollten zunächst abgewartet werden.
Das deutsche Insolvenzrecht sieht verschiedene Regelungen vor, die den Unternehmen in wirtschaftlicher Krise frühzeitige Sanierungsmöglichkeiten unter Einbeziehung von Gläubigern und potentiellen Investoren ermöglichen. Die Vorschriften stellen einen sachgerechten und praktikablen Ausgleich her zwischen den berechtigten Interessen des Schuldners an der Restrukturierung und dem Fortbestand seines Unternehmens einerseits und den Interessen seiner Gläubiger an einer größtmöglichen Beitreibung ihrer Forderung andererseits.
Daher besteht zurzeit kein Anlass, über die bereits bestehenden Sanierungsverfahren hinausgehende weitere Restrukturierungsverfahren einzuführen.
- 26. Nach Einschätzung der Kommission haben das europäische und nationale Gesellschaftsrecht mit der technologischen Entwicklung nicht Schritt gehalten und beispielsweise die Vorteile der Digitalisierung nicht hinreichend integriert, insbesondere da in einigen Bereichen die Kommunikation zwischen den Beteiligten noch in Papierform stattfindet.
Der Bundesrat begrüßt den Ansatz, verstärkt auf die Möglichkeiten der Digitalisierung und des Einsatzes der elektronischen Form beim Informationsaustausch und der Wahrnehmung der Beteiligungsrechte innerhalb der Gesellschaften zurückzugreifen. Gleichfalls sollte der elektronische Rechtsverkehr im Bereich des Handels- und Gesellschaftsrechts weiter ausgebaut werden. Die Vernetzung der europäischen Register in Bezug auf die elektronische Verknüpfung von Zentral-, Handels- und Gesellschaftsregistern in der Europäischen Union im Kontext der Richtlinie 2012/17/EU ist ein positiver Schritt in diese Richtung. Es wird daher angeregt, bei dieser und künftigen Initiativen zu prüfen, inwieweit bereits entwickelte technische Lösungen insbesondere für den grenzüberschreitenden Datenaustausch und Standards für den Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten (zum Beispiel im Bereich des Europäischen Justizportals) weiter genutzt werden können. Hierdurch könnte eine möglichst effektive und nachhaltige Nutzung bestehender Systeme sichergestellt werden.
Der Bundesrat weist dabei darauf hin, dass die Fortentwicklung des elektronischen Rechtsverkehrs unter Einbeziehung und Wahrung der Sicherheit und Zuverlässigkeit der Standards der nationalen Handelsregister zu erfolgen hat. Insbesondere in Verfahren zur elektronischen Anmeldung von eintragungspflichtigen Sachverhalten muss gewährleistet sein, dass zentrale Registerstandards wie eine sichere Identifizierung der Beteiligten (zum Beispiel durch die Nutzung anerkannter eID-Lösungen) und grundlegende Prüfungs- und Kontrollfunktionen der Registergerichte gewahrt bleiben.