956. Sitzung des Bundesrates am 31. März 2017
A
Der federführende Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U), der Gesundheitsausschuss (G), der Ausschuss für Kulturfragen (K) und der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung (Wo) empfehlen dem Bundesrat, der Verordnung gemäß Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes nach Maßgabe folgender Änderungen zuzustimmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 2 Absatz 2 Nummer 1a, 2)
In Artikel 1 Nummer 1 ist § 2 Absatz 2 wie folgt zu ändern:
- a) Nummer 1a ist zu streichen.
- b) In Nummer 2 sind die Wörter "Dorfgebieten und Mischgebieten" durch die Wörter "Dorfgebieten, Mischgebieten und urbanen Gebieten" zu ersetzen.
Begründung:
Die vorgeschlagene Vorgabe überschreitet die bisher von der Rechtsprechung gezogene Grenze, wonach bis zu den Mischgebietswerten von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse als gewährleistet erachtet werden können. Es wird also das anerkannte Niveau des Schutzes vor gesundheitlichen Gefahren verlassen. Dabei schließt die Rechtsprechung höhere Werte im Einzelfall nicht aus. Allerdings würde nach dieser Rechtsprechung die Indizwirkung der Einhaltung der bisherigen Werte entfallen. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Festsetzung höherer Werte einer Rechtfertigung und der Herleitung, dass die gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse auch im vorgegebenen Anwendungsbereich gewährleistet sind, bedürfte.
Aus Gründen der Vorsorge der §§ 5 und 23 BImSchG ist die Anhebung der Immissionsrichtwerte über die für Mischgebiete geltenden Immissionsrichtwerte hinaus nicht zu vertreten.
2. Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 2 Absatz 2 Nummer 1a und Nummer 2)
In Artikel 1 Nummer 1 ist § 2 Absatz 2 wie folgt zu ändern:
- a) Nummer 1a ist zu streichen.
- b) In Nummer 2 sind nach dem Wort "Mischgebieten" die Wörter "sowie in urbanen Gebieten" einzufügen.
Begründung:
Durch Artikel 2 Nummer 3 des Gesetzentwurfs zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt soll in der Baunutzungsverordnung eine neue Baugebietskategorie "Urbane Gebiete (MU)" eingeführt werden. Für diese Gebietskategorie enthält die Sportanlagenlärmschutzverordnung bisher keine Immissionsrichtwerte.
Die Grenze der "gesunden Wohnverhältnisse" wird mit den Immissionsrichtwerten der Gebietskategorie "Kern-, Dorf- und Mischgebiete" definiert. Dies ist höchstrichterlich bestätigt. Daher soll die neue Gebietskategorie "Urbane Gebiete" diesen zugeordnet werden.
In den "Urbanen Gebieten" sind Gebäude zulässig, in denen sich nur Wohnungen befinden. Ebenso sind straßenseitige Erdgeschosswohnungen als Wohnungen zulässig, wenn auch nur in Ausnahmefällen. In Kerngebieten erlaubt die Baunutzungsverordnung keine Wohngebäude. Wohnungen sind nur ausnahmsweise zugelassen. Mit der Neufassung des § 2 Absatz 2 der 18. BImSchV würden die Menschen in Kerngebieten ein höheres Schutzniveau genießen als in den neuen "Urbanen Gebieten". Dies ist mit der Systematik der Sportanlagenlärmschutzverordnung nicht vereinbar.
3. Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 2 Absatz 2 Nummer 1a)
In Artikel 1 Nummer 1 ist in § 2 Absatz 2 Nummer 1a die Angabe "nachts 48 dB(A)" durch die Angabe "nachts 45 dB(A)" zu ersetzen.
Begründung:
Ziel der Änderung ist es, im urbanen Gebiet tagsüber um 3 dB(A) höhere Immissionsrichtwerte als in den übrigen gemischten Baugebieten (Mischgebiete, Dorfgebiete, Kerngebiete) festzulegen, nachts jedoch die gleichen Werte wie in diesen gemischten Baugebieten vorzusehen.
Das wesentliche Ziel der urbanen Gebiete ist eine Stärkung der Innenentwicklung, unter anderem durch ein verbessertes Nebeneinander von Wohnen und anderen lärmintensiveren Nutzungen. Vor diesem Hintergrund sollen die Immissionsrichtwerte, wie in der Verordnung vorgesehen, für den Tag um 3 dB(A) höher festgelegt werden als in klassischen Mischgebieten. Hiermit wird im Wesentlichen eine Verbesserung der Sportanlagennutzung zur Breitensportnutzung erreicht. Andererseits soll die Reduzierung der Immissionsrichtwerte in der Nacht dazu beitragen, eine höhere Wohn- bzw. Schlafruhe in urbanen Gebieten zu erreichen. Das bestehende Rechtssystem sieht für Mischgebiete als lauteste Gebiete, in denen dauerhaft und von jedermann gewohnt werden darf, einen Höchstwert von 45 dB(A) in der Nacht vor.
Vorgeschlagen werden daher Immissionsrichtwerte für urbane Gebiete von 63 dB(A) am Tag und 45 dB(A) in der Nacht. Da insbesondere im Breitensport die meisten Sportanlagen selten über 22 Uhr hinaus genutzt werden, ist davon auszugehen, dass diese nicht über Gebühr beeinträchtigt werden und zudem urbane Gebiete auch mit diesen Immissionsrichtwerten ausreichende Entwicklungsmöglichkeiten haben.
4. Zu Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe
In Artikel 1 ist Nummer 1 wie folgt zu fassen:
'1. § 2 wird wie folgt geändert:
- a) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:
(2) ... wie Vorlage ... "*
* vgl. hierzu Ziffern 1 bis 3
- b) Dem Absatz 5 werden folgende Sätze angefügt:
"Die Nachtzeit kann bei seltenen Ereignissen nach Nummer 1.5 des Anhangs 1 und bei internationalen oder nationalen Sportveranstaltungen von herausragender Bedeutung nach § 6 bis zu einer Stunde hinausgeschoben werden, soweit dies unter Berücksichtigung des Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen erforderlich ist. Eine achtstündige Nachtruhe der Nachbarschaft im Einwirkungsbereich der Anlage ist sicherzustellen." '
Begründung:
In Anlehnung an Nummer 6.4 TA Lärm soll die Möglichkeit einer Nachtzeitverschiebung geschaffen werden, insbesondere weil Wettkämpfe nicht immer vor 22 Uhr beendet werden können, wie z.B. Fußballspiele der 1. und 2. Bundesliga. Bei der Berücksichtigung des Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen spricht für die Zulässigkeit der Nachtzeitverschiebung, dass der Anwendungsbereich dafür strenger als bei der TA Lärm gefasst ist. Im Rahmen der Erforderlichkeit ist eine Rechtfertigung notwendig, z.B. warum ein Wettkampf nicht früher enden kann.
5. Zu Artikel 1 Nummer 1 Buchstabe b - neu - (§ 2 Absatz 7)
Artikel 1 Nummer 1 ist wie folgt zu fassen:
'1. § 2 wird wie folgt geändert:
* vgl. hierzu Ziffern 1 bis 3
Begründung:
Die Inhalte der Verordnung sind zwar geeignet, die Sportausübung zu sichern, weil mehr Sportlärm zulässig ist, aber eine Privilegierung von Kinderlärm auf Sportanlagen, wie es sie auch für Kitas und Bolzplätze gibt, fehlt.
Im Jahr 2011 wurde mit einer Änderung des BImSchG sichergestellt, dass Lärmwirkungen, die in Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen von Kindern hervorgerufen werden, im Regelfall keine schädlichen Umwelteinwirkungen sind. Unter das Privileg fallen ferner "zunächst alle Geräuscheinwirkungen durch kindliche Laute wie Sprechen und Singen, Lachen und Weinen, Rufen und Schreien und Kreischen. Aber auch Geräuscheinwirkungen durch körperliche Aktivitäten wie Spielen, Laufen, Springen und Tanzen gehören hierzu, selbst wenn vielfach die eigentliche Geräuschquelle in kindgerechten Spielzeugen, Spielbällen und Spielgeräten sowie Musikinstrumenten liegt. Dies gilt auch für Geräuscheinwirkungen durch Sprechen und Rufen von Betreuerinnen und Betreuern, da diese Laute unmittelbar durch die Kinder und ihre Betreuung bedingt sind." (vergleiche Einzelbegründung zu Artikel 1 des Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Privilegierung des von Kindertageseinrichtungen und Kinderspielplätzen ausgehenden Kinderlärms, BR-Drucksache 128/11 (PDF) ).
Die 38. Sportministerkonferenz hat in ihrem Beschluss die Bundesregierung aufgefordert, die Interessen des Sports in immissionsschutzrechtlichen Konfliktlagen angemessen zu berücksichtigen und zeitnah eine Fortentwicklung der Sportanlagenlärmschutzverordnung vor allem im Hinblick auf die Ruhezeiten und die Berücksichtigung von Kinderlärm auf Sportanlagen auf den Weg zu bringen.
Die Kinderlärmprivilegierung findet auch in der Zweiten Verordnung zur Änderung der 18. BImSchV jedoch keine Berücksichtigung. Eine Angleichung der 18. BImSchV an die Vorgaben des BImSchG im Hinblick auf die Privilegierung von Kinderlärm auf Sport- und Freizeitanlagen ist notwendig. Eine aktuell praktizierte Unterscheidung und damit Ungleichbehandlung von Kindern bzw. Jugendlichen auf und außerhalb von Sportanlagen wird dadurch beseitigt.
6. Zu Artikel 1 Nummer 4 (Anhang 2)
In Artikel 1 Nummer 4 ist Anhang 2 wie folgt zu fassen:
"Anhang 2
Maßnahmen, die in der Regel keine wesentliche Änderung im Sinne von § 5 Absatz 4 darstellen:
- - Flutlichtanlagen, sofern damit keine Erweiterung der Nutzung für den Zeitraum von 22 Uhr bis 6 Uhr verbunden ist, - nicht überdachte Lagerflächen bis 300 m2,
- - Einrichtung von Sport- und Spielflächen, soweit dadurch der Immissionsanteil an Immissionsorten nicht zunimmt,
- - Werbeanlagen, - Zugänge und Zufahrten,
- - Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien, insbesondere von Solaranlagen in, an und auf Dach- und Außenwandflächen,
- - Änderungen der äußeren Gebäudegestaltung,
- - Nutzungsänderungen durch Solaranlagen an Dach und Wänden,
- - Auswechseln von Belägen auf Sport- und Spielflächen,
- - Instandhaltungsmaßnahmen,
- - Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen, insbesondere die Umwandlung von Tennen- oder Rasenspielflächen in Kunststoffrasenspielflächen,
- - Erneuerung von Ballfangzäunen, Einzäunungen, Barrieren, Kantsteinen, Zuschauerplätzen,
- - Erweiterung der Sanitär- und Umkleidebereiche,
- - Neubau von Garagen,
- - Umbau der Spielflächen nach dem Stand der Technik,
- - Umbau von Anlagen zur Erfüllung immissionsschutzrechtlicher und anderer öffentlich rechtlicher Anforderungen,
- - Beregnungsanlagen,
- - Modifizierung der Sportanlage, insbesondere durch den Neubau von Spiel- und Klettergeräten, Trimm- und Kräftigungsgeräten, Kletterwänden oder Boulebahnen,
- - Rückbau von Teilen der Anlage, - Lärmschutzmaßnahmen,
- - Neubau von Vereinsheimen ohne relevante Erweiterung des Außensitzbereichs und
- - Neubau oder Austausch von Lautsprecheranlagen, wenn der Immissionsanteil der Lautsprecheranlagen an Immissionsorten nicht zunimmt."
Begründung:
Der Spiegelstrich "Flutlichtanlagen" sollte mit dem Zusatz "sofern damit keine Erweiterung der Nutzung für den Zeitraum von 22 Uhr bis 6 Uhr verbunden ist" ergänzt werden, da eine Erweiterung der Nutzung nachts mit relevanten Geräuschimmissionen verbunden sein kann.
Der Spiegelstrich "nicht überdachte Stellplätze bis insgesamt 100 m2" sollte gestrichen werden, da die Geräuschimmissionen je nach Lage der Stellplätze relevant sein können.
Der Spiegelstrich "Einrichtung von Sport- und Spielflächen" sollte mit dem Zusatz "soweit dadurch der Immissionsanteil an Immissionsorten nicht zunimmt" ergänzt werden, da die Geräuschimmissionen je nach Ausgestaltung relevant sein können.
Der Spiegelstrich "Neubau von Vereinsheimen" sollte ergänzt werden um die Wörter "ohne relevante Erweiterung des Außensitzbereichs", da Änderungen im Außensitzbereich mit relevanten Geräuschimmissionen verbunden sein können.
Der Spiegelstrich "Neubau oder Austausch von Lautsprecheranlagen" sollte ergänzt werden um den Einschub "wenn der Immissionsanteil der Lautsprecheranlagen an Immissionsorten nicht zunimmt", da Änderungen der Lautsprecheranlage mit relevanten Geräuschimmissionen verbunden sein kann.
7. Zu Artikel 1 Nummer 4 (Anhang 2 einleitender Satzteil)*
In Artikel 1 Nummer 4 sind in Anhang 2 im einleitenden Satzteil nach dem Wort "darstellen" die Wörter ", soweit dadurch keine Erhöhung des Beurteilungspegels um mehr als 1 dB(A) verursacht wird" einzufügen.
Begründung:
Entsprechend der LAI-Hinweise für den Vollzug der Sportanlagenlärmschutzverordnung von 2016 ist das Vorliegen einer wesentlichen Änderung der bisherigen Anlage insbesondere abhängig von einem Vergleich der Geräuschsituation im Ist- und im geänderten Zustand. Dazu wird dort die Erhöhung um 1 dB(A) als objektives Kriterium der Irrelevanz hergeleitet. Für eine rechtssichere Anwendung des Anhangs 2 ist dieses Kriterium im Wortlaut zu ergänzen.
B
- 8. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, der Verordnung gemäß Artikel 80 Absatz 2 des Grundgesetzes zuzustimmen.
* Wird bei Annahme mit Ziffer 6 redaktionell zusammengefasst.
C
- 9. Der federführende Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt dem Bundesrat ferner, die folgende Entschließung zu fassen:
Der Bundesrat begrüßt, dass die Bundesregierung es abgelehnt hat, Vorschläge zum passiven Schallschutz in die Sportanlagenlärmschutzverordnung aufzunehmen. Vorschläge, Innenraumpegel in Aufenthaltsräumen mit Wirkung für die immissionsschutzrechtliche Beurteilung von Sportanlagen zu ermöglichen, werden abgelehnt, weil sie mit dem Verursacherprinzip und dem Grundsatz der Betreiberverantwortlichkeit, die der Systematik des Immissionsschutzrechts im Bereich des Sportlärms zugrunde liegen, nicht vereinbar wären. Das Immissionsschutzrecht, hier speziell § 22 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 in Verbindung mit § 3 Absatz 1 und 2 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, zielt grundsätzlich auf einen aktiven Schallschutz auch außerhalb von Gebäuden und lässt eine Verlagerung der Lärmschutzverpflichtungen der Betreiber auf die Anwohner und eine Reduzierung auf den Innenwohnbereich gerade nicht zu. Eine solche Verlagerung setzte vielmehr eine Änderung bewährter Grundprinzipien des Bundes-Immissionsschutzgesetzes voraus, die weder sachgerecht noch wünschenswert wäre, zumal sie erhebliche Weiterungen auch für die Behandlung anderer Emissionen aus Anlagen hätte.