A. Problem und Ziel
- Das Bundesvertriebenengesetz bedarf verschiedener Änderungen, die der Rechtsklarheit und einer Vereinfachung der Verwaltungspraxis dienen. Das Verfahren zur Ausstellung einer Spätaussiedler- oder Angehörigenbescheinigung soll von derzeit zwei bis drei Monaten auf zwei bis drei Wochen verkürzt werden.
- Bislang fehlt im Bundesvertriebenenrecht eine materielle Regelung zur Rücknahme solcher Bescheinigungen.
- Zudem kann die befristete Geltungsdauer von vertriebenenrechtlichen Altbescheiden dazu führen, dass Personen zur Ausreise nach Deutschland veranlasst werden, deren Verbleib in ihren Herkunftsstaaten im Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt. Außerdem ist es für die Länder aufgrund von Übergangsvorschriften derzeit noch erforderlich, entsprechende Verwaltungskapazitäten für die Abwicklung von Altfällen vorzuhalten. Bei weiteren Vorschriften sind Klarstellungen geboten.
B. Lösung
- Das besondere Verfahren, nach dem Spätaussiedlerbewerber und ihre einbezogenen Familienangehörigen gemäß den Vorschriften des Bundesvertriebenengesetzes in Deutschland Aufnahme finden, wird beschleunigt.
- Hierzu wird die Antwortfrist für die Sicherheitsbehörden bei der Überprüfung von Ausschlussgründen verkürzt. Eine Regelung zur Rücknahme von Spätaussiedler- und Angehörigenbescheinigungen wird eingefügt. Die Befristung der Geltungsdauer von vertriebenenrechtlichen Altbescheiden wird aufgehoben. Das Bundesverwaltungsamt wird auch zuständig für die Ausstellung von Spätaussiedler- oder Angehörigenbescheinigungen in Altfällen. Zusätzlich werden rechtliche Klarstellungen und Bereinigungen vorgenommen.
C. Alternativen
D. Finanzielle Auswirkungen
- Dem Bund entsteht durch die Konzentration des Verfahrens zur Ausstellung von Spätaussiedler- oder Angehörigenbescheinigungen auch für Altfälle beim Bundesverwaltungsamt ein erhöhter Vollzugsaufwand in Höhe von jährlich rund 108.000 €, der im Rahmen der in der mehrjährigen Finanzplanung vorhandenen Haushaltsansätze erbracht werden kann. Bei den Ländern und den Kommunen entfällt entsprechender Vollzugsaufwand.
E. Sonstige Kosten
- Kosten für die Wirtschaft, für soziale Sicherungssysteme oder Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau sind nicht zu erwarten.
F. Bürokratiekosten
- Es werden keine Informationspflichten für die Wirtschaft neu eingeführt, geändert oder aufgehoben.
- Für die Bürgerinnen und Bürger werden keine Informationspflichten neu eingeführt, geändert oder aufgehoben.
- Im Bereich der Verwaltung werden vier neue Informationspflichten eingeführt und fünf bestehende Informationspflichten inhaltlich erweitert.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes
Bundesrepublik Deutschland Berlin, den 5. März 2009
Die Bundeskanzlerin
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Müller
Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen
- Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes
mit Begründung und Vorblatt.
Federführend ist das Bundesministerium des Innern.
Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Abs. 1 NKRG ist als Anlage beigefügt.
Mit freundlichen Grüßen
DrAngela Merkel
Fristablauf: 16.04.09
Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Bundesvertriebenengesetzes
Das Bundesvertriebenengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. August 2007 (BGBl. I S. 1902), das zuletzt durch Artikel 19 Absatz 1 des Gesetzes vom 12. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2840) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
- 1. In § 9 Absatz 3 Satz 1 werden nach den Wörtern "aus der ehemaligen UdSSR," die Wörter "Estland, Lettland oder Litauen," eingefügt.
- 2. § 15 wird wie folgt geändert:
- a) In Absatz 1 Satz 3 werden nach den Wörtern "den militärischen Abschirmdienst," die Wörter "die Bundespolizei," eingefügt.
- b) In Absatz 3 werden die Wörter "Rücknahme und Widerruf" durch die Wörter "die Rücknahme" ersetzt.
- c) Folgender Absatz 4 wird angefügt:
(4) Eine Bescheinigung kann mit Wirkung für die Vergangenheit nur zurückgenommen werden, wenn sie durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für ihre Ausstellung gewesen sind, erwirkt worden ist. Die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit darf nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach Ausstellung der Bescheinigung erfolgen. Hat die Rücknahme einer Bescheinigung nach Absatz 1 auch Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Bescheinigungen nach Absatz 2, so ist für jeden Betroffenen eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen.
Dabei ist das Maß der Beteiligung des Ehegatten oder Abkömmlings an einer arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Spätaussiedlers gegen die schutzwürdigen Belange des Ehegatten oder Abkömmlings, insbesondere unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.
Der Widerruf einer Bescheinigung ist nicht zulässig."
- 3. In § 28 Satz 2 werden nach den Wörtern "den Militärischen Abschirmdienst," die Wörter "die Bundespolizei," eingefügt.
- 4. § 29 Absatz 1a wird wie folgt gefasst:
- (1a) Zur Feststellung von Ausschlussgründen nach § 5 Nummer 1 Buchstabe d und e darf das Bundesverwaltungsamt folgende Daten des Spätaussiedlers, seines Ehegatten oder seiner Abkömmlinge, die in den Aufnahmebescheid einbezogen werden sollen, an den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst, die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt übermitteln:
- 1. den Familiennamen,
- 2. Bestandteile des Namens, die das deutsche Recht nicht vorsieht,
- 3. die Vornamen,
- 4. frühere Namen,
- 5. das Geschlecht,
- 6. das Geburtsdatum
- 7. den Geburtsort und
- 8. die letzte Anschrift im Aussiedlungsgebiet.
Soweit Anhaltspunkte für Ausschlussgründe nach § 5 Nummer 1 Buchstabe d oder e vorliegen, teilen die nach Satz 1 beteiligten Behörden dies dem Bundesverwaltungsamt nach Maßgabe der insoweit bestehenden besonderen gesetzlichen Verwendungsregelungen innerhalb von zehn Tagen nach Übermittlung der Daten nach Satz 1 mit. Hält die jeweilige Sicherheitsbehörde eine weitere Überprüfung der Ausschlussgründe für erforderlich, soll diese insgesamt innerhalb von drei Wochen nach Übermittlung der Daten nach Satz 1 abgeschlossen sein."
- 5. § 100 wird wie folgt geändert:
- a) In Absatz 2 Satz 3 werden nach den Wörtern "an Vertriebene oder Flüchtlinge zuständig ist," die Wörter "vom Bundesverwaltungsamt" eingefügt.
- b) Absatz 4 Satz 2 wird aufgehoben.
- c) Absatz 5 Satz 2 wird aufgehoben.
- 6. § 100a Absatz 2 Satz 2 wird aufgehoben.
- 7. § 100b wird wie folgt geändert:
- a) Die Absatzbezeichnung "(1)" wird gestrichen.
- b) Absatz 2 wird aufgehoben.
- 8. § 101 wird aufgehoben.
Artikel 2
Änderung des Häftlingshilfegesetzes
§ 10 Absatz 7 des Häftlingshilfegesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl. I S. 838), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 13. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2904) geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:
- (7) Die Entscheidung über die Ausstellung einer Bescheinigung nach Absatz 4 ist für alle Behörden und Stellen verbindlich, die für die Gewährung von Rechten und Vergünstigungen nach diesem oder einem anderen Gesetz zuständig sind. Hält eine Behörde oder Stelle die Entscheidung über die Ausstellung der Bescheinigung nicht für gerechtfertigt, so kann sie nur ihre Änderung oder Aufhebung durch die für die Ausstellung der Bescheinigung zuständige Stelle beantragen. Die Ausstellungsbehörde entscheidet auch über Rücknahme und Widerruf und über die Ausstellung einer Zweitschrift einer Bescheinigung.
Artikel 3
Inkrafttreten
- Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
I. Zielsetzung und wesentlicher Inhalt
Der vorliegende Gesetzentwurf dient der Rechtsklarheit und -bereinigung sowie einer vereinfachten Verwaltungspraxis. Das Verfahren zur Feststellung von Ausschlussgründen nach § 5 Nr. 1 Buchstaben d und e wird beschleunigt. Weiterhin wird eine materielle Regelung zur Rücknahme von Bescheinigungen nach § 15 Abs. 1 und 2 eingefügt.
Zudem wird die Befristung der Geltungsdauer von Übernahmegenehmigungen und Aufnahmebescheiden aufgehoben. Bei weiteren Vorschriften erfolgen rechtliche Änderungen, Klarstellungen und Bereinigungen.
Die wesentlichen Änderungen sind:
- - Die rückwirkende Aufhebung von Bescheinigungen nach § 15 wird parallel zur Rücknahme von Einbürgerungen im Staatsangehörigkeitsgesetz geregelt.
- - Die Bundespolizei wird in den Katalog der zur Feststellung von Ausschlussgründen nach § 5 Nr. 1 Buchstabe d und e zu beteiligenden Sicherheitsbehörden aufgenommen.
- - Die Antwortfrist für Sicherheitsbehörden in § 29 Abs. 1a im Verfahren zur Feststellung eines Ausschlussgrundes wird auf zehn Tage, maximal auf drei Wochen verkürzt, um insbesondere die Ausstellung der Bescheinigungen nach § 15 zu beschleunigen.
- - Die durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes eingeführte Beschränkung der Geltungsdauer von Übernahmegenehmigungen und vor 1993 erteilten Aufnahmebescheiden wird wieder aufgehoben (Streichung der §§ 100 Abs. 4 Satz 2, 100b Abs. 5 Satz 2, 100b Abs. 2).
- - In § 100 Abs. 2 Satz 3 wird eine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsamtes festgeschrieben und die Übergangsvorschrift § 100b Abs. 2 aufgehoben. Damit wird das Bundesverwaltungsamt auch für die Ausstellung von Spätaussiedler- und Angehörigenbescheinigungen in Altfällen zuständig und die Länder werden insoweit von der unnötigen Vorhaltung paralleler eigener Behördenstrukturen entlastet.
II. Gesetzgebungskompetenz des Bundes
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes (Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen).
III. Kosten für die öffentlichen Haushalte
Durch die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsamtes für Altfälle i.S.v. §§ 100 Abs. 2 und 100a Abs. 2 wird bei diesem ein erhöhter Vollzugsaufwand in Form der durch die Bearbeitung verursachten Personalkosten in Höhe von jährlich rund 108.000 € entstehen.
Die Mehrkosten können im Rahmen der in der mehrjährigen Finanzplanung vorgesehenen Haushaltsansätze aufgefangen werden.
Die Länder werden entsprechende Personalkosten einsparen.
IV. Sonstige Kosten
Der Wirtschaft entstehen durch die Ausführung dieses Gesetzes keine Kosten. Auch für soziale Sicherungssysteme entstehen keine neuen Kosten. Auswirkungen auf die Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau sind nicht zu erwarten.
V. Bürokratiekosten
Es werden für die Wirtschaft keine Informationspflichten neu eingeführt, geändert oder aufgehoben.
Für die Bürgerinnen und Bürger werden keine Informationspflichten neu eingeführt, geändert oder aufgehoben.
Im Bereich der Verwaltung werden vier neue Informationspflichten eingeführt und fünf bestehende Informationspflichten inhaltlich geringfügig erweitert.
- - In § 15 Abs. 1 Satz 3 und § 28 Satz 2 erfolgt jeweils eine Erweiterung der im Rahmen der Aufnahme nach dem Bundesvertriebenengesetz durchzuführenden Abfrage bei den Sicherheitsbehörden um eine Abfrage bei der Bundespolizei; dadurch werden insgesamt vier neue Informationspflichten geschaffen (jeweils Anfrage und Rückmeldung). Hierdurch wird eine Lücke im bisherigen Abfrageverfahren geschlossen.
- - In § 29 Abs. 1a Satz 1 Nr. 5 werden durch die zusätzliche Übermittlung des Geschlechts im Rahmen der Anfragen nach § 28 Satz 2 fünf bestehende Informationspflichten inhaltlich erweitert (zusätzlicher Informationsinhalt). Hierdurch entfällt gegebenenfalls die Notwendigkeit zu einer doppelten Recherche unter beiden Geschlechtern in den bestehenden Datenbanken.
VI. Gender Mainstreaming
Die gleichstellungspolitischen Auswirkungen wurden gemäß § 2 des Bundesgleichstellungsgesetzes und § 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien anhand der Arbeitshilfe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend "Gender Mainstreaming bei der Vorbereitung von Rechtsvorschriften" überprüft.
Soweit durch den Gesetzentwurf Rechte und Pflichten von Spätaussiedlern und ihren Angehörigen geändert werden, besteht kein Unterschied zwischen Männern und Frauen, so dass die Relevanzprüfung in Bezug auf Gleichstellungsfragen negativ ausfällt.
Die Regelungen sind, soweit möglich, entsprechend § 1 Abs. 2 Satz 1 des Bundesgleichstellungsgesetzes geschlechtergerecht formuliert worden.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1
Zu Nummer 1
Die pauschale Eingliederungshilfe nach § 9 Abs. 3 dient dem Ausgleich für den Gewahrsam, den die Russlanddeutschen in der ehemaligen UdSSR einschließlich der baltischen Staaten erlitten haben. Dies entspricht geltender Praxis. Mit der ausdrücklichen Aufführung der baltischen Staaten wird das Herkunftsgebiet der Berechtigten vor dem Hintergrund klarer umschrieben, dass die Bundesrepublik Deutschland die Annexion der baltischen Staaten nicht anerkannt hatte. Eine materielle Änderung ist damit nicht verbunden.
Zu Nummer 2
Zu Buchstabe a
Die Bundespolizei wird in den Katalog der Behörden aufgenommen, die vor der Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 zur Feststellung von Ausschlussgründen nach § 5 Nr. 1 Buchstabe d und e zu beteiligen sind. Bisher können dort vorliegende Erkenntnisse nicht genutzt werden. Es soll jedoch lückenlos sichergestellt sein, dass die Aufnahme nach dem Bundesvertriebenengesetz nicht für die Einreise von Schwerkriminellen und gewaltbereiten Extremisten instrumentalisiert werden kann.
Zu Buchstabe b
Über Rücknahme und die Ausstellung einer Zweitschrift einer Spätaussiedler- oder Angehörigenbescheinigung nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 entscheidet unverändert die Ausstellungsbehörde. Einer Zuständigkeitsbestimmung für den Widerruf bedarf es im Hinblick auf die Neuregelung in § 15 Abs. 4 nicht mehr. Danach ist Widerruf unzulässig.
Er hatte in der Praxis keine Bedeutung.
Zu Buchstabe c
Die Möglichkeit zur Rücknahme einer Spätaussiedler- oder Angehörigenbescheinigung nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 mit Wirkung für die Vergangenheit wird in Parallele zum Staatsangehörigkeitsgesetz begrenzt: Da mit der Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 die dort genannten Personen nach § 7 des Staatsangehörigkeitsgesetzes kraft Gesetzes zu deutschen Staatsangehörigen werden, entfällt mit der Rücknahme einer rechtswidrigen Bescheinigung für die Vergangenheit auch die auf diese Weise erworbene deutsche Staatsangehörigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 24. Mai 2006 (BVerfGE 116, 24) die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung für grundsätzlich mit Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar erklärt.
Wenn durch die Rücknahme beim Betroffenen Staatenlosigkeit eintritt, liegt darin nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch kein Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG. Im Falle einer zeitnahen Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung, über deren Voraussetzungen der Eingebürgerte selbst getäuscht hat, hielt das Bundesverfassungsgericht die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder für ausreichende Ermächtigungsgrundlagen. Gesetzgeberischen Handlungsbedarf sah das Bundesverfassungsgericht allerdings im Hinblick auf die zeitliche Reichweite der Rücknahmemöglichkeit und Auswirkungen der Rücknahme auf die Staatsangehörigkeit Dritter.
Vor diesem Hintergrund wird durch das Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 158) in § 35 Abs. 3 die Rücknahmemöglichkeit für staatsangehörigkeitsrechtliche Entscheidungen, die der Betroffene bewusst unredlich erwirkt hat und deren Fehlerhaftigkeit in seine Sphäre fallen, auf eine Frist von fünf Jahren nach Erlass des zurückzunehmenden Verwaltungsaktes begrenzt. Damit wird nach Ablauf einer gewissen Zeit in Anbetracht des Grundrechtsschutzes des Art. 16 GG dem Prinzip der Rechtssicherheit Vorrang vor dem Gedanken der Herstellung rechtmäßiger Zustände auf dem Gebiet des Staatsangehörigkeitsrechts gegeben. Diese Grundsatzentscheidung soll im Sinne der Einheit der Rechtsordnung auch im Vertriebenenrecht umgesetzt werden. Denn die rückwirkende Rücknahme einer Bescheinigung nach § 15 führt automatisch zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit. Wie die Rücknahme der Einbürgerung soll sie deshalb auf einen Zeitraum von fünf Jahren nach Erteilung der Bescheinigung beschränkt werden.
Die Rücknahme einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 mit Wirkung für die Zukunft bleibt nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht zulässig. Hierdurch wird die durch § 7 des Staatsangehörigkeitsgesetzes erworbene deutsche Staatsangehörigkeit nicht berührt. Die Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht belässt die Möglichkeit, die mit einer Bescheinigung nach § 15 verbundenen Leistungen und Vergünstigungen, zum Beispiel Ansprüche des Spätaussiedlers nach dem Fremdrentengesetz, auch nach Ablauf des in § 15 Abs. 4 genannten Zeitraums von fünf Jahren nicht mehr zu gewähren.
Der Widerruf einer Bescheinigung ist nicht mehr zulässig (siehe Begründung zu Nummer 2 Buchstabe b).
Soweit die Rücknahme Auswirkungen auf eine an Dritte erteilte Bescheinigung hat, wird zu deren Schutz klargestellt, dass jeweils eine selbstständige Ermessensentscheidung über die Rücknahme zu treffen ist. Die Rücknahme einer Spätaussiedlerbescheinigung führt nicht automatisch zur Rücknahme der auf ihrer Grundlage erteilten Ehegatten- oder Abkömmlingsbescheinigungen
Zu Nummer 3
Die Bundespolizei wird in den Katalog der Behörden aufgenommen, die im Aufnahmeverfahren zur Feststellung von Ausschlussgründen nach § 5 Nr. 1 Buchstabe d und e zu beteiligen sind. Damit soll eine lückenlose Überprüfung gewährleistet werden (vgl. Begründung zu Nummer 2 Buchstabe a).
Zu Nummer 4
Bei der Datenübermittlungsregelung in § 29 Abs. 1a Satz 1 für das Verfahren zur Feststellung eines Ausschlussgrundes nach § 5 Nr. 1 Buchstabe d oder e wird die Bundespolizei in den Katalog der zu beteiligenden Behörden aufgenommen. Es handelt sich um eine Folgeänderung zur Einfügung in § 28 Satz 2 (vgl. Begründung zu Nummer 3).
Außerdem wird die Übermittlung des Geschlechts ermöglicht, um den Aufwand beim Abgleich mit den bestehenden Datenbanken zu verringern.
Darüber hinaus wird die Antwortfrist in § 29 Abs. 1a Satz 2 für die Sicherheitsbehörden von einem Monat auf zehn Tage verkürzt. Innerhalb dieses Zeitraums teilen die genannten Behörden dem Bundesverwaltungsamt mit, ob Anhaltspunkte für Ausschlussgründe nach § 5 Nr. 1 Buchstabe d oder Buchstabe e vorliegen. Geht innerhalb dieser Frist keine Rückantwort der Sicherheitsbehörde beim Bundesverwaltungsamt ein, geht dieses davon aus, dass keine Ausschlussgründe nach § 5 Nr. 1 Buchstabe d oder e vorliegen. In dem neu angefügten Satz 3 wird festgeschrieben, dass - sollte eine weitere Überprüfung der Ausschlussgründe durch die jeweilige Sicherheitsbehörde erforderlich sein - die Überprüfung durch die Sicherheitsbehörde insgesamt innerhalb von drei Wochen nach Übermittlung der Daten nach Satz 1 abgeschlossen sein soll. Dies dient der Verfahrensbeschleunigung und stellt insbesondere sicher, dass zeitnah nach Einreise und Registrierung die Bescheinigungen nach § 15 ausgestellt werden können.
Zu Nummer 5
Zu Buchstabe a
In § 100 Abs. 2 BVFG wird die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsamtes für die Feststellung der Vertriebenen- oder Flüchtlingseigenschaft von Aussiedlern festgeschrieben, die ihren ständigen Aufenthalt in Deutschland vor dem 1. Januar 1993 begründet haben. Hierdurch werden die Bundesländer entlastet und von der Notwendigkeit entbunden, für die Abwicklung dieser Restfälle die entsprechenden Verwaltungsstrukturen und vertriebenenrechtliches Fachwissen vorzuhalten.
Zu Buchstaben b und c
Durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BGBl I 2007,S. 748) wurde für Staatsangehörige von EU-Mitgliedstaaten die Geltungsdauer von Übernahmegenehmigungen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Aussiedleraufnahmegesetzes am 1. Juli 1990 (BGBl. I S. 1247) und von Aufnahmebescheiden aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes am 1. Januar 1993 (BGBl. I 1992, S. 2094) bis zum 31. Dezember 2009 begrenzt. Die Beschränkung der Geltungsdauer wird wieder aufgehoben, damit hierdurch nicht Personen, deren weiterer Verbleib in ihren Herkunftsstaaten im Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt, zu einer vorzeitigen Ausreise veranlasst werden. Dies betrifft insbesondere Personen, die eine herausgehobene Stellung innerhalb der deutschen Minderheit im Herkunftsgebiet haben.
Zu Nummer 6
Die Befristung von Aufnahmebescheiden nach Maßgabe der Übergangsregelung § 100a Abs. 2 Satz 1 für Personen aus den baltischen Staaten wird ebenfalls aufgehoben (vgl. hierzu Ausführungen zu Nummer 5, Buchstaben b und
c).
Zu Nummer 7
Nach derzeitiger Rechtslage haben die Länder von Amts wegen über die Ausstellung von Spätaussiedler- und Angehörigenbescheinigungen nach § 15 Abs. 1 bzw. Abs. 2 zu entscheiden. Durch die Aufhebung der Anwendungsvorschrift werden die Länder von Altfällen entlastet, indem auch diese Zuständigkeit dem Bundesverwaltungsamt übertragen wird. Es erhält damit unter Berücksichtigung auch der Änderung von § 100 Abs. 2 (vgl. Nummer 5 Buchstabe a) die Zuständigkeit für alle vertriebenenrechtlichen Entscheidungen.
Lediglich für die Rücknahme und die Ausstellung einer Zweitschrift einer Bescheinigung bleibt gemäß § 15 Abs. 3 die Ausstellungsbehörde zuständig; hierbei kann es sich auch um Landesbehörden gehandelt haben.
Zu Nummer 8
§ 101 sieht eine Zweckbindung hinsichtlich des Mehraufkommens an Zins- und Tilgungsleistungen auf Grund der Erhöhung der Zins- und Tilgungssätze bestimmter Darlehen zugunsten der "Eingliederung von aus der Landwirtschaft stammenden Vertriebenen, Flüchtlingen und Spätaussiedlern" vor. § 101 war mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21.12.1992 in das Bundesvertriebenengesetz (BVFG) aufgenommen worden, da die bisherigen Vorschriften des § 46 Abs. 2a und 2b BVFG, die die Erhöhung der Zins- und Tilgungssätze sowie die Verwendung des Mehraufkommens regelten, mit dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz als weitgehend bedeutungslos aufgehoben wurden. Aus heutiger Sicht ist der Förderbereich der Eingliederung von aus der Landwirtschaft stammenden Vertriebenen, Flüchtlingen und Spätaussiedlern als erledigt zu betrachten. Zudem hat der Haushaltsgesetzgeber das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz durch entsprechende Veranschlagung im Einzelplan 10 des Bundeshaushalts dazu ermächtigt, künftige Einnahmen aus Darlehensrückflüssen zur Finanzierung bestimmter Ausgaben nutzbar zu machen. Die Vorschrift ist daher wegen fehlender Relevanz zum Zwecke der Rechtsbereinigung aufzuheben.
Zu Artikel 2
Es handelt sich um eine Folgeänderung zu Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe b.
In § 10 Abs. 7 Häftlingshilfegesetz werden bisher § 15 Abs. 1 Satz 4 bis 5 und Abs. 3 des Bundesvertriebenengesetzes für entsprechend anwendbar erklärt. Der Verweis auf § 15 Abs. 3 BVFG ist durch die Änderung der Norm nicht mehr zutreffend. Daher wird das, was bisher durch Bezugnahme auf das Bundesvertriebenengesetz galt, inhaltsgleich unmittelbar in § 10 Abs. 7 Häftlingshilfegesetz geregelt.
Zu Artikel 3
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.
->
Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKR-Gesetz:
NKR-Nr. 788:
Achtes Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes
Der Nationale Normenkontrollrat hat den o.g. Gesetzentwurf auf Bürokratiekosten, die durch Informationspflichten begründet werden, geprüft.
Mit dem Gesetz werden keine Informationspflichten für die Wirtschaft sowie Bürgerinnen und Bürger eingeführt, geändert oder aufgehoben. Für die Verwaltung werden zwei neue Informationspflichten eingeführt und fünf bestehende Informationspflichten inhaltlich geringfügig erweitert. Die damit einhergehenden Bürokratiekosten dürften marginal sein.
Der Nationale Normenkontrollrat hat im Rahmen seines gesetzlichen Prüfauftrages daher keine Bedenken gegen das Regelungsvorhaben.
Dr. Ludewig | Bachmaier |
Vorsitzender | Berichterstatter |