- 11. Der Bundesrat hält im Vergleich zu der vorgeschlagenen Rechtsform der Verordnung das Instrument der Richtlinie für vorzugswürdig. Hierdurch würde eine bessere Harmonisierbarkeit mit dem nationalen Recht gewährleistet. Allerdings ist darauf zu achten, dass diese Frage nicht - wie etwa bei den Verhandlungen im Ausschuss für Zivilrecht des Rates der EU zum Europäischen Mahnverfahren geschehen - von einigen Mitgliedstaaten zum Anlass genommen wird, das Eintreten für die Rechtsform der Richtlinie mit einer Ausweitung des Anwendungsbereichs auf innerstaatliche Sachverhalte zu verknüpfen.
Zu einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1
In Artikel 1 sollte der Anwendungsbereich der Verordnung auf "grenzüberschreitende Streitigkeiten" beschränkt werden. Hierfür spricht auch, dass die Alternativität zwischen europäischem und nationalem Verfahren - unabhängig von der Kompetenzfrage - abzulehnen ist. Die rechtsunkundige Partei wird in der Regel nicht wissen, welches Verfahren für sie - insbesondere auch im Hinblick auf die Beschränkung der Beweismittel und die Rechtsmittel - günstiger ist.
Ferner sollte Artikel 1 um einen Absatz ergänzt werden, der den Begriff "grenzüberschreitend" definiert. Als Vorbild könnte insoweit Artikel 2 der Richtlinie 2002/8/EG über die Prozesskostenhilfe in Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug dienen.
Zu Artikel 2
Anstelle einer verbindlichen Streitwertgrenze von 2 000 Euro sollte nur ein Mindestgrenzwert festgesetzt werden. Dieser sollte mit der Wertgrenze des § 495a ZPO übereinstimmen. Die vorgeschlagene Wertgrenze von 2 000 Euro ist deutlich zu hoch. Bei einer Anwendbarkeit auch auf rein innerstaatliche Streitigkeiten würden nach der Justizstatistik des Bundes für das Jahr 2003 ca. 67 % aller amtsgerichtlichen Verfahren (ohne Familiensachen) erfasst. In anderen Mitgliedstaaten, insbesondere bei den osteuropäischen Nachbarn, dürfte der prozentuale Anteil noch höher sein. Auf Grund dessen bestehen Bedenken, ob bei einer Wertgrenze von 2 000 Euro überhaupt noch von Bagatellstreitigkeiten gesprochen werden kann.
Zu Artikel 3
Der in Absatz 1 vorgesehene Formularzwang ist im Grundsatz unterstützenswert, weil sich dieser im Zusammenhang mit der Einführung der elektronischen Akte als sinnvoll erweisen könnte, auch wenn im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit der Sachverhalte eine gewisse Skepsis nicht verleugnet werden kann. Um mit dem Formularzwang einen größtmöglichen Effizienzgewinn zu erzielen, ist es aber unabdingbar, dass das Formular - so weit wie möglich - maschinenlesbar ausgestaltet wird. Wegen der Einzelheiten wird auf die nachstehenden Ausführungen zu dem Formular zu Anhang I verwiesen.
Die Verjährungsregelung in Absatz 4 sollte - zu Gunsten der Geltung nationalen Rechts - gestrichen werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Bestimmung nicht den Anknüpfungspunkt für die Hemmung bzw. Unterbrechung der Verjährung bestimmt, für den nach deutschem Recht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BGB der Zeitpunkt der Zustellung des Antrags bzw. der Klage beim Antragsgegner maßgeblich ist, soweit nicht die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO eingreift. Nach seinem Wortlaut soll Absatz 4 wohl nur den maßgeblichen Zeitpunkt für die Fiktion des § 167 ZPO regeln; dann sollte es aber nicht auf die - vom Antragsteller nicht zu beeinflussende - Eintragung des Antrags bei Gericht ankommen, sondern auf den Eingang des Antrags bei dem zuständigen Gericht.
- 12. Es wird angeregt, Artikel 3 Abs. 6 dahin gehend zu ergänzen, dass der Richter dem Antragsteller eine angemessene Frist für die Vervollständigung, Berichtigung und Nachforderung von Unterlagen zu setzen hat.
Wesentliches Anliegen des Verordnungsvorschlags ist die zügige Durchführung des Verfahrens, weshalb für jeden Verfahrensschritt enge Fristen festgesetzt sind. Versäumt wurde dies lediglich für die Nachforderung von Unterlagen oder Angaben seitens des Gerichts. Da mit der Eintragung des Antrags bei Gericht die Verjährung unterbrochen ist, ist es nur billig, dass der Antragsteller zu einer zügigen Nachlieferung angehalten wird und das Verfahren nicht auf diesem Wege verzögert wird.
Auch wenn dies derzeit schon gängige Praxis bei deutschen Gerichten ist, sollte eine Festlegung für das europäische Verfahren erfolgen.
Zu Artikel 4
- 13. Absatz 1 sollte im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit Artikel 6 Abs. 1 EMRK überprüft werden. Artikel 6 Abs. 1 EMRK sieht vor, dass jedermann Anspruch darauf hat, dass seine Sache "öffentlich" verhandelt wird. Danach muss, soweit die Parteien nicht darauf verzichten, grundsätzlich zumindest in einer Instanz mündlich verhandelt werden. Es bestehen Bedenken, ob Artikel 4 Abs. 1 des Verordnungsvorschlags den Grundsatz der Mündlichkeit ausreichend berücksichtigt. Danach sind bei der Entscheidung, ob eine mündliche Verhandlung notwendig ist, die Anträge der Parteien lediglich zu berücksichtigen. Ein Anspruch der Parteien auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung - wie er etwa in § 495a Satz 2 ZPO bestimmt ist - ist indes nicht ausdrücklich vorgesehen.
Die in den Absätzen 2 und 4 geregelten Fristen für das Gericht (acht Tage) müssen flexibler, nämlich als Soll-Vorschrift, ausgestaltet werden. Die Vorschrift in Artikel 12 Abs. 2 könnte dann entfallen, zumal diese auf Grund der unbestimmten Rechtsbegriffe ("ausnahmsweise", "so bald wie möglich") nur schwer handhabbar sein dürfte.
In Absatz 2 sollte für die Frist zur Zustellung der Kopie des Antragsformulars nicht auf die Eintragung des Antragsformulars (Artikel 3 Abs. 3) abgestellt werden, sondern auf die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses, soweit ein solcher in dem Recht des Mitgliedstaats vorgesehen ist. Da Absatz 2 als abschließende Regelung verstanden werden könnte, dürfte die Generalverweisung in Artikel 17 nicht eingreifen.
Soweit den Parteien in den Absätzen 3 und 5 Fristen für weiteren Vortrag gesetzt werden, wird davon ausgegangen, dass über Artikel 17 auch die Präklusionsvorschriften anwendbar sind.
Die Regelung des Absatzes 6 bedarf noch der Überarbeitung. Danach darf das Gericht eine Gegenforderung, die 2 000 Euro überschreitet, nur berücksichtigen, wenn sie aus demselben Rechtsverhältnis wie die Forderung stammt und wenn das Gericht die Anwendbarkeit des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen für angemessen hält. Ein zwingender sachlicher Grund ist hierfür nicht erkennbar. Ganz im Gegenteil würde dies die Gefahr widersprechender Entscheidungen in sich tragen, weil in dem Verfahren über die geringfügige Forderung wegen Artikel 7 nur eine verkürzte Beweisaufnahme durchgeführt werden würde, während in dem (eigenständigen) Verfahren über die Gegenforderung voller Beweis zu erheben wäre. Darüber hinaus würde im Falle einer Aufrechnung lediglich eine Vollstreckungsgegenklage und im Falle einer Widerklage ein zweiter Prozess provoziert, was dem Ziel einer effizienten und ökonomischen Prozessführung - jedenfalls bei einer Gesamtschau - widerspricht. Auf Grund dessen sollte Absatz 6 vorsehen, dass - in Anlehnung an § 596 ZPO - von dem europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen Abstand zu nehmen und der Rechtsstreit im ordentlichen Verfahren weiter zu betreiben ist.
Zu Artikel 5
Die in Absatz 1 geregelte Frist für das Gericht (ein Monat) sollte flexibler, nämlich als Soll-Vorschrift, ausgestaltet werden.
Zu Artikel 7
Absatz 2 sollte gestrichen werden.
Danach kann das Gericht den Sachverständigenbeweis (nur) in Ausnahmefällen zulassen, wenn dies für seine Entscheidung unerlässlich ist. Dabei ist unklar, was unter "unerlässlich" zu verstehen ist. Ist dies gleichbedeutend mit "entscheidungserheblich", ist die Vorschrift überflüssig. Soll der Begriff enger verstanden werden, ist er mangels Bestimmtheit abzulehnen. Zudem würde hierdurch das Recht auf effektiven Rechtsschutz ohne ausreichende Legitimation eingeschränkt. Zum verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruch gehört neben dem Recht auf Zugang zum Gericht und dem Anspruch auf rechtliches Gehör auch das so genannte Recht auf Beweis, d.h. die Möglichkeit des Rechtsuchenden, Beweis zu Gunsten seiner Tatsachenbehauptungen zu führen. Die verfahrensmäßige Einschränkung einer Beweisführung bedarf einer besonderen Legitimation, die in dem Verordnungsvorschlag jedoch nicht dargetan ist.
Darüber hinaus stünde die Regelung im Falle einer engen Auslegung in Widerspruch zu dem Ziel des Verbraucherschutzes, wie es etwa mit der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter angestrebt wird. Artikel 5 Abs. 3 dieser Richtlinie sieht zu Gunsten des Verbrauchers eine Umkehr der Beweislast für den Zeitpunkt des Vorliegens eines Mangels vor, so dass den Verbraucher für das Vorliegen des Mangels nach wie vor der Vollbeweis trifft. Dieser Beweis, der in der Regel aber nur mit einem Sachverständigengutachten erbracht werden kann (z.B. beim Kauf eines gebrauchten Kraftfahrzeugs), würde ihm aber mit dem Verordnungsvorschlag zu Artikel 7 Abs. 2 unter Umständen wieder abgeschnitten.
Zu Artikel 10
Die Regelung in Absatz 1 zur Gesamthöchstdauer des Verfahrens von sechs Monaten sollte gestrichen werden. In grenzüberschreitenden Angelegenheiten wird die Frist u. a. wegen der zeitaufwändigen Zustellungen und Übersetzungen häufig nicht einzuhalten sein. Soweit in rein innerstaatlichen Verfahren die statistische Durchschnittsdauer der amtsgerichtlichen Zivilverfahren (ohne Familiensachen; gesamter Streitwertbereich bis 5 000 Euro) von 4,4 Monaten (insgesamt) bzw. 6,9 Monaten (nur Verfahren mit streitigem Urteil) überschritten wird, beruht dies in aller Regel auf dem Prozessverhalten der Parteien oder dem Zeitaufwand für eine Beweisaufnahme, was beides dem Einflussbereich des Gerichts entzogen ist.
Zu Artikel 13
Die Vorschrift sollte zu Gunsten der Anwendbarkeit nationalen Rechts entfallen. Die sofortige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung ist aus Gründen des Schuldnerschutzes abzulehnen, zumal es sich im Hinblick auf den Anwendungsbereich der Verordnung bei dem Antragsgegner häufig um einen Verbraucher handeln wird. Auf Grund dessen ist die Möglichkeit einer Abwendungsbefugnis entsprechend § 708 Nr. 11 ZPO unabdingbar.
Zu Artikel 14
In Absatz 1 sollten die Begriffe "unbillig" und "unverhältnismäßig" präzisiert werden.
- 14. Die Entscheidung, dass die unterlegene Partei keine Kosten für den Rechtsanwalt oder Rechtsbeistand der obsiegenden Partei zu tragen hat (Artikel 14), wird als problematisch betrachtet.
- 15. Die in Absatz 2 vorgeschlagene Beschränkung der Kostenerstattung sollte gestrichen werden, weil für eine solche Regelung ein sachlicher Grund nicht erkennbar ist. Die Entscheidung, einen Rechtsanwalt auch in Bagatellverfahren einzuschalten, ist nicht generell sachwidrig. Gerade bei Bagatellverfahren mit einem verhältnismäßig hohen Kostenrisiko dürfte es bei der obsiegenden Partei auf keine Akzeptanz stoßen, wenn sie einen Teil der entstandenen Kosten selbst tragen muss, obwohl sie möglicherweise den Gegner vorgerichtlich (mehrfach) gemahnt hat.
- 16. Allein aus der Tatsache, dass die unterlegene Partei selbst keinen Rechtsbeistand gewählt hat, kann nicht gefolgert werden, dass seitens der obsiegenden
Partei die Beiziehung eines Rechtsanwalts/Rechtsbeistands nicht berechtigt war. Es steht zu befürchten, dass anwaltlich vertretene Parteien das europäische Verfahren wegen des damit verbundenen Kostenrisikos nicht betreiben werden.
Die in Artikel 14 Abs. 1 vorgesehene Ausnahme, wonach die unterlegene Partei unbillige oder unverhältnismäßige Kosten nicht zu tragen hat, erscheint ausreichend, um sachgerechte Lösungen im Einzelfall herbeizuführen.
Daher sollte auf eine Streichung von Artikel 14 Abs. 2 hingewirkt werden. Zu Artikel 15
- 17. Dass sich die Möglichkeit einer Rechtsmitteleinlegung nach nationalem Recht richten soll, ist zu begrüßen. Dies sollte dann aber auch für die Frage des Anwaltszwangs gelten, so dass Absatz 2 gestrichen werden sollte.
Für das Berufungsverfahren lässt die Verordnung offen, welche Verfahrensvorschriften anwendbar sein sollen. Verwerfungen könnte es insbesondere im Hinblick auf die Beweismittelbeschränkung des Artikels 7 Abs. 2 geben.
Wie die ersten Erfahrungen mit der ZPO-Reform im Jahre 2002 gezeigt haben, hat sich die Eröffnung der Revisionszulassung auch gegen landgerichtliche Berufungsurteile bewährt, weil sich auch in Bagatellstreitigkeiten Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung stellen, die einer höchstgerichtlichen Klärung zugeführt werden sollten. Auf Grund dessen sollte Absatz 3 gestrichen werden.
Zu Artikel 18
Die Vorschrift eröffnet neben den bereits bestehenden Rechtsinstituten für die Anerkennung und Vollstreckung ein weiteres Bestätigungsverfahren und führt damit zu einer vermeidbaren Rechtszersplitterung. Vorzugswürdig ist eine Bestätigung nach Maßgabe der Regelungen der Verordnung über die Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen. Zumindest sollten materiellrechtlich die dort vorgesehenen Schuldnerschutzbestimmungen übernommen werden.
Zu Artikel 21
Die Ermächtigung der Kommission zur Anpassung der in Artikel 2 Abs. 1 festgelegten Streitwertgrenze ist abzulehnen, weil es sich hierbei um eine Frage handelt, die wegen ihrer Bedeutung für die nationale Gerichtsbarkeit von den Mitgliedstaaten zu entscheiden ist.
Der Text der vorgeschlagenen Verordnung selbst enthält keine ausdrückliche Regelung zur Festlegung der Verfahrenssprache. Es wird lediglich in Artikel 4 Abs. 7 des Verordnungsvorschlags sowie im Muster des Antwortformulars auf "die Verfahrenssprache" Bezug genommen. Im Antwortformular etwa wird der Beklagte aufgefordert, binnen eines Monats nach Erhalt des Antragsformulars "in der Verfahrenssprache" zu antworten. Dem Gesamtzusammenhang ist zu entnehmen, dass Verfahrenssprache wohl die Sprache des Gerichts sein soll, bei dem der Antrag eingereicht wird. Dies muss bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht die Sprache des Beklagten sein. Daraus folgt, dass der Beklagte ggf. gezwungen ist, sich gegen die Klage in einer ihm fremden Sprache zu verteidigen. Dies wird vermutlich aus praktischen Gründen (eingeschränkte Sprachkompetenz beim befassten Gericht) nicht zu vermeiden sein. Da allerdings in einem transnational angelegten Verfahren auch andere Lösungen denkbar wären, erscheint eine klarstellende Regelung zur Festlegung der Verfahrenssprache in der Verordnung wünschenswert.
Besonders bedenklich erscheint allerdings, dass dem Beklagten das Antwortformular, und damit insbesondere der Hinweis auf die einmonatige Frist zur Erwiderung, möglicherweise in einer Sprache vorgelegt wird, die er nicht versteht. Die Versäumung der Frist führt aber dazu, dass ein Versäumnisurteil gegen ihn ergeht.
Es erscheint auch zweifelhaft, dass die durch den Verordnungsvorschlag einbezogene Zustellungsregel des Artikels 8 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 den Beklagten hinreichend vor der Gefahr schützt, auf Grund sprachlicher Verständnisprobleme die Frist zu versäumen. Dort ist zwar geregelt, dass der Zustellungsempfänger Schriftstücke nur annehmen muss, wenn sie in der Amtssprache seines Landes oder des Ausgangslandes gehalten sind, soweit er letztere versteht, und dass er vom Zusteller hierauf hinzuweisen ist. Ihm bleibt jedoch die Entscheidung überlassen, ob er das Schriftstück entgegennimmt, obwohl er es nicht versteht, und er wird dann womöglich wegen Fristversäumnis in dem Verfahren unterliegen. Deswegen erscheint es in einem Verfahren, das für die transnationale Verwendung ausgelegt ist, mindestens angebracht, den Hinweis auf die Frist auf dem Antwortformular in allen Amtssprachen anzubringen.