A. Problem und Ziel
Die Barrierefreiheit von Bahnanlagen und Fahrzeugen leitet sich bereits aus dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen (UN-Behindertenrechtskonvention) ab, das seine nationale Umsetzung unter anderem im Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG) gefunden hat.
Im Interesse der Verwirklichung dieses Ziels müssen die Gestaltung der Bahnanlagen, insbesondere der Bahnsteige, die eingesetzten und die künftig vorgesehenen Fahrzeuge aufeinander abgestimmt sein. Aufgrund des seitens der Eisenbahninfrastrukturunternehmen - oft mit maßgeblicher Finanzierung des Bundes, der Länder und der Kommunen - erreichten Ausbaustands der Bahnsteige und der langjährig festgelegten Fahrzeugeinsatzkonzepte der Länder und Aufgabenträger erscheint eine kurzfristige einheitliche Bahnsteighöhe von 0,76 Meter über Schienenoberkante nicht für alle Teilnetze als sachgerecht und behindert die zeitnahe und kostengünstige Verwirklichung des Ziels der Barrierefreiheit im Eisenbahnverkehr. Für die Zeit bis zur Verwirklichung einer einheitlichen Höhe von 0,76 Meter über Schienenoberkante ist eine Gleichstellung mit einer Bahnsteighöhe von 0,55 Meter über Schienenoberkante erforderlich.
B. Lösung
- - Aufnahme der Anforderungen an die Barrierefreiheit in das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG), also auf gesetzlicher Ebene, um dem Aspekt der Barrierefreiheit mehr Gewicht zu verleihen.
- - Implementierung des Einvernehmens zwischen den Aufgabenträgern als Verantwortungsträger für den Schienenpersonennahverkehr und den Eisenbahnen, die die Verantwortung für die Infrastruktur oder Fahrzeuge tragen.
- - Gleichstellung von Bahnsteighöhen von 0,55 Meter und 0,76 Meter.
C. Alternativen
Keine.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Die Flexibilisierung der Bahnsteighöhen wirkt insgesamt kostenreduzierend.
E. Sonstige Kosten
Durch die Änderung des AEG und der EBO ergeben sich unmittelbar keine zusätzlichen Kosten für die Eisenbahnunternehmen. Tendenziell führt die Änderung zu einer Kostenreduzierung.
F. Bürokratiekosten
Informationspflichten für Bürgerinnen und Bürger sowie die Verwaltung werden nicht eingeführt, geändert oder aufgehoben.
Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Verwirklichung der Barrierefreiheit im Eisenbahnverkehr
Der Bundesrat hat in seiner 980. Sitzung am 20. September 2019 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen
Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Verwirklichung der Barrierefreiheit im Eisenbahnverkehr
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes
Nach § 7h des Allgemeinen Eisenbahngesetzes vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2396; 1994 I S. 2439), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. Juni 2019 (BGBl. I S. 754) geändert worden ist, wird folgender § 8 eingefügt:
§ 8 Barrierefreiheit
Bahnanlagen und Fahrzeuge sind so zu gestalten, dass in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen diese ohne besondere Erschwernis nutzen können. Die Eisenbahnen bedürfen hierzu des Einvernehmens der nach § 1 Absatz 2 des Regionalisierungsgesetzes durch Landesrecht bestimmten Stellen, soweit Belange des Schienenpersonennahverkehrs betroffen sind.
Artikel 2
Änderung der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung
Die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 8. Mai 1967 (BGBl. II S. 1563), die zuletzt durch Artikel 2 der Verordnung vom 5. April 2019 (BGBl. I S. 479) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 2 Absatz 3 wird wie folgt geändert:
- a) Satz 1 wird aufgehoben.
- b) Der neue Satz 1 wird wie folgt gefasst:
"Zur Ausgestaltung der Barrierefreiheit nach § 8 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes sind die Eisenbahnen verpflichtet, Programme zur Gestaltung von Bahnanlagen und Fahrzeugen mit dem Ziel zu erstellen, eine möglichst weitreichende Barrierefreiheit für deren Nutzung zu erreichen."
2. § 13 Absatz 1 wird wie folgt gefasst:
(1) Bei Neubauten oder umfassenden Umbauten von Personenbahnsteigen sollen in der Regel die Bahnsteigkanten auf eine Höhe von 0,55 Meter oder 0,76 Meter über Schienenoberkante gelegt werden; Höhen von unter 0,38 Meter und über 0,96 Meter sind unzulässig. Bahnsteige, an denen ausschließlich Stadtschnellbahnen halten, können auf eine Höhe von 0,96 Meter über Schienenoberkante gelegt werden. In Gleisbögen ist auf die Überhöhung Rücksicht zu nehmen."
Artikel 3
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung:
Zu Artikel 1
Die Barrierefreiheit von Bahnanlagen und Fahrzeugen leitet sich bereits aus dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen (UN-Behindertenrechtskonvention) ab, das seine nationale Umsetzung unter anderem im Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG) gefunden hat.
Im Interesse der Verwirklichung dieses Ziels muss auch die Gestaltung der Bahnanlagen, insbesondere der Bahnsteige, auf die eingesetzten Fahrzeuge oder auf die künftig vorgesehenen Fahrzeuge abgestimmt sein.
Durch die Aufnahme in das AEG, also auf gesetzlicher Ebene, soll dem Aspekt der Barrierefreiheit mehr Gewicht verliehen werden.
Das Erfordernis des Einvernehmens wird eingeführt, weil die Zuständigkeit für die Verkehrsangebote des SPNV bei den Ländern liegt (Artikel 87e Absatz 4, 106a GG) .
Dieser Gestaltungsauftrag der Länder erfordert das Einvernehmen zwischen Aufgabenträgern und Eisenbahnen, die die Verantwortung für die Infrastruktur oder Fahrzeuge tragen.
Zu Artikel 2 Nummer 1
Der materielle Inhalt von § 2 Absatz 3 Satz 1 EBO wird künftig in § 8 AEG (Barrierefreiheit) geregelt. Auf die Begründung zu § 8 AEG wird verwiesen.
Zu Artikel 2 Nummer 2
§ 2 Absatz 3 Satz1(neu) EBO dient der Klarstellung, dass Satz 1 den § 8 AEG inhaltlich ausgestaltet.
Zu Artikel 2 Nummer 3
Die ergänzte Vorschrift des § 13 Absatz 1 EBO greift den Regelungsinhalt der Verordnung (EU) Nr. 1299/2014
der Kommission vom 18. November 2014 über die technische Spezifikation für die Interoperabilität des Teilsystems "Infrastruktur" des Eisenbahnsystems in der Europäischen Union (TSI Infrastruktur) auf.
In Nummer 4.2.9.2 der TSI Infrastruktur sind beide Bahnsteighöhen gleichwertig.
Die Nachbarländer Deutschlands haben überwiegend eine Regelhöhe von 0,55 Meter bei ihren Bahnsteighöhen eingeführt.
Auch der Internationale Eisenbahnverband (UIC) empfiehlt seinen Mitgliedern eine Regelhöhe von 0,55 Meter.
Die Bahnsteige für Stadtschnellbahnen weisen derzeit abhängig vom System eine Höhe von 0,76 Meter oder von 0,96 Meter über Schienenoberkante auf. Die bisherige Regelung, die eine Regelhöhe von 0,96 Meter über Schienenoberkante vorsieht, entspricht nicht den tatsächlichen Verhältnissen, da diese Bahnsteighöhe nur in den Gleichstrom-S-Bahnen in Berlin und Hamburg ausschließlich genutzt wird.
Die neue Formulierung bildet das tatsächlich bestehende Verhältnis von Regelhöhe und den bestehenden Ausnahmen mit Bahnsteighöhen von 0,96 Meter ab. Änderungen der vorhandenen Bahnsteighöhen von 0,96 Meter über Schienenoberkante in den genannten Gleichströmen-S-Bahnsystemen in Berlin und Hamburg sind damit weder für vorhandene noch für etwaige Neubauten verbunden.
Mit dieser Regelung wird sichergestellt, dass den systembedingten Erfordernissen von S-Bahnen hinsichtlich einer Bahnsteigkantenhöhe von 0,38 Meter bis 0,96 Meter über Schienenoberkante Rechnung getragen werden kann.
Mit der Neufassung des § 13 Absatz 1 Satz 2 ist keine Änderung der bisherigen Bahnsteigkantenhöhe in den bestehenden S-Bahn-Systemen beabsichtigt. Gleiches gilt für Strecken, die mit Zwei-System-Fahrzeugen befahren werden.
In Satz 3 wird eine redaktionelle Korrektur vorgenommen.
Zu Artikel 3
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.