Empfehlungen der Ausschüsse 808. Sitzung des Bundesrates am 18. Februar 2005
Position der Bundesregierung zur Halbzeitbilanz der Lissabon-Strategie (Oktober 2004) - Wachstum und Beschäftigung für die Jahre bis 2010


Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU),
der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS),
der Finanzausschuss (Fz),
der Ausschuss für Kulturfragen (K),
der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U),
der Wirtschaftsausschuss (Wi) und
der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung (Wo)
empfehlen dem Bundesrat,
zu der Vorlage
gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG
wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Der Bundesrat nimmt das Positionspapier der Bundesregierung "Wachstum und Beschäftigung für die Jahre bis 2010" als wichtigen Beitrag zum aktuellen Meinungsbildungsprozess zur Zukunft der Lissabon-Strategie zur Kenntnis.

2. Der Europäische Rat in Lissabon (Frühjahr 2000) hat das strategische Ziel vereinbart, die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, verbunden mit einem hohen Maß an sozialem Zusammenhalt und Umweltschutz.

Eine Hochrangige Sachverständigengruppe unter Vorsitz von Wim Kok hat im Auftrag des Frühjahrsgipfels 2004 eine Halbzeitbilanz vorgelegt, aus der sich ergibt dass Europa insgesamt - abgesehen von einigen erfolgreichen Mitgliedstaaten - noch in weiter Ferne von den in Lissabon gesetzten Zielen liegt. Auf der Grundlage der von dieser Sachverständigengruppe sowie der von der Kommission unterbreiteten Vorschläge zur weiteren Entwicklung der Lissabon-Strategie werden die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrer Frühjahrstagung im März 2005 die notwendigen politischen Schritte beschließen und die Weichen für eine Neuausrichtung der Lissabon-Strategie stellen.

3. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den Entscheidungen des EU-Gipfels im März 2005 zur Lissabon-Strategie seinen nachstehend dargelegten Positionen Rechnung zu tragen:

4. Der Bundesrat unterstützt nachdrücklich das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in einer wissensbasierten Wirtschaft in der EU zu fördern, um dadurch ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.

Der Bundesrat stimmt dabei der Einschätzung der Bundesregierung zu, dass angesichts der weit gehend negativen Halbzeitbilanz zum Erreichen der Kernziele der Lissabon-Strategie auf europäischer und nationaler Ebene eine Neuausrichtung und Konzentration der Reformbemühungen unerlässlich ist. Die Anfangskonzeption der Lissabon-Strategie mit einer Vielzahl an Zielvorgaben, Indikatoren und Programmen hat insgesamt zu einer Überfrachtung der Lissabon-Agenda geführt.

5. Dies erfordert, dass die Bundesregierung sich auf europäischer Ebene dafür einsetzt, dass auf dem Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates ein Prioritäten-Katalog zur Umsetzung der einzelnen Ziele der Agenda von Lissabon beschlossen wird. Diese Prioritätensetzung ist unumgänglich, wenn die EU das ehrgeizige Ziel, gegenüber den Wirtschaftsräumen USA, Japan und Asien (insbesondere China) die Wettbewerbsposition nachhaltig zu stärken, erreichen möchte. Eine Umsetzungs-Priorisierung einzelner Ziele ist auch deshalb notwendig, weil in der Agenda von Lissabon über 150 Einzelziele aufgelistet sind.

6. Der Bundesrat unterstützt daher nachdrücklich die auch von der Bundesregierung geforderte Refokussierung der Lissabon-Strategie auf die Ziele nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung durch Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in einer wissensbasierten Wirtschaft.

7. Der Bundesrat stellt fest, dass die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zur Halbzeitbilanz der Lissabon-Strategie auf den Bereich Arbeitsmarkt nicht gesondert eingeht. Dies ist bedauerlich, da auch der Mitgliedstaat Deutschland durch die Lissabon-Strategie Rückenwind für eigene beschäftigungspolitische Initiativen erhält. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung in Auswertung der Halbzeitbilanz zur Lissabon-Strategie auf, die Strategien für aktives Altern und für lebenslanges Lernen zügig weiterzuentwickeln. Der Bundesrat hält die Umsetzung dieser Strategien unter Beachtung der absehbaren demographischen Entwicklung in Deutschland für unabdingbar erforderlich.

8. Eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen schafft die Voraussetzungen, mit denen die anderen Lissabon-Ziele (gesellschaftliche Solidarität und nachhaltige ökologische Entwicklung) dauerhaft verwirklicht werden können.

Im Zentrum muss die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Unternehmen im internationalen Vergleich stehen und nicht eine falsch verstandene Industriepolitik, welche die Gefahr einer volkswirtschaftlichen Fehllenkung von Mitteln in sich birgt.

9. Insbesondere müssen Maßnahmen ergriffen werden, die die Eigenkapitalsituation der Unternehmen, vor allem der KMU, verbessern.

10. Der Bundesrat unterstützt die entsprechenden Forderungen im Bericht der Hochrangigen Sachverständigengruppe zur Lissabon-Strategie (so genannter Kok-Bericht).

(bei Annahme entfällt Ziffer 13)

11. Jedoch kommt einer effektiven Strukturpolitik eine wichtige Rolle für Wachstum und Beschäftigung in strukturschwachen Gebieten zu.

12. Ein starker Wirtschaftsraum braucht zwingend ein gutes Gründungsklima und ein dynamisches Gründungsgeschehen. Die Förderung des Unternehmergeists und die Unterstützung von Existenzgründungen sowie Unternehmensnachfolgen muss daher noch entschiedener vorangetrieben werden. Dabei ist besonderes Augenmerk auf Zielgruppen zu richten, deren Gründungspotenzial noch nicht ausreichend erschlossen ist oder die besonders geeignet sind, Innovationen voran zu treiben. Nach wie vor sind Gründungsklima und Gründungsneigung in Deutschland nicht optimal ausgeprägt. Der demografische Wandel wird weiterhin dazu führen, dass die bislang am stärksten am Gründungsgeschehen beteiligten Altersgruppen deutlich abnehmen, während gleichzeitig zahlreiche Unternehmen schließen müssen, weil sie keinen geeigneten Nachfolger finden.

Insbesondere sollten kleine und mittlere Unternehmen (KMU) im Bereich Innovation und Wettbewerbsfähigkeit noch gezielter gefördert werden können, um durch passgenaue Förderprogramme die Innovationsfähigkeit und Kreativität anzuregen sowie Wachstumspotenziale nachhaltig zu entwickeln.

13. Die Bundesregierung wird in diesem Zusammenhang gebeten, sich für die Verbesserung der Eigenkapitalsituation der Unternehmen, vor allem der KMU, einzusetzen.

14. Die Finanzierung von Unternehmen beruht derzeit zu stark auf Darlehen und zu wenig auf Risikokapital. Das macht es für Gründer und KMU besonders schwierig genügend Finanzmittel zu akquirieren.

15. Darüber hinaus sollten die Mitgliedstaaten auch unter den neuen Regionalbeihilfe-Leitlinien Regionalbeihilfen so genau wie möglich auf ihre bedürftigsten Regionen ausrichten können. Dies beinhaltet die Möglichkeit, auch in Gebieten, die in den bisherigen Entwürfen der Kommission nicht als Fördergebiete eingestuft worden sind, Regionalbeihilfen an große Unternehmen zu gewähren.

(entfällt bei Annahme Ziffer 9)

16. Der Bundesrat ist überzeugt, dass auch die Neuausrichtung der Strukturfonds nach 2006 wesentlich dazu beitragen kann, die Lissabon-Strategie noch besser zu verwirklichen. Er erinnert die Bundesregierung an den Beschluss des Bundesrates vom 15. Oktober 2004 zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfond (BR dass die von der Kommission vorgeschlagenen Größenordnungen zur Mittelverteilung auf die einzelnen Prioritäten einen fairen Interessenausgleich darstellen.

17. Er erinnert die Bundesregierung darüber hinaus auch an die in diesem Beschluss enthaltene Forderung, in den Verordnungstext für die künftige Strukturfondsförderung aufzunehmen dass für die vom statistischen Effekt betroffenen Regionen eine Finanzausstattung von 85 % der Ausstattung für "klassische"

Ziel-Konvergenz-Gebiete vorgesehen wird, die dann bis zum Ende der Förderperiode auf ca. 60 % der Finanzausstattung sinkt und diese Regionen als Fördergebiete nach Artikel 87 Abs. 3 Buchstabe a EGV behandelt werden.

18. Er fordert die Bundesregierung deshalb auf, seine Stellungnahme gemäß § 5 Abs. 2 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen.

Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union widerspricht dieser Empfehlung mit folgender Begründung

Die Forderung des Wi bezieht sich auf die Stellungnahme des Bundesrates zur Rahmenverordnung zur EU-Strukturpolitik (vgl. BR-Drucksache 571/04(B) HTML PDF ), nicht hingegen auf die der Vorlage zu Grunde liegende Lissabon-Strategie. In der zu beschließenden Stellungnahme zur Lissabon-Strategie hat sie nicht den richtigen Standort.

19. Des Weiteren bittet er die Bundesregierung, sich für eine substanzielle EU-Strukturfondsförderung auch im Rahmen des neuen Ziels 2 ("Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung") sowie den Erhalt des "klassischen" Ziel-Konvergenz-Status für die vom statistischen Effekt betroffenen Regionen ab 2007 einzusetzen.

20. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf der Grundlage ihrer eigenen Einschätzung des Lissabon-Prozesses dazu auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Refokussierung auf die Ziele nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung auch ihren Niederschlag in den öffentlichen Finanzen findet. Das bedeutet nicht nur eine Prioritätensetzung und Umschichtung von Haushaltsmitteln auf wachstumswirksame

Ausgaben. Vielmehr muss auch auf nationaler wie auf europäischer Ebene dem Gebot strikter Haushaltsdisziplin Rechnung getragen werden.

21. Dabei sollte sich der Haushalt der EU stärker an der europapolitischen Realität orientieren das heißt, Zukunftspolitiken wie Forschung und Entwicklung müssen gefördert werden.

22. Die Bundesregierung wird deshalb gebeten, darauf hinzuwirken, dass Deutschland den innerhalb der Lissabon-Strategie für die F&E-Ausgaben vorgegebenen Wert von 3 % des BIP erreicht. Die Verwirklichung der Wissensgesellschaft steht sowohl für F&E in und außerhalb von Unternehmen als auch für Verbesserungen im Bildungsbereich. Entsprechende Ausgaben dürfen jedoch nicht eine Erhöhung des nationalen Haushalts zur Folge haben, sondern müssen durch Umschichtung finanziert werden.

23. Auf europäischer Ebene muss sich die Neuausrichtung in einen möglichst eng gefassten Haushaltsrahmen für die Jahre 2007 bis 2013 einpassen. Für die nationalen Haushalte in den Mitgliedstaaten bedeutet dies: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist strikt einzuhalten, denn er sichert nicht nur eine stabile und vertrauenswürdige Währung, sondern ermöglicht auch niedrige Zinsen bei Preisniveaustabilität und schafft so die Voraussetzung für mehr Wachstum in Europa.

24. Der Bundesrat sieht mit Sorge, dass die überwiegende Anzahl der aktuellen Überlegungen zur Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu einer Aufweichung der bisherigen Regeln führen würde. Dies dient nicht dem Wachstumsziel, sondern gefährdet die Stabilität der gemeinsamen Währung und damit auch die Ziele der Lissabon-Strategie.

25. Der Bundesrat unterstützt Initiativen mit dem Ziel, eine einheitliche Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung einzuführen und dadurch zum Abbau steuerlicher Hindernisse und zur Förderung des europäischen Wirtschaftsraums beizutragen.

Der Bundesrat begrüßt den Beschluss der EU-Finanzminister zur Erteilung eines Mandats an die Kommission, in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit den Mitgliedstaaten die notwendigen Regeln für eine gemeinsame Bemessungsgrundlage zu erarbeiten. Gemeinsames Ziel sollte es sein, den Entwurf der Regelung für eine einheitliche Bemessungsgrundlage Anfang 2006 vorzulegen.

26. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Bundesregierung, dass Innovation und Technologie die Grundlagen unseres Wohlstands sind. Er unterstützt die Forderung der Bundesregierung, das 7. Forschungsrahmenprogramm klar auf die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wissenschaft und Industrie auszurichten sowie bei Förderentscheidungen die Qualität der Vorhaben als entscheidendes Auswahlkriterium heranzuziehen. Im Übrigen stellt die Investition in Wissen und Bildung einen Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten und der EU insgesamt dar. Angesichts der engen Budgetrestriktionen kommt der Umschichtung der öffentlichen Haushalte auf wachstumswirksame Ausgaben im Bereich Sach- und Humankapital sowie zur Stärkung der wissensbasierten Gesellschaft deshalb eine größere Bedeutung zu.

27. Zur Zielerreichung einer wissensbasierten Wirtschaft gilt es, die Konzepte der Informationsgesellschaft für eine moderne Wissensgesellschaft fortzuentwickeln und auszugestalten. Dies bedeutet, vorhandene Konzepte lebenslangen Lernens noch effektiver umzusetzen und für bestimmte Zielgruppen, etwa für ältere Arbeitnehmer, aber auch für KMU gezielt neue Konzepte zu entwickeln.

Notwendig ist vor allem die bessere Ausschöpfung der Humanressourcen und die Durchlässigkeit des Bildungssystems.

28. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und auch der fortschreitenden Globalisierung der Weltwirtschaft kommt einer ganzheitlichen, integrierten Personalentwicklung über alle Stufen der individuellen Bildungsbiografie (Schulbildung, Ausbildung, Berufseinstieg, lebenslange, beständige, berufliche Weiterqualifizierung) bis hin zu neuen Arbeitskonzepten für ältere Arbeitnehmer (Sabbatical, Teilzeitbeschäftigung, Telearbeit) besondere Bedeutung bei der Umsetzung dieses ehrgeizigen Ziels zu.

29. Der Bundesrat fordert, dass die Integration älterer Arbeitnehmer in das Erwerbsleben stärker als bisher Ziel der Politik der Bundesregierung wird. Zwar begrüßt der Bundesrat, dass sich die Bundesregierung zu der Zielvorgabe von Stockholm bekennt, die Beschäftigungsquote für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von 55 bis 64 Jahren bis 2010 auf 50 % zu steigern. Umso unverständlicher ist allerdings, dass diese Zielsetzung im Positionspapier der Bundesregierung zum Lissabon-Ziel völlig ausgeblendet wird.

30. Im Gegensatz zur Bundesregierung sieht der Bundesrat die Ursachen für die schlechte Halbzeitbilanz der Lissabon-Strategie nicht primär in dem sich verschlechternden wirtschaftlichen Umfeld sowie den externen Schocks (weltweite Terroranschläge, Finanzskandale, Zusammenbruch der New Economy, Preisanstieg für Öl und andere Rohstoffe). Die Entwicklung und Ereignisse seit 2000 waren zwar für die Realisierung der Lissabon-Ziele nicht förderlich. Es liegt jedoch vorrangig an der EU und ihren Mitgliedstaaten selbst, dass die Umsetzungsbilanz enttäuschend ausfällt und die EU insgesamt gegenüber den USA weiter zurückgefallen ist.

Dies wird nicht zuletzt dadurch belegt, dass es reformwilligen Mitgliedstaaten wie etwa Großbritannien, Irland, Dänemark und Schweden gelang, trotz des schlechten weltwirtschaftlichen Umfelds bereits jetzt einzelne Zielvorgaben des Lissabon-Prozesses zu übertreffen und hohe Wachstumsraten zu erzielen.

Finnland und Estland haben im Jahr 2003 sogar einen nennenswerten Haushaltsüberschuss erzielen können. Deutschland mit seinem hohen strukturellen Reformbedarf leidet demgegenüber besonders unter dem schlechten gesamtwirtschaftlichen Umfeld. Für den Erfolg der Lissabon-Strategie ist es unerlässlich, dass die Bundesregierung die notwendigen wirtschafts-, steuer-, sozial- und arbeitsmarktpolitischen Hausaufgaben unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten zügig und konsequent erledigt.

31. Der Bundesrat fordert deshalb die Bundesregierung auf, sehr viel stärker als es in dem von ihr vorgelegten Positionspapier zum Ausdruck kommt, durch Schaffung günstiger Rahmenbedingungen die Verantwortung für mehr Wachstum und Beschäftigung der deutschen Wirtschaft zu übernehmen. Deutschland muss als größte Volkswirtschaft seiner besonderen Rolle in der EU wieder gerecht werden und die notwendigen Reformen für mehr Wachstum und Beschäftigung mit Nachdruck angehen. Die Agenda 2010 kann hierfür lediglich der Anfang sein um das ehrgeizige Ziel der Lissabon-Agenda in Deutschland zu erreichen.

Eine Reformpause bis zur Wahl 2006 darf es in Deutschland nicht geben.

32. Nach Auffassung des Bundesrates sollten die nationalen Anstrengungen für mehr Wachstum und Arbeitsplätze mit Hilfe des Lissabon-Instrumentariums europapolitisch flankiert werden. Aufgabe der EU und der Kommission sollte es sein, über einen Best-Practice-Ansatz und das Aufzeigen vorhandener Stärken und Defizite das Bewusstsein für die Notwendigkeit konkreter Reformen in den Mitgliedstaaten und die Bereitschaft zu Reformen nachdrücklich zu fördern. Ohne solche deutlich verbesserte Argumentationshilfen der Kommission wird die Reformdebatte in den Mitgliedstaaten auch in Zukunft zu langsam vorankommen. Entscheidend wird sein, dass sich die vergleichende Bewertung im Sinne eines Benchmarking auf einige wenige Kriterien und Indikatoren beschränkt mit denen die Leistung der Mitgliedstaaten in den Bereichen Wachstum und Beschäftigung gemessen wird.

33. Stärken und Reformdefizite in den einzelnen Mitgliedstaaten müssen dabei konkreter als bislang benannt werden. In Deutschland betrifft dies insbesondere notwendige Reformen in Bereichen des Arbeitsmarkts, der Sozialpolitik sowie der Finanz- und Steuerpolitik, aber auch des Umfangs der Staatstätigkeit insgesamt.

34. Die Kommission sollte insbesondere in folgenden Bereichen vergleichende Bewertungen vornehmen und die Erfolge und Defizite der Mitgliedstaaten gegenüberstellen:

35. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass der "Offenen Methode der Koordinierung" in diesen Bereichen eine große Bedeutung zukommt, sofern sie dazu genutzt wird mit Hilfe von Benchmarking und Best-Practice den Reformbedarf in den einzelnen Mitgliedstaaten an Hand weniger, aber aussagekräftiger Kriterien und Indikatoren zu analysieren und die Defizite bzw. Erfolge aufzuzeigen.

36. In den Bereichen außerhalb der Legislativkompetenz der EU (z.B. Bildung) darf die "Offene Methode der Koordinierung" jedoch nicht dazu führen, dass konkrete Maßnahmen und Handlungsanweisungen unter Verletzung der vertraglichen Kompetenzordnung und des Subsidiaritätsprinzips aufgestellt werden vielmehr geht es hier um den Erfahrungs- und Informationsaustausch sowie die Identifizierung von Best-Practices.

37. Darüber hinaus muss die EU auch Maßnahmen in eigener Kompetenz ergreifen, mit denen die Erreichung der Lissabon-Ziele erleichtert wird. Hierzu gehört - wie auch die Bundesregierung in ihrem Positionspapier feststellt - die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch Abbau belastender, insbesondere kostenintensiver EU-Regulierungen bzw. der Verzicht auf überzogene neue Regulierungen. Die Deregulierungsinitiative sollte sich jedoch nicht nur auf Bestimmungen beziehen, welche die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen belasten, sondern auch auf Bestimmungen erstrecken, welche die Aufgaben der Verwaltung betreffen. Dies trüge zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und dadurch zur Verbesserung der volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei. Nicht zuletzt sind auch ausreichende Handlungsspielräume der Wirtschaft und Bürger für die Akzeptanz der europäischen Politik unerlässlich.

38. Nur bei freien, möglichst wenig regulierten Märkten kann europäisches Kapital in Europa gehalten werden bzw. außereuropäisches Kapital angezogen werden.

39. Der Bundesrat ist davon überzeugt, dass die grenzüberschreitende Liberalisierung von Schlüsselmärkten und der Abbau von Handelshemmnissen wirtschaftliche Dynamik in Europa erzeugen und damit für die Erreichung der Lissabon-Ziele förderlich sind. Zu diesem Zweck hat die Kommission einen Vorschlag für eine EU-Dienstleistungsrichtlinie vorgelegt, wonach es Unternehmern und Freiberuflern erleichtert werden soll, ihre Dienstleistungen gemeinschaftsweit anzubieten. Dieser Richtlinienvorschlag, zu dem der 9. Juli 2004 (BR-Drucksache 128/04 (PDF) (Beschluss (2))) und am 24. September derzeit intensiv beraten und diskutiert. Insgesamt könnten damit wirtschaftliche Dynamik im Dienstleistungssektor erzeugt und neue zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Dabei müssen aber die spezifischen Anforderungen besonderer Berufsfelder und Ausnahmen vom Anwendungsbereich berücksichtigt werden. Der Bundesrat fordert ferner die Vollendung des Binnenmarkts für Strom und Gas zur Senkung der Kosten für Unternehmen und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.

40. Die Bundesregierung wird gebeten, sich im Sinne der Wirtschaft weiter für eine Reduzierung der bürokratischen Lasten und eine verbesserte Qualität der Rechtsvorschriften auf EU-Ebene einzusetzen. Dabei muss es vorrangig darum gehen neue Regelungen einer Gesetzesfolgenabschätzung zu unterziehen, bei der insbesondere die Auswirkungen auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in den Mitgliedstaaten zu untersuchen sind. In diesem Zusammenhang ist genau zu prüfen - wie es z.B. gerade im Zusammenhang mit der Umweltschutzrichtlinie REACH praktiziert wird -, ob bestimmte Regelungen nicht zur Folge haben, dass Unternehmen in ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt werden. Zum anderen ist aber auch der bestehende Regelungsrahmen auf unnötige und übertriebene Belastungen von Unternehmen und Staat zu überprüfen. Deregulierung und Entbürokratisierung müssen auf allen Ebenen stattfinden, um die Attraktivität eines Standorts für Unternehmer zu verbessern.

41. Der Bundesrat weist auf die Bedeutung des Ziels "Schaffung eines umweltverträglichen Wachstums" hin. Ökologische Nachhaltigkeit ist neben der wirtschaftlichen Entwicklung und dem sozialen Ausgleich eines der drei Gemeinschaftsziele der EU-Strukturfonds. Die Rolle des nachhaltigen Wirtschaftens wird in den kommenden Jahren noch größer werden. Daher sind Nachhaltigkeitsaspekte in der Förderung, z.B. von Umwelttechnologien, gleichwertig neben den beiden Gemeinschaftszielen zu berücksichtigen.

42. Der Bundesrat begrüßt und unterstützt daher den mit dem Positionspapier zur Halbzeitbilanz der Lissabon-Strategie dokumentierten Willen der Bundesregierung, bei der Förderung von Wachstum und Beschäftigung für die Jahre bis 2010 den drei Säulen des Nachhaltigkeitsprinzips, nämlich Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit gleichermaßen Rechnung zu tragen.

43. Insbesondere begrüßt der Bundesrat, dass die Bundesregierung der Förderung einer umfassend nachhaltigen Entwicklung hohe Priorität zumisst und dem Umweltschutz eine zentrale Rolle bei der Erreichung der Wachstums- und Beschäftigungsziele von Lissabon einräumt.

44. Der Lissabon-Prozess zielt auf mehr und bessere Arbeitsplätze, einen größeren sozialen Zusammenhalt, nachhaltiges Wachstum und ein abgestimmtes Konzept zwischen den verschiedenen Politikbereichen. Diese Zielsetzungen und die des Göteborg-Gipfels, die ökonomische Entwicklung mit einer Verringerung negativer Umweltauswirkungen zu verbinden, beanspruchen aus Sicht des Bundesrates nach wie vor höchste politische Priorität.

45. Bei der Festlegung zukünftiger Maßnahmen im Rahmen der Lissabon-Strategie ist deshalb darauf zu achten, dass nicht eine ausschließliche Orientierung an der Wettbewerbsfähigkeit erfolgt. Der Bundesrat bittet, bei der Wahl der Instrumente die gesellschaftspolitischen Auswirkungen und die soziale und ökologische Nachhaltigkeit gleichrangig zu berücksichtigen, um zu einer ausgewogenen und tragfähigen und damit auch ökonomisch nachhaltigen Entwicklung zu gelangen. Es gilt die herausragende positive Wirkung des Umweltschutzes auf Innovations-, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung nachhaltig politisch zu verankern und zu fördern.

46. Der Bundesrat unterstützt die Position der Bundesregierung, für die Messung und Bewertung der Erreichung der Lissabon-Ziele über die bestehende Berichtssystematik hinaus keine weiteren Berichtspflichten vorzusehen.

47. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich bei der zukünftigen Evaluierung der Lissabon-Strategie dafür einzusetzen, dass neben Strukturindikatoren verstärkt Umweltindikatoren zu Rate gezogen werden, die belegen können, inwieweit die umweltschutzpolitischen Anforderungen und die Anforderungen einer umfassend nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Göteborger Beschlüsse erfüllt werden. Durch die Göteborger Beschlüsse wurde u. a. das Ziel formuliert, den Rückgang der Biodiversität in der EU bis zum Jahr 2010 zu stoppen.

Die Zielerreichung muss überprüfbar sein. Der Bundesrat begrüßt, dass die Bundesregierung für die Bewertung der Fortschritte neben quantitativen auch qualitative Elemente einfordert.