838. Sitzung des Bundesrates am 9. November 2007
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Agrarausschuss (A) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission im Rahmen ihrer Initiative zur besseren Rechtsetzung in der Mitteilung Vorschläge zur besseren Anwendung des Gemeinschaftsrechts unterbreitet.
- 2. Der Bundesrat betont die hohe Priorität, die er der korrekten und zeitnahen Umsetzung und Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten für das Funktionieren der EU beimisst. Er unterstützt die Kommission in ihrem Bestreben nach einer effizienteren Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Interesse und zum Wohle der Bürger und Bürgerinnen sowie Unternehmen.
- 3. Der Bundesrat begrüßt die Ankündigung der Kommission, als Präventionsmaßnahme den Aspekten der Umsetzung, Verwaltung und Durchsetzung bei der Ausarbeitung von Rechtsetzungsvorschlägen mehr Aufmerksamkeit zu widmen.
- 4. Er bittet die Kommission, die deutschen Länder durch frühzeitige Konsultation an den von ihr durchgeführten Folgenabschätzungen zu beteiligen.
- (bei Annahme entfällt Ziffer 5)
- 5. Er begrüßt nachdrücklich die Bereitschaft der Kommission, die deutschen Länder durch frühzeitige Konsultation an den von ihr durchgeführten Folgenabschätzungen zu beteiligen.
- 6. Der Bundesrat bittet die Kommission, die Länder künftig über die Einleitung von Folgenabschätzungen zu EU-Vorhaben über den Bundesrat systematisch zu informieren.
- 7. Die in Deutschland für den Vollzug und zum Teil auch für die legislative Umsetzung von EU-Recht zuständigen Länder können die Sachkenntnis und Erfahrung der Verwaltung vor Ort in den EU-Entscheidungsprozess einbringen.
- 8. Der Bundesrat befürwortet die Mehrzahl der von der Kommission vorgelegten Vorschläge als wirksamen Beitrag zur besseren Anwendung des Gemeinschaftsrechts. Der Bundesrat unterstützt insbesondere eine zügigere Bearbeitung von Anfragen und Beschwerden der Bürger und Bürgerinnen sowie Unternehmen zur korrekten Anwendung des Gemeinschaftsrechts. Der Bundesrat ist wie die Kommission der Auffassung, dass die von der Kommission vorgeschlagene veränderte Methodik des Umgangs mit solchen Anliegen zur Verringerung und effizienteren Abwicklung von Vertragsverletzungsverfahren beitragen kann. Die Absicht der Kommission, die Bearbeitung von Beschwerden in bestimmten Fällen auf die Mitgliedstaaten zu übertragen, hält der Bundesrat jedoch für problematisch. Die Kommission als Hüterin der Verträge sollte sich ihrer Verpflichtung nicht entziehen, bei ihr eingehende Beschwerden rechtlich zu beurteilen. Dabei sollte an der bisherigen Praxis festgehalten werden die Mitgliedstaaten bei der Entscheidungsfindung einzubeziehen.
- 9. Der Bundesrat begrüßt die Überlegungen der Kommission, Evaluierungsbestimmungen in neue Rechtsvorschriften aufzunehmen, um zu beurteilen, ob die Vorschriften die beabsichtigten Wirkungen zeitigen und die Umsetzungsmaßnahmen ausreichend sind. Bei der von der Kommission angekündigten Evaluierung bestehender Rechtsvorschriften hält der Bundesrat es für wichtig, bei festgestellten Durchsetzungsproblemen vor allem auch die Vereinfachung oder den Wegfall dieser Rechtsvorschriften zu prüfen.
- 10. Der Bundesrat betont, dass insbesondere auch im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik die Anforderungen an eine korrekte Umsetzung des Gemeinschaftsrechts ein sehr hohes Maß erreicht haben und diese Anforderungen nur durch einen erheblichen Einsatz von monetären und personellen Ressourcen auf Länder- und Bundesebene bewältigt werden können.
- 11. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, in den weiteren Beratungen auch künftig alle Möglichkeiten zum Abbau bestehender bürokratischer Auflagen für Bürger und Bürgerinnen, Wirtschaftsbeteiligte und Verwaltungen auszuschöpfen sowie neue bürokratische Lasten nach Möglichkeit zu vermeiden.
- 12. Der Bundesrat betont, dass im Rahmen der vorgesehenen Anpassungen bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts auch weiterhin die besonderen Verhältnisse föderal verfasster Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind. Regionen in der EU besitzen teilweise auch legislative Kompetenzen und sind nicht nur für den Vollzug von nationalem oder EU-Recht zuständig.
- 13. Der Bundesrat erwartet, dass in Bereichen, in denen nationale oder regionale Spielräume in der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht bestehen, dies auch in der Beurteilung der Frage einer gemeinschaftsrechtskonformen Umsetzung ihren Niederschlag findet. In diesem Zusammenhang sollten im Bedarfsfall entsprechende Auslegungshinweise durch EU-Dienststellen möglichst frühzeitig vorgelegt werden. Dies stellt einen wichtigen Beitrag zu höherer Rechtssicherheit einerseits und zu einer zuverlässigeren Abschätzung des Verwaltungsaufwandes andererseits dar.
- 14. Der Bundesrat begrüßt die Aufnahme des Themenbereichs Naturschutz in die Evaluierung und die Ankündigung einer gesonderten Kommissionsmitteilung zur Anwendung der gemeinschaftlichen Umweltgesetzgebung. Der Bundesrat unterstreicht die dringende Notwendigkeit, die beiden zentralen europäischen Naturschutzrichtlinien, die Vogelschutzrichtlinie (79/409/EWG) und die FFH-Richtlinie (92/43/EWG), zusammenzufassen und zu überarbeiten.
- 15. Er betont, dass der von beiden Richtlinien ursprünglich gewollte Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie in der Praxis zunehmend nachrangig wird.
Dies hat eine Entwicklung entstehen lassen, die den zentralen Zielen von Lissabon konträr entgegenläuft.
- 16. Der Bundesrat erwartet, dass die Kommission darüber mit den Mitgliedstaaten und den Regionen in einen Dialog tritt, und bietet ausdrücklich seine Unterstützung bei der Überarbeitung an.
- 17. Der Bundesrat begrüßt die Anregung der Kommission, die Erstausbildung und lebenslange Schulung von Richtern und Beamten im Gemeinschaftsrecht zu fördern betont aber, dass diese Unterstützung der Mitgliedstaaten durch die Kommission subsidiären Gesichtspunkten zu genügen hat und im Rahmen der Bestimmungen von Artikeln 149 und 150 EGV erfolgen muss.
- 18. Der Bundesrat begrüßt den Vorschlag der Kommission, den Vertragsverletzungsfällen mit den größten Risiken und weitreichenden Auswirkungen für Bürger und Unternehmen Priorität einzuräumen. Der Bundesrat sieht auch in den Kommissionsvorschlägen zur Stärkung des interinstitutionellen Dialogs und der Transparenz wichtige Lösungsansätze für eine bessere Anwendung des Gemeinschaftsrechts.
- 19. Der Bundesrat steht den Vorschlägen der Kommission in den folgenden Punkten kritisch gegenüber:
- 20. - Der Bundesrat bekräftigt seine Kritik an der geplanten verstärkten Nutzung von Verordnungen an Stelle von Richtlinien. Wie der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme vom 16. Februar 2007 - BR-Drucksache 871/06(Beschluss) - ausgeführt hat, kann eine Verordnung zwar im Einzelfall das geeignetere Regelungsinstrument sein. Grundsätzlich ist aus Gründen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit jedoch einer Richtlinie, die den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume bei der Umsetzung zur Berücksichtigung ihrer spezifischen Gegebenheiten belässt, der Vorzug zu geben.
- (bei Annahme entfällt Ziffer 21)
- 21. - Der Bundesrat bekräftigt seine Kritik an der geplanten verstärkten Nutzung von Verordnungen an Stelle von Richtlinien. Bei der Wahl des Rechtsinstruments sind Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zu wahren. Die Wahl des Rechtsinstruments muss sich zudem an der zu regelnden Materie orientieren und sollte den notwendigen Bürokratieaufwand und das Haftungsrisiko bei Umsetzungsfehlern minimieren. Nicht zuletzt ist zu beachten dass den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume bei der Umsetzung zur Berücksichtigung ihrer spezifischen Gegebenheiten belassen werden. Die Eignung des jeweiligen Rechtsmittels ist daher im Einzelfall zu prüfen. Der Bundesrat begrüßt insofern, dass künftig die Optionen zur Umsetzung von Rechtsvorschriften und die Wahl des Rechtsinstruments in die Folgenabschätzung einbezogen werden sollen.
- 22. - Vorgaben der Kommission in Form von Leitlinien können zwar einer besseren Umsetzung und Anwendung neuer Rechtsvorschriften förderlich sein. Dabei ist jedoch strikt darauf zu achten, dass die Leitlinien keinen zusätzlichen bürokratischen Aufwand verursachen. Die Ziele der Rechtsvereinfachung und des Bürokratieabbaus dürfen nicht durch umfangreiche Leitlinien konterkariert werden. Der Bundesrat weist zudem darauf hin, dass Leitlinien Rechtsvorschriften weder ändern noch verbindlich auslegen können. Sie geben lediglich die Meinung der Kommission zu einer Rechtsvorschrift wieder. Eine irgendwie geartete rechtliche Bindungswirkung kommt Leitlinien nicht zu.
- Die Überlegung der Kommission, bei Rechtsetzungsvorschlägen zukünftig systematisch die Benennung von Kontaktstellen zu verlangen und nach jeder neuen Maßnahme Netze für den Informationsaustausch zu errichten, darf nicht zu einem erheblichen zusätzlichen Kosten-, Verwaltungs- und Bürokratieaufwand führen.
- In der Interinstitutionellen Vereinbarung zur "Besseren Rechtsetzung" ist festgelegt dass der Rat darauf hinwirkt, "dass die Mitgliedstaaten für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Gemeinschaft eigene Aufstellungen vornehmen aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen von Richtlinien und Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese veröffentlichen" (EU-ABl. Nr. C 321, S. 1 vom 31. Dezember 2003). Eine generelle Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Erstellung derartiger Aufstellungen besteht danach nicht. In der vorliegenden Mitteilung kündigt die Kommission nun jedoch an, in jeden Richtlinienvorschlag die Verpflichtung zur Übermittlung einer Korrelationstabelle aufzunehmen und nach Verabschiedung der Richtlinie den Mitgliedstaaten Mustertabellen dafür vorzugeben.
Der Bundesrat erkennt die Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen Umsetzung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts an. Korrelationstabellen können ein wichtiges Hilfsmittel, aber nicht alleiniger Maßstab für die korrekte Umsetzung von Gemeinschaftsrecht sein. Sie räumen insbesondere den in den Mitgliedstaaten mit der Umsetzung beauftragten Stellen die Möglichkeit ein, sich über die Art und Weise der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht in anderen Mitgliedstaaten zu informieren. Der Bundesrat befürchtet jedoch, dass die von der Kommission für jede Richtlinie geforderte Erstellung von Korrelationstabellen durch die Mitgliedstaaten überzogenen bürokratischen Aufwand auslösen wird. Hierüber sollte wie bisher von Fall zu Fall entschieden werden. Generell sollte der bürokratische Aufwand bei der Erstellung von Entsprechungstabellen minimal gehalten werden.
- 23. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.