Der Bundesrat hat in seiner 838. Sitzung am 9. November 2007 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.
Anlage
Entschließung des Bundesrates "Das europäische Naturschutzrecht evaluieren und zukunftsfähig ausgestalten"
Die Kommission hat sich in der Mitteilung "Ein Europa der Ergebnisse - Anwendung des Gemeinschaftsrechts" (KOM (2007) 502 endg.) dazu bereit erklärt, das europäische Naturschutzrecht künftig zu evaluieren und darüber mit den Mitgliedstaaten und Regionen in einen Dialog zu treten. Der Bundesrat unterstreicht die Notwendigkeit der Weiterentwicklung, Zusammenfassung und Modernisierung der Richtlinie 79/409/EWG (Vogelschutzrichtlinie) und der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie). Der Bundesrat hält folgende Punkte bei der geplanten Evaluierung dieser Richtlinien für besonders wichtig:
- 1. Wichtige Zielsetzung ist es, die europäischen Schutzgebiete nach einem einheitlichen Verfahren festzusetzen und das ökologische Netzwerk "Natura 2000" in diesem Rahmen fortzuentwickeln. Dabei sollte auch die Ausweisung von europäischen Vogelschutzgebieten zu einem Abschluss gebracht werden. Beim derzeitigen Verfahren der Vogelschutzrichtlinie ist kein förmlicher Abschluss vorgesehen, so dass immer wieder neue Vogelschutzgebiete in die Diskussion kommen. In diesen Gebieten, die dann als faktische Vogelschutzgebiete eingestuft werden, gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ein strenges Beeinträchtigungsverbot. Wie schon bei der FFH-Richtlinie sollte auch für die Meldung der Vogelschutzgebiete ein Verfahren festgelegt werden, nach dem die zu schützenden Gebiete zwischen dem Mitgliedstaat und der Kommission abgestimmt und abschließend definiert werden. Dabei sollten angesichts der beträchtlichen Flächenanteile nunmehr auch den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur Rechnung getragen werden.
- 2. Weiterhin ist die Harmonisierung des Schutzregimes erforderlich. Nicht nachvollziehbar ist, dass für europäische Vogelschutzgebiete nach den Vorgaben der Vogelschutzrichtlinie eine förmliche Ausweisung durch Rechtsvorschriften erforderlich ist, während für FFH-Gebiete der Schutz über Verträge, Verwaltungsvorschriften oder das Eigentum bestimmter Träger ausreichen kann. Diese rechtlichen Ungereimtheiten führen bei den Bürgern zu wenig Verständnis und schwächen die Akzeptanz des europäischen Naturschutzes. Gerade das Instrument des Vertragsnaturschutzes ist hier von Bedeutung, zumal hoheitliche Schutzinstrumente angesichts der Tatsache, dass insbesondere Rastgebiete und viele nach der FFH-Richtlinie zu schützende Biotoptypen sehr häufig auf bestimmte Formen der Nutzung angewiesen sind, in vielen Fällen sich eher als kontraproduktiv erweisen.
- 3. Eine Modernisierung und Zusammenfassung kann einen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten. In Deutschland sind bis zu ca. 80% der Vogelschutzgebiete zugleich auch als FFH-Gebiet gemeldet. Sinnvoll wären künftig die Vereinheitlichung der Bewertungsmaßstäbe für alle im Gebiet vorkommenden Lebensraumtypen und Arten einschließlich der Vogelarten. Dazu sollten die in der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Arten in die Anhänge der FFH-Richtlinie integriert und beide Richtlinien zu einer "Natura 2000"-Richtlinie zusammengefasst werden.
- 4. Ein weiterer Vorteil der Zusammenfassung beider Richtlinien ergäbe sich aus der Vereinheitlichung der zurzeit parallel geführten Unterlagen (Gebietskarten und Standarddatenbögen). Außerdem würde die Zusammenfassung zur Vereinheitlichung der zurzeit unterschiedlichen Aktualisierungszyklen der Unterlagen und der Abgabe der nationalen Berichte führen. Diese sollten dann, wie jetzt bereits für die FFH-Richtlinie, einheitlich der Kommission übermittelt werden.
- 5. Durch das Urteil des EuGH vom 10. Januar 2006 - Rs C-98/03 - zur Umsetzung der rechtlichen Vorgaben der FFH-Verträglichkeitsprüfung in deutsches Recht wird erkennbar, dass die Richtlinie einen sehr weiten und konturenlosen Projektbegriff enthält. Da den nationalen Gesetzgebern abschließende Definitionen so verwehrt sind, können Bürgerinnen und Bürger nicht erkennen, welche Tätigkeiten einer Verträglichkeitsprüfung bedürfen. Die FFH-Richtlinie ist folglich dahingehend zu ändern, dass die möglichen beeinträchtigenden Projekte genauer und vollzugstauglich definiert werden. Es läge nahe, die Verträglichkeitsprüfung im Wesentlichen auf solche Vorhaben zu beschränken, die nach der UVP-Richtlinie einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder als Pläne einer strategischen Umweltprüfung bedürfen.
- 6. Im Interesse einer eindeutigen Abgrenzung der Verantwortung für den ordnungsgemäßen Vollzug des "Natura 2000"-Rechts sollte in der neu gefassten Richtlinie auf die Einholung einer Stellungnahme der Kommission bei der Betroffenheit von prioritären Lebensraumtypen und Arten verzichtet werden ( Artikel 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie). Dies entspricht dem Grundsatz der Subsidiarität und trägt zur Beschleunigung von Zulassungsverfahren bei.
- 7. Die Vorkommen von Lebensraumtypen und Arten sind natürlichen und nicht oder nur schwer beeinflussbaren Änderungen unterworfen. Dies kann zu räumlichen Verschiebungen von Habitaten, Vergrößerungen aber auch zum Verlust von Vorkommen führen. Für die dann notwendige Anpassung der Schutzgebietskulisse stellt die FFH-Richtlinie in Artikel 9 eine unzureichende Regelung zur Verfügung; die Vogelschutzrichtlinie kennt überhaupt keine entsprechende Vorschrift. Hier bedarf es einer ergänzenden Regelung, die auch eine Herausnahme von funktionslos gewordenen und durch Kohärenzflächen ersetzten Flächen aus der Schutzgebietskulisse ermöglicht.
- 8. Ferner sollten die unterschiedlichen Bestimmungen zum Schutz der Anhang-IV-Arten in Artikel 12 ff. der FFH-Richtlinie und die entsprechenden Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie (Artikel 5, 9), die dieselbe Zielrichtung verfolgen, vereinheitlicht werden. Entsprechend der Konzeption des Übereinkommens über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume vom 19. September 1979 ("Berner Konvention"), dessen Umsetzung die Naturschutzrichtlinien dienen, sollte das Artenschutzrecht auf gezielte Beeinträchtigungen der geschützten Tier- und Pflanzenarten beschränkt werden. Das Verhältnis des Artenschutzes zur Land- und Forstwirtschaft sowie zu Eingriffen sollte nach dem bewährten deutschen Vorbild neu bestimmt werden.
- 9. FFH- und Vogelschutzrichtlinie können praktischer- und sinnvollerweise nur in einem dynamischen Schutzkonzept umgesetzt werden. Dies klingt auch in den Erwägungsgründen und in den allgemeinen Vorschriften der FFH-Richtlinie an. Es besteht jedoch die Gefahr, dass der an sich dynamische Gebietsschutz im Zuge der Rechtsprechung zur Verträglichkeitsprüfung zunehmend im Sinne einer statischen Schutzkonzeption verstanden wird, die verlangt, Lebensraumtypen und Arten an Ort und Stelle und auf Dauer zu erhalten. Habitatverlagerungen durch Konkurrenten oder in Folge des Klimawandels werden so aber ausgeblendet; ebenso die Tatsache, dass Europa in weiten Teilen aus Kulturlandschaften besteht und viele zu schützende Biotoptypen, beispielsweise Flachlandmähwiesen oder Wälder von bestimmten Nutzungsformen abhängig sind. Daher sollte der dynamische Ansatz zusätzlich im Text der Richtlinie verankert und klargestellt werden, dass Bewahrung oder Wiederherstellung günstiger Erhaltungszustände die Erhaltung des Gesamtumfangs der Vorkommen innerhalb der von einem Land gemeldeten Kulisse meint.
- 10. Die Anhänge der Richtlinie sollten mit der Maßgabe überarbeitet werden, dass Schutzgebiete nur für wirklich gefährdete Tierarten und Biotoptypen auszuweisen sind. In den zu überarbeitenden Anhang IV sollten nur solche Tier- und Vogelarten aufgenommen werden, deren Bestände gefährdet sind und die sinnvoll durch das System des Zugriffs- und Handelsartenschutzes geschützt werden können.