Der Bundesrat hat in seiner 944. Sitzung am 22. April 2016 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat befürwortet das Vorhaben, den freien Verkehr mit Kraftfahrzeugen und deren Anhängern im Binnenmarkt durch den Erlass harmonisierter Anforderungen zu erleichtern. Es wird begrüßt, das bestehende Typgenehmigungsverfahren zu verbessern und eine effektive Kontrolle zu ermöglichen.
- 2. Er weist angesichts des zur Wahrung des Gesundheitsschutzes eingeleiteten EU-Vertragsverletzungsverfahrens sowie verschiedener bei deutschen Gerichten anhängiger Klageverfahren und der offenbar gewordenen Diskrepanzen zwischen den EU-Abgasstandards und den realen Fahrzeugemissionen erneut auf den akuten Handlungsbedarf zur Minderung der NO₂ Belastung in den Ballungsräumen hin. Er begrüßt insofern die mit dem EU-Verordnungsvorschlag unter Berücksichtigung des VW-Skandals vorgesehenen Regelungen zur Typgenehmigung und zur Marktüberwachung. Dazu ist die stärkere Unabhängigkeit der mit der Fahrzeugprüfung betrauten technischen
Dienste ebenso sachgerecht und notwendig wie die Verbesserung der Fahrzeugprüfungen sowie die Einführung einer wirksamen Marktüberwachung für bereits in Betrieb befindliche Fahrzeuge.
- 3. Der Bundesrat unterstützt ausdrücklich das Ziel des Vorschlags, dass die Typgenehmigungsverfahren zukünftig korrekt und harmonisiert durchgeführt werden, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Fähigkeit des Regelwerks wiederherzustellen und ein angemessenes Maß an Gesundheitsund Umweltschutz zu gewährleisten.
- 4. Er bittet die Bundesregierung, sich für eine schnelle Umsetzung dieser Regelungen einzusetzen, damit künftig sichergestellt wird, dass sowohl Neufahrzeuge als auch im Verkehr befindliche Fahrzeuge die maßgeblichen Vorschriften einhalten. Er fordert sie zudem auf, die schnellstmögliche Festlegung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen sicherzustellen.
- 5. Vor diesem Hintergrund bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich im weiteren Rechtsetzungsverfahren dafür einzusetzen, dass künftig
- - von unabhängiger Stelle eine ausreichend große und repräsentative Stichprobe neuer, zufällig ausgewählter Kfz-Modelle durch Tests zur Ermittlung der Emissionen im praktischen Fahrbetrieb auf die Einhaltung der in der EU für Luftschadstoffe und CO₂ geltenden Grenzwerte geprüft und mit den Werten der Typgenehmigung abgeglichen wird, - im Rahmen einer wirksamen Marktüberwachung von unabhängiger Stelle regelmäßig Emissionstests bei in Betrieb befindlichen Fahrzeugen mit unterschiedlichen Kilometerständen durchzuführen sind,
- - der bestehende Interessenkonflikt zwischen den Kfz-Herstellern und den mit der Fahrzeugprüfung betrauten technischen Diensten, die bisher von den Herstellern bezahlt werden, aufgehoben und die Unabhängigkeit dieser Dienste sichergestellt wird,
- - die Marktüberwachungsbehörden verpflichtet werden, die Ergebnisse der Marktüberwachung, insbesondere hinsichtlich der realen Emissionen der Fahrzeuge, zu veröffentlichen.
Zu den einzelnen Vorschriften
- 6. Im weiteren Rechtsetzungsverfahren der EU wird die Bundesregierung gebeten, sich für eine Verbesserung in folgenden Einzelpunkten einzusetzen.
Zu Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe c
- 7. In Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe c ist der Begriff "Schienenfahrzeuge" durch "Gleiskettenfahrzeuge" zu ersetzen, da Schienenfahrzeuge nicht in den Geltungsbereich der EU-Verordnung zur Genehmigung von Straßenfahrzeugen fallen (gegebenenfalls Übersetzungsfehler).
Zu Artikel 6 Absatz 3
- 8. In Artikel 6 Absatz 3 sind unbedingt die Abmessungen und Gesamtmassen und Achslasten der Richtlinie 96/53/EG zu berücksichtigen (gegebenenfalls Übersetzungsfehler "dimensions").
Zu den Artikeln 6, 9 und 30
- 9. Der Bundesrat geht davon aus, dass auch die Kosten der Feldüberwachung im Rahmen der in Artikel 30 vorgesehenen nationalen Gebührenordnung abgedeckt werden. Er bittet die Bundesregierung, dies sicherzustellen.
- 10. Er bittet die Bundesregierung zudem, die öffentliche Bekanntgabe der Ergebnisse für Untersuchungen einzufordern.
Zu Artikel 30 in Verbindung mit Artikel 86
- 11. Artikel 30 in Verbindung mit Artikel 86 fordert nationale Gebührenordnungen unter anderem für Typgenehmigung und Prüfungen, die aufgrund des sehr unterschiedlichen nationalen Marktpreisniveaus für Dienstleistungen in den EU-Mitgliedstaaten zu erheblichem Genehmigungs- und Prüfungstourismus führen können, was den Wettbewerb im freien EU-Binnenmarkt verzerren kann. Hier ist auch ein Ausgleich für die Marktüberwachung in anderen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen, welche die Typgenehmigung nicht ausgestellt haben.
Zu Artikel 33
- 12. Artikel 33 begrenzt die maximale Gültigkeit von Typgenehmigungen für Fahrzeuge der Klassen M, N und O, also Pkw, Omnibusse, Lkw, (Sattel-) Zugmaschinen und Anhänger sowie deren Zubehör- oder Austauschteile auf fünf Jahre.
Die fallweise zugrundeliegenden Regelungen der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (United Nation Economic Commission for Europe - UN/ECE) kennen im Allgemeinen keine solche Gültigkeitsbegrenzung, was Wettbewerbsverzerrungen verursachen kann.
Auch sollte im Verordnungsvorschlag zumindest für einzelne Teile mit langer gleichartiger Produktion und Lebensdauer wie zum Beispiel Anhängerkupplungen die Möglichkeit einer längeren Typgenehmigungs-Gültigkeit im begründeten Einzelfall geschaffen werden.
Für eine Erneuerung der Geltung nach Artikel 33 werden für die EU-Typgenehmigungsbehörden berechtigt strenge Vorgaben zur Prüfung der weiteren Vorschriftsmäßigkeit von Fahrzeugen, Zubehör- oder Austauschteilen gemacht.
Da aber UN/ECE-Regelungen zum Beispiel nach Artikel 60 und 61 und Anhang IV Teil II als gleichwertig anerkannt werden, müssen auch Genehmigungen der anderen 27 Staaten anerkannt werden, die nicht dem strengen EU-Reglement unterliegen, aber Mitglieder der UN/ECE sind. Dies kann Wettbewerbsverzerrungen verursachen.
Zu Artikel 34
- 13. Der Bundesrat fordert, dass die Kommission von ihrer Ermächtigung nach Artikel 34 Absatz 2 Satz 2 frühzeitig Gebrauch macht und ein einheitliches Formular mit vorgeschriebenen Merkmalen hinsichtlich der Fälschungssicherheit einführt. Dabei wäre dann auch zu regeln, dass relevante Überschriften in allen Amtssprachen der Union im Formular aufgeführt werden.
Zu Artikel 35
- 14. In Artikel 35 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 11 Absatz 2 sollten in der finalen Übereinstimmungsbescheinigung (Certificate of Conformity - CoC) von Fahrzeugen mit Mehrstufen-Genehmigungen auch alle früheren Hersteller genannt werden.
Zu Artikel 42 bis 45
- 15. In Artikel 42 und 43 finden sich keine "qualitativen Kriterien" für die EU-oder nationalen Einzelgenehmigungen "neuer" Fahrzeuge ("Fahrzeugidentität" betreffend Erstzulassung). Damit können weiterhin nach nationalen Regelungen auch aus alten Teilen zusammengebaute Fahrzeuge neu in den Verkehr kommen, ohne die aktuell geltenden Vorschriften erfüllen zu müssen.
Der Bundesrat empfiehlt weiterhin, auch den quantitativen Anwendungsbereich des Einzelgenehmigungsverfahrens durch eine ergänzende Stellungnahme seitens der Kommission oder, soweit erforderlich, durch Änderung des Verordnungstextes genauer zu definieren. Durch eine Klarstellung, in welchen Fällen die Einzel- und in welchen die Typengenehmigung einschlägig ist, kann eine uneinheitliche Anwendung der Verfahren besser vermieden werden (vergleiche zum Beispiel Anhang XII).
Zu Artikel 46 und 47
- 16. Die Bestimmungen der Artikel 46 und 47 über die Bereitstellung auf dem Markt, Zulassung oder Inbetriebnahme von Fahrzeugen, deren Übereinstimmungsbescheinigung durch nachträgliche Änderungen von Typgenehmigungsvorschriften ungültig wurde, bedürfen dringend einer weiteren Überarbeitung. Dies betrifft nicht allein die vorgeschlagene Typ-Genehmigungsverordnung, sondern grundsätzlich die Übergangsvorschriften in den technischen Vorschriften (Sicherheit, Schadstoff- und Geräuschemissionen et cetera).
Die Vorschriftsmäßigkeit von Fahrzeugen muss sich künftig auf das Fertigungsdatum beziehen, auf das auch in Artikel 34 Absatz 1 hinsichtlich der Zweitschrift der Übereinstimmungsbescheinigung Bezug genommen wird.
Die bisherigen Regelungen, die auch im vorliegenden Entwurf übernommen wurden, sind völlig ungeeignet, um Vorschriftenänderungen im Markt durchzusetzen. Da neu gefertigte Fahrzeuge nicht wieder verschrottet werden können, bleibt nur die Möglichkeit von Tageszulassungen, was den dadurch bedingten merkantilen Wertverlust zugunsten der Fahrzeughersteller einseitig den Händlern anlastet, ohne Fahrzeuge alten Genehmigungs- bzw. Fertigungs-Rechtstandes real vom Verkehr fernhalten zu können. Das vorgesehene Verfahren zur Behandlung auslaufender Serien wäre dann nicht mehr erforderlich.
Zu Artikel 47
- 17. Die Bestimmungen in Artikel 47 Absatz 4 und 5 über die Genehmigung von Fahrzeugen auslaufender Serien (Lagerfahrzeuge) sind nicht stimmig. Nach deutschem wie englischem Wortlaut ist ein Antrag des Fahrzeugherstellers mit den FIN-Nummern der Lagerfahrzeuge zentral bei der Typgenehmigungsbehörs EU-Mitgliedstaats zu stellen, der die Typgenehmigung erteilt hat. Über diesen soll aber später die nationale Behörde für ihren EU-Mitgliedstaat entscheiden. Die Lagerfahrzeuge in den übrigen 27 EU-Mitgliedstaaten wären somit rechtlich nicht handelbar.
Antragsberechtigt nach Artikel 47 sind wie bisher nur die Fahrzeughersteller. Diese können Lagerfahrzeuge ihrer markengebundenen Händler bevorzugen. Dies diskriminiert markenungebundene freie Händler und behindert den freien EU-Binnenmarkt.
Die Änderung ist entbehrlich, wenn dem Vorschlag nach Ziffer 17 gefolgt wird und das Fertigungsdatum als einzig relevanter Zeitpunkt hinsichtlich der Vorschriftsmäßigkeit festgelegt wird.
Zu Artikel 55
- 18. In Artikel 55 in Verbindung mit Anhang XIII wird die Autorisierung für bestimmte Systeme und Teile gefordert. Der Anhang XIII ist seit 2007 ohne Inhalt, was die Regelung entwertet. Dies sollte unverzüglich behoben werden.
Zu Artikel 91
- 19. Der Bundesrat beklagt die immer größere Diskrepanz zwischen den auf dem Prüfstand ermittelten CO₂-Emissionen bzw. dem Kraftstoffverbrauch und den realen Emissionen bzw. Verbrauchswerten. Dies täuscht nicht allein Verbraucherinnen und Verbraucher. Auf den unrealistisch niedrigen Prüfstandswerten fußen auch die Bemessungen der Kfz-Steuer und das CO₂ Flottenziel gemäß der Verordnung über die CO₂-Emissionen neuer Pkw sowie Prognosen zu CO₂-Minderungen im Verkehrssektor zum Schutze des Klimas. Infolge dessen kommt es zu Mindereinnahmen bei der Kfz-Steuer und nur vermeintlich CO₂-armen Fahrzeugflotten.
- 20. Der Bundesrat begrüßt die vorgesehene Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 durch Einführung einer stichprobenartigen Überprüfung der auf dem Prüfstand gemessenen Werte mit den im praktischen Fahrbetrieb gemessenen CO₂-Emissionen bzw. dem Kraftstoffverbrauch. Dies kann aber nur ein erster Schritt sein, dem weitere Schritte folgen müssen, um dem Missstand abzuhelfen.
Zu Anhang IV Teil I Nummer 4A
- 21. In Anhang IV Teil I Nummer 4A fehlen noch immer Bestimmungen über die vordere Anbaufläche für amtliche Kennzeichen.
Zu Anhang IV Teil I Nummer 44A und 48A
- 22. In Anhang IV Teil I können jeweils die Nummern 44A und 48A redaktionell zusammengefasst werden, da die Bestimmungen für alle Fahrzeuge der Klassen M, N und O in der Verordnung (EU) Nr. 1230/2012 zusammengefasst sind.
Zu Anhang IV Teil III Anlage 6
- 23. Die Überschrift für Anlage 6 des Anhangs IV Teil III nennt "Anhänger für Schwerlasttransporte". Diese Anlage regelt aber auch Schwerlast-Zugmaschinen der Fahrzeugklasse N3. Es handelt sich um eine Berichtigung eines redaktionellen Fehlers.
Zur Vorlage im Übrigen
- 24. Der Bundesrat weist mit Nachdruck darauf hin, dass zur Einhaltung der Luftreinhaltungsvorgaben ambitionierte Grenzwerte für Stickoxidemissionen und deren konsequente Durchsetzung dringend erforderlich sind. Im Sinne eines vorsorgenden Umwelt- und Gesundheitsschutzes ist der Ausstoß von Luftschadstoffen an der Quelle zu reduzieren.
- 25. Er bittet die Bundesregierung, sich weiterhin für die zur Erreichung der im 7. Umweltaktionsprogramm benannten Luftreinhaltungsziele notwendigen Regelungen und die Kohärenz von nationalen und europäischen Umweltvorschriften einzusetzen.
Zu weiteren Maßnahmen
- 26. Der Bundesrat weist darauf hin, dass nach dem Grundgesetz die Aufgaben für die Marktüberwachung im Grundsatz den Ländern obliegen, wobei es im Einzelfall Ausnahmen gibt. Er vertritt jedoch die Auffassung, dass für die im Verordnungsvorschlag vorgesehene Marktüberwachung die Einrichtung einer zentralen Stelle sachgerecht ist, weil dadurch die einheitliche Vorgehensweise in Deutschland und einfachere Abstimmung mit den Behörden anderer Mitgliedstaaten bzw. der Kommission gewährleistet werden kann und zudem deutlich geringere Kosten im Vergleich zu 16 parallelen Organisationseinheiten in den Ländern entstehen. Zudem sind auf Bundesebene bereits beträchtliche Erfahrungen bei der technischen Prüfung von Fahrzeugen und deren Bauteilen vorhanden.
- 27. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, nach Verabschiedung des Regelwerks eine Durchführungsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen, in der eine bundesweit zentrale und unabhängige Stelle mit der Zuständigkeit der Marktüberwachungsaufgaben festgelegt wird.
- 28. Er stellt fest, dass trotz der auf EU-Ebene beschlossenen Regelungen zur Messung der Abgase im realen Fahrbetrieb (RDE-Verfahren) mittelfristig keine Entschärfung der Luftproblematik in den Städten (insbesondere durch NOx und Feinstaub PM10) absehbar ist. Der Bundesrat fordert deshalb die Bundesregierung auf, bis zur Umsetzung des neuen Typgenehmigungsrahmen und einer wirksamen Marktüberwachung die in der Vergangenheit durch Felduntersuchungen des Umweltbundesamtes praktizierten Emissionstests im Kfz-Bestand wieder einzuführen.