Der Bundesrat hat in seiner 842. Sitzung am 14. März 2008 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission einen Vorschlag für die Weiterführung des Europäischen Emissionshandels nach dem Jahr 2012 vorgelegt hat.
- 2. Der Vorschlag zur Anpassung der Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG als Teil des Klima- und Energiepakets der Kommission untermauert die Bereitschaft, konkrete Fortschritte im Klimaschutz zu erreichen und ist deshalb - aber auch wegen seiner Signalwirkung für die weiteren internationalen Klimaverhandlungen - zu begrüßen.
- 3. Mit den darin enthaltenen wesentlichen Änderungen des im Jahr 2005 eingeführten Emissionshandelssystems erkennt auch die Kommission dessen gravierende Mängel, insbesondere die dadurch verursachten Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten, an.
Der Bundesrat hatte bereits in seiner Stellungnahme zu dem damaligen Richtlinienvorschlag der Kommission auf zahlreiche Probleme hingewiesen und wesentliche Änderungen gefordert, die jedoch unterblieben (vgl. BR-Drucksache 314/02(Beschluss) vom 26. April 2003). Auch der späteren Forderung des Bundesrates, zumindest mit Wirkung für den Allokationszeitraum 2008 bis 2012 die EU-Richtlinie grundlegend zu überarbeiten, wurde nicht nachgekommen obwohl Fehlentwicklungen bereits deutlich erkennbar waren. (vgl. BR-Drucksache 136/05(B) vom 29. April 2005).
- 4. Der Bundesrat erkennt grundsätzlich das Bemühen der Kommission an, durch EU-weit einheitliche Zuteilungen Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten zu vermeiden und den wirtschaftlichen Zwängen im internationalen Wettbewerb stehender Unternehmen durch kostenlose Zuteilungen Rechnung zu tragen. Er hält dies für unverzichtbar. Der von der Kommission vorgelegte Vorschlag bedarf an zahlreichen Stellen einer vertieften Prüfung, der Klärung offener Fragen und der Korrektur, um auch unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes unerwünschte Produktionsverlagerungen zu vermeiden.
Wesentlichen Beratungs- und daraus folgend Änderungsbedarf sieht der Bundesrat insbesondere bei nachfolgenden Punkten:
- 5. Nach den Vorstellungen der Kommission sollen die Treibhausgas-Emissionen der am Emissionshandel beteiligten Anlagen EU-weit mit 21 Prozent weit stärker reduziert werden als in anderen Sektoren mit 10 Prozent (jeweils bis zum Jahr 2020 gegenüber dem Jahr 2005). Hinzu kommt, dass es bis zum Inkrafttreten eines künftigen internationalen Klimaschutzübereinkommens nur in einem begrenzten Umfang den in den Emissionshandel einbezogenen Anlagen möglich sein soll, Gutschriften aus Projekten in Drittländern zu nutzen.
Eine zu rigide Verknappung der Emissionsrechte führt unweigerlich zu stark steigenden Zertifikatspreisen, wodurch die Anlagen belastet würden, die Zertifikate erwerben müssen. Da die Zertifikatspreise in die Strompreise einkalkuliert werden würden zudem auf alle Stromverbraucher höhere Kosten zukommen.
Damit würde eine zu geringe Ausgabe von Emissionsrechten sowohl die privaten Haushalte beträchtlich belasten als auch zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen für den Wirtschaftsstandort Europa führen.
Um dies zu vermeiden, ist sorgfältig zu prüfen, ob die von der Kommission vorgeschlagene Lastenverteilung zwischen den in den Emissionshandel einbezogenen Anlagen und den nicht einbezogenen Sektoren mit den jeweiligen technischwirtschaftlichen Minderungsmöglichkeiten korreliert. Die Lastenverteilung ist so vorzunehmen, dass die gesamtwirtschaftlichen Kosten der insgesamt angestrebten Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen um 20 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 minimiert werden.
- 6. Der Bundesrat begrüßt die Bestrebungen der Kommission, bei der Fortschreibung der EU-Emissionshandelsrichtlinie einheitliche Zuteilungsregeln zu schaffen und damit gleiche Klimaschutzanstrengungen einzufordern. Dieser Ansatz ist aber nicht zielführend, wenn Umverteilungsvorstellungen in die Budgetierung und Allokation aufgenommen werden. Unterlassene Anstrengungen einzelner Staaten zur Erfüllung der Minderungsverpflichtungen aus dem Abkommen von Kyoto würden nachträglich belohnt werden. Für Deutschland würde der Entzug von Zertifikate-Budgets einen Nachteil für die bereits erbrachten Minderungsleistungen bedeuten.
- 7. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei den Verhandlungen für eine Gleichbehandlung der Staaten bei der Ausgestaltung des Europäischen Emissionshandelssystems ab 2013 und gegen systemfremde Überfrachtungen einzutreten.
Sollten Umverteilungen dennoch vorgenommen werden, so sind die deutschen Vorleistungen zu berücksichtigen.
- 8. Die vorgeschlagenen, nur rudimentären Regelungen für die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten sind nicht akzeptabel.
Die konkreten Zuteilungsregeln und die Ausnahmen von der schrittweisen Abschaffung der kostenfreien Zuteilung für besonders energieintensive Industriebranchen im internationalen Wettbewerb sollen erst sehr spät (2010/2011) und lediglich im Komitologie-Verfahren festgelegt werden. Die Zuteilungs- und Ausnahmeregelungen bedürfen einer kurzfristigen und verbindlichen Konkretisierung im Richtlinienvorschlag selbst bzw. in einem Verfahren der Mitentscheidung spätestens im Jahr 2010.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch für die Energieerzeugung im produzierenden Gewerbe die gleichen Aspekte, insbesondere die des Wettbewerbsdrucks, gelten wie für die prozessbedingten Treibhausgas-Emissionen. Für die Emissionen industrieller Energieerzeugungsanlagen sollen deshalb für den Teil der Eigennutzung ebenfalls kostenfreie Zuteilungen auf der Basis des Standes der Technik erfolgen.
Es ist nicht hinnehmbar, dass die Kommission erst bis zum 30. Juni 2011 gemeinschaftsweite und vollständig harmonisierte Durchführungsbestimmungen für diese EU-weit kostenlose Zuteilung erlassen und auch erst zu diesem Zeitpunkt Vorschläge für Maßnahmen zur Unterstützung bestimmter energieintensiver Industrien vorlegen will. Bis dahin bleibt unklar, ob diese ab 2013 eine kostenlose Zuteilung erhalten oder nicht.
Für energieintensive Industriebranchen im internationalen Wettbewerb (z.B. chemische -, Eisen- und Stahlindustrie) sollte eine kostenfreie Zuteilung auf der Basis von EU-weiten Benchmarks auch nach 2012 erfolgen. Den vorgesehenen Regelungen in Artikel 10 und Artikel 10a zur Versteigerung bzw. kostenfreien Zuteilung von Zertifikaten fehlt es an Transparenz, Verbindlichkeit und Eindeutigkeit.
Es muss bereits jetzt in der Richtlinie für den Zeitraum 2013 bis 2020 detailliert festgelegt werden, dass die im internationalen Wettbewerb stehenden Anlagen genügend kostenlose Zertifikate auf der Basis EU-weiter brennstoffbezogener Benchmarks erhalten, um sowohl unter Arbeitsplatz- als auch Klimaschutzaspekten negative Produktionsverlagerungen zu vermeiden. Eine solche Festlegung bereits in der Richtlinie ist erforderlich, um für die betroffenen Unternehmen die benötigte Planungs- und Investitionssicherheit zu gewährleisten.
Eine - auch teilweise - Versteigerung von Zertifikaten für Industrieanlagen lehnt der Bundesrat zumindest solange ab, wie kein internationales Abkommen mit vergleichbaren anspruchsvollen Anforderungen für Wettbewerber in außereuropäischen Ländern vorliegt.
- 9. Der Bundesrat hält ebenso die Absicht der Kommission für problematisch, bereits ab 2013 die Zertifikate für den Stromsektor vollständig zu versteigern.
Da in diesem Fall auf Benchmarks für die Zuteilung vollständig verzichtet wird, entfallen Anreize für den Ersatz alter durch neue hoch moderne Kraftwerke, die mit demselben Brennstoff weiter betrieben werden sollen. Genau dies ist aber in den nächsten Jahren für viele Kraftwerke in Deutschland vorgesehen. Die vollständige Auktionierung der Zertifikate wirkt daher für diese Vorhaben als massives Investitionshindernis und verschenkt die großen CO₂-Einsparpotentiale, die mit einer Kraftwerkserneuerung verbunden sind. Dies muss durch geeignete Regelungen verhindert werden.
- 10. Die in Artikel 11a des Richtlinienvorschlags vorgesehene Begrenzung der Nutzungsmöglichkeiten von Gutschriften (ERU/CER) aus projektbasierten Mechanismen ist kontraproduktiv im Hinblick auf das Ziel eines kosteneffizienten Klimaschutzes. Die Möglichkeiten zur Nutzung von CER und ERU aus Projektmaßnahmen sollten weniger stark eingeschränkt werden.
- 11. Die Absicht der Kommission, die Nutzung projektorientierter Mechanismen, wie Clean Development Mechanismen (CDM - Emissionsrechte aus Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern) massiv einzuschränken, darf ebenfalls nicht hingenommen werden. CDM-Gutschriften sollen nach dem Richtlinienvorschlag grundsätzlich im Zeitraum von 2013 bis 2020 nur noch eingesetzt werden können, wenn sie bereits für den zweiten Handelszeitraum 2008 bis 2012 genehmigt sind. Die Begründung, es bestehe sonst die Gefahr, dass die erzielten Emissionsminderungen nicht ausreichen, um die Ziele bezüglich Energieeffizienz und erneuerbarer Energieträger bis 2020 zu erreichen, überzeugt nicht. Nach wie vor bleibt der Klimaschutz ein globales Problem, das nur weltweit gelöst werden kann. Die EU muss sich, wie jeder andere Vertragstaat des Kyoto-Protokolls, dieser Verantwortung stellen und darf die Instrumente des Protokolls, wie CDM, auch für den Zeitraum 2013 bis 2020 nicht vollständig ausschließen. Es müssen im Handelszeitraum 2013 bis 2020 jährlich mindestens so viele Zertifikate generiert werden können, wie es dem jährlichen Durchschnitt des Zeitraums 2008 bis 2012 entspricht.
- 12. Die Bundesregierung wird gebeten, bei der Kommission darauf hinzuwirken, dass alle Anlagen, die weniger als 25 000 Tonnen CO₂ pro Jahr emittieren, aus dem Geltungsbereich der Emissionshandelsrichtlinie entlassen werden, und zu prüfen ob die additive Anforderung, dass es sich um Anlagen bis 25 MW Feuerungswärmeleistung handeln muss, verzichtbar ist.
Die bisher erfassten Anlagen tragen je nach Größe in unterschiedlichem Maße zu den Gesamtemissionen bei. Innerhalb der EU entfallen auf ca. 7 Prozent der größten Anlagen ca. 60 Prozent der Gesamtemissionen; in Deutschland verursachen die Anlagen, die unter 25 000 Tonnen CO₂ pro Jahr emittieren, nur etwa 2 Prozent der Gesamtemissionen. Die lediglich für kleine Feuerungsanlagen vorgesehene Entlassung aus dem Gemeinschaftssystem erst ab 10 000 Tonnen CO₂ pro Jahr geht nicht weit genug, da der Aufwand zur Ermittlung, Überwachung und Berichterstattung insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sehr hoch ist und nicht im angemessenen Verhältnis zu den Minderungspotenzialen dieser Anlagen steht. Das Abschneidekriterium von 25 000 Tonnen CO₂ pro Jahr ist besser geeignet, den Belangen von KMU Rechnung zu tragen.
Die vorgeschlagene Bagatellschwelle von 10 000 Jahrestonnen entlastet zu wenige Teilnehmer mit geringen Emissionen vom Emissionshandel. Der Großteil der derzeit vom Emissionshandel erfassten Anlagen emittiert weniger als 25 000 Jahrestonnen. Diese Anlagen haben aber nur einen sehr geringen Anteil an der Gesamtemissionsmenge. Eine Anhebung der Bagatellschwelle auf 25 000 Jahrestonnen stellt für diese meist mittelständischen Anlagen eine Entlastung dar, da der hohe administrative Aufwand entfällt, ohne dass dabei die CO₂-Minderungsziele gefährdet werden.
- 13. Die Festlegung, die Genehmigung alle fünf Jahre durch die Behörde zu überprüfen und ggf. Änderungen vorzunehmen, ist überzogen und sollte gestrichen werden. Die bereits bestehende Verpflichtung des Betreibers,
Änderungen an der Anlage, die Auswirkungen auf die Emissionen haben können gegenüber der Behörde anzuzeigen, hat sich bewährt und ist völlig ausreichend.
- 14. Der Bundesrat sieht keine Rechtfertigung dafür, nur 90 Prozent der zu versteigernden Zertifikate entsprechend den Emissionen im Jahr 2005 auf die Mitgliedstaaten aufzuteilen und die übrigen 10 Prozent entsprechend dem Pro-Kopf-Einkommen und den Wachstumschancen auf 19 Mitgliedstaaten zu verteilen. Bei den zu erwartenden Zertifikatspreisen würden mehrere Milliarden Euro pro Jahr in die Staatshaushalte der 19 begünstigten Mitgliedstaaten zu Lasten der übrigen umverteilt werden. Die Förderung besonders strukturschwacher EU-Gebiete sollte den eigens dafür geschaffenen Instrumentarien, wie z.B. den Strukturfonds, vorbehalten bleiben.
- 15. Der Vorschlag der Kommission, energieintensiven Industriesektoren, die im internationalen Wettbewerb stehen, ab 2013 bis zu 100 Prozent der Emissionszertifikate auf der Basis des Stands der Technik kostenlos zuzuteilen, wird wegen der besonderen Situation in diesen Branchen begrüßt.
Die in der Emissionshandelsrichtlinie vorgesehene jährliche Verringerung der Emissionszertifikate sollte sich an dem technisch möglichen Minderungspotenzial der unter das Emissionshandelssystems fallenden Tätigkeiten/Industriebranchen orientieren. Branchen wie Stahl, Zement oder Chemie haben nicht die gleichen technischen Möglichkeiten zur Emissionsreduktion wie der Energieerzeugungssektor. Das Kriterium gemäß Anhang III Nr. 3 der geltenden Richtlinie hat sich bewährt und sollte auch zukünftig bei der Festlegung von Zuteilungsmengen berücksichtigt werden.
- 16. Der Bundesrat hält es für nicht sachgerecht, bereits jetzt in der Richtlinie Festlegungen für den Fall zu treffen, dass sich die EU im Rahmen eines internationalen Abkommens zu einem über 20 Prozent hinausgehenden Reduktionsziel verpflichtet.
- 17. Die in Artikel 28 vorgesehenen Festlegungen zu Anpassungen von Regelungsinhalten der Emissionshandelsrichtlinie nach Abschluss eines internationalen Klimaschutzübereinkommens sind in ihrer Zielsetzung zu weitreichend und zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht und sollten zurzeit noch nicht umgesetzt werden. Entsprechende Anpassungen können nur vor dem Hintergrund der konkreten Regelungen in dem internationalen Übereinkommen sachgerecht und zielführend festgelegt werden.
- 18. Dem Vorschlag der Kommission, auch in diesem Fall die in den Emissionshandel einbezogenen Anlagen wieder überproportional zu belasten, sollte nicht gefolgt werden. Vielmehr bedarf eine dann notwendige Lastenverteilung zwischen den in den Emissionshandel einbezogenen Anlagen und den sonstigen Sektoren einer sorgfältigen Prüfung zu gegebener Zeit unter Berücksichtigung der technischen Minderungsmöglichkeiten sowie der Kosten der CO₂-Reduzierung.
- 19. Der Bundesrat unterstützt die Bestrebungen der Kommission, das Europäische Emissionssystem mit verbindlichen Emissionshandelssystemen in anderen Staaten zu verknüpfen. Nur durch gleiche Zuteilungsregelungen in möglichst vielen Staaten könnten auch unter Klimagesichtspunkten unerwünschte Produktionsverlagerungen weitgehend unterbunden werden.
- 20. Eine engagierte und konsequente weltweite Reduktion der Treibhausgas-Emissionen liegt im Interesse der Land- und Forstwirtschaft, da sie einerseits vom Klimawandel durch Änderung der natürlichen Rahmenbedingungen erheblich betroffen ist, aber andererseits klimafreundliche Alternativen verbunden mit Stärkung des ländlichen Raums zur Verfügung stellen kann.
- 21. Angesichts der erwarteten Ausmaße und Folgen des Klimawandels hält der Bundesrat es für angebracht, in dem Richtlinienvorschlag bei der Verwendung der Versteigerungserlöse in Artikel 10 Abs. 3 auch Mittel für Anpassungsmaßnahmen u. a. für die vom Klimawandel besonders betroffene Land- und Forstwirtschaft vorzusehen.
- 22. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, einen Alternativvorschlag für eine Änderung der Emissionshandelsrichtlinie zu erarbeiten und in die anstehenden Verhandlungen auf europäischer Ebene einzubringen, der die hier genannten Anforderungen berücksichtigt.