A. Problem und Ziel
Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung sind gemäß § 177 des Strafgesetzbuches (StGB) strafbar. Die Vorschrift ist mit einem Mindeststrafrahmen von einem Jahr als Verbrechen ausgestaltet.
§ 177 Absatz 1 StGB setzt voraus, dass der Täter das Opfer mit Gewalt, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen nötigt. In der Praxis hat sich die Ausgestaltung der Vorschrift als zu eng erwiesen. Nicht alle strafwürdigen Handlungen, mit denen die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers verletzt wird, werden von den Straftatbeständen zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung erfasst. Es gibt Situationen, in denen die Voraussetzungen des § 177 StGB nicht vorliegen, die aber dennoch in strafwürdiger Weise für sexuelle Handlungen ausgenutzt werden, etwa wenn das Opfer aufgrund der überraschenden Handlungen des Täters keinen Widerstand leisten kann oder wenn das Opfer nur aus Furcht von Widerstand absieht. Ein solches Verhalten kann nach gegenwärtiger Rechtslage auch von anderen Vorschriften, wie etwa dem § 240 Absatz 1 und 4 Satz 2 Nummer 1 StGB (Nötigung) oder dem § 185 StGB (Beleidigung) nur unter bestimmten weiteren Voraussetzungen bestraft werden, die in den genannten Fallkonstellationen häufig jedoch nicht gegeben sind. Die gegenwärtige Rechtslage ist daher unzureichend.
Darüber hinaus sieht Artikel 36 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11. Mai 2011 (ETS 210 - Istanbul-Konvention) vor, dass jede nicht einverständliche sexuelle Handlung unter Strafe zu stellen ist. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Istanbul-Konvention gezeichnet und beabsichtigt, diese zu ratifizieren. Das deutsche Sexualstrafrecht sieht mit § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB bereits eine Strafbarkeit für Fälle nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen vor, ohne dass die Strafbarkeit von einer Gegenwehr des Opfers abhängig gemacht würde. Um der Istanbul-Konvention jedoch noch besser gerecht zu werden, sollen die Fälle der nicht einverständlichen sexuellen Handlungen, bei denen sich Strafbarkeitslücken gezeigt haben, durch entsprechende Änderungen im Strafgesetzbuch erfasst werden.
Fristablauf: 13.05.16
besonders eilbedürftige Vorlage gemäß Artikel 76 Absatz 2 Satz 4 GG
B. Lösung
Die strafwürdigen Handlungen, die nicht unter § 177 Absatz 1 Nummer 1 und 2 StGB fallen, sollen tatbestandlich neu gefasst und in den geltenden Missbrauchstatbestand des § 179 StGB (Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen) integriert werden. Im Gegenzug können § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB und § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB gestrichen werden. Das besondere Tatunrecht des § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB soll als besonders schwerer Fall in § 179 Absatz 3 StGB in der Entwurfsfassung (StGB-E) Eingang finden.
C. Alternativen
Keine. Die strafwürdigen Fälle sollen künftig von den Straftatbeständen des § 179 StGB erfasst sein. Ferner dienen die Regelungen einer verbesserten Umsetzung von Artikel 36 der Istanbul-Konvention.
D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Keine.
E. Erfüllungsaufwand
E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger
Keiner.
E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft
Keiner.
Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten
Keine.
E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung
Keine.
F. Weitere Kosten
Durch die Erweiterung der bestehenden Strafvorschrift können den Länderhaushalten geringfügige Verfahrens- und Vollzugskosten entstehen, deren genaue Höhe sich derzeit nicht näher beziffern lässt, die aber wegen des insgesamt geringen Umfangs der Erweiterungen nicht erheblich sein dürften. Die Steigerung der Fallzahlen dürfte allenfalls im dreistelligen Bereich liegen.
Auswirkungen auf Einzelpreise und das allgemeine Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung
Bundesrepublik Deutschland
Berlin, 1. April 2016
Die Bundeskanzlerin
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Stanislaw Tillich
Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 Satz 4 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung mit Begründung und Vorblatt.
Der Gesetzentwurf ist besonders eilbedürftig, damit bestehende Strafbarkeitslücken, die im Zusammenhang mit der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung aufgetreten sind, schnellstmöglich geschlossen werden können.
Federführend ist das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.
Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Absatz 1 NKRG ist als Anlage beigefügt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Fristablauf: 13.05.16
besonders eilbedürftige Vorlage gemäß Artikel 76 Absatz 2 Satz 4 GG
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches
Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2218) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In der Inhaltsübersicht wird die Angabe zu § 179 wie folgt gefasst:
" § 179 Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände".
2. § 177 Absatz 1 wird wie folgt geändert:
- a) In Nummer 1 wird das Komma am Ende durch das Wort "oder" ersetzt.
- b) In Nummer 2 wird nach dem Wort "Leben" das Wort "oder" gestrichen.
- c) Nummer 3 wird aufgehoben.
3. § 179 wird wie folgt geändert:
- a) Die Überschrift wird wie folgt gefasst:
" § 179 Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände".
- b) Absatz 1 wird wie folgt gefasst:
(1) Wer unter Ausnutzung einer Lage, in der eine andere Person
- 1. aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig ist,
- 2. aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist oder
- 3. im Fall ihres Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet, sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich von dieser Person vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Nummern 2 und 3 mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."
- c) In Absatz 2 werden die Wörter "eine widerstandsunfähige Person (Absatz 1)" durch die Wörter "eine andere Person" ersetzt und die Wörter "der Widerstandsunfähigkeit" durch die Wörter "einer in Absatz 1 genannten Lage" ersetzt.
- d) Dem Absatz 3 wird folgender Satz angefügt:
"Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1. der Täter eine Lage ausnutzt, in der das Opfer einer Gewalteinwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, oder
- 2. die Widerstandsunfähigkeit nach Absatz 1 Nummer 1 auf einer Behinderung des Opfers beruht."
- e) In Absatz 5 Nummer 3 wird das Wort "seelischen" durch das Wort "psychischen" ersetzt.
- f) Absatz 6 wird wie folgt gefasst:
(6) In minder schweren Fällen des Absatzes 5, in denen der Täter eine Lage nach Absatz 1 Nummer 1 ausnutzt, ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in den übrigen minder schweren Fällen des Absatzes 5 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen."
4. § 240 Absatz 4 Satz 2 wird wie folgt geändert:
- a) Nummer 1 wird aufgehoben.
- b) Die Nummern 2 und 3 werden die Nummern 1 und 2.
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen
Die sexuelle Selbstbestimmung ist ein besonders hohes Gut, welches seit dem Vierten Gesetz zur Reform des Strafrechtes vom 23. November 1973 (4. StrRG) explizit vom 13. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches geschützt wird. Die sexuelle Selbstbestimmung ist Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das von Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG geschützt wird.
Dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung dienten in der Vergangenheit mehrere Strafrechtsreformen. Bereits in der Fassung des Reichsstrafgesetzbuchs vom 15. Mai 1871 (RStGB) war es gemäß § 176 Absatz 1 Nummer 1 RStGB strafbar, "mit Gewalt unzüchtige Handlungen an einer Frauensperson vorzunehmen oder dieselbe durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Duldung unzüchtiger Handlungen zu nötigen".
§ 177 Absatz 1 RStGB erfasste demgegenüber die Nötigung einer Frauensperson zur Duldung des außerehelichen Beischlafs durch Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Eher geringfügige Änderungen erfolgten durch das 4. StrRG.
§ 177 RStGB blieb in der Fassung des 4. StrRG weitestgehend unverändert. Der Tatbestand wurde im Wesentlichen lediglich dahingehend erweitert, dass die Strafbarkeit auch dann eintrat, wenn der Täter die Frau zu einem außerehelichen Beischlaf mit einem Dritten nötigte. Opfer einer Vergewaltigung konnte nach wie vor lediglich eine Frau sein.
§ 176 Absatz 1 Nummer 1 RStGB wurmgegenüber in den Straftatbestand der sexuellen Nötigung gemäß § 178 StGB in der Fassung des 4. StrRG überführt und dort auf außereheliche sexuelle Handlungen beschränkt. Erweitert wurde die Strafbarkeit - vergleichbar mit § 177 StGB in der Fassung des 4. StrRG - auf sexuelle Handlungen mit Dritten. Außerdem wurde § 178 StGB in der Fassung des 4. StrRG, anders als die Vergewaltigung, geschlechtsneutral gefasst.
Erst mit dem 33. Strafrechtsänderungsgesetzvom 1. Juli 1997 erfuhr § 177 StGB weitreichende Änderungen. Die sexuelle Nötigung und die Vergewaltigung wurden in § 177 StGB zusammengefasst. Gleichzeitig gab der Gesetzgeber den Zuschnitt der Vergewaltigung auf weibliche Opfer auf und stellte damit auch die Vergewaltigung von Männern unter Strafe. Ferner bezog das 33. Strafrechtsänderungsgesetz den Straftatbestand des § 177 StGB erstmalig auch auf Tathandlungen, die innerhalb einer Ehe stattfinden. Die Beschränkung auf außereheliche sexuelle Handlungen wurde aufgehoben (vgl. Bundestagsdrucksache 013/2463, S. 5 ff.). Schließlich stellte der Gesetzgeber mit dem 33. Strafrechtsänderungsgesetz auch das Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, unter Strafe. Damit sollten Fälle erfasst werden, in denen "die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem Maß vermindert sind, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist" (Bundestagsdrucksache 013/2463, S. 6). Es sollten "Strafbarkeitslücken geschlossen [werden], die sich in der Praxis insbesondere in Fällen gezeigt haben, in denen der Täter das Opfer an einen Ort verbringt, an dem es fremde Hilfe nicht erwarten kann, dem körperlich überlegenen Täter ausgeliefert ist und angesichts seiner hilflosen Lage eine Verteidigung für sinnlos hält" (Bundestagsdrucksache 013/2463, S. 7; vgl. auch Bundestagsdrucksache 013/7324, S. 6). Denn anderenfalls könnten Fälle nicht erfasst werden, in denen das Opfer "vor Schrecken starr oder aus Angst vor der Anwendung von Gewalt durch den Täter dessen sexuelle Handlungen über sich ergehen lassen" (Bundestagsdrucksache 013/7324, S. 6).
In der Praxis haben sich jedoch die Erwartungen, die mit der Einführung von § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB verbunden waren, nicht vollständig erfüllt. Der Umstand, dass die Vorschrift eine Nötigung voraussetzt und die Nähe zu § 177 Absatz 1 Nummer 1 (Gewalt) und Nummer 2 (Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) führten auch unter dem Aspekt einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe zu einer engen Auslegung der Vorschrift durch die Rechtsprechung. Insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung der Vorschrift als Verbrechen werden aber auch die Straftatbestäns § 177 Absatz 1 Nummer 1 und Nummer 2 StGB teilweise von der Rechtsprechung eng ausgelegt. Hinzu kommt, dass das Merkmal der Nötigung diejenigen Handlungen von vornherein einer Strafbarkeit entzieht, bei denen der Täter den Willen des Opfers für die Vornahme der sexuellen Handlung nicht beugen muss, weil das Opfer mit einem sexuellen Übergriff gar nicht rechnet.
Vor diesem Hintergrund kommt es immer wieder dazu, dass strafwürdige Fälle, die der Gesetzgeber jedenfalls teilweise grundsätzlich auch erfassen wollte, straffrei bleiben, weil die Tatbestandsvoraussetzungen von § 177 StGB nicht vorliegen. Der Bericht des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) hat eine Fallanalyse vorgestellt, in der entsprechende Fälle aufgeführt sind (vgl. Grieger, Katja / Clemm, Christina / Eckhardt, Anita / Hartmann, Anna, Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) - Frauen gegen Gewalt e.V., Was Ihnen widerfahren ist, ist in Deutschland nicht strafbar. Fallanalyse zu bestehenden Schutzlücken in der Anwendung des deutschen Sexualstrafrechts bezüglich erwachsener Betroffener, Berlin Juli 2014). Auf die Notwendigkeit von gesetzgeberischen Maßnahmen zum besseren Schutz der sexuellen Selbstbestimmung haben auch der Deutsche Juristinnenbund (djb) und das Deutsche Institut für Menschenrechte explizit hingewiesen (vgl. Freudenberg, Dagmar / Pisal, Ramona, Stellungnahmen des djb vom 9. Mai 2014 und vom 25. Juli 2014; Rabe, Heike / von Normann, Julia, Schutzlücken bei der Strafverfolgung von Vergewaltigungen. Menschenrechtlicher Änderungsbedarf im Sexualstrafrecht, herausgegeben vom Deutschen Institut für Menschenrechte, Juni 2014). Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat im September 2014 die Länder gebeten mitzuteilen, ob es in der Praxis Fälle gibt, die Probleme mit der gegenwärtigen gesetzlichen Situation nahelegen. Die Länderabfrage hat ergeben, dass bestimmte Fallkonstellationen gegenwärtig nicht von § 177 StGB oder anderen Strafvorschriften erfasst werden, obwohl sie für strafwürdig befunden werden. Als problematisch erwies sich dabei im Wesentlichen die enge Auslegung des § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB, aber auch der Wortlaut des § 177 Absatz 1 Nummer 2 StGB sowie der Umstand, dass Fälle, in denen der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, wegen des Erfordernisses der Nötigung überhaupt nicht nach § 177 StGB strafrechtlich erfasst sind.
Vor dem dargestellten Hintergrund verfolgt der Entwurf das Ziel, die bestehenden Schutzlücken zu schließen.
§ 177 StGB ist in seiner gegenwärtigen Fassung nicht ausreichend, um alle strafwürdigen Tathandlungen zu erfassen, mit denen das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung verletzt wird. Gemäß § 177 Absatz 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wer eine andere Person mit Gewalt (Nummer 1), durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (Nummer 2) oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist (Nummer 3), nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen. Alle Tatbestandsvarianten der Nummern 1 bis 3 setzen voraus, dass das Opfer genötigt wird. Das Opfer muss also gegen seinen Willen zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen gezwungen werden bzw. der Täter muss den entgegenstehenden Willen des Opfers durch Gewalt brechen (vgl. Fischer, StGB, 62. Auflage, § 177 Rn. 4). Das führt zu Fällen, bei denen der Täter zwar weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass das Opfer lediglich wegen des Vorliegens besonderer Umstände keine Gegenwehr leistet, bei denen aber gleichwohl die in Ausnutzung der besonderen Umstände vorgenommene oder geduldete sexuelle Handlung wegen eines unzureichenden Nötigungsmittels oder in Ermangelung einer Nötigung straflos bleibt. Damit sind insbesondere Frauen, aber auch Männer, nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht hinreichend durch das Strafrecht vor sexuellen Übergriffen geschützt. Dies gilt im selben Maße für transgeschlechtliche und intergeschlechtliche Personen, auch wenn im Folgenden davon abgesehen wird, diese Personengruppen jeweils gesondert zu benennen. Die vom Entwurf aufgegriffenen bislang straflosen Tathandlungen sind strafwürdig, weil sie in den Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das durch Artikel 2 Absatz 1 GG in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG geschützt wird, eingreifen.
Die vorgesehenen Änderungen berücksichtigen die Wertungen aus Artikel 3 (Verbot der Folter) und Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), in der Ausprägung, die diese Artikel durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) erhalten haben. Der EGMR hat mit Urteil vom 4. Dezember 2003 im Fall M. C. gegen Bulgarien (Beschwerde Nummer 39272/98) entschieden, dass die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 und Artikel 8 EMRK verpflichtet sind, nicht einvernehmliche sexuelle Handlungen auch dann unter Strafe zu stellen und effektiv zu verfolgen, wenn das Opfer zum Tatzeitpunkt keinen physischen Widerstand leistet (vgl. EGMR, Urteil vom 4. Dezember 2003 - Beschwerde Nummer 39272/98, Rn. 166). Mit § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB sieht das deutsche Strafrecht zwar bereits einen Tatbestand vor, der einen Widerstand des Opfers nicht erfordert. Da der Entwurf auch die bisher nicht hinreichend erfassten Fälle des fehlenden Einverständnisses tatbestandlich auffängt, wird jedoch zugleich den Vorgaben der Artikel 3 und 8 EMRK besser Rechnung getragen.
Dasselbe gilt für die Vorgaben der Istanbul-Konvention, die die Rechtsprechung des EGMR aufgreift. Gemäß Artikel 36 der Istanbul-Konvention ist jede nicht einverständliche sexuelle Handlung unter Strafe zu stellen. Ausweislich des Erläuternden Berichtes zur Istanbul-Konvention, der auf das oben benannte Urteil des EGMR explizit Bezug nimmt (vgl. Erläuternder Bericht, Rn. 191), ist es den Vertragsparteien überlassen, in der Gesetzgebung über die genaue Formulierung sowie über die Faktoren zu entscheiden, die eine freie Zustimmung ausschließen (vgl. Erläuternder Bericht, Rn. 193). Diese Einschränkung entspricht den Vorgaben des EGMR. Der EGMR hat in seiner Entscheidung deutlich gemacht, dass es ausreicht, wenn eine Bestrafung wegen nicht einverständlicher sexueller Handlungen unter anderem durch Auslegung der nationalen Vorschriften grundsätzlich möglich ist, auch wenn die Mitgliedstaaten Begriffe wie "Gewalt", "Bedrohung" etc. in ihrer nationalen Gesetzgebung verwenden (EGMR, a. a. O., Rn. 161). Um der Istanbul-Konvention besser gerecht zu werden, sollen die Fälle der nicht einverständlichen sexuellen Handlungen, bei denen sich Strafbarkeitslücken gezeigt haben, durch entsprechende Änderungen im Strafgesetzbuch erfasst werden.
Ob über die mit diesem Entwurf vorgesehenen Änderungen hinaus weitergehende Gesetzesänderungen sachgerecht sind, insbesondere ob ein neuer Grundtatbestand geschaffen werden sollte, bei dem die Strafbarkeit allein an dem Fehlen eines Einverständnisses mit der sexuellen Handlung anknüpft, wird derzeit von der Reformkommission zur Überarbeitung des 13. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB geprüft, die das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eingesetzt hat.
II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs
Artikel 36 der Istanbul-Konvention hat in der Bundesrepublik Deutschland eine Debatte darüber angestoßen, ob das Sexualstrafrecht eine hinreichende strafrechtliche Reaktion auf sexuelle Übergriffe darstellt, die erkennbar gegen den Willen einer Person vorgenommen werden (vgl. unter anderem Grieger, Katja / Clemm, Christina / Eckhardt, Anita / Hartmann, Anna, Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) - Frauen gegen Gewalt e.V., Was Ihnen widerfahren ist, ist in Deutschland nicht strafbar. Fallanalyse zu bestehenden Schutzlücken in der Anwendung des deutschen Sexualstrafrechts bezüglich erwachsener Betroffener, Berlin Juli 2014; Freudenberg, Dagmar / Pisal, Ramona, Stellungnahmen des djb vom 9. Mai 2014 und vom 25. Juli 2014; Rabe, Heike / von Normann, Julia, Schutzlücken bei der Strafverfolgung von Vergewaltigungen. Menschenrechtlicher Änderungsbedarf im Sexualstrafrecht, herausgegeben vom Deutschen Institut für Menschenrechte, Juni 2014; Hörnle, Tatjana, Menschenrechtliche Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention. Ein Gutachten zur Reform des § 177 StGB, herausgegeben vom Deutschen Institut für Menschenrechte, Januar 2015). Gegenstand der Diskussion sind Handlungen, die nicht von § 177 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 StGB erfasst werden, obwohl der Täter besondere Umstände zu sexuellen Handlungen ausnutzt und erkennt, dass die sexuelle Handlung gegen den Willen der anderen Person erfolgt, die aber aus nachvollziehbaren Gründen eine Gegenwehr unterlässt. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Konstellationen:
Gemäß § 177 Absatz 1 Nummer 1 StGB macht sich strafbar, wer eine andere Person mit Gewalt zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung nötigt. Zwischen dem Nötigungsmittel der Gewalt und dem Nötigungserfolg der sexuellen Handlung muss eine finale Verknüpfung bestehen. Der Täter muss die Gewalt ausüben, um die sexuelle Handlung zu erzwingen. An diesem finalen Zusammenhang fehlt es etwa, wenn der Täter zwar Gewalt ausübt, indem er das Opfer in einem umschlossenen Raum einschließt, das Abschließen jedoch nicht der Ermöglichung der sexuellen Handlung dient, sondern nur erfolgt, um ungestört zu sein und Entdeckung zu verhindern (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2002 - 2 StR 153/02, Rn. 11; BGH, Beschluss vom 24. August 1999 - 4 StR 339/99, Rn. 8, jeweils zitiert nach Juris). Ein weiteres Beispiel fehlender Finalität liegt vor, wenn die angewendete Gewalt nicht der Überwindung des Abwehrwillens, sondern ausschließlich der Lustbefriedigung dient (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 5. März 2004 - Ss 493/ 03, Rn. 11, zitiert nach Juris).
Das Erfordernis der Finalität führt auch in Bezug auf § 177 Absatz 1 Nummer 2 StGB zu Strafbarkeitslücken. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer das Opfer durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung nötigt. Der Täter muss die Drohung einsetzen, um die sexuelle Handlung zu erzwingen. Als problematisch erweisen sich in diesem Kontext Fälle, bei denen der Täter bereits im Vorfeld der Tat Gewalt eingesetzt hatte und das Opfer aus diesem Grund zum Tatzeitpunkt Widerstand aus Furcht vor weiterer Gewalt unterlässt. Zwar kann eine einmal angewendete Gewalt grundsätzlich zum Tatzeitpunkt als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben fortwirken (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 4 StR 178/06, Rn. 9, BGH, Beschluss vom 24. Juni 2010 - 4 StR 260/10, Rn. 4, BGH, Urteil vom 2. Oktober 2002 - 2 StR 153/02, Rn. 16, jeweils zitiert nach Juris). In der Regel fehlt es jedoch an der Verknüpfung zwischen der vor der Tat angewandten Gewalt und der konkludenten Drohung zum Tatzeitpunkt, wenn zwischen der Gewaltanwendung und der sexuellen Handlung jedenfalls Wochen liegen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2002 - 2 StR 153/02, Rn. 17, zitiert nach Juris). Auch bei Serientaten ist es nicht ohne weiteres ausreichend, dass der Täter zu Beginn der Tatserie Gewalt eingesetzt hatte und das Opfer bei nachfolgenden Taten in Erwartung einer weiteren Gewaltanwendung keinen Widerstand leistet. Die Verbindung zwischen der Drohung mit Gewalt zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung und der vorangegangenen Gewalt muss für jede Tat konkret und individualisiert festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 4 StR 178/06, Rn. 9, BGH, Beschluss vom 7. Januar 2015 - 2 StR 463/14, Rn. 5 zitiert nach Juris). Auch wenn das Opfer mit dem Täter sogar in einem Klima der Gewalt zusammenlebt, muss das Gewaltklima durch ausdrückliche oder konkludente Drohungen bei der Vornahme der konkreten sexuellen Handlung zum Ausdruck kommen. Die bloße Angst des Opfers reicht für eine finale Verknüpfung zwischen der konkludenten Drohung und der sexuellen Handlung nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 3 StR 256/04, Rn. 9, zitiert nach Juris).
Darüber hinaus fehlt es an einer finalen Verknüpfung, wenn das Opfer aufgrund einer zunächst zu anderen Zwecken ausgeübten Gewalt noch Angst empfindet und der Täter dies zwar erkennt und für seine Zwecke ausnutzt, aber weder konkludent noch ausdrücklich auf die zuvor zu anderen Zwecken ausgeübte Gewalt Bezug nimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2012 - 3 StR 385/12, Rn. 5 [Opfer steht unter dem Eindruck einer vorangegangenen Tötung und unter dem Eindruck der Androhung der eigenen Tötung, wenn es nicht mit dem Täter reden wolle, und wehrt sich daher beim später nachfolgenden Geschlechtsakt nicht]).
Ferner entfällt eine Strafbarkeit nach § 177 Absatz 1 Nummer 2 StGB, wenn der Täter zwar mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht, die Drohung aber keine hinreichende Schwere aufweist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2001 - 4 StR 58/01, Rn. 5 [nicht ausreichend ist das bloße Androhen von Schlägen im Sinne von, dem Opfer "eine zu knallen"]; KG Berlin, Beschluss vom 3. Mai 2013 - (4) 121 Ss 69/13 (78/13), Rn. 8 [Drohung mit dem Abschneiden der Haare]). Zwar kann sich der Täter gemäß § 240 Absatz 1 und 4 Nummer 1 StGB eines besonders schweren Falles der Nötigung strafbar machen, wenn er eine andere Person zu einer sexuellen Handlung nötigt, indem er mit einem empfindlichen Übel droht.
§ 240 StGB schützt jedoch lediglich die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung (vgl. Fischer, StGB, 62. Auflage, § 240 Rn. 2). Die Vornahme oder die in § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB gar nicht explizit erwähnte Duldung einer durch Drohung erzwungenen sexuellen Handlung verletzt demgegenüber vorrangig das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung. Dieses Rechtsgut ist im Vergleich zur bloßen Willensentschließung höherrangig, weil es nicht nur die durch Artikel 2 Absatz 1 GG geschützte Handlungsfreiheit, sondern darüber hinaus die durch Artikel 2 Absatz 1 GG in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG geschützte Intimsphäre des Opfers tangiert. Die Strafbarkeit ist daher bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zutreffender verortet. Daneben kann die Tathandlung aber weiterhin den Straftatbestand des § 240 Absatz 1, 2. Variante, Absatz 4 StGB erfüllen.
Schließlich erfasst auch § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB nicht alle strafwürdigen Sachverhalte. Der Gesetzgeber hat die Vorschrift erst mit dem 33. Strafrechtsänderungsgesetz vom 1. Juli 1997 eingeführt. Er wollte zusätzlich zu § 177 Absatz 1 Nummer 1 und 2 StGB Tathandlungen unter Strafe stellen, bei denen das Opfer untätig bleibt, weil es starr vor Schrecken ist oder aus Angst vor der Anwendung von Gewalt durch den Täter dessen sexuelle Handlungen über sich ergehen lässt (vgl. Bundestagsdrucksache 013/7324, S. 6).
§ 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB sollte nach dem Willen des Gesetzgebers als Auffangtatbestand die Fälle erfassen, in denen das Opfer wegen Aussichtslosigkeit von Widerstand keine körperliche Gegenwehr leistet und der Täter dies ausnutzt (Fischer, StGB, 62. Auflage, § 177 Rn. 23). Diese Erwartung hat sich jedoch nicht in allen Punkten erfüllt.
§ 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB hat vielmehr insbesondere durch die Auslegung der Rechtsprechung einen eigenständigen Bedeutungsgehalt erfahren, der sich seinerseits an § 177 Absatz 1 Nummer 1 und 2 StGB orientiert. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Täter das Opfer unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung nötigt.
Die schutzlose Lage, in der sich das Opfer befindet, muss für das Opfer eine Zwangslage begründen, die den Nötigungsmitteln aus § 177 Absatz 1 Nummer 1 und 2 StGB vergleichbar ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2005 - 3 StR 230/04, Rn. 9, zitiert nach Juris). Daran fehlt es, wenn das Opfer die Gegenwehr nicht aus Furcht vor Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten unterlässt, sondern etwa aus Furcht vor einer Kündigung oder vor ausländer- und strafrechtlichen Konsequenzen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2007 - 4 StR 345/06, Rn. 28, zitiert nach Juris) oder wegen Verlustängsten (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2008 - 3 StR 494/08, Rn. 6 zitiert nach Juris [Furcht des Pflegekindes, getrennt von der Schwester in einem Heim untergebracht zu werden]) oder aus Furcht vor Sachbeschädigungen (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 - 4 StR 178/06, Rn. 10, zitiert nach Juris [Drohung mit "seinem Auto in ihr Wohnzimmer rein[zu]fahren und die Wohnung kurz und klein [zu] schlagen"]). Eine Strafbarkeit nach § 240 Absatz 1 und 4 Nummer 1 StGB kommt nur in Betracht, wenn der Täter in der Tatsituation mit den aufgezeigten Konsequenzen ausdrücklich oder konkludent droht, was nicht zwingend der Fall sein muss. So kann sich etwa die Furcht vor ausländerrechtlichen
Konsequenzen oder die Furcht vor einer Kündigung nachvollziehbar auch aus dem Kontext ergeben. Darüber hinaus vermag § 240 Absatz 1 und 4 Nummer 1 StGB das eigentliche Tatunrecht selbst beim Vorliegen einer Drohung nicht adäquat abzubilden (siehe oben).
Schließlich umfasst § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB nicht das Ausnutzen einer lediglich subjektiv schutzlosen Lage. Schon der Wortlaut der Vorschrift legt es nahe, dass sich das Opfer objektiv in einer schutzlosen Lage befinden muss. Eine schutzlose Lage liegt vor, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solchen Maß vermindert sind, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist (vgl. LK-Hörnle, StGB, 12. Auflage, § 177 Rn. 98; Sch/Sch/Eisele, StGB, 29. Auflage, § 177 Rn. 9; SK-Wolters, StGB, 135. Lfg., § 177 Rn. 13b; Laubenthal, Klaus, Handbuch Sexualstraftaten. Die Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Berlin, Heidelberg 2012, Rn. 208; MüKo-Renzikowski, StGB, 2. Auflage, § 177 Rn. 43). Dies ist gegeben, wenn auf der Grundlage einer Exante-Betrachtung objektiv tatsächliche Umstände vorliegen, durch die der Erfolg potentieller Einwirkungen des Täters wesentlich erleichtert würde (vgl. Fischer, StGB, 62. Auflage, § 177 Rn. 28). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn sich das Opfer lediglich subjektiv schutzlos fühlt, weil es zum Beispiel nicht daran denkt, dass schutzbereite Dritte helfen könnten (vgl. LK-Hörnle, a.a.O., § 177 Rn. 104; Fischer, a.a.O., § 177 Rn. 41; Sch/Sch/Eisele, a.a.O., § 177 Rn. 9; A.A. MüKo-Renzikowski, a.a.O., § 177 Rn. 44; SK-Wolters, a. a. O., § 177 Rn. 13b). Vor diesem Hintergrund gibt es zahlreiche Fälle, bei denen die Rechtsprechung das Vorliegen einer schutzlosen Lage verneint hat (BGH, Beschluss vom 14. Februar 2005 - 3 StR 230/04, Rn. 4, zitiert nach Juris [Aufenthalt einer 9-Jährigen bzw. 14-Jährigen in einem LKW, der nachts auf einem Rastplatz steht]; BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, Rn. 8 ff., zitiert nach Juris [neben dem Opfer und dem Täter befinden sich noch zwei schlafende Kinder in der Wohnung]; BGH, Beschluss vom 26. August 2005 - 3 StR 260/05, Rn. 4 und BGH, Beschluss vom 9. August 2005 - 3 StR 464/04, Rn. 14, jeweils zitiert nach Juris [jeweils keine schutzlose Lage, wenn sich Täter und Opfer allein in einer Wohnung befinden]; BGH, Beschluss vom 27. April 2006 - 4 StR 99/06, Rn. 4, zitiert nach Juris [7-Jährige befindet sich bei gleichzeitiger Anwesenheit der 10-Jährigen Schwester in der Wohnung nicht in objektiv schutzloser Lage]; BGH, Beschluss vom 17. November 2011 - 3 StR 359/11, Rn. 7, zitiert nach Juris [irrige Annahme des Opfers, dass es die Polizeidienststelle nicht ohne Zutun des Beschuldigten verlassen könne]; LG Essen, Urteil vom 10. September 2012 - 25 KLs 10/ 12, Rn. 65 f.).
Schließlich können auch die sogenannten Überraschungsfälle nicht als sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung geahndet werden. Die Fallgruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass der Täter das Opfer überrumpelt. Der Täter nimmt für das Opfer unvermittelt eine sexuelle Handlung an diesem vor, obwohl er zumindest billigend in Kauf nimmt, dass die sexuelle Handlung bei dem Opfer nicht auf Zustimmung stoßen wird. Eine Strafbarkeit entfällt schon deshalb, weil das Opfer wegen der überraschenden Begehung nicht dazu kommt, einen entgegenstehenden Willen zu bilden, den der Täter mit Zwang beugen könnte. Es fehlt daher am Tatbestandsmerkmal der Nötigung (BGH, Urteil vom 2. Juni 1982 - 2 StR 669/81, Rn. 4; OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. Juni 2002 - 1 Ss 013/02 , Rn. 6; BGH, Urteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05, Rn. 26; BGH, Beschluss vom 4. Juni 2013 - 2 StR 3/13; Rn. 9; BGH, Beschluss vom 8. November 2011 - 4 StR 445/11, Rn. 4 jeweils zitiert nach Juris). Eine Strafbarkeit nach § 185 StGB wegen Beleidigung kommt nur in Betracht, wenn sich die überraschende sexuelle Handlung gleichzeitig als Angriff auf die Ehre darstellt. Das ist jedoch nur dann der Fall, wenn der Täter über die mit der sexuellen Handlung regelmäßig verbundene Beeinträchtigung hinaus zusätzlich die Geschlechtsehre angreift (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 1989 - 2 StR 662/88, Rn. 20 zitiert nach Juris) oder das Opfer die Tathandlung eines Fremden als entwürdigende Herabsetzung begreifen muss (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 28. September 2006 - 3 Ss 48/ 06, Rn. 6 [Griff von hinten zwischen die Beine einer Joggerin]; OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. Juni 2002 - 1 Ss 13/ 02, Rn. 9 ff. [Berühren einer Passantin im Intimbereich]; LG Freiburg, Beschluss vom 3. September 2002 - 5 Qs 69/02 [unsittliche Berührung einer 15-Jährigen in einem Zugabteil und Hinterlassen der Telefonnummer wegen Telefonsex], jeweils zitiert nach Juris). Unabhängig davon ist aber, vergleichbar den Ausführungen zu § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB, festzustellen, dass der Straftatbestand des § 185 StGB das Tatunrecht selbst dann nicht zu erfassen vermag, wenn er im Einzelfall einschlägig ist.
§ 185 StGB schützt die Ehre des Opfers. Der Täter, der das Opfer mit einer sexuellen Handlung überrascht, verletzt demgegenüber in erster Linie die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung werden jedoch von den Vorschriften des 13. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB abgebildet, die auch diese Tathandlung erfassen sollten.
Zusammenfassend lassen sich folgende Konstellationen kategorisieren:
- - zwischen der Gewalt bzw. der Drohung mit Gewalt und der sexuellen Handlung besteht kein finaler Zusammenhang, - Furcht vor Beeinträchtigungen, die keine Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte darstellen,
- - nur subjektiv schutzlose Lage,
- - Ausnutzen eines Überraschungsmomentes.
Das Gesetzesvorhaben knüpft an § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB an. Die Absicht des Gesetzgebers, mit dieser Vorschrift eine Strafbarkeit auch dann zu begründen, wenn sich das Opfer nicht aktiv zur Wehr setzt, ließ sich in weiten Teilen vor allem wegen des Erfordernisses der Nötigung, des Kontextes zu § 177 Absatz 1 Nummer 1 (Gewalt) und Nummer 2 (Drohung mit Gewalt) StGB und wegen der Höhe des Strafrahmens in der Praxis nicht umsetzen. Aus diesem Grund ist die Vorschrift aus dem bisherigen Kontext herauszulösen. Gleichzeitig sollen die aufgezeigten straflosen Tathandlungen positiv formuliert und in den Missbrauchstatbestand des § 179 StGB integriert werden (vgl. auch die Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. Jörg Eisele in der Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages vom 28. Januar 2015 mit einem ähnlichen Ansatz).
§ 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB und § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB können im Gegenzug gestrichen werden.
III. Alternativen
Die gegenwärtige Rechtslage lässt insbesondere gegenüber Frauen den angemessenen strafrechtlichen Schutz vermissen. Bei der Gesetzesänderung handelt es sich ferner um eine Maßnahme, um Artikel 36 der Istanbul-Konvention gerecht zu werden.
Einen alternativen Gesetzgebungsvorschlag hat der Deutsche Juristinnenbund mit seiner Stellungnahme vom 25. Juli 2014 vorgelegt. Dieser kriminalisiert jegliche sexuelle Handlung, die ohne das Einverständnis der anderen Person vorgenommen wird (vgl. Freudenberg, Dagmar / Pisal, Ramona, Stellungnahme des djb vom 25. Juli 2014; ähnlicher Ansatz Hörnle, Tatjana, Menschenrechtliche Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention. Ein Gutachten zur Reform des § 177 StGB, herausgegeben vom Deutschen Institut für Menschenrechte, Januar 2015). Der alternative Gesetzgebungsvorschlag stellt einen Paradigmenwechsel dar, der eine grundlegende Überarbeitung des gesamten 13. Abschnitts des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches zur Folge hätte. Ein solcher Paradigmenwechsel bedarf daher der sorgfältigen Prüfung, auch was die Folgen und Risiken anbelangt, die eine entsprechende Zeit erfordert. Der strafrechtliche Schutz von Frauen - aber auch von Männern - soll indessen zügig verbessert werden. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat jedoch eine Reformkommission zur Überarbeitung des gesamten 13. Abschnitts des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches eingesetzt.
Gegenstand der Erörterungen in der Reformkommission wird auch die Frage sein, ob weitergehende Maßnahmen ergriffen werden sollen und insbesondere ein Straftatbestand geschaffen werden sollte, der ausschließlich auf das fehlende Einverständnis abstellt. Die Kommission hat am 20. Februar 2015 ihre Arbeit aufgenommen. Auf der Grundlage ihrer Empfehlungen soll in der Folgezeit eine Überarbeitung der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung erwogen werden.
IV. Gesetzgebungskompetenz
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes (Strafrecht).
V. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen
Der Entwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar und dient unter anderem der Umsetzung von Artikel 36 der Istanbul-Konvention.
VI. Gesetzesfolgen
1. Rechts- und Verwaltungsvereinfachung
Der Entwurf führt nicht zu einer Rechts- und Verwaltungsvereinfachung.
2. Nachhaltigkeitsaspekte
Die Erweiterung bestehender Strafvorschriften steht im Einklang mit den Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Die Vorschriften führen zu einem besseren Schutz von Frauen und Männern vor sexuellen Übergriffen.
3. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand sind für Bund, Länder und Gemeinden durch den Entwurf nicht zu erwarten.
4. Erfüllungsaufwand
Bürgerinnen und Bürgern, der Wirtschaft und der Verwaltung entsteht kein Erfüllungsaufwand.
5. Weitere Kosten
Durch die Erweiterung der bestehenden Strafvorschrift können den Länderhaushalten geringfügige nicht näher bezifferbare Verfahrens- und Vollzugskosten entstehen, deren genaue Höhe sich derzeit nicht näher beziffern lässt, die aber wegen des insgesamt geringen Umfangs der Erweiterungen nicht erheblich sein dürften. Die Steigerung der Fallzahlen dürfte allenfalls im dreistelligen Bereich liegen.
Die vorgesehene Gesetzesänderung belastet die Wirtschaft nicht mit zusätzlichen Kosten. Auswirkungen auf Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.
6. Weitere Gesetzesfolgen
Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung sind insoweit zu erwarten, als die Regelungen faktisch vor allem die Lebenssituation von Frauen betreffen werden. Diese werden häufiger Opfer von sexuellen Übergriffen als Männer. Die geplante Gesetzesänderung führt zu einem verbesserten strafrechtlichen Schutz insbesondere der Frauen.
Verbraucherpolitische und demografische Auswirkungen sind nicht ersichtlich.
VII. Befristung; Evaluierung
Eine Befristung der Gesetzesänderungen ist nicht vorgesehen. Es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Grundaussage, die langfristig Geltung beansprucht. Eine Regelung zur Evaluierung ist im Hinblick auf die Arbeit der Reformkommission zur Überarbeitung des 13. Abschnitts des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches nicht erforderlich.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches - StGB)
Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)
Die Änderung des Inhaltsverzeichnisses ist wegen der neuen Überschrift des § 179 StGB in der Entwurfsfassung (StGB-E - Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände) erforderlich.
Zu Nummer 2 (§ 177 Absatz 1 StGB-E)
§ 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB (Nötigen durch Ausnutzen einer schutzlosen Lage) wird gestrichen. Die Vorschrift geht in § 179 Absatz 1 und 2 StGB-E auf. Darüber hinaus wird das Ausnutzen einer schutzlosen Lage, in der das Opfer der Gewalteinwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, zum Regelbeispiel eines besonders schweren Falls gemäß § 179 Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 StGB-E, wodurch die Tathandlung wie bislang mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitstrafe geahndet werden kann.
Zu Nummer 3 (§ 179 StGB-E)
Mit § 179 StGB-E wird die in § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB gestrichene Tatbestandsvariante in einen Missbrauchstatbestand überführt. Auf diese Weise wird § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB sowohl aus dem Nötigungskontext als auch aus dem Kontext der anderen Tatbestandsvarianten des § 177 Absatz 1 Nummer 1 (Gewalt) und Nummer 2 (Drohung mit Gewalt) herausgelöst. Die Gründe, die gegenwärtig zu einer engen Auslegung der Vorschrift mit der Folge von Strafbarkeitslücken führen, fallen damit weg. Gleichzeitig wird § 179 Absatz 1 StGB (Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen) wesentlich erweitert, um strafwürdige Fallkonstellationen ebenfalls zu regeln. Die gegenwärtig von § 179 StGB erfassten Tathandlungen gehen in der Neufassung des § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E ohne konkrete Benennung der widerstandsunfähigen Person auf. Daraus folgt, dass § 179 Absatz 1 und 2 StGB-E nicht mehr vorrangig auf Menschen mit Behinderung zugeschnitten ist, sondern sich auf die Ausnutzung besonderer Umstände fokussiert.
Zu Buchstabe a (Überschrift von § 179 StGB-E)
Die bisherige Überschrift des § 179 StGB (Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen) ist mit Bezug auf den Gesetzesvorschlag zu eng.
§ 179 StGB-E schützt nicht nur widerstandsunfähige Personen, sondern darüber hinaus auch Personen, die im Fall eines Widerstandes gegen die sexuelle Handlung mit einem empfindlichen Übel rechnen müssen, sowie Personen, die von einer sexuellen Handlung durch den Täter überrumpelt werden. Den Tathandlungen des § 179 StGB-E ist gemein, dass der Täter zur Erreichung seines Zieles jeweils besondere Umstände ausnutzt.
Zu Buchstabe b (§ 179 Absatz 1 StGB-E)
§ 179 Absatz 1 StGB wird neu gefasst und wie folgt wesentlich erweitert:
Zu § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E
Gemäß § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E soll sich strafbar machen, wer unter Ausnutzung einer Lage, in der eine andere Person aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig ist, sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich von dieser Person vornehmen lässt.
Auf objektiver Ebene setzt § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E damit zunächst voraus, dass der Täter eine Lage ausnutzt, in der das Opfer zum Widerstand nicht fähig ist. Dies ist der Fall, wenn Gegenwehr ausgeschlossen ist und daher unterbleibt. Die Unfähigkeit zum Widerstand unterscheidet sich nicht wesentlich von der Widerstandsunfähigkeit in § 179 StGB. Gemeinhin wird Widerstandsunfähigkeit beschrieben als Unfähigkeit, einen Willensentschluss gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen (vgl. Fischer, a.a.O., § 179 Rn. 8a; LK-Hörnle, a.a.O., § 179 Rn. 28; Sch/Sch/Eisele, a.a.O., § 179 Rn. 3; BGH, Urteil vom 5. November 2014 - 1 StR 394/14 Rn. 15, zitiert nach Juris m. w. N.). Hilfsbedürftigkeit oder bloße Einschränkungen der Widerstandsfähigkeit reichen nicht aus (Fischer, a.a.O., § 179 Rn. 8b; Sch/Sch/Eisele, a.a.O., § 179 Rn. 3; Laubenthal, a.a.O., Rn. 306; MüKo-Renzikowski, a.a.O., § 179 Rn. 18; SK-Wolters, a. a. O., § 179 Rn. 3). Die Unfähigkeit des Opfers, Widerstand zu leisten, ist aus objektiver Exante-Perspektive zu beurteilen. Der objektive Tatbestand des Ausnutzens einer solchen Lage ist erfüllt, wenn der Täter sie subjektiv erkennt und sich für die sexuelle Handlung zunutze macht (vgl. Sch/Sch/Eisele, a.a.O., § 177 Rn. 10; SK-Wolters, a. a. O., § 177 Rn. 13c).
Die Unfähigkeit zum Widerstand muss gemäß § 179 Absatz 1 Nummer 1StGB-E auf dem körperlichen (1. Variante) oder psychischen Zustand (2. Variante) des Opfers basieren.
Aus körperlichen Gründen ist das Opfer zum Widerstand unfähig, wenn ein Gebrechen oder ein anderes Hemmnis vorliegt, das nicht auf eine psychische Störung zurückzuführen ist. Das kann etwa eine Lähmung, aber auch ein anderer Zustand wie zum Beispiel eine Fesselung sein (vgl. Fischer, a.a.O., § 179 Rn. 10; LK-Hörnle, a.a.O., § 179 Rn. 23; Sch/Sch/Eisele, a.a.O., § 179 Rn. 7; MüKo-Renzikowski, a.a.O., § 179 Rn. 33; Laubenthal, a. a. O., Rn. 314).
Der Begriff "psychisch" findet sich bereits in § 171 StGB (Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht) und in § 218c StGB (ärztliche Pflichtverletzung bei einem Schwangerschaftsabbruch). Psychisch bedeutet dasselbe wie das Merkmal "seelisch" in § 20 StGB. Mit dem 4. StrRG hatte der Gesetzgeber in Bezug auf die damalige Fassung des § 171 StGB (§ 170d StGB a. F.) dem Begriff "psychisch" den Vorrang vor "seelisch" eingeräumt, weil man den inhaltlich deckungsgleichen Begriff "seelisch" als "mit emotionalen und ideologischen Beziehungen behaftet" betrachtete (vgl. Bundestagsdrucksache 0VI/3521, Seite 16). Das Wort "psychisch" stellt klar, dass die Vorschrift nur Zustände meint, die mit medizinischpsychologischen Kriterien zu fassen sind (vgl. Bundestagsdrucksache 0VI/3521, a.a.O.; LK-Hörnle, a. a. O., § 171 Rn. 16). Der Begriff erfasst auch sogenannte Geisteskrankheiten, also etwa die angeborene Intelligenzminderung. Nicht erfasst werden psychische Disharmonien, die den Sexualpartner Entscheidungen treffen lassen, die er unter anderen Umständen nicht getroffen hätte. Lässt sich etwa die Einvernehmlichkeit des Geschlechtsverkehrs nur darauf zurückführen, dass der Sexualpartner unter dem Eindruck eines Todesfalls in der Familie stand und sich daher in einem psychischen Ausnahmefall befand, und wäre er ohne diesen Ausnahmezustand mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden gewesen, so liegt kein strafwürdiger Sachverhalt vor. Denn zum Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs lag gleichwohl ein tragfähiges Einverständnis vor. Ein medizinischpsychologischer Zustand, auf den sich eine Widerstandsunfähigkeit stützen ließe, ist nicht gegeben.
§ 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E bildet die gegenwärtig in § 179 Absatz 1 StGB genannten Gründe einer Widerstandsunfähigkeit vollständig ab und ist sogar etwas weiter gefasst. Der geltende § 179 Absatz 1 StGB nennt die geistige oder seelische Krankheit oder Behinderung (zum Beispiel Psychose) einschließlich einer Suchtkrankheit (zum Beispiel Drogen- oder Alkoholabhängigkeit) sowie die tiefgreifende Bewusstseinsstörung (zum Beispiel Ohnmacht, Schlaf, schwerer Schock, Hypnose, schwerer Rauschzustand durch Alkohol, Drogen oder Medikamente). Daneben wird die Widerstandsunfähigkeit aus körperlichen Gründen genannt. Letzterer unterfallen Gebrechen oder Hemmnisse, die keine psychische Ursache haben, so zum Beispiel Krankheiten, Lähmungen oder der Zustand nach Fesselung.
§ 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E umfasst die benannten Fälle ebenfalls. Strafbar macht sich daher zum Beispiel, wer es ausnutzt, dass die andere Person gefesselt oder so betrunken ist, dass sie zum Widerstand unfähig ist. Auch Fälle, bei denen das Opfer zum Beispiel infolge eines extremen Schocks keinen Widerstandswillen bilden oder äußern kann, werden weiterhin von § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E erfasst (vgl. zur Erfassung durch die gegenwärtige Rechtslage Sch/Sch/Eisele, a. a. O., § 179 Rn. 5).
Kinder, die lediglich entwicklungsbedingt noch widerstandsunfähig sind, werden nach h.M. nicht von der gegenwärtigen Rechtslage des § 179 StGB geschützt (vgl. Fischer, a.a.O., § 179 Rn. 10; SK-Wolters, a.a.O., § 179 Rn. 6; LK-Hörnle, a.a.O., § 179 Rn. 27; MüKo-Renzikowski, a. a. O., § 179 Rn. 19; BGH, Urteil vom 27. Mai 1981 - 3 StR 148/81, zitiert nach Juris).
§ 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E ist insoweit etwas weiter gefasst, weil es lediglich auf die objektive Unfähigkeit zum Widerstand ankommt. Diese Norm ist damit zukünftig nicht mehr auf Menschen mit Behinderung oder kranke Menschen zugeschnitten. Erfasst werden vielmehr auch Menschen, die aufgrund ihres altersbedingten Zustandes noch keinen Widerstand leisten können (Kleinstkinder) oder keinen Widerstand mehr leisten können (alte Menschen). Der körperliche oder psychische Zustand muss für die Unmöglichkeit des Widerstandes kausal geworden sein. Das setzt ebenso wie bei § 179 StGB voraus, dass die Möglichkeit zu einer anderen Entscheidung oder zur körperlichen Abwehr oder Flucht gerade durch den konkreten körperlichen oder psychischen Zustand des Opfers beseitigt ist (vgl. Fischer, a. a. O., § 179 Rn. 11).
Das Strafmaß des Grundtatbestandes reicht von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Dies entspricht dem gegenwärtigen Strafrahmen des § 179 StGB. Der im Vergleich zu § 177 Absatz 1 StGB niedrigere Strafrahmen rechtfertigt sich daraus, dass der Täter des § 177 Absatz 1 StGB zusätzlich einen entgegenstehenden Willen des Opfers durch Zwang beugen muss und daher wegen Nötigung mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr rechnen muss. Demgegenüber nutzt der Täter des § 179 Absatz 1 und 2 StGB-E lediglich die Schutzlosigkeit des zum Widerstand nicht fähigen Opfers aus. Darüber hinausgehende Tatmodifikationen, die das Unrecht der Tat vertiefen, finden etwa in dem Regelbeispiel des § 179 Absatz 3 StGB gesonderte Berücksichtigung. Ein minder schwerer Fall ist für § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E entsprechend der gegenwärtigen Rechtslage des § 179 StGB nicht vorgesehen.
Zu § 179 Absatz 1 Nummer 2 StGB-E
Gemäß § 179 Absatz 1 Nummer 2 StGB-E muss die Unfähigkeit zum Widerstand auf der überraschenden Begehung der Tat beruhen. Die sexuelle Handlung des Täters muss das Opfer unvorbereitet treffen. Das Opfer erwartet in der konkreten Situation keinen sexuellen Angriff, was vom Täter ausgenutzt wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn fremde Täter in öffentlichen Situationen plötzlich an das Geschlechtsteil des Opfers fassen, soweit hierin eine sexuelle Handlung nach § 184h Nummer 1 StGB zu sehen ist. Die überraschende sexuelle Handlung kann aber auch im nichtöffentlichen Raum und zwischen Personen, die sich kennen, erfolgen.
Das Strafmaß des Grundtatbestandes reicht wie in § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Zusätzlich ist für minder schwere Fälle ein Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen. Die Strafrahmen für das Grunddelikt und den minder schweren Fall berücksichtigen, dass der Tatbestand weit gefasst ist und dadurch auch Taten mit geringerem Unwert strafbegründend sein können. Aufgrund der Regelung für minder schwere Fälle ist die Verhängung einer schuldangemessenen Strafe auch dann möglich, wenn zum Beispiel die sexuelle Handlung nur geringfügig über der Erheblichkeitsgrenze des § 184h Nr. 1 StGB liegt.
Zu § 179 Absatz 1 Nummer 3 StGB-E
Gemäß § 179 Absatz 1 Nummer 3 StGB-E soll sich strafbar machen, wer unter Ausnutzung einer Lage, in der eine andere Person im Fall ihres Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet, sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich von dieser Person vornehmen lässt.
Der objektive Tatbestand setzt zunächst voraus, dass das Opfer ein empfindliches Übel befürchtet. Erfasst werden vor allem Fälle, bei denen dem Opfer aus objektiver Sicht tatsächlich ein empfindliches Übel droht und das Opfer dies erkennt und es auch befürchtet. Anders als § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB stellt § 179 Absatz 1 Nummer 3 StGB-E nicht auf eine schutzlose Lage ab. Es werden gleichwohl alle Fälle erfasst, die gegenwärtig von § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB abgedeckt sind. Denn die Rechtsprechung legt diese Vorschrift dahingehend aus, dass sie voraussetzt, dass das Opfer aus Furcht vor Gewalthandlungen des Täters keinen Widerstand leistet, weil es ihn für sinnlos hält (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 5 StR 12/15 Rn. 3, zitiert nach Juris; Fischer, a.a.O., § 177 Rn. 43 m. w. N.). Das Opfer muss daher im Falle eines Widerstandes ein empfindliches Übel befürchten. In § 179 Absatz 1 Nummer 3 StGB-E wird dieser Umstand, der das eigentliche Tatunrecht begründet, als Anknüpfungspunkt gewählt.
Im Zuge der subjektiven Fassung können darüber hinaus auch Fälle erfasst werden, bei denen dem Opfer zwar aus objektiver Exante-Perspektive tatsächlich kein empfindliches Übel droht, das Opfer ein solches aber annimmt. Damit werden auch die Fälle erfasst, die nach der gegenwärtigen Rechtslage straflos bleiben, weil das Opfer sich nicht in einer objektiv schutzlosen Lage befindet, eine solche aber annimmt. Auch insoweit bildet das Befürchten eines empfindlichen Übels den Anknüpfungspunkt, der das eigentliche Tatunrecht beim Ausnutzen einer subjektiv schutzlosen Lage konkret abbildet. Denn das Opfer, das sich in einer subjektiv schutzlosen Lage wähnt und deshalb untätig bleibt, befürchtet, dass der Täter bei Widerstand Gewalt anwenden wird, um sein Ziel zu erreichen. Diesen Umstand nutzt der Täter aus. Wenn der Täter diesen Umstand ausnutzt, erscheinen auch diese Fälle strafwürdig.
Die Befürchtung des Opfers, ein empfindliches Übel zu erleiden, muss sich auf die denkbare Widerstandshandlung beziehen. Das Übel muss dergestalt mit dem Widerstand verknüpft sein, dass es sich als dessen kausale Folge darstellt. Nicht erfasst werden daher Fälle, bei denen eine Person von sich aus die Initiative zur sexuellen Handlung ergreift, um hierdurch ein befürchtetes empfindliches Übel abzuwenden oder um einen Vorteil zu erlangen. Denn in diesem Fall gibt es keine ihr angetragene sexuelle Handlung, gegen die sie Widerstand leisten könnte. Begibt sich zum Beispiel die Arbeitnehmerin zu dem Vorgesetzten, um mit diesem geschlechtlich zu verkehren, weil sie sich dadurch erhofft, von der betrieblichen Entlassungswelle verschont zu bleiben, macht sich der Vorgesetzte auch dann nicht nach § 179 Absatz 1 Nummer 3 StGB-E strafbar, wenn er die Motivlage der Arbeitnehmerin erkennt und die Situation für sich ausnutzt. Denn in diesem Fall findet ein einvernehmlicher Geschlechtsverkehr statt, der auf einer freiverantwortlichen Willensbildung beruht, so dass das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung nicht verletzt wird. Dasselbe gilt, wenn das Angebot zur Gewährung eines Vorteils von dem Beschuldigten ausgeht. So bleibt ebenso wie bei der Nötigung auch zukünftig straffrei, wer einer Anhalterin erklärt, er nehme sie nur mit, falls sie mit ihm geschlechtlich verkehre. Soweit die Anhalterin selbstbestimmt entscheiden kann, ob sie sich auf das Angebot einlässt, liegt eine Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nicht vor (vgl. zur Rechtslage bei § 240 StGB Rengier, Rudolf, Strafrecht Besonderer Teil II: Delikte gegen die Person und die Allgemeinheit, 16. Auflage, München 2015).
Eine enge zeitliche Kongruenz zwischen Widerstand und Übel ist nicht erforderlich. Der Tatbestand ist daher zum Beispiel auch erfüllt, wenn das Opfer Widerstand unterlässt, weil es befürchtet, dass anderenfalls in der Zukunft eine Kündigung ausgesprochen wird. Aufgrund der Verknüpfung zwischen Übel und Widerstand mit den Worten "im Fall eines Widerstandes" werden nur solche Fälle erfasst, bei denen das Opfer die sexuelle Handlung zwar eigentlich ablehnt, aber den Widerstand wegen der Furcht vor dem empfindlichen Übel gleichwohl unterlässt. Gleichzeitig werden hierdurch Fälle ausgeschlossen, in denen das Opfer lediglich ein Übel befürchtet, das mit dem Widerstand in keinem Zusammenhang steht.
Das Übel, welches das Opfer im Falle eines Widerstandes befürchten muss, muss empfindlich sein. Das Merkmal des "empfindlichen Übels" ist der Rechtsprechung aus § 240 Absatz 1, 2. Variante StGB bekannt. Ein empfindliches Übel erfordert nicht, dass das Opfer in der Tatsituation Furcht vor Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten haben muss. Die Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter, wie zum Beispiel der persönlichen Freiheit oder des Eigentums, können abhängig vom Einzelfall ebenso ein empfindliches Übel darstellen, wie etwa die Sorge, im Weigerungsfall eine Kündigung zu erhalten oder ausländerrechtliche Konsequenzen erdulden zu müssen. Die Furcht vor einem empfindlichen Übel kann auch vorliegen, wenn eine Prostituierte gegen die ihr angetragene sexuelle Handlung nur deshalb keinen Widerstand leistet, weil sie fürchtet, anderenfalls von ihrem Zuhälter geschlagen zu werden. Kein empfindliches Übel dürfte demgegenüber in der Regel vorliegen, wenn das Opfer Scham empfindet oder die Furcht hat, anderenfalls Streitigkeiten mit dem Partner zu riskieren.
Der objektive Tatbestand setzt weiter voraus, dass der Täter eine solche Lage ausnutzt. Dies ist der Fall, wenn er die Lage erkennt und sich zunutze macht. Das Erkennen einer Lage, in der das Opfer im Fall seines Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet, setzt voraus, dass entsprechende objektive Anknüpfungspunkte vorliegen. Derartige Anknüpfungspunkte liegen insbesondere vor, wenn das Opfer mit dem Täter in einem Klima der Gewalt zusammenlebt. Denn in diesem Fall weiß der Täter, dass er gegenüber dem Opfer in der Vergangenheit bereits mehrfach als Aggressor aufgetreten ist. Lehnt das Opfer sexuelle Handlungen ausdrücklich oder konkludent ab, wehrt sich aber nicht, so nimmt es der Täter damit in der Regel zumindest billigend in Kauf, dass das Unterlassen von Widerstand auf die vorangegangene Gewalt zurückzuführen ist. Eine Finalität zwischen der vorangegangenen Gewalt und der sexuellen Handlung ist darüber hinaus nicht erforderlich. Objektive Anknüpfungspunkte, aus denen der Täter subjektiv erkennen kann, dass das Opfer einen erheblichen Nachteil befürchtet, sind ferner zum Beispiel Drohungen des Täters mit einem empfindlichen Übel.
Das Strafmaß reicht auch bei § 179 Absatz 1 Nummer 3 StGB-E von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. In minder schweren Fällen beläuft sich der Strafrahmen auf Freiheitsstrafe von drei bis zu fünf Monaten. Auf die diesbezüglichen Ausführungen zu § 179 Absatz 1 Nummer 2 StGB-E wird verwiesen.
Zu Buchstabe c (§ 179 Absatz 2 StGB-E)
§ 179 Absatz 2 StGB-E soll sprachlich an die Tatbestandserweiterung des § 179 Absatz 1 StGB-E angepasst werden. Die gegenwärtige Beschränkung auf die Widerstandsunfähigkeit entfällt daher. Inhaltlich gewährleistet § 179 Absatz 2 StGB-E, dass die Strafbarkeit unter den Voraussetzungen des § 179 Absatz 1 StGB-E auch dann eintritt, wenn das Ausnutzen der Lage durch den Täter zur Folge hat, dass das Opfer sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt. Das kann etwa der Fall sein, wenn das stark alkoholisierte Opfer, welches alkoholbedingt zum körperlichen Widerstand nicht mehr fähig ist, von dem Täter dazu bestimmt wird, zum Zweck des Oralverkehrs mit einem Dritten den Mund zu öffnen. Als weiteres Beispiel lässt sich der Fall benennen, in dem der Täter dem Opfer, welches sich illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, eine Meldung an die Ausländerbehörde in Aussicht stellt, wenn es sich weigern sollte, an einem Dritten sexuelle Handlungen vorzunehmen. Weiter lässt sich der Zuhälter anführen, der die Prostituierte unter Androhung einer Freiheitsberaubung dazu bringt, sexuell mit einem Freier zu verkehren. Das Tatunrecht ist dasselbe wie in § 179 Absatz 1 StGB-E. Das Strafmaß ist daher sowohl in Bezug auf das Grunddelikt als auch in Bezug auf die in § 179 Absatz 1 StGB-E für die Nummern 2 und 3 benannten minder schweren Fälle identisch.
Zu Buchstabe d (§ 179 Absatz 3 StGB-E)
§ 179 Absatz 3 StGB-E soll um zwei konkrete Regelbeispiele ergänzt werden. Die Ergänzung nach § 179 Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 StGB-E erfasst insbesondere die Fälle, die gegenwärtig noch unter § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB fallen. Hierdurch wird sichergestellt, dass diese Fälle weiterhin mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden können.
§ 179 Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 StGB-E ist jedoch insoweit weiter gefasst, als dass eine Nötigung anders als in § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB nicht erforderlich ist. Denn ein besonders schwerer Fall soll in der Regel bereits vorliegen, wenn der Täter eine Lage ausnutzt, in der das Opfer einer Gewalteinwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist. Erfasst werden damit Fälle, in denen objektiv eine schutzlose Lage besteht, das Opfer dies erkennt und im Hinblick auf die schutzlose Lage untätig bleibt. Das Opfer, das sich objektiv in einer schutzlosen Lage befindet, muss ferner eine Gewalteinwirkung befürchten, mithin mit einem Körperverletzungs- oder Tötungsdelikt rechnen. Die Furcht vor anderen empfindlichen Übeln ist nicht ausreichend. Der Gesetzgeber hatte die Regelung des § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB ursprünglich vor Augen, als er den unbenannten besonders schweren Fall in § 179 StGB einführte (vgl. Bundestagsdrucksache 15/350, S. 19). Dieser Intention wird nunmehr durch die explizite Formulierung in einem Regelbeispiel Ausdruck verliehen.
Daneben soll mit § 179 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 StGB-E sichergestellt werden, dass der Täter mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr rechnen muss, wenn die für § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E erforderliche Widerstandsunfähigkeit des Opfers auf einer Behinderung des Opfers beruht. Die Ausgestaltung als Regelbeispiel entspricht dem Geist des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK), mit dem die Unterzeichnerstaaten verpflichtet werden, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Gemäß Artikel 16 Absatz 1 UN-BRK treffen die Vertragsstaaten alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial-, Bildungs- und sonstige Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Wohnung vor jeder Form der Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch zu schützen. Mit dem neuen Regelbeispiel in § 179 Absatz 3 Satz 2 StGB-E wird die Bundesrepublik Deutschland dieser Verpflichtung noch besser gerecht werden. Das Regelbeispiel entspricht aber auch den Wertungen im sonstigen nationalen Recht. Der besondere Schutz von Menschen mit Behinderung findet seinen Ausdruck im nationalen Recht insbesondere im Neunten Buch Sozialgesetzbuch, im Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.
Stellt der zur Widerstandsunfähigkeit führende körperliche oder psychische Zustand des Opfers zugleich eine Behinderung der betroffenen Person dar, verwirklicht der Täter ein höheres Tatunrecht als dies beim Ausnutzen einer nur temporär bestehenden Widerstandsunfähigkeit der Fall ist. Denn das Ausnutzen einer dauerhaft bestehenden Widerstandsunfähigkeit unterscheidet sich, im Gegensatz zu den übrigen Fallkonstellationen des § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E, im Unrechtsgehalt nicht wesentlich von dem Nötigen einer Person zu sexuellen Handlungen, welches in § 177 Absatz 1 StGB mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe belegt ist. In beiden Fällen agiert der Täter mit einem erhöhten Maß an Skrupellosigkeit.
Zu Buchstabe e (§ 179 Absatz 5 Nummer 3 StGB-E)
Gemäß § 179 Absatz 5 Nummer 3 StGB ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen, wenn der Täter das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt. Der Begriff der seelischen Entwicklung wird durch den Begriff der psychischen Entwicklung ersetzt. Es handelt sich dabei um eine redaktionelle Änderung, mit der der Gleichklang zu der Formulierung in § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E hergestellt werden soll (siehe im Einzelnen oben zu § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E).
Zu Buchstabe f (§ 179 Absatz 6 StGB-E)
Minder schwere Fälle des § 179 Absatz 5 StGB-E sollen, soweit der Täter eine Lage nach § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E ausnutzt, weiterhin mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden können. An der bestehenden Rechtslage wird insoweit nichts geändert. Soweit der Qualifikation nach § 179 Absatz 5 StGB-E jedoch eine Tathandlung nach § 179 Absatz 1 Nummer 2 oder 3 StGB-E zugrunde liegt, sollen die minder schweren Fälle des § 179 Absatz 5 StGB-E zukünftig mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren geahndet werden. Die Absenkung der Mindestfreiheitsstrafe erfolgt insoweit vor dem Hintergrund, dass insbesondere bei § 179 Absatz 1 Nummer 3 StGB-E Fallkonstellationen denkbar sind, die nur von geringem Unrecht sind, so dass eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe nicht gerechtfertigt wäre.
Zu denken ist etwa an Fälle, bei denen das Opfer mit dem Täter schläft, weil es anderenfalls mit einer Kündigung rechnet. Das Opfer könnte hier an sich Widerstand leisten, unterlässt den Widerstand aber aus Furcht vor den Nachteilen. Das Gericht muss bei vergleichbaren Fallkonstellationen die Möglichkeit haben, unter einem Jahr Freiheitsstrafe zu bleiben. Darüber hinaus sind auch für die Fallkonstellation des § 179 Absatz 1 Nummer 2 StGB-E Fälle denkbar, bei denen das Unrecht der Tat so gering ist, dass die Annahme eines minder schweren Falles mit einem Mindeststrafrahmen von sechs Monaten Freiheitsstrafe gerechtfertigt sein kann.
Zu Nummer 4 (§ 240 Absatz 4 Satz 2 StGB-E)
Das Regelbeispiel aus § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB soll gestrichen werden. Die Strafbarkeit nach § 240 Absatz 1 und 4 Nummer 1 StGB wegen Nötigung in einem besonders schweren Fall deckt das Unrecht der Tat nicht hinreichend ab. Denn § 240 StGB schützt die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung. Droht der Täter dem Opfer jedoch mit einem empfindlichen Übel und bringt er es dadurch zu sexuellen Handlungen, verletzt er die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers. Die Strafbarkeit soll sich daher vorrangig aus § 179 Absatz 1 und 2 StGB-E ergeben, der die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers schützt. Der Umstand, dass der Täter nicht nur eine Lage ausnutzt, in der das Opfer ein empfindliches Übel befürchtet, sondern gleichzeitig mit einem empfindlichen Übel droht, kann ein Aspekt sein, der im Rahmen des § 179 Absatz 3 StGB zu berücksichtigen ist. Daneben bleibt der Täter nach § 240 Absatz 1, 2. Variante StGB strafbar.
Die Streichung des § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB hat außerdem die Beseitigung einer weiteren Unstimmigkeit zur Folge, die in der Literatur teilweise kritisiert wurde (vgl. Fischer, a. a. O., § 240 Rn. 59). Denn § 179 Absatz 1 und 2 StGB-E erfasst im Gegensatz zu § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB auch ausdrücklich das Vornehmen-Lassen sexueller Handlungen an dem Opfer durch den Täter oder einen Dritten.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.
Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKRG: NKR-Nr. 3418:
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung
Der Nationale Normenkontrollrat hat den Entwurf des oben genannten Regelungsvorhabens geprüft.
1. Zusammenfassung
Bürgerinnen und Bürger | |
Erfüllungsaufwand: | keine Auswirkungen |
Wirtschaft | |
Erfüllungsaufwand: | keine Auswirkungen |
Verwaltung | siehe Weitere Kosten. |
Weitere Kosten | Bei den Gerichten und Ermittlungsbehörden der Länder entsteht geringfügiger Vollzugsaufwand durch die geänderten Strafvorschriften |
Der NKR erhebt im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags keine Einwände gegen die Darstellungen der Gesetzesfolgen im vorliegenden Regelungsvorhaben. |
2. Im Einzelnen
2.1 Inhalte des Regelungsvorhabens
Mit dem Regelungsvorhaben sollen Schutzlücken im Strafrecht zur sexuellen Nötigung und Vergewaltigung geschlossen werden. Gleichzeitig soll der Verpflichtung aus der sogenannten Istanbul-Konvention des Europarates (Art. 36) besser gerecht werden, jede nicht einvernehmliche sexuelle Handlung unter Strafe zu stellen.
2.2 Erfüllungsaufwand
a) Bürgerinnen und Bürger
Für Bürgerinnen und Bürger entsteht kein Erfüllungsaufwand.
b) Wirtschaft
Für die Wirtschaft entsteht kein Erfüllungsaufwand.
c) Verwaltung
Siehe Weitere Kosten.
2.3 Weitere Kosten
Für die Staatsanwaltschaften und Gerichte der Länder können nicht näher bezifferbare Verfahrens- und Vollzugskosten entstehen. Das Ressort geht jedoch nicht von erheblichen zusätzlichen Fallzahlen aus. Vielmehr dürfte die Steigerung der Fallzahlen allenfalls im dreistelligen Bereich liegen.
Das Ressort hat die Länder und Verbände angehört.
Der NKR erhebt im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags keine Einwände gegen die Darstellungen der Gesetzesfolgen im vorliegenden Regelungsvorhaben. Das Ressort hat darüber hinaus eine Reformkommission zur Überarbeitung der gesamten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Strafgesetzbuch eingesetzt.
Dr. Ludewig Hahlen
Vorsitzender Berichterstatter