Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Kinderschutzes
(Kinderschutzgesetz)

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

E. Sonstige Kosten

F. Bürokratiekosten

Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Kinderschutzes (Kinderschutzgesetz)

Bundesrepublik Deutschland Berlin, den 23. Januar 2009
Die Bundeskanzlerin

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Müller

Sehr geehrter Herr Präsident,

hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen


mit Begründung und Vorblatt.
Federführend ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Abs. 1 NKRG ist als Anlage beigefügt.


Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Fristablauf: 06.03.09

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Kinderschutzes (Kinderschutzgesetz)

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Gesetz über die Zusammenarbeit im Kinderschutz (KiSchZusG)

§ 1 Kinderschutz und staatliche Mitverantwortung

§ 2 Beratung und Weitergabe von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung

§ 3 Weitergabe von Informationen durch andere Berufsgruppen bei Kindeswohlgefährdung

Artikel 2
Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch

Das Achte Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - in der Fassung der Bekanntmachung vom ¦¦¦ (BGBl. I S. ¦¦¦), zuletzt geändert durch ....., wird wie folgt geändert:

Artikel 3
Inkrafttreten

Begründung

A. Allgemeiner Teil

Vor dem Hintergrund eklatanter Einzelfälle von Kindesmisshandlung und Kindesvernachlässigung haben Bund, Länder und Kommunen in den letzten Jahren ihre Anstrengungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen verstärkt. So ist mit Wirkung vom 1. Oktober 2005 der Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung im Achten Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) konkretisiert und strukturiert worden.

In mehreren Bundesländern sind Kinderschutzgesetze auf den Weg gebracht und mit dem Ziel beschlossen worden, die verschiedenen Akteure, die mit der Förderung der Entwicklung und dem Schutz von Kindern befasst sind, besser miteinander zu vernetzen sowie die Verbindlichkeit der Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen zu erhöhen.

Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder haben den Kinderschutz aufgrund der großen gesellschaftspolitischen Bedeutung zum zentralen Gegenstand ihrer Beratungen am 19. Dezember 2007 und 12. Juni 2008 mit dem Ziel gemacht, Lücken im Kinderschutz zu identifizieren und Maßnahmen zur Stärkung des Kinderschutzes zu veranlassen.

Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder haben auf ihrer Konferenz am 12. Juni 2008 in Würdigung der bereits erfolgten Umsetzungen den Beschluss gefasst, dass folgende gesetzliche Regelungen für einen wirksameren Kinderschutz zügig umgesetzt werden sollen um identifizierte gesetzliche Lücken zu schließen:

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Gesetz über die Zusammenarbeit im Kinderschutz)

Zu § 1 Kinderschutz und staatliche Mitverantwortung

Zu Absatz 1

Die Vorschrift betont die Zielrichtung des Gesetzes mit Blick auf die rechtliche Stellung von Kindern und Jugendlichen als Grundrechtsträger (Art.1, 2 GG).

Zu Absatz 2

Die Vorschrift verweist auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 6 Abs.2 Satz 1 GG (elterliches Erziehungsrecht und elterliche Erziehungsverantwortung) und Art. 6 Abs.2 Satz 2 GG (Staatliches Wächteramt) als Ausgangspunkte für die Ausgestaltung des staatlichen Schutzauftrags.

Zu Absatz 3

Die Vorschrift beschreibt die Modalitäten des staatlichen Wächteramts als Gefahrenvorsorge und Gefahrenabwehr unter Bindung an die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Das staatliche Wächteramt setzt bereits auf der Ebene der primären Prävention durch allgemeine Maßnahmen zur Verbesserung der elterliche Erziehungskompetenz ein, hält darüber hinaus spezifische Hilfen für Familien und Kinder in spezifischen Risikolagen bereit und sieht schließlich Maßnahmen zur Abwendung einer (bereits eingetretenen) Gefährdung des Kindeswohls vor. Auch an dieser Gefährdungsschwelle genießen unterstützende Maßnahmen Vorrang vor eingreifenden Maßnahmen, die das Elternrecht beschneiden, soweit hierdurch die (weitere) Gefährdung des Kindes oder Jugendlichen wirkungsvoll abgewendet werden kann.

Der Begriff der Gefährdung des Kindeswohls hat in diesem Gesetz die gleiche Bedeutung wie in § 1666 BGB und § 8a SGB VIII. Es wurde von einer Konkretisierung des Begriffs Kindeswohlgefährdung im Hinblick auf delinquente Kinder und Jugendliche abgesehen.

Wiederholte schwerwiegende Verstöße gegen Strafgesetze oder Anzeichen einer Betäubungsmittelabhängigkeit sind auch ohne ausdrückliche gesetzliche Klarstellung Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung. Schwerwiegende Straftaten können insbesondere Ausdruck einer drohenden Verwahrlosung des Kindes sein (vgl. BVerfGE 107, 104, 118). Dem ist der Gesetzgeber in der Neufassung des § 1666 BGB mit dem Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls gefolgt.

Satz 2 verweist auf die Modalitäten des in § 8a SGB VIII geregelten Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung.

Zu § 2 Beratung und Weitergabe von Information bei Kindeswohlgefährdung durch

Geheimnisträger Die Vorschrift enthält eine bundeseinheitliche Regelung zur Beratung und Weitergabe von Informationen bei Kindeswohlgefährdung durch Geheimnisträger und stellt damit einen Schwerpunkt des Gesetzentwurfs dar.

Im Hinblick auf die vorrangige elterliche Erziehungsverantwortung und den Primat der elterlichen Gefahrabwendung stellt die Vorschrift die Verpflichtung zur Beratung der (personensorgeberechtigten) Eltern und zur Motivation für die Inanspruchnahme geeigneter Hilfen in den Vordergrund (Absatz 1), bestimmt aber im Interesse eines aktiven Kinderschutzes auch die Voraussetzungen, unter denen die Adressaten befugt sind, Informationen an das Jugendamt weiterzugeben (Absatz 3).

Da die Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung im Einzelfall sehr schwierig und komplex sein kann und zudem nicht zu den typischen Aufgaben vieler Angehöriger der unter die Norm fallenden Berufsgruppen zählt, eröffnet Absatz 2 die Möglichkeit, eine insoweit erfahrene Fachkraft aus dem eigenen Arbeitsbereich (intern) oder aus einer auf solche Aufgaben spezialisierten Einrichtung (z.B. Kinderschutzzentrum) hinzuzuziehen. Zu diesem Zweck dürfen auch Daten in anonymisierter oder pseudonymisierter Form übermittelt werden. Sinn dieser Übermittlung ist die Einbeziehung fachlicher Expertise zur Gefährdungseinschätzung im Einzelfall, nicht hingegen der Austausch von Daten unter Berufsgeheimnisträgern zur Sammlung von Verdachtsmomenten.

Die Vorschrift knüpft an der strafbewehrten Schweigepflicht von Berufsgeheimnisträgern ( § 203 StGB) an. Mit Strafe bedroht ist nach dieser Vorschrift die unbefugte Offenbarung von Privatgeheimnissen durch Angehörige verschiedener Berufsgruppen. Dazu zählt u. a. die Weitergabe von Ergebnissen einer ärztlichen Untersuchung ohne Einwilligung des Patienten bzw. dessen gesetzlichen Vertreters (an das Jugendamt). Die Weitergabe ist jedoch nicht rechtswidrig wenn bei einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib oder Leben der Schutz des Kindes das Interesse an der Geheimhaltung der Informationen wesentlich überwiegt (§ 34 StGB). So handelt etwa der Arzt nicht rechtswidrig, wenn er in einer akuten Gefährdungssituation das Jugendamt informiert. Die Rechtmäßigkeit der Weitergabe von Informationen ergibt sich damit u.a. erst aus einer Interessenabwägung, die eine Durchbrechung der Schweigepflicht rechtfertigt. Diese Konstruktion führt in der Praxis zu Anwendungsschwierigkeiten und Unsicherheiten.

Schwerpunkt der Regelung ist deshalb die Schaffung einer ausdrücklichen Befugnisnorm für die Weitergabe von Geheimnissen, um der Praxis größere Handlungssicherheit zu vermitteln.

Personen, die von dieser Norm Gebrauch machen, handeln nicht mehr unbefugt i.S. des § 203 Abs. 1 StGB.

Adressatinnen und Adressaten der Regelung sind die Personen, die einer Schweige- oder Geheimhaltungspflicht im Sinne des § 203 StGB unterliegen. Der weite persönliche Anwendungsbereich wird in der Praxis dadurch begrenzt, dass nur Angehörige einiger spezifischer Berufsgruppen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung wahrnehmen.

Zu § 3 Informationspflichten für andere Berufsgruppen

Die Vorschrift statuiert Informationspflichten für andere Berufsgruppen, die nicht zu den Geheimnisträgern zählen, und ergänzt damit die Regelung in § 3. Der persönliche Anwendungsbereich von § 3 umfasst Personen, die eine entgeltliche haupt- oder nebenberufliche Tätigkeit ausüben und in diesem Rahmen mit der Ausbildung, Erziehung oder Betreuung von Minderjährigen betraut sind.

Zu den in Absatz 1 adressierten Personen zählen insbesondere Lehrerinnen und Lehrer in den verschiedenen staatlich und privat geführten Schulen, Personen, die im Rahmen der Berufsausbildung Jugendlicher tätig sind, sowie Personen, die mit der Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen betraut und daher nicht in Einrichtungen und Diensten der Kinder- und Jugendhilfe, sondern der Sozialhilfe tätig sind. Der Systematik von § 2 entsprechend haben sie die primäre Pflicht, über ihre Erkenntnisse in Bezug auf gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung den Personensorgeberechtigten zu informieren und erst, wenn dieser Kontakt nicht Erfolg versprechend erscheint, die Befugnis, das Jugendamt zu informieren (Absatz 3).

Analog zu den Regelungen in § 2 für Berufsgeheimnisträger eröffnet Absatz 2 auch für die in Absatz 1 genannten Berufsgruppen die Befugnis, zur Gefährdungseinschätzung fachliche Expertise einzuholen.

Absatz 4 verweist auf die der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten obliegenden Aufgaben und Befugnisse zur Information des Jugendamtes über Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen und ergänzt insoweit § 81 Nr. 7 und 8 SGB VIII. Für Polizeibehörden gelten insoweit die Regelungen des Bundes- oder Landesrechts, die die Übermittlung polizeilicher Daten an andere öffentliche Stellen regeln.

Gemäß § 13 Abs. 2, § 14 Abs. 1 Nr. 5, § 17 Nr. 1, 4 und 5 EGGVG haben Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaften die Möglichkeit, öffentlichen Stellen des Bundes und der Länder personenbezogene Daten zur Erfüllung der in der Zuständigkeit des Empfängers liegenden Aufgaben zu übermitteln, sofern dies zur Abwehr einer erheblichen Gefährdung Minderjähriger oder für die Untersagung der Beaufsichtigung von Kindern und Jugendlichen erforderlich ist und schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht überwiegen. § 35a FGG verpflichtet die Gerichte und Behörden, dem Familiengericht personenbezogene Daten zu übermitteln, wenn deren Kenntnis aus ihrer Sicht für familiengerichtliche Maßnahmen (etwa zum Schutz eines Kindes) erforderlich ist und keine schutzwürdigen Interessen des Betroffenen überwiegen. § 22a des FamFG, das am 1. September 2009 das FGG ablöst, schreibt diese Regelung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Kinderschutz fort (BT-Drs. 016/9733, S. 30, 288). Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass insbesondere erhebliche Straftaten eines Jugendlichen Gefährdungen seines Wohls indizieren können, verlangt außerdem § 70 Jugendgerichtsgesetz (JGG) die Mitteilung der Einleitung und des Ausgangs eines Jugendstrafverfahrens an die - ohnehin möglichst frühzeitig einzubeziehende (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 2 JGG) - Jugendgerichtshilfe sowie in geeigneten Fällen an Vormundschaftsgericht, Familiengericht und Schule. Bei Heranwachsenden ist gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 JGG die Jugendgerichtshilfe und in geeigneten Fällen die Schule zu unterrichten.

Zudem bestehen für die Heranziehung der Jugendgerichtshilfe in Haftsachen besondere Regelungen (vgl. § 72a JGG). Untergesetzlich konkretisieren die Anordnungen über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra) und in Zivilsachen (MiZi) die vorgenannten Übermittlungsbefugnisse, indem dort entsprechende Übermittlungspflichten vorgesehen sind.

Zu Artikel 2 (Änderung des SGB VIII)

Zu Nummer 1 (§ 8a)

Die Einfügung von § 8a SGB VIII im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes hat nach Erkenntnissen aus der Praxis zu einer Qualifizierung der Arbeit in den Jugendämtern geführt. Die bekannt gewordenen Einzelfälle schwerwiegender Kindeswohlgefährdung und ihre Aufarbeitung weisen jedoch auf Defizite bei der Umsetzung der Regelung sowie bei der Vernetzung mit anderen Diensten und Systemen für einen erfolgreichen Kinderschutz hin. Insbesondere das Verfahren zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung und die dazu erforderlichen Schritte (wie zum Beispiel Hausbesuche, Erkundigungen) sind nur ansatzweise geregelt, so dass diesbezüglich Unsicherheiten bestehen.

Zu Buchstabe a

In Absatz 1 Satz 2 wird deshalb klargestellt, dass sich das Jugendamt im Rahmen der Gefährdungseinschätzung einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind (§ 7 Abs.1 Nr. 1:bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres) und in der Regel auch von dessen persönlicher Umgebung zu verschaffen hat. Diese Regelverpflichtung trifft das Jugendamt insbesondere im Hinblick auf die Einschätzung der Gefährdung bei Säuglingen und Kleinkindern.

Durch die Erweiterung von Satz 2 wird sichergestellt, dass das Jugendamt in den Fällen, in denen gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung festgestellt worden sind, nicht nur die Personensorgeberechtigten und das Kind oder den Jugendlichen in die weitere Gefährdungseinschätzung einbezieht, sondern sich tatsächlich mittels eines Hausbesuches einen unmittelbaren Eindruck von dem betreffenden Kind und seiner persönlichen Umgebung verschafft. Dazu zählt insbesondere die Einschätzung des körperlichen und geistigen Entwicklungsstandes des Kindes. Unter "persönlicher Umgebung" werden sowohl die Wohnverhältnisse des Kindes als auch das Verhalten des Kindes in der ihm vertrauten Umgebung verstanden. Die Auswertung bekannter Einzelfälle von Kindeswohlgefährdung hat gezeigt dass sich Fachkräfte auf die Aussagen der Eltern verlassen haben oder Angehörigen die Einschätzung von Risiko und Ausmaß der Kindeswohlgefährdung abverlangt haben, ohne das betroffene Kind oder den betroffenen Jugendlichen in den Blick zu nehmen. Auch die Regel-Verpflichtung zum Hausbesuch muss immer im Zusammenhang mit dem Zweck gesehen werden das Kind wirksam zu schützen. Es kann daher im Einzelfall insbesondere zur Vermeidung einer Eskalation der Gefährdung (z.B. bei Verdacht auf Anwendung von Gewalt, insbesondere auch sexueller Gewalt) geboten sein, zum Schutz des Kindes die notwendigen Informationen als Grundlage für die Gefährdungseinschätzung auf anderem Weg einzuholen.

Mit der Regelpflicht zum Hausbesuch ist keine Befugnis zur Durchsuchung oder zu Eingriffen und Beschränkungen des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 GG) verbunden. Die Erfüllung der Regelpflicht zum Hausbesuch setzt deshalb auf der Seite des Wohnungsinhabers die Bereitschaft voraus, den Zutritt zu gewähren. Bei Gefahr für Leib oder Leben des Kindes oder Jugendlichen ist (zusätzlich) die Polizei einzuschalten (Absatz 4).

Zu Buchstabe b

Nach der geltenden Fassung von Absatz 2 ist Gegenstand der Vereinbarung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, den Schutzauftrag "in entsprechender Weise" wahrzunehmen. Ziel der Regelung war es, die sich aus den privatrechtlichen Vereinbarungen mit den Eltern ergebenden Schutzpflichten zu konkretisieren und mit dem Schutzauftrag des Jugendamtes zu verknüpfen. Die durch die Formulierung "Wahrnehmung des Schutzauftrags in entsprechender Weise" bereits eingetretenen Unsicherheiten im Hinblick auf die Wahrnehmung des Schutzauftrags in den Einrichtungen und Diensten würden angesichts der neu geregelten Regelverpflichtung des öffentlichen Trägers zum Hausbesuch weiter verschärft.

Mit der Neuformulierung wird die Bezugnahme auf die Art und Weise der Wahrnehmung des Schutzauftrags in Absatz 1 aufgegeben und stattdessen der spezifische Schutzauftrag der Einrichtungen und Dienste in Absatz 2 eigenständig geregelt. (Satz 1 bis 3). Darüber hinaus werden in Satz 4 die Voraussetzungen für die Information des Jugendamtes präzisiert. Die bisherige Formulierung sah eine Informationspflicht nur für den Fall vor, dass die angenommenen Hilfen nicht ausreichen. In der Praxis wird die Informationspflicht aber bereits dann ausgelöst, wenn die (personensorgeberechtigten) Eltern die Mitwirkung an der Gefährdungseinschätzung verweigern oder die erforderlichen Hilfen nicht in Anspruch nehmen.

Zu Nummer 2 (§ 72a)

Die zuletzt durch das Kinderförderungsgesetz vom 10.12.2008 (BGB. I S.2403) geänderte Vorschrift enthält die notwendigen Folgeänderungen im Hinblick auf die zeitgleich mit der Verabschiedung dieses Gesetzes vorgesehene Änderung des Bundeszentralregistergesetzes (Absatz 1) und erstreckt das in Absatz 1 vorgesehene Verfahren zum Nachweis der persönlichen Eignung auch auf die Erlaubnisvorbehalte im SGB VIII, die u.a. an die Eignung von Personen für eine erzieherische Tätigkeit anknüpfen (Absatz 3). Aus systematischen Gründen wurde der Regelungsinhalt auf drei Absätze aufgeteilt.

Zu Absatz 1

Die Vorschrift entspricht Satz 1 und 2 a.F. Satz 2 berücksichtigt die Einführung von § 30a BZRG (erweitertes Führungszeugnis).

Zu Absatz 2

Die Vorschrift entspricht Satz 3 a.F.

Zu Absatz 3

Die Vorschrift stellt sicher, dass das Verfahren zur Feststellung der persönlichen Eignung nach Absatz 1 auch bei der Erteilung der Erlaubnis zur Tagespflege (§ 43), zur Vollzeitpflege (§ 44), zum Betrieb einer Einrichtung (§ 45) sowie zur Übernahme von Vereinsvormundschaften (§ 54)

Anwendung findet.

Zu Nummer 3 (§ 86c)

Durch die Anfügung der Absätze 2 und 3 wird die Regelung zur Leistungspflicht bei Zuständigkeitswechsel präzisiert und erweitert. Da weder das SGB VIII Regelungen zum Verfahren bei einer Fallübergabe enthält, noch in der Praxis bundeseinheitliche Standards zur Fallübergabe bei einem Zuständigkeitswechsel entwickelt worden sind, entscheiden die jeweiligen Träger der öffentlichen Jugendhilfe über die Art und Weise der Übergabe in eigener Verantwortung.

Die beim Zuständigkeitswechsel erforderliche Fallübergabe birgt jedoch Risiken für die Kontinuität des Hilfeprozesses und die damit verbundene Zielerreichung. Dies gilt insbesondere wenn es um die Fortsetzung von Leistungen der Hilfe zur Erziehung (§§ 27 ff. SGB VIII), der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche (§ 35a SGB VIII), der gemeinsamen Unterbringung von Elternteil und Kind in einer betreuten Wohnform (§ 19 SGB VIII) oder um die Wahrnehmung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung (§ 8a SGB VIII) geht - also um Leistungen bzw. Verfahrensschritte, die eine enge und kontinuierliche Kooperation aller Verfahrensbeteiligten erfordern. Diese Risiken sollen durch eine qualifizierte Fallübergabe gemindert werden. Insbesondere in Kinderschutzfällen müssen gesetzliche Regelungen dafür Sorge tragen, dass die Erkenntnisse des bisher zuständigen Jugendamtes nicht durch den Zuständigkeitswechsel verloren gehen.

Die notwendigen Befugnisse zur Erhebung und zur Weitergabe von Daten sind in den §§ 62, 64 65 SGB VIII und § 76 Abs. 1 SGB X geregelt.

Zu Absatz 1

Die Vorschrift enthält den Text des bisherigen § 86c SGB VIII.

Zu Absatz 2

Satz 1 verpflichtet zur Weitergabe der Informationen, die für die Gewährung und Erbringung der Leistung sowie für den Wechsel der Zuständigkeit maßgeblich sind. Aus der Praxis ist bekannt, dass häufig zwar die Tatsache des Zuständigkeitswechsels mitgeteilt wird, der nunmehr zuständige Träger aber nicht immer die erforderlichen Informationen zu den Umständen erhält, die die Grundlage für den Wechsel der Zuständigkeit bilden und den Hilfebedarf begründen. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der nunmehr zuständige örtliche Träger sowohl den Zuständigkeitswechsel als auch den Hilfebedarf überprüfen darf. Eine gelingende Kooperation zwischen dem bisher und dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger zur Fallübergabe beginnt daher mit Übergabe derjenigen Daten, die dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger diese Prüfung auch ermöglichen. Die Regelung eröffnet der zuständigen Fachkraft im Jugendamt einen Beurteilungsspielraum zur Frage, welche Daten im Einzelfall maßgeblich sind. Da eine Jugendhilfeleistung immer stark an dem Bedarf und den Besonderheiten des Einzelfalles ausgerichtet ist, verbietet sich in diesem Zusammenhang eine pauschale Aufzählung übermittlungsrelevanter Daten. Vielmehr ist in Übereinstimmung mit der datenschutzrechtlichen Befugnis zu prüfen, welche Daten übermittelt werden sollen und können.

Satz 2 verpflichtet den nunmehr zuständigen örtlichen Träger zur unverzüglichen Fortsetzung der Leistung, die in Absatz 1 zunächst nur vorausgesetzt wird. Dabei ist die Fortsetzung der Leistung nicht als Pflicht zur Gewährung miss zu verstehen. Der örtliche Träger übernimmt mit der Fortsetzung den Fall und kann ggf. auf Grundlage seiner Erkenntnisse und fachlichen Einschätzung auch eine Änderung der Hilfe im Einzelfall für erforderlich halten und dementsprechend umsetzen.

Satz 3 verpflichtet zu einem Übergabegespräch bei der Fortsetzung von Leistungen, die der Hilfeplanung nach § 36 unterliegen. Ein persönliches Gespräch wird allerdings nicht verlangt, so dass die Pflicht auch fernmündlich erfüllt werden kann. Da das Gespräch vor allem der Qualifizierung des Hilfeprozesses dient, sind die Personensorgeberechtigten, das Kind oder der Jugendliche oder der junge Volljährige zu beteiligen (arg. § 36).

Zu Absatz 3

Die Vorschrift verpflichtet zur Übermittlung gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung an den nach § 86 oder § 86b zuständigen örtlichen Träger.

Insbesondere ein Wohnorts- und/ oder Zuständigkeitswechsel darf nicht dazu führen, dass die vorhandenen Kenntnisse über die Gefährdungssituation eines Kindes verloren gehen und auf diese Weise ein rechtzeitiges Tätigwerden zu seinem Schutz verhindert wird.

Die Weitergabe von Daten ist aber über die in Absatz 2 genannten Fälle des Zuständigkeitswechsels hinaus auch und vor allem in den Fällen erforderlich, in denen einem örtlichen Träger Anhaltspunkte für die Gefährdung eines Kindes oder Jugendlichen bekannt sind der nicht für die Gewährung von Leistungen nach § 86 oder § 86b zuständig ist.

Wenngleich für die Wahrnehmung des Schutzauftrags bei Kindeswohlgefährdung keine eigene örtliche Zuständigkeit geregelt ist, da grundsätzlich derjenige Träger zum Handeln verpflichtet ist dem die gewichtigen Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bekannt werden, so kann der erforderliche Kontakt mit der Familie nur in räumlicher Nähe zu ihr hergestellt werden.

Aus diesem Grund soll verbindlich geregelt werden, dass dem für die Leistungsgewährung zuständigen örtlichen Träger der Jugendhilfe die gewichtigen Anhaltspunkte einer Kindeswohlgefährdung mitzuteilen sind, damit dieser den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung nach § 8a wahrnehmen kann.

Die Kontaktaufnahme mit dem nach § 86 zuständigen Träger hat unter strikter Beachtung der datenschutzrechtlichen Vorschriften zu erfolgen.

Daher ist zu beachten, dass gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung aus Meldungen oder auch aus unmittelbaren Erkenntnissen im Zusammenhang mit der Gewährung und Erbringung von Leistungen in der Vergangenheit oder einer abgebrochenen oder abgeschlossenen Gefährdungseinschätzung gewonnen worden sein können. Die Befugnis, die jeweiligen Daten weiterzugeben, richtet sich daher nach unterschiedlichen Normen.

Grundsätzlich ist die Übermittlung nach § 64 Abs. 1 SGB VIII zulässig, wenn die Daten zur Wahrnehmung des Schutzauftrags erhoben und hierfür auch weitergeben werden. Handelt es sich jedoch um anvertraute Daten - was in diesem sensiblen Bereich häufig der Fall ist - ,so richtet sich die Befugnis zur Datenübermittlung an das zuständige Jugendamt nach § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII. Die Weitergabe ist demnach zulässig, wenn Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohls gegeben sind und die Daten für eine Abschätzung des Gefährdungsrisikos notwendig sind. Wurden die Daten von einer Person zugänglich gemacht, die der Schweigepflicht nach § 203 StGB unterliegt, so müssen die Voraussetzungen nach § 76 Abs. 1 SGB X gegeben sein. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist zur Weitergabe an den für die Leistungsgewährung zuständigen örtlichen Träger nur befugt, wenn die Voraussetzungen vorliegen die für die rechtmäßige Übermittlung durch die der Schweigepflicht unterliegenden Person maßgeblich waren. Erfolgte eine Übermittlung nach § 2 Abs. 2 BKiSchG, so muss folglich auch aus Sicht der Fachkraft das unmittelbare Tätigwerden eines anderen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe erforderlich sein, um eine Gefährdungseinschätzung vorzunehmen oder eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen abzuwenden.

Damit liegen in aller Regel die Voraussetzungen dafür vor, die sowohl die Person, die der Schweigepflicht unterliegt, als auch die zuständige Fachkraft im Jugendamt zu einer zulässigen Weitergabe der Daten befugen. Im Hinblick auf den prozessualen und diskursiven Charakter der Gefährdungseinschätzung ist zur Mitteilung der Daten ein Übergabegespräch erforderlich, in das die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche einzubeziehen sind solange der Schutz des Kindes oder des Jugendlichen dadurch nicht in Frage gestellt ist.

Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKR-Gesetz:
NKR-Nr. 784:
Bundesgesetz zur Verbesserung des Kinderschutzes

Der Nationale Normenkontrollrat hat den o.g. Entwurf auf Bürokratiekosten, die durch Informationspflichten begründet werden, geprüft.

Mit dem Entwurf werden für den Bereich Wirtschaft und Verwaltung drei neue Informationspflichten eingeführt. Dieses führt für den Bereich der Wirtschaft zu marginalen Bürokratiekosten.

Gleichzeitig werden für die Verwaltung zusätzlich zwei neue Informationspflichten eingeführt. Für Bürgerinnen und Bürger werden keine Informationspflichten eingeführt, geändert oder aufgehoben.

Der Nationale Normenkontrollrat hat im Rahmen seines gesetzlichen Prüfauftrags keine Bedenken gegen das Regelungsvorhaben.

gez. gez.
Dr. Ludewig Dr. Barbier
Vorsitzender Berichterstatter