967. Sitzung des Bundesrates am 27. April 2018
A
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U), der Verkehrsausschuss (Vk) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt die Zielstellung der Kommission, den Übergang zu emissionsarmer Mobilität in der EU zu beschleunigen und dazu auch die CO₂-Emissionsnormen für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge zu überarbeiten. Dies ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu einer emissionsarmen Mobilität in Europa und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie.
- 2. Der Bundesrat begrüßt den strategischen Ansatz der Kommission, Europa auf den Weg zu einer emissionsarmen Mobilität zu bringen und damit die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie und des europäischen Mobilitätsökosystems zu stärken.
- 3. Der Bundesrat bekräftigt, dass es wirksamer Instrumente zur CO₂-Reduktion im Verkehrssektor bedarf, damit dieser seinen Beitrag zur Erreichung der verbindlichen Klimaschutzziele des Pariser Abkommens sowie des Klimaschutzplans 2050 der Bundesregierung leisten kann. Die technische Modernisierung der Fahrzeugflotten und -antriebe bietet dabei ein sehr großes Potenzial.
- 4. Aus Sicht des Bundesrates sind EU-weite CO₂-Flottengrenzwerte für Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge eines der wirkungsvollsten regulatorischen Instrumente, um die Klimaschutzziele und eine effektive Reduktion des CO₂-Austoßes im Verkehrssektor zu erreichen. Laut dem Projektionsbericht 2017 des Umweltbundesamtes gemäß Verordnung (EU) Nr. 525/2013 hat die Fortschreibung der CO₂-Grenzwerte für Pkw sogar den mit Abstand wirksamsten Effekt zur CO₂-Minderung im Verkehrsbereich.
- 5. Der Bundesrat stellt fest, dass mit dem Verordnungsvorschlag die bisherige differenzierte Festlegung der Reduktionsziele für neue Personenkraftwagen und für neue leichte Nutzfahrzeuge aufgegeben werden soll. Nach bestehender Regelung ist für 100 Prozent der Personenkraftwagen eines Herstellers der Zielwert von 130 g/km im Jahr 2015 und ein Zielwert von 95 g/km im Jahr 2021 vorgegeben. Die vorgesehene Reduzierung um 26,9 Prozent bei Personenkraftwagen ist über einen Zeitraum von sechs Jahren zu erbringen. Bei leichten Nutzfahrzeugen, wo es kein Phasein gibt, erstreckt sich die vorgegebene Reduzierung von 175 g/km im Jahr 2014 auf 147 g/km im Jahr 2020 ebenfalls über sechs Jahre und beträgt 16 Prozent.
Der Bundesrat hält die bisherige Differenzierung für sachgerecht und auch in der Zukunft für erforderlich. Der Markt für leichte Nutzfahrzeuge ist auch weiterhin stark fragmentiert und neue Technologien werden wie bisher zunächst im Segment der Personenkraftwagen eingeführt und erst nachfolgend an die Erfordernisse bei leichten Nutzfahrzeugen angepasst und dort eingesetzt. Dementsprechend wird auch die Elektrifizierung bei leichten Nutzfahrzeugen später erfolgen.
- 6. Bezüglich der notwendigen Differenzierung bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass:
- - das Ziel der Verringerung der durchschnittlichen Emissionen neuer leichter Nutzfahrzeuge ab 2030 sachgerecht, das heißt deutlich unterhalb der aktuell vorgeschlagenen 30 Prozent festgesetzt wird,
- - dies bei der Festlegung eines Zwischenziels für leichte Nutzfahrzeuge mit lediglich indikativem Charakter für 2025 berücksichtigt wird und - bei der Berechnung des ZLEV-Faktors die vorgesehene Grenze für die Berücksichtigung von leichten Nutzfahrzeugen höher als die 50 g/km bei Personenkraftwagen sowie der erforderliche Anteil emissionsfreier und emissionsarmer Fahrzeuge in der Flotte neu zugelassener leichter Nutzfahrzeuge zu Erreichung eines ZLEV-Faktors von 1,05 deutlich kleiner als die für Personenkraftwagen vorgesehenen 15 Prozent für die Jahre 2025 bis 2029 und 30 Prozent ab dem Jahr 2030 festgesetzt werden.
- 7. Die CO₂-Flottengrenzwerte stellen als Innovationstreiber zudem einen wichtigen Anstoß für die Technologie- und Marktführerschaft der europäischen Automobilindustrie dar. Gerade eine frühzeitige Festlegung auf verbindliche Ziele gewährleistet aus Sicht des Bundesrates Planungssicherheit für die Wirtschaft und ermöglicht wirtschaftlich bewältigbare und sozial angemessene Zeiträume für die Umstellung. Daher begrüßt der Bundesrat ausdrücklich den Ansatz der Kommission, im Wege einer Verordnung die CO₂-Flottengrenzwerte von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen für die Jahre 2025 und 2030 neu festzulegen sowie die Wirksamkeit dieser Verordnung im Jahr 2024 einer Revision zu unterziehen.
- 8. Der Bundesrat hält das Zwischenziel einer Reduzierung um 15 Prozent bis 2025 angesichts des eher exponentiell verlaufenden Markthochlaufs der Elektromobilität für unrealistisch. Er bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass dieses Zwischenziel lediglich indikativen Charakter hat.
- 9. Die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie hängt entscheidend davon ab, dass sie bei emissionsarmen und -freien Antrieben technologisch führend bleibt. Dies gilt insbesondere auf den technologisch wichtigen Auslandsmärkten wie China und USA. Ambitionierte Grenzwerte setzen hierfür die richtigen Anreize, wie die bisherige Erfahrung mit den Flottengrenzwerten lehrt.
- 10. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Fortschreibung und weitere Absenkung der CO₂-Flottengrenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, bewertet jedoch die von der Kommission vorgeschlagene Minderung der CO₂-Emissionsnormen um 30 Prozent im Zeitraum 2020 bis 2030 als nicht ausreichend, um die globalen, europäischen und nationalen Ziele im Klimaschutz zu erreichen.
- 11. Mit dem Klimaschutzabkommen von Paris sind Deutschland und die EU-Staaten völkerrechtlich verpflichtet, den CO₂-Ausstoß deutlich zu senken. Der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung hat erstmalig ein nationales Reduktionsziel für den Verkehrssektor gesetzt: Danach müssen sich die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 verringern. Der Bundesrat unterstützt dieses Ziel ausdrücklich.
- 12. Der Bundesrat weist darauf hin, dass zur Zielerreichung in Deutschland die Emissionen im Verkehrsbereich insgesamt um circa 70 Millionen Tonnen CO₂ gesenkt werden müssen. Durch den Vorschlag der Kommission können die CO₂-Emissionen nach vorläufigen Berechnungen lediglich um 3,5 Millionen Tonnen gesenkt werden. Das würde als Beitrag zum Sektorziel bei weitem nicht genügen.
- 13. Der Bundesrat gibt infolge dessen zu bedenken: Je anspruchsloser das technologieorientierte Instrument der CO₂-Flottengrenzwerte ausgestaltet wird, desto weitreichender müssen ergänzende preisliche, ordnungspolitische und verhaltensorientierte Instrumente zur CO₂-Minderung ausgestaltet werden, deren Akzeptanz als geringer eingeschätzt wird. Außerdem tragen ambitionierte Flottengrenzwerte maßgeblich dazu bei, dass sich der Kraftstoffverbrauch und die damit verbundenen Kosten für die Verbraucherinnen und Verbraucher maßgeblich reduzieren.
- 14. Nach Ansicht des Bundesrates ist der Vorschlag der Kommission, die CO₂-Emissionen im Zeitraum zwischen 2020 und 2030 um 30 Prozent zu senken, wenig ehrgeizig und wird den klimaschutzpolitischen Anforderungen an den Verkehrssektor insbesondere in Deutschland nicht gerecht. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich im Rat dafür einzusetzen, dass die Fortschreibung der Flottengrenzwerte wesentlich ambitionierter erfolgt, um den notwendigen Minderungsbeitrag zum Sektorziel für den Verkehrsbereich von mindestens 40 Prozent (entspricht 70 Millionen Tonnen CO₂) gegenüber 1990 zu erreichen.
- 15. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich den vorliegenden Verordnungsvorschlag. Er ist ein wichtiger Schritt, um die CO₂-Emissionen von neuen Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen im Straßenverkehr zu reduzieren. Das Ziel einer Reduzierung des CO₂-Ausstoßes von Neufahrzeugen um 30 Prozent bis 2030 erscheint klimapolitisch geboten, sollte aber auch die wirtschaftspolitischen Realitäten beachten.
- 16. Damit das Instrument der CO₂-Flottengrenzwerte Wirkung entfaltet, ist künftig über die Weiterentwicklung von Test- und Marktüberwachungsverfahren zu gewährleisten, dass die regulierten Emissionen den realen Emissionen auf der Straße entsprechen. Der Umstieg auf die WLTP-Testprozedur, die das Fahrverhalten eines Fahrzeugs weltweit repräsentativ abdeckt, ist dazu aus Sicht des Bundesrates ein erster wichtiger Schritt. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass zügig ein Testverfahren für die Ermittlung der CO₂-Emissionen auf der Straße eingeführt wird, das die Basis für eine künftige CO₂-Grenzwertgesetzgebung bildet. Aus Sicht des Bundesrates kann nur durch ein Zusammenspiel von neuen Testverfahren und wirksamer Marktüberwachung sichergestellt werden, dass der CO₂-Ausstoß auch im Realbetrieb gemindert wird. Denn nur das zählt für den Klimaschutz.
- 17. Die Beibehaltung von Strafzahlungen bei Nichteinhaltung der Grenzwerte wird mit Blick auf die Wirksamkeit des Instruments der Grenzwerte vom Bundesrat als richtiger und wichtiger Schritt begrüßt. Es bleibt abzuwarten, ob sich die festgelegten Strafen als ausreichender Motivator erweisen.
- 18. Der Bundesrat spricht sich gegen ein Bonussystem für die Anrechnung synthetischer Kraftstoffe auf die CO₂-Flottengrenzwerte aus. Die Regulierung der Flottengrenzwerte ist eine Tankto-Wheel-Betrachtung, bei der die Vorkette zur Kraftstoff- bzw. Stromerzeugung, die sich dem Einfluss der Automobilhersteller entzieht, außer Acht gelassen wird. Die CO₂-Minderung von Kraftstoffen und Stromerzeugung wird durch andere EU-Richtlinien reguliert. Aus Sicht des Bundesrates gilt dabei: Je geringer die Wirkung des Flottengrenzwertes, desto schärfer müssen die Bereiche Kraftstoff und Energiequellen reguliert werden. Der Bundesrat hält eine ausgewogene Lastenteilung bei den Reduktionspflichten im Klimaschutz zwischen den Sektoren für notwendig.
- 19. Zur Würdigung des Engagements im Bereich der synthetischen Kraftstoffe durch die Automobilindustrie bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich im Rat dafür einzusetzen, dass in die Verordnung ein Bonussystem integriert wird, welches auf ein auf Basis der Menge an von einem Fahrzeughersteller produzierten und in Verkehr gebrachten synthetischen Kraftstoff errechnetes CO₂-Äquivalent auf den individuell zu erreichenden Flottengrenzwert angemessen angerechnet wird.
- 20. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Verwendung von strombasierten synthetischen Kraftstoffen aus erneuerbaren Stromquellen in Verbrennungsmotoren derzeit um circa den Faktor 7 ineffizienter ist als eine direkte Nutzung des Stroms in batterieelektrischen Antrieben. Wollte man die gesamte Fahrleistung in Deutschland durch synthetische Kraftstoffe (Power to Liquid) ersetzen, ergäbe dies annähernd eine Verdreifachung des gesamten derzeitigen Strombedarfs in Deutschland. Wenn synthetische Kraftstoffe in Zukunft im industriellen Maßstab innerhalb oder außerhalb Deutschlands hergestellt werden, dann sollten sie aus klimapolitischen Gründen im Verkehrsbereich zuerst im Luftverkehr eingesetzt werden, da für diesen absehbar keine technologische Alternative zum Verbrennungsmotor besteht.
- 21. Auf diesem Weg zu einer emissionsarmen Mobilität müssen alle zur Verfügung stehenden Optionen geprüft und deren Potenziale ausgeschöpft werden. Neben den alternativen Kraftstoffen Strom und Wasserstoff im Zusammenhang mit der Elektromobilität bieten sich synthetische Kraftstoffe für Verbrennungsmotoren ebenfalls mindestens als eine vielversprechende Übergangslösung an. Außerdem müssen die technologischen Entwicklungen der nächsten Jahre sowie die Akzeptanz und damit die Marktdurchdringung von emissionsfreien Antrieben Berücksichtigung finden.
- 22. Der Kommissionsvorschlag setzt wie bisher nur an Neufahrzeugen, nicht aber am Fahrzeugbestand an. Um bei Neufahrzeugen, aber auch bei der Bestandsflotte eine CO₂-Reduzierung zu erreichen, sollten in die Verordnung zusätzliche Reduktionspotentiale, die durch die Verwendung von Biokraftstoffen und Kraftstoffen auf der Basis von Elektrizität aus erneuerbaren Energien sowie den Einsatz von neuen und digitalen Mobilitätskonzepten (zum Beispiel Carsharing) entstehen, aufgenommen werden. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich für entsprechende Ansätze über die Neuwagenregulierung hinaus einzusetzen.
- 23. Der Bundesrat hält den von der Kommission vorgeschlagenen Anreizmechanismus für kontraproduktiv, wonach Herstellern eine höhere CO₂-Zielvorgabe gewährt wird, wenn sie mehr als 15 Prozent ihrer Flotte als Null- und Niedrigemissionsfahrzeuge verkaufen. Begünstigungen dieser Art führen vielmehr zu einer "Beschönigung" der tatsächlichen durchschnittlichen CO₂-Emissionen der Fahrzeugflotte eines Herstellers und verhindern letztlich die CO₂-Reduzierung über die komplette Modellpalette.
- 24. Plugin-Hybride sind für den Markthochlauf der Elektromobilität und die Akzeptanz von Elektrofahrzeugen von großer Bedeutung. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher darauf hinzuwirken, dass im Rahmen der Berechnung des Bonussystems für "Zero and Low Emission Vehicles" (ZLEV) Plugin-Hybride stärker als im Vorschlag der Kommission gewichtet werden.
B
- 25. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Gesundheitsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.