Unterrichtung durch die Bundesregierung
Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Der diplomatische und konsularische Schutz des Unionsbürgers in Drittländern KOM (2006) 712 endg.; Ratsdok. 6192/07

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 12. Februar 2007 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Förderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 28. November 2006 dem Bundesrat zugeleitet.


Hinweis: vgl.
Drucksache 417/06 (PDF) = AE-Nr. 061268

1. Einleitung

2. Informationen für den Bürger

Das Wissen der Bürger zum Thema konsularischer Schutz muss unbedingt verbessert werden.

Zu diesem Zweck schlägt die Kommission mehrere Maßnahmen vor, von denen sich einige kurzfristig umsetzen lassen, andere dagegen komplexere Entscheidungen auf europäischer Ebene erfordern.

2.1. Informationen über das Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz

Sowohl die Organe als auch die Mitgliedstaaten sollten die Bürger und die im Bereich Personenbeförderung tätigen Gewerbe, wie Reisebüros, regelmäßig zu diesem Thema unterrichten.

Zu diesem Zweck könnten beispielsweise Informationsbroschüren verteilt, an Flughäfen, Häfen, Bahnhöfen oder Passämtern . Plakate angebracht und über die Website "Europa" sowie die Websites der Kommissionsdelegationen in Drittländern Informationen verbreitet werden. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, dass die Bürger ihre Fragen zum Thema konsularischer und diplomatischer Schutz telefonisch oder per E-Mail an EUROPE DIRECT10 richten.

2.2. Informationen über Vertretungen der Mitgliedstaaten in Drittländern

Ein Bürger muss für den Fall, dass sein Land in dem von ihm angesteuerten Drittland weder eine Botschaft noch ein Konsulat unterhält, wissen, welche anderen Mitgliedstaaten in diesem Land über eine Botschaft oder ein Konsulat verfügen.

Die Kommission ist der Auffassung, dass sie damit beauftragt werden könnte, mit Hilfe der Mitgliedstaaten eine solche Informationskampagne durchzuführen. Letztere könnten zu diesem Zweck aufgefordert werden, der Kommission eine Liste all ihrer Botschaften und Konsulate in Drittländern einschließlich der dazugehörigen Kontaktdaten zur Verfügung zu stellen.

2.3. Nutzung des Reisepasses zu Informationszwecken

Im Barnier-Bericht wird vorgeschlagen, in jedem Reisepass Artikel 20 EG-Vertrag abzudrucken.

Dieser Vorschlag wurde vom Ratsvorsitz aufgegriffen, der in seinem Bericht an den Europäischen Rat vom 15. Juni 0611 eine entsprechende Aufforderung an die Mitgliedstaaten richtet.

Dies wäre nach Auffassung der Kommission ein probates Mittel, um den Bürgern ihre Rechte in Erinnerung zu rufen.

2.4. Reisehinweise

Um seine Bürger vor Reisen in Drittländer zu warnen, in denen ihre Sicherheit und Gesundheit gefährdet ist, gibt jeder Mitgliedstaat für seine eigenen Staatsbürger Reisehinweise aus. Diese spiegeln seine eigene Risikoeinschätzung wider, die je nach Kenntnis des Landes und den Beziehungen, die er zu diesem unterhält, von der anderer Mitgliedstaaten abweichen kann.12

Hier sollte eventuell die Möglichkeit einer Abstimmung dieser Hinweise geprüft werden.

Ein Beispiel für eine solche Abstimmung stellen die Entscheidungen 2119/98/EG13 und 2000/57/EG14 dar, mit denen ein gemeinschaftsweites Netz zur Förderung von Zusammenarbeit, Koordinierung und Informationsaustausch geschaffen wurde, dessen Ziel es ist, die Prävention und Kontrolle übertragbarer Krankheiten zu verbessern. Die über ein Frühwarnsystem (Early Warning and Response System - EWRS) weitergeleiteten Informationen betreffen Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die die Mitgliedstaaten zur Abwendung einer Gefahr, wie einer drohenden Pandemie ergreifen.

Kommission und Mitgliedstaaten unterrichten auch die betroffenen Berufsgruppen sowie die breite Öffentlichkeit über jede auf Gemeinschaftsebene getroffene Richtungsentscheidung. Außerdem werden die Bürger in Zukunft über die zuständigen Behörden auf angemessene und gemeinschaftsweit gleiche Weise entsprechend den Stellungnahmen des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) präventiv auf Risiken hingewiesen werden müssen.

2.5. Veröffentlichung aller zur Umsetzung des Artikels 20 EG-Vertrag getroffener Maßnahmen

Aus Transparenzgründen sollten die Bürger über ihre Rechte nach Artikel 20 EG-Vertrag unterrichtet werden. So sollten beispielsweise die Leitlinien für die Anwendung dieses Artikels im Amtsblatt veröffentlicht werden.

3. Umfang des Schutzes

Artikel 20 EG-Vertrag verlangt von den Mitgliedstaaten nur, dass sie Unionsbürgern unter denselben Bedingungen Schutz gewähren wie eigenen Staatsangehörigen. Der Schutz gestaltet sich also nicht einheitlich, und es gibt ebenso viele Schutzregelungen wie Mitgliedstaaten.

Geltungsbereich und Rechtswirkung dieser Regelungen sind nicht immer deckungsgleich.15

Nach Auffassung der Kommission wäre es sinnvoll, langfristig die Unterschiede zwischen einzelnen Aspekten des Schutzes mit dem Ziel zu prüfen, allen Unionsbürgern ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit einen vergleichbaren Schutz zu bieten.

Kurzfristig sollten folgende Aspekte erörtert werden:

3.1. Schutz von Unionsbürgern, die in Drittländern arbeiten und wohnen

Die Kommission hat mit ihrer Entscheidung 88/384/EWG zur Einführung eines Mitteilungs- und Abstimmungsverfahrens über die Wanderungspolitik gegenüber Drittländern16 ein Verfahren eingeführt, mit dessen Hilfe die Mitgliedstaaten einander konsultieren können. Sie wollte so darauf hinwirken, dass in die bilateralen Abkommen möglichst viele gemeinsame Bestimmungen aufgenommen werden. Außerdem war es ihr Ziel, den Schutz der in Drittländern arbeitenden und wohnenden Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu verbessern.

Zum Zwecke dieses Schutzes sollten die in Artikel 20 EG-Vertrag vorgesehenen Regeln über den Schutz von Unionsbürgern in die bilateralen Abkommen mit Drittländern aufgenommen werden.

3.2. Familienangehörige des Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen

Der Bedarf an einem Schutz sowohl der Unionsbürger als auch ihrer Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, ist im Libanon-Konflikt vom Juli 2006 deutlich zutage getreten, als Familienangehörige von EU-Bürgern, deren Mitgliedstaat nicht im Libanon vertreten war, über Zypern evakuiert wurden. In solchen Situationen sehen sich die Unionsbürger und ihre Angehörigen mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. Hier muss Abhilfe geschaffen und festgelegt werden, wie in Notfällen sowohl der Unionsbürger als auch seine Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besitzen, zu schützen sind.

3.3. Identifizierung und Überführung von Leichen

Die Tsunami-Katastrophe Ende 2004 und ihre Folgen haben deutlich gemacht, wie schwierig sich die Identifizierung und Überführung von Leichnamen gestaltet. Die örtlichen Behörden des betreffenden Drittlands verlangen mitunter die Einhaltung einer Reihe von Formalitäten, beispielsweise die Vorlage eines Leichenpasses (den die Konsularbehörde ausstellt) oder einer von einer Klinik oder der Polizei ausgestellten Bescheinigung des Todes und der Todesursache, die Erfüllung bestimmter Einsargungsvorschriften oder eine beglaubigte Übersetzung der Urkunden.

Auch die Kompliziertheit und die hohen Kosten der Überführungsverfahren sind für die Angehörigen der Opfer ein Problem.

Einige Mitgliedstaaten sind dem Abkommen des Europarats vom 26. Oktober 1973 über die Leichenüberführung17 beigetreten, das auf eine Vereinfachung der Überführungsformalitäten abzielt. Dieses Abkommen lässt den Mitgliedstaaten allerdings einen breiten Ermessensspielraum. Parallel zu weiteren Vereinfachungsbestrebungen muss darauf hingewirkt werden, dass alle Mitgliedstaaten diesem Abkommen beitreten.

Für die Überführungskosten könnte ergänzend ein europäisches Ausgleichssystem eingerichtet werden.

Bevor eine Leiche überführt werden kann, muss sie identifiziert werden. Die Kommission wird in diesem Zusammenhang Forschungen zur Entwicklung effizienter DNA-Analysetechniken, die kostengünstiger sind als die derzeit verfügbaren, unterstützen.

3.4. Vereinfachung der Modalitäten für finanzielle Vorleistungen

Am Beschluss 95/553/EG wird deutlich, wie kompliziert die Formalitäten für die Kostenerstattungen und finanziellen Vorleistungen an Bürger sind, die sich in Schwierigkeiten befinden. Der Antragsteller muss eine Genehmigung seines eigenen Staates vorlegen und sich schriftlich verpflichten, die Leistungen zu erstatten. Der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Antragsteller besitzt, erstattet alle Kosten auf Antrag des Staates, der die Hilfe leistet. Der Bürger erstattet die Leistungen seinem eigenen Staat. Die Staatsangehörigen einiger Mitgliedstaaten müssen bei dem Hilfe leistenden Staat ihren Reisepass als Garantie hinterlegen.

Eine Lösung könnte darin bestehen, alle Vorgänge zentral in einer gemeinsamen Stelle in dem Drittland abzuwickeln und gleichzeitig die im Beschluss 95/553/EG vorgesehen Verwaltungsschritte zu vereinfachen.

4. Strukturen und Ressourcen.

4.1. Einrichtung gemeinsamer Stellen

Ein Schutzersuchen dürfte in punktuellen Situationen keine besonderen Probleme bereiten, z.B. wenn es um den Verlust von Dokumenten geht. Geraten aber ganze Gruppen von Menschen in Schwierigkeiten, z.B. bei Katastrophen, Pandemien, Terroranschlägen oder militärischen Konflikten, gestaltet sich die Situation möglicherweise anders.

In solchen Fällen sehen sich die Mitgliedstaaten mit zahlreichen Hilfsersuchen oder Überführungsanträgen von Bürgern konfrontiert, deren Staat nicht in dem betreffenden Drittland vertreten ist. Sie sollten die sich für sie daraus ergebenden Aufgaben gerecht untereinander aufteilen. Die weiter oben genannten Leitlinien zielen auf eine solche Arbeitsteilung ab.

Ein möglicher Ansatz wäre die Einrichtung gemeinsamer Stellen, wie sie im Barnier-Bericht vorgeschlagen wurden. Dieser Gedanke wurde später in der Mitteilung vom 28. Juni 2006 über die Umsetzung des Haager Programms18 übernommen. Ähnliche Vorschläge sind vom EP unterbreitet worden19.

Die Einrichtung gemeinsamer Stellen würde eine kohärente Organisation der Aufgaben sowie Einsparungen bei den festen Strukturkosten der einzelstaatlichen diplomatischen und konsularischen Netze ermöglichen.

Die gemeinsamen Stellen könnten nach dem Prinzip arbeiten, dass die Mitgliedstaaten einander vertreten. Im Einzelnen wird Folgendes vorgeschlagen:

4.2. Schulung der einzelstaatlichen Beamten

Zwecks Gewährleistung einer kontinuierlichen Fortbildung, insbesondere der Mitarbeiter der "gemeinsamen Stellen", könnte die Kommission gemeinsame Schulungen für die Beamten der Mitgliedstaaten und der EU-Organe anbieten. Themen dieser Schulungen könnten beispielsweise die Kontrollen an den EU-Außengrenzen, die Leichenüberführung oder das Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz sein.

5. Zustimmung der Drittländerbehörden

Artikel 20 EG-Vertrag kann nur mit Zustimmung der Drittländer umgesetzt werden.

Es ist ein allgemeiner völkerrechtlicher Grundsatz, dass ein Staat einem Bürger eines anderen Staates nur mit Zustimmung des betreffenden Drittlands Schutz gewähren kann.25

Gemäß Artikel 20 EG-Vertrag sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, zu diesem Zweck internationale Verhandlungen einzuleiten.

Jeder Mitgliedstaat muss also bilaterale Verhandlungen mit Drittländern aufnehmen.26 Denkbar wäre aber auch, dass in die gemischten Abkommen, die die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten schließen, eine Standardklausel über die Zustimmung zum diplomatischen und konsularischen Schutz aufgenommen wird. Nach dieser Klausel müsste der betreffende Drittstaat einwilligen, dass ein EU-Bürger von jedem Mitgliedstaat Hilfe erhalten kann, der in diesem Drittstaat vertreten ist.

Für den besonderen Fall der Aufbringung eines die Flagge eines Mitgliedstaats führenden Fischereifahrzeugs sowie der Festnahme von Kapitän und Besatzung sehen einige Fischereiabkommen vor, dass die Drittländer die Delegation der Europäischen Kommission vor Ort unterrichten müssen.27 Diese unterliegen einer "Pflicht zum diplomatischen Schutz", die im Urteil in der Rechtssache "Odigitria" hervorgehoben wurde.28

Allerdings kann aus diesem Urteil kein allgemeingültiger Schluss gezogen werden, der über den Kontext des Fischereiabkommens hinausginge. Langfristig könnte diese Frage der Pflicht zum diplomatischen Schutz für die Fälle aufgeworfen werden, in denen sich diese Pflicht aus der Ausübung gemeinschaftlicher Befugnisse ergibt.

6. Fazit

Die Kommission zeigt in diesem Grünbuch Wege zur Stärkung des Rechts auf diplomatischen und konsularischen Schutz durch die Gemeinschaft auf. Bevor sie Schritte unternimmt, die Vorschläge ihrerseits oder eine Koordinierung mit den Mitgliedstaaten erfordern, möchte sie mit dem Europäischen Parlament und dem Rat sowie mit allen Beteiligten (Mitgliedstaaten, NRO und Zivilgesellschaft sowie EU-Bürgern) eine umfassende öffentliche Debatte führen.

Sie bittet deshalb um Stellungnahmen zu diesem Grünbuch. Diese sind bis zum 31. März 2007 an folgende E-Mail-Adresse zu senden: JLS-diploconsulprotection@ec.europa.eu .

Die eingegangen Beiträge werden auf der Webseite "Ihre Stimme in Europa" mit Angabe der Verfasser veröffentlicht, es sei denn, diese wünschen Anonymität oder eine vertrauliche Behandlungen ihres gesamten Beitrags.

Zum Abschluss der öffentlichen Konsultation wird die Kommission alle Beteiligten zu einer Anhörung einladen.