Der Bundesrat hat in seiner 831. Sitzung am 9. März 2007 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt das Anliegen der Kommission, die energiepolitische Diskussion in Europa zur Bewältigung der bestehenden und zukünftigen Herausforderungen der Energieversorgung aufbauend auf dem "Grünbuch Energiepolitik" vom März 2006 fortzusetzen. Der Bundesrat hält eine gemeinsame europäische Energiepolitik in den Bereichen Energieaußenpolitik und Versorgungssicherheit, Verbesserung der Energieeffizienz, Ausbau erneuerbarer Energien und europäische Energieforschung und vor allem die Durchsetzung eines wettbewerbsorientierten Energiebinnenmarktes für sinnvoll und geboten.
- 2. Der Bundesrat bekräftigt seine Stellungnahme vom 16. Juni 2006 (BR-Drucksache 207/06(B) ). Er erinnert die Bundesregierung in diesem Zusammenhang an seine Bitte, darauf hinzuwirken, dass Vorschläge und Maßnahmen der Kommission die Besonderheiten der einzelnen Mitgliedstaaten berücksichtigen, den nationalen energiepolitischen Gestaltungsspielraum bewahren und den Subsidiaritätsgrundsatz einhalten.
- 3. Der Bundesrat befürwortet grundsätzlich die Zielsetzungen der Kommission betreffend die Reduzierung von CO₂-Emissionen, die Steigerung der Energieeffizienz und die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien.
Der Bundesrat weist darauf hin, dass bei der Festlegung verbindlicher Zielvorgaben für die Gemeinschaft Fehlallokationen, steigende Kosten für die Energiewirtschaft und die Energieverbraucher sowie der Aufbau neuer bürokratischer Strukturen vermieden werden müssen. Dabei geht es insbesondere auch darum, den jeweiligen nationalen energiepolitischen Gegebenheiten Rechnung zu tragen und den Gestaltungsspielraum in den Mitgliedstaaten nicht einzuengen.
Zum Energiebinnenmarkt
- 4. Der Bundesrat hebt besonders die Bedeutung der Durchsetzung eines offenen und wettbewerbsorientierten Energiebinnenmarktes mit stabilen politischen Rahmenbedingungen für eine langfristig wettbewerbsfähige Energieversorgung Europas hervor. Dazu hält der Bundesrat neben einer effektiveren Regulierung u. a. auch die engere Zusammenarbeit zwischen den Netzbetreibern auf regionaler Ebene und Gemeinschaftsebene, den Ausbau grenzüberschreitender Leitungen, die Erhöhung der Markttransparenz auf europäischer Ebene, die Stärkung der europäischen Energiebörsen, die Information der Verbraucher und eine Harmonisierung der Standards und Regeln zur Beseitigung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen für nötig.
- 5. Der Umsetzung vorhandener Pläne und Richtlinien ist jedoch der Vorrang gegenüber neuen Maßnahmen zu geben. Erst wenn das zweite Binnenmarktpaket vollständig umgesetzt wurde und eine nach angemessener Zeit durchzuführende Evaluierung der Auswirkungen weitere Defizite bei der Durchsetzung eines echten Energiebinnenmarktes ergibt, kann über weitere ordnungsrechtliche Maßnahmen entschieden werden. Daher lehnt der Bundesrat zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Vorschläge der Kommission betreffend eine weitere Entflechtung der Energiekonzerne (eigentumsrechtliche Entflechtung und Modell eines "unabhängigen Systembetreibers") bzw. den Ersatz nationaler Regulierungsbehörden durch einen europäischen Energieregulator ab.
- 6. Der Bundesrat weist auf erhebliche verfassungsrechtliche und energiewirtschaftliche Bedenken gegen eine eigentumsrechtliche Entflechtung hin. Voraussetzung für einen derart weit reichenden Eingriff in privates Eigentum ist, dass er geeignet und als ultima ratio erforderlich ist, um funktionierenden Wettbewerb im europäischen Strom- und Gasmarkt zu ermöglichen. Dies ist derzeit nicht erkennbar. Vergleichende Untersuchungen der Energiemärkte der Mitgliedstaaten ergeben, dass diskriminierungsfreier Wettbewerb und niedrige Netzentgelte von einer effektiven und dauerhaften Regulierung und nicht von den Eigentumsverhältnissen am Netz abhängen. Eine Regulierung der Netzentgelte wäre auch bei einem Eigentumswechsel an den Netzen erforderlich, da sich neue Eigentümer bei gleichen Rahmenbedingungen insofern nicht anders als die bisherigen Eigentümer verhalten würden.
- 7. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass das Modell eines "unabhängigen Systembetreibers" einer weiteren Konkretisierung durch die Kommission bedarf. Nach den bisherigen Informationen befürchtet der Bundesrat allerdings einen erheblichen Bürokratieaufbau, dem keine entsprechenden Vorteile für den Wettbewerb gegenüberstehen.
Zur Versorgungssicherheit
- 8. Der Bundesrat unterstützt den Ausbau effektiver EU-weiter Koordinierungsmechanismen im Falle von Energiekrisen und Versorgungsunterbrechungen, sofern der Schwerpunkt der Mechanismen auf dem Informationsaustausch liegt und die primäre Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten für ihre Versorgungssicherheit sichergestellt wird. In diesem Zusammenhang bittet der Bundesrat die Bundesregierung, darauf zu achten, dass eine Benachteiligung Deutschlands durch europäische Vorgaben für die Inanspruchnahme von Gasspeichern vermieden wird.
- 9. Die EU möchte verbindliche Netzsicherheitsstandards zur Erhöhung der Zuverlässigkeit des Elektrizitätssystems der EU und zur Vermeidung von Blackouts einführen. Eine internationale Zusammenarbeit der Übertragungsnetzbetreiber erfolgt derzeit in der UCTE (Union for the Coordination of Transmission of Electricity). Angesichts der funktionierenden Selbstorganisation sieht der Bundesrat keine Notwendigkeit, dieses System durch ein neues auszuwechseln.
- 10. Die EU-Richtlinien bzw. Richtlinienvorschläge zur Versorgungssicherheit bei Erdölprodukten und bei Erdgas enthalten Regelungen zur Beobachtung der Versorgungssituation und für die Vorratshaltung hinsichtlich der genannten Energieträger in den Mitgliedstaaten. Diese Vorgaben werden von den EU-Ländern bereits im Rahmen der Internationalen Energieagentur wahrgenommen und haben sich bewährt. Ein zusätzlicher Mechanismus auf europäischer Ebene wird nicht für erforderlich gehalten.
Zur Überprüfung des Emissionshandelssystems
- 11. Der Bundesrat befürwortet grundsätzlich das System des europaweiten Emissionsrechtehandels. Er sieht aber auch erheblichen Bedarf für dessen Weiterentwicklung.
- 12. Der Bundesrat weist darauf hin, dass bei der Anerkennung der Nationalen Allokationspläne, der Zuteilungsmengen und der Zuteilungsregeln durch die Kommission sowohl die ökologischen Lenkungswirkungen zu berücksichtigen sind als auch die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Anlagenbetreiber der Energiewirtschaft und Industrie nicht beeinträchtigt werden darf. Im deutschen Kraftwerkspark stehen in den nächsten Jahren erhebliche Investitionen an. Insofern müssen für hocheffiziente Neu- und Ersatzanlagen planungssichere Zuteilungsregelungen geschaffen und von der Kommission anerkannt werden. Einen wesentlichen Beitrag hierzu können Benchmark-Verfahren leisten, die nach Brennstoffen differenzieren.
- 13. Der Emissionshandel kann im Rahmen eines zielgerichteten Maßnahmenbündels bei geeigneter Ausgestaltung auch ein wirksames Instrument zur Reduzierung von Treibhausgasen im Luftverkehr sein. Der Bundesrat weist allerdings darauf hin, dass die Umsetzung des Richtlinienvorschlags der Kommission zur Integration des Luftverkehrs in den Emissionshandel erhebliche Wettbewerbsprobleme für europäische Luftverkehrsunternehmen nach sich ziehen könnte. Als erster wichtiger Schritt zur Begrenzung der Emissionen im Luftverkehr sollte daher die Herstellung des Einheitlichen Europäischen Luftraums angegangen werden.
- 14. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass bei der bald abzuschließenden Überprüfung des EU-Emissionshandelssystems die gravierenden Belastungen für die Wirtschaft - insbesondere wegen der Auswirkungen auf die Strompreise, der Wettbewerbsverzerrungen infolge der unzureichenden Abstimmung der Allokationspläne der Mitgliedstaaten sowie der unverhältnismäßig hohen Systemkosten für kleine und mittelständische Betriebe - beseitigt werden.
Zur Energieeffizienz und zu erneuerbaren Energien
- 15. Energieeffizienz und erneuerbare Energien sind wichtige Eckpfeiler der nachhaltigen Entwicklung. Sie tragen zum Umwelt- und Klimaschutz und zur Energieversorgungssicherheit bei und eröffnen wirtschaftliche Potenziale aus dem in Europa vorhandenen Technologievorsprung. Der Bundesrat unterstützt deshalb das Ziel einer Energieeffizienzsteigerung von 20 % und hält konkrete Maßnahmen auf europäischer Ebene für sinnvoll, um die Potenziale möglichst umfassend auszuschöpfen. Auch unterstützt der Bundesrat Bestrebungen der Kommission für ein internationales Rahmenabkommen zur Energieeffizienz.
- 16. Der Schwerpunkt künftiger Aktivitäten der EU sollte nicht auf neue Pläne, Legislativvorschläge oder neue administrative Strukturen gelegt werden, sondern auf die Umsetzung und Weiterentwicklung der bestehenden Regelungen und Programme. Dabei sollte der bei der Energieeffizienz-Richtlinie gewählte Weg einer Rahmenzielvorgabe in Verbindung mit einem Benchmarking der Mitgliedstaaten auch in anderen Regelungsbereichen eingesetzt werden. Für den Erfolg der Effizienz-Richtlinien ist es zusätzlich erforderlich, dass sie in allen Mitgliedstaaten und in ihren Regionen von Informations- und Beratungsangeboten begleitet werden.
- 17. Der Bundesrat sieht die dringende Notwendigkeit, ein internationales Energieeffizienz-Abkommen abzuschließen und einen Dialog der EU mit stark energieverbrauchenden Ländern sowie mit Schwellenländern über Energieeffizienz und -einsparung anzustoßen. Nur weltweite, abgestimmte Maßnahmen gegen den Klimawandel können ihn wirksam beeinflussen.
Zur Zukunft mit CO₂-armen fossilen Brennstoffen
- 18. Weitgehend emissionsfreie und hocheffiziente Kohle- und Gaskraftwerke sind ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz, wie es auch in der Kommissionsmitteilung zur weitgehend emissionsfreien Kohlenutzung nach 2020 zum Ausdruck kommt. Die vielen noch offenen technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen müssen zügig geklärt werden. Der Bundesrat befürwortet deswegen den Vorschlag der Kommission, einen Mechanismus für Anreize zur Errichtung von bis zu zwölf Demonstrationsanlagen in der EU zu prüfen.
- 19. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im weiteren Verfahren darauf hinzuwirken, dass der Ansatz der Kommission, alle neuen Kohle- und Gaskraftwerke ab 2020 zwingend mit CCS-Technologien auszurüsten und Bestandsanlagen danach schrittweise umzurüsten, mit Blick auf die noch bestehenden rechtlichen, technischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten und die weiteren Forschungsergebnisse kritisch geprüft wird.
Zum Energiemix
- 20. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die EU über einen breiten und ausgewogenen Energiemix unter Einbeziehung aller Energieträger verfügen muss. Er unterstützt daher die von der Kommission angestoßene Diskussion über die Vor- und Nachteile aller Energieträger einschließlich ihrer Kosten. Verbindliche Vorgaben zum nationalen Energiemix durch die EU sind jedoch abzulehnen, da dieser in die eigene Verantwortung der Mitgliedstaaten fällt.
- 21. Der Bundesrat begrüßt die Zielsetzung der Kommission, den Anteil der erneuerbaren Energien in der EU bis 2020 auf 20 % zu steigern. Auch wird das Bestreben der Kommission unterstützt, den Marktanteil von Biokraftstoffen bis 2020 auf 10 % zu erhöhen. Eine verbindliche Vorgabe eines Mindestanteils bestimmter Energiequellen am gesamten Energieträgermix der Mitgliedstaaten lehnt der Bundesrat wie bisher ab. Der Bundesrat befürwortet eine schnellere Verbreitung von Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen und unterstützt insoweit internationale Programme der EU mit Entwicklungs- und Schwellenländern.
- 22. Der Bundesrat begrüßt die Feststellung der Kommission, dass die Kernenergie eine der größten, billigsten und versorgungssichersten Quellen kohlendioxidfreier Energie in Europa ist und im Energiemix vieler Mitgliedstaaten auch künftig eine wichtige Rolle zur Emissionsminderung spielen wird.
- 23. Der Bundesrat stimmt mit der Kommission darin überein, dass die Entscheidung über die Stromerzeugung aus Kernkraft zwar bei jedem einzelnen Mitgliedstaat liegt, dass ein weiterer Rückgang in der EU jedoch nur durch Einführung zusätzlicher kohlenstoffarmer Energiequellen (also nicht fossiler Energieformen) kompensiert werden sollte. Nur so können die Ziele des Klimaschutzes unter gleichzeitiger Gewährleistung der Versorgungssicherheit erreicht werden.
- 24. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die im Zusammenhang mit der Abfallentsorgung und der Stilllegung von Kernkraftwerken bestehenden Probleme lösbar sind, wobei nationale Konzepte bevorzugt werden sollten.
- 25. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass der Vorschlag der Kommission, im Bereich Kerntechnik (Nummer 3.8) eine EU-Gruppe zur nuklearen Sicherheit und Sicherung einzusetzen, die die Aufgabe hat, zusätzliche europäische Vorschriften zur nuklearen Sicherheit und Sicherung zu entwickeln, nicht weiter verfolgt wird.
- 26. Der Bundesrat begrüßt zwar die Einführung modernster Rechtsrahmen für die Kernenergie auf EU-Ebene. Die vorgeschlagene Entwicklung zusätzlicher Vorschriften für die Sicherheit und die Sicherung muss jedoch mit dem Subsidiaritätsprinzip sowie mit den Standards der IAEO vereinbar sein.
- 27. Zusätzliche Regelungen auf EU-Ebene zu Sicherheitsanforderungen hält der Bundesrat für nicht erforderlich. Der Erfahrungsaustausch und die Harmonisierung von Anforderungen werden in ausreichendem Umfang durch die vorhandenen atomrechtlichen Organisationsstrukturen praktiziert, wie z.B. der Western European Nuclear Regulators` Association.
Zur Energieaußenpolitik
- 28. Der Bundesrat begrüßt die Entwicklung eines gemeinsamen Konzepts einer Energieaußen- und -sicherheitspolitik sowie den Ausbau von Energiepartnerschaften und die Intensivierung des Dialogs mit wichtigen Erzeuger-, Transit- oder Verbraucherländern. Der Schwerpunkt sollte auf der Diversifizierung des Energiebezugs hinsichtlich Lieferländern, Transportwegen und Energieträgern und auf dem Abschluss eines neuen Rahmenabkommens mit Russland liegen.
Zu Energietechnologien
- 29. Der Bundesrat unterstützt ausdrücklich die von der Kommission beabsichtigte Vorlage einer Strategie für Energietechnologien als Schlüssel für eine moderne, wettbewerbsfähige und nachhaltige Energieversorgung Europas. Die Bundesregierung wird gebeten, sich auf europäischer Ebene für die Entwicklung innovativer Konzepte und Technologien zur Nutzung der verfügbaren Energiequellen einzusetzen.