Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Für eine barrierefreie Informationsgesellschaft KOM (2008) 804 endg.; Ratsdok. 16830/08

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 15. Dezember 2008 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 2. Dezember 2008 dem Bundesrat zugeleitet.

Die Vorlage ist von der Kommission am 2. Dezember 2008 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.

Hinweis: vgl. AE-Nr. 052391

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - "Für eine barrierefreie Informationsgesellschaft"


[SEK(2008) 2915]
[SEK(2008) 2916]

1. Zusammenfassung

In dem Maße, wie sich unsere Gesellschaft zur "Informationsgesellschaft" weiterentwickelt, werden wir in unserem Lebensalltag zwangsläufig von technologiegestützten Produkten und Diensten immer abhängiger. Mangelnde Barrierefreiheit ("e-accessibility") führt dazu, dass viele Europäer, die mit einer Behinderung leben müssen, noch immer von den Vorteilen der Informationsgesellschaft ausgeschlossen sind.

Das Problem des barrierefreien Zugangs hat in den letzten Jahren eine große politische Beachtung und Bedeutung erlangt. 2006 verständigten sich die europäischen Minister in ihrer "Erklärung von Riga" auf das Ziel, in dieser Hinsicht bis 2010 wesentliche Fortschritte zu erreichen. Vergleichende Bewertungen ergaben 2007, dass sich Fortschritte noch zu langsam einstellen und dass weitere Anstrengungen nötig sind, damit die Ziele von Riga erreicht werden können. In Anbetracht der immer größeren Bedeutung des Web im heutigen Lebensalltag erweist sich die Barrierefreiheit im Web ("web accessibility") und vor allem die Zugänglichkeit der Webangebote öffentlicher Verwaltungen als besonders wichtig.

Wie in der erneuerten Sozialagenda1 angekündigt, hält es die Kommission daher heute für dringend erforderlich, ein kohärentes, gemeinsames und wirksames Herangehen an die Barrierefreiheit und insbesondere an die Barrierefreiheit im Web zu erreichen, um das Entstehen einer barrierefrei zugänglichen Informationsgesellschaft zu beschleunigen. In dieser Mitteilung legt die Kommission den gegenwärtigen Stand der Dinge dar, nennt die Gründe für ein europäisches Vorgehen und zeigt die nächsten notwendigen Schritte auf.

Schritte für ein gemeinsames, kohärentes Herangehen an die Barrierefreiheit:

Besondere Schritte zur Beschleunigung der Fortschritte bei der Barrierefreiheit im Web:

2. Barrierefreiheit

Barrierefreiheit bedeutet die Überwindung technischer Hindernisse und Schwierigkeiten, die Behinderte und viele ältere Menschen erfahren, wenn sie gleichberechtigt an der Informationsgesellschaft teilhaben wollen.

Wenn alle Menschen die gleichen Chancen für eine Beteiligung an der heutigen Gesellschaft haben sollen, müssen IKT-gestützte Waren, Produkte und Dienste auch für alle zugänglich sein. Dazu zählen nicht nur Computer, Telefone, Fernseher oder elektronische Behördendienste, Online-Einkauf und Call-Center, sondern auch Selbstbedienungsterminals wie Geld- und Fahrkartenautomaten.

2.1. Gegenwärtiger Stand

Der barrierefreie Zugang stellt eine gewaltige und noch zunehmende Herausforderung dar: etwa 15 % der europäischen Bevölkerung sind Behinderte, und jeder fünfte Europäer im arbeitsfähigen Alter hat eine Behinderung, die eine barrierefreie Lösung erfordert. Sogar drei von fünf Europäern würden von mehr Barrierefreiheit profitieren, weil sich dadurch auch die allgemeine Benutzbarkeit verbessert2.

Aus der Barrierefreiheit ergeben sich sozioökonomische Auswirkungen sowohl für den Einzelnen als auch für Europa als Ganzes. So können barrierefrei zugängliche IKT-Lösungen dabei helfen, ältere Arbeitnehmer länger in Beschäftigung zu halten und eine größere Verbreitung online erbrachter öffentlicher Dienste wie elektronischer Behörden- und Gesundheitsdienste zu erreichen. Durch eine mangelnde Barrierefreiheit werden beträchtliche Teile der Bevölkerung ausgeschlossen und in Berufsausübung, Bildung, Freizeit, demokratischer Beteiligung und sozialen Tätigkeiten behindert. Eine Stärkung der Barrierefreiheit dient deshalb sowohl den Zielen der wirtschaftlichen als auch sozialen Integration.

Viele Länder haben zumindest gewisse Vorschriften erlassen oder Unterstützungsmaßnahmen ergriffen um die Barrierefreiheit zu fördern. Gleichzeitig unternehmen auch Teile der IKT-Branche beträchtliche Anstrengungen, um die Zugänglichkeit ihrer Produkte und Dienste zu verbessern3.

Die Barrierefreiheit ist auch ein Schlüsselelement der europäischen Politik zugunsten der digitalen Integration4. Aus übergeordneter Sicht fallen die IKT in den Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Gleichbehandlungsrichtlinie, mit der der Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen5, angestrebt werden. Außerdem müssen die Europäische Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nachkommen, die sie in Bezug auf die Zugänglichkeit von IKT-Waren und Dienstleistungen im Rahmen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen eingegangen sind. In einigen EU-Bestimmungen sind Fragen der Barrierefreiheit bereits direkt oder indirekt aufgegriffen worden.

2.2. Gründe für weitere Maßnahmen

Trotz der Vorteile und der politischen Beachtung sind die in Sachen Barrierefreiheit bislang erreichten Fortschritte unzureichend. Für die Defizite bei der Barrierefreiheit gibt es zahlreiche deutliche Beispiele. So stehen Text-Relaisdienste, die für Taube und Sprechbehinderte unverzichtbar sind, nur in der Hälfte der Mitgliedstaaten zur Verfügung.

Notdienste sind nur in sieben Mitgliedstaaten direkt per Texttelefon erreichbar.

Hörfunksender mit Audiobeschreibung, Fernsehprogramme mit Untertiteln und Fernsehsendungen mit Gebärdensprache sind weiterhin unzureichend. Nur 8 % der von den beiden größten europäischen Privatkundenbanken aufgestellten Geldautomaten besitzen eine Sprachausgabe6.

Auch das bestehende EU-Recht ist in Bezug auf die Barrierefreiheit eher dürftig. In den Mitgliedstaaten gibt es große Unterschiede beim Herangehen an die Barrierefreiheit, und zwar sowohl in Bezug auf Problemgebiete (gewöhnlich Festtelefon, Fernsehen und Zugänglichkeit öffentlicher Websites), als auch die Vollständigkeit des eingesetzten politischen Instrumentariums. Die IKT-Branche leidet angesichts widersprüchlicher Anforderungen und großer Ungewissheiten unter dieser Marktfragmentierung, die es schwierig macht, die Größeneinsparungen zu erzielen, die notwendig wären, um Innovation und Marktwachstum dauerhaft und auf breiter Grundlage zu sichern. Dabei haben sich Teile der Branche aktiv engagiert und arbeiten mit den Nutzern zusammen (z.B. beim barrierefreien Digitalfernsehen), aber zu viele Akteure stehen noch abwartend am Rand.

Das Hauptproblem besteht bei der Barrierefreiheit darin, dass die derzeitigen Bemühungen wegen mangelnder Abstimmung, unklarer Prioritäten und geringer gesetzgeberischer und finanzieller Unterstützung kaum Wirkung zeigen.

Deshalb ist ein gemeinsames und kohärentes europäisches Konzept für die Barrierefreiheit notwendig, um erhebliche Verbesserungen erreichen zu können.

2.3. Vorgeschlagene Maßnahmen

3. Barrierefreies Web

Ein barrierefrei zugängliches Web ist ein wichtiger Aspekt der Barrierefreiheit, denn dadurch erhalten behinderte Menschen die Möglichkeit, das Web wahrzunehmen, zu verstehen, sich darin zu bewegen, darin in Austausch zu treten und selbst zum Web beizutragen. Es ist aber auch nützlich für Menschen, deren Sehvermögen, Geschicklichkeit oder kognitive Fähigkeiten eingeschränkt sind, zum Beispiel für ältere Menschen. Aufgrund der gewaltigen Zunahme von Online-Informationen und interaktiven Diensten hat gerade die Barrierefreiheit im Web eine besonders große Bedeutung erlangt, sowohl beim Online-Banking und den Diensten öffentlicher Verwaltungen als auch bei der Kommunikation mit entfernt wohnenden Verwandten und Freunden.

3.1. Gegenwärtiger Stand

Trotz ihrer großen Bedeutung ist die Barrierefreiheit im Web bislang in der EU ungenügend geblieben. Mehrere nationale und europaweite Untersuchungen der letzten Jahre haben ergeben dass die Mehrzahl der öffentlichen wie privaten Websites nicht einmal die einfachsten Grundanforderungen der international anerkannten Web-Zugangsleitlinien erfüllen. Eine aktuelle Umfrage kommt zu dem Ergebnis, dass nur 5,3 % der von Behörden betriebenen Websites und nahezu keine gewerbliche Website vollständig den grundlegenden Zugangsleitlinien entsprechen17. Dies erklärt, warum es viele Menschen schwierig finden, wichtige Websites zu nutzen, und dadurch Gefahr laufen, teilweise oder ganz aus der Informationsgesellschaft ausgeschlossen zu werden.

Die barrierefreie Zugänglichkeit öffentlicher Websites erfreut sich in den letzten Jahren einer wachsenden Aufmerksamkeit der Politiker in den Mitgliedstaaten18. Auf europäischer Ebene wurden die Mitgliedstaaten durch die Mitteilung von 2001 über den Zugang zu öffentlichen Webseiten aufgefordert, die Leitlinien für die Zugänglichkeit von Web-Inhalten (Web Content Accessibility Guidelines, WCAG) zu unterstützen19. In zwei Entschließungen20 betonte der Rat die Notwendigkeit, das Web mit seinen Inhalten schneller barrierefrei zugänglich zu machen. Das Europäische Parlament schlug 2002 vor, dass bis 2003 alle öffentlichen Websites vollständig für Behinderte zugänglich gemacht werden sollten21. Die 2006 in Riga verabschiedete Ministererklärung über IKT für eine integrative Informationsgesellschaft enthielt eine Zusage, bis 2010 öffentliche Webseiten zu 100 % barrierefrei zugänglich zu machen.

Auf internationaler Ebene nahm das World Wide Web Consortium (W3C) 1999 die Version 1 der Web-Zugangsleitlinien WCAG an. Aufgrund von Mehrdeutigkeiten kam es jedoch zu einer fragmentierten Umsetzung in den Mitgliedstaaten, und auch angesichts der neueren Internetentwicklung sind die WCAG 1.0 nun veraltet. Das W3C arbeitet seit mehreren Jahren an einer Neufassung dieser Spezifikationen (WCAG 2.0), die nun kurz vor der Verabschiedung stehen. Diesmal wird es darauf ankommen, eine fragmentierte Umsetzung zu vermeiden.

3.2. Gründe für weitere Maßnahmen

Webseiten leichter zugänglich zu machen, kann bisweilen eine schwierige Aufgabe sein, deren Lösung Kosten verursacht und besondere Sachkenntnis verlangt. Es gibt aber immer mehr Beweise und gut dokumentierte Beispiele dafür, dass es einen echten Vorteil bedeutet, eine Website barrierefrei zugänglich zu machen, und zwar nicht nur für behinderte Nutzer, sondern auch für die Website-Betreiber und die Nutzer ganz allgemein. So werden die Dienste nicht nur leichter zu benutzen und einfacher zu pflegen, sondern auch von mehr Nutzern in Anspruch genommen22. Folglich bedeutet eine stärker barrierefreie Website nicht nur für Behinderte, sondern auch für andere Nutzer eine Verbesserung und kommt der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zugute.

Fallbeispiel: Vorteile einer barrierefrei zugänglichen Website Nachdem er seine Website barrierefrei zugänglich gemacht hatte, stellte ein britischer Finanzdienstleister folgende Verbesserungen fest:

Aber die andauernde Fragmentierung der Gesetzgebung in den Mitgliedstaaten führt in Verbindung mit dem Fehlen klarer gesetzgeberischer Vorgaben auf europäischer Ebene zur Beeinträchtigung des Binnenmarkts, stellt ein Hindernis für die Bürger und Verbraucher in diesem grenzübergreifenden Umfeld dar und behindert die Entwicklung der gesamten Branche. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sieht auch Verpflichtungen in Bezug auf das Internet vor, denen die Unterzeichnerstaaten nachzukommen haben. Ein weiteres Vorgehen auf europäischer Ebene ist daher geboten.

3.3. Vorgeschlagene Maßnahmen

Die Hauptverantwortung für die Verbesserung der Barrierefreiheit im Web liegt weiterhin bei den Mitgliedstaaten und den Diensteanbietern. Es gibt aber durchaus Maßnahmen, die die Kommission ergreifen oder erleichtern kann, um in Europa die Verbesserung der Barrierefreiheit im Web zu beschleunigen, auch wenn es dafür keine besonderen EU-Vorschriften gibt. Insgesamt wird nur ein gemeinsames und einheitliches Vorgehen zum Erfolg führen. Die wichtigsten Handlungsbereiche sind:

4. Fazit

An vielen Fronten ist ein gemeinsames, kohärentes Herangehen an die Barrierefreiheit erforderlich. Bei der Barrierefreiheit im Web kommt es insbesondere darauf an, unmittelbar schnelle Fortschritte zu erzielen. Bei der Erreichung des gemeinsamen Ziels einer integrativen Informationsgesellschaft kommt allen Beteiligten eine wichtige Rolle zu.

Die Kommission ersucht den Rat, das Europäische Parlament, den Ausschuss der Regionen und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, ihre Meinungen in Bezug auf die Maßnahmen zu äußern, die ergriffen werden müssen, um die Informationsgesellschaft für alle barrierefrei zugänglich zu machen.

Anhang
Überblick über die Maßnahmen

Barrierefreiheit
Maßnahmen Datum Zuständigkeit
Einsetzung einer hochrangigen Gruppe, die Leitlinien für Prioritäten und ein kohärenteres Konzept für die Barrierefreiheit ausarbeiten soll. Alle Beteiligten werden zur Mitarbeit in dieser Gruppe aufgerufen. Anfang 2009 EK, Beteiligte
Aufrechterhaltung der Barrierefreiheit als politische Priorität in den Folgemaßnahmen zur i2010-Initiative und zum Aktionsplan für Menschen mit Behinderungen. 2009- EK
Beobachtung der Fortschritte bei der Umsetzung der Maßnahmen auf dem Gebiet der Barrierefreiheit und der Barrierefreiheit im Web, Unterstützung der Zusammenarbeit und des Austauschs der bewährten Praxis anhand von Studien und eines thematischen Netzes innerhalb des CIP. 2009- EK, Branche und Beteiligte
Aufrechterhaltung der Barrierefreiheit als eine wichtige Priorität der Forschungs- und Innovationspolitik. 2009- EK
Förderung der Innovation und Einführung barrierefreier Lösungen mit Hilfe der Strukturfonds, des 7. Forschungsrahmenprogramms, des Programms für umgebungsunterstütztes Leben (AAL) und nationaler Programme. 2009- MS, sonstige Beteiligte
Bereitstellung eines Instrumentariums für behindertengerechte IKT (disability toolkit) zur Verwendung in Strukturfonds- und anderen Programmen. 2009 EK
Zügige Ausarbeitung europäischer Normen für die Barrierefreiheit im Rahmen des Mandats 376 in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Beteiligten. 2009- ESO
Gewährleistung, dass bei der Überprüfung des EU-Rechts geeignete Bestimmungen über die Barrierefreiheit eingefügt werden. 2008- EK
Ausschöpfung der Möglichkeiten, den barrierefreien Zugang innerhalb des bestehenden EU-Rechts zu verbessern. 2008- MS, EK, Branche und Beteiligte

Barrierefreies Web
Bereitstellung von 100 %ig barrierefreien öffentlichen Websites und Vorbereitung auf einen schnellen, gemeinsamen und kohärenten Übergang zu den neugefassten Spezifikationen für die Zugänglichkeit des Web. 2009 - 2010 MS
Zügige Aufstellung von EU-Normen für die Barrierefreiheit im Web, ausgehend von den WCAG 2.0-Leitlinien. 2009- ESO (und Beteiligte)
Verbesserung der Zugänglichkeit der Webseiten der Kommission und Anpassung der internen Vorgaben an die neuen Spezifikationen. 2009- EK
Verbesserung der barrierefreien Zugänglichkeit der Websites durch Websitebetreiber, die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse erbringen, und andere wichtige Websitebetreiber. 2009- Sonstige Beteiligte
Verfolgung und Veröffentlichung der Fortschritte und Prüfung der Notwendigkeit gemeinsamer EU-Leitlinien und Gesetzesinitiativen. 2009- EK
Führungsrolle bei der Sensibilisierung und Verbesserung des Verständnisses für die Barrierefreiheit im Web in einer kohärenten, effizienten und wirksamen Weise und Berichterstattung an die hochrangige Gruppe über die Fortschritte. 2008- MS