Der Niedersächsische Ministerpräsident
Hannover, 4. Mai 2016
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Stanislaw Tillich
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierungen von Niedersachsen und Bayern haben beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Einführung einer steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung (Forschungsprämie) für den Mittelstand in Deutschland zuzuleiten.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 945. Sitzung des Bundesrates am 13. Mai 2016 aufzunehmen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Weil
Entschließung des Bundesrates zur Einführung einer steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung (Forschungsprämie) für den Mittelstand in Deutschland
Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:
- 1. Der Bundesrat stellt mit Sorge fest, dass vor dem Hintergrund des Strukturwandels in Deutschland zu wenig investiert wird. Trotz der guten konjunkturellen Entwicklung, sinkenden Energiepreisen, niedrigen Zinsen und exportfreundlichen Wechselkursen bewegen sich die Ausrüstungsinvestitionen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Darauf hat auch der Bericht der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie eingesetzten Expertenkommission "Stärkung von Investitionen in Deutschland" im April 2015 hingewiesen.
- 2. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Investitionen für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung sind. Durch die Digitalisierung der Wirtschaft steigt der internationale Wettbewerbsdruck. Schnellere Innovationszyklen und steigende Anforderungen der Kunden gerade in der Zulieferindustrie erfordern auch bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zunehmend Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE). Gerade KMU stellt dies vor besondere Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf die Finanzierungsmöglichkeiten, die Fachkräftegewinnung und das Innovationsrisiko.
- 3. Der Bundesrat weist darauf hin, dass eine Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung ein wesentlicher Aspekt zur Steigerung der Investitions- und Innovationskraft der Wirtschaft ist. Zwar wird der deutschen Volkswirtschaft in internationalen Vergleichen regelmäßig eine hohe Innovationsfähigkeit bescheinigt. Diverse Untersuchungen zeigen allerdings, dass die Wissensintensivierung in der Wirtschaft vor allem in den großen Betrieben stattgefunden hat. Dafür spricht, dass KMU 60 Prozent der Erwerbstätigen beschäftigen, über 40 Prozent der Bruttoanlageinvestitionen tätigen, jeden dritten Euro Umsatz erwirtschaften, nach Angaben des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft im Jahr 2013 aber nur jeden zehnten Euro zum FuE-Budget der Wirtschaft beisteuerten.
- 4. Nach dem Innovationsbericht des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) vom Januar 2016 nahmen die Innovationsausgaben der KMU mit weniger als 500 Beschäftigten im Jahr 2014 im Vorjahresvergleich deutlich um 9 Prozentpunkte ab. Seit Jahren ist damit der Anteil der KMU an den gesamten Innovationsausgaben der deutschen Wirtschaft rückläufig. 2014 lag er bei 22 Prozent, 2007 noch bei 29 Prozent und in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre sogar bei über 35 Prozent. Und auch die Anzahl der Unternehmen, die Innovationsausgaben getätigt haben, ist zwischen 2013 und 2014 um 12 Prozent gesunken. Dies zeigt, dass KMU zunehmend FuE-Aktivitäten reduzieren.
- 5. Nach dem Innovationsindikator 2015 des BDI, der im Dezember 2015 veröffentlicht wurde, summieren sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im Mittelstand nur auf 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit geben KMU in Deutschland im Durchschnitt weniger für Forschung und Innovation aus als in den meisten anderen europäischen Ländern. Mit 11 Prozent weist Deutschland zudem unter den weltweit 25 größten Industrieländern den zweitniedrigsten KMU-Anteil an den FuE-Aufwendungen der Wirtschaft auf.
- 6. Die Expertenkommission Forschung und Innovation zeigt sich in ihrem Jahresgutachten 2015 besorgt über die langfristige Entwicklung der Innovationsaktivitäten in deutschen KMU. Nach Ansicht der Kommission sollte die Politik daher ein besonderes Augenmerk auf die Unterstützung der FuE-Aktivitäten von KMU legen.
- 7. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Expertenkommission Forschung und Innovation. Die FuE-Tätigkeit der mittelständischen Wirtschaft zu fördern und so die Investitionsneigung zu erhöhen ist aus Sicht des Bundesrates eine vorrangige wirtschaftspolitische Aufgabe. Es bedarf auf Bundesebene neben der Projektförderung im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) neuer Förderinstrumente mit einem besseren Zugang für KMU, um die Innovations- und Investitionsfähigkeit des Mittelstands gezielt zu unterstützen.
- 8. Der Bundesrat macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass außer Deutschland und Estland alle Mitgliedstaaten der EU steuerliche Anreize für mehr Investitionen in FuE setzen. Der Bundesrat begrüßt, dass sich das Bündnis für Industrie beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie am 13. Oktober 2015 in einer gemeinsamen Erklärung aller 15 Partner aus Politik, Gewerkschaften und Unternehmensverbänden für eine steuerliche FuE-Förderung für kleine und mittelständische Unternehmen ausgesprochen hat. Vor diesem Hintergrund fordert der Bundesrat, in Deutschland neben einer projektorientierten FuE-Förderung eine stetige, verlässliche und direkte Unterstützung von KMU im Bereich von Forschung und Entwicklung in Form einer steuerlichen Forschungsförderung zu etablieren. Damit sollen Unternehmen unterstützt werden, die dauerhaft und kontinuierlich in Forschung und Entwicklung investieren. Außerdem sollen KMU profitieren, die FuE-Prozesse auftragsbezogen, kurzfristig beginnen und umsetzen müssen.
- 9. Aus Sicht des Bundesrates sind aufgrund der internationalen Erfahrungen und der von der EU-Kommission identifizierten bestpractice Beispiele folgende Eckpunkte für eine steuerliche FuE-Förderung vorstellbar:
- - Gefördert werden sollten bezugnehmend auf die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung Artikel 25 Nummer 3a VO (EU) Nr. 651/2014 Kosten für Forscher, Techniker und sonstiges Personal, soweit diese für FuE-Vorhaben eingesetzt werden. In Anlehnung an das ZIM des BMWi müssen die Vorhaben auf neue Produkte, Verfahren oder technische Dienstleistungen abzielen, die mit ihren Funktionen, Parametern oder Merkmalen die bisherigen Produkte, Verfahren oder technischen Dienstleistungen deutlich übertreffen. - Förderbegünstigte sollten alle KMU nach Definition der Europäischen Kommission vom 6. Mai 2003 sein, d.h. Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro oder einer Jahresbilanzsumme von höchstens 43 Mio. Euro. Analog zum ZIM des BMWi wäre auch eine Ausweitung der Förderfähigkeit bei Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten denkbar. Der Bund wird gebeten, die wirtschaftlichen, fiskalischen und beihilferechtlichen Folgen dieser Ausweitung zu prüfen.
- - Der Fördersatz sollte 10 Prozent der gesamten FuE-Personalaufwendungen (Bruttolöhne) betragen, um einerseits substanzielle Innovationsanreize auf Seiten der Unternehmen zu entfalten und anderseits die fiskalischen Kosten zu begrenzen. Die Forschungsprämie sollte steuerfrei gestellt werden, um den Innovationsanreiz nicht zu verwässern.
- - Die Auszahlung der Förderung erfolgt als Forschungsprämie bzw. Steuergutschrift, die mit der Jahresveranlagung des Unternehmens / des Unternehmers (Einkommens- oder Körperschaftssteuer) ausgezahlt wird. Für den Fall, dass die Forschungsprämie höher ist als die Steuerschuld, sollte eine Erstattung vorgesehen werden, damit auch Startups und ertragsschwächere Unternehmen profitieren. - Die Beratung der Antragsteller und die Prüfung der Förderanträge sollten durch externe Technologieexperten erfolgen, da es der Finanzverwaltung an dieser Stelle an wissenschaftlicher Expertise fehlt. Die externen Technologieexperten beurteilen und bescheinigen die inhaltliche Qualität der FuE-Personaltätigkeit. Die Finanzämter errechnen unter Berücksichtigung dieser Bescheinigung die Bemessungsgrundlage sowie die Höhe der Forschungsprämie und erteilen die Bescheide. Eine Nachweiskontrolle erfolgt im Rahmen von Betriebsprüfungen.
- - Um den bürokratischen Aufwand so gering wie möglich zu halten, sollten standardisierte, online gestützte Antragsverfahren gewählt werden. Beim Bearbeitungs-, Bewilligungs- und Abwicklungsverfahren sollte auf die Erfahrungen des ZIM zurückgegriffen werden.
- - Eine Doppelförderung durch Forschungsprämie und projektorientierter FuEFörderung muss ausgeschlossen werden.
- 10. Der Bundesrat ist davon überzeugt, dass das skizzierte Modell einer Forschungsprämie dazu geeignet ist, innovative Entwicklungen und Prozesse in KMU anzustoßen und zu beschleunigen und in der Folge damit auch einen Beitrag zur Erhöhung der Investitionsneigung zu leisten. In dem die Forschungsprämie auf die FuEPersonalaufwendungen im Mittelstand beschränkt wird, wird die Wissensintensivierung der KMU verbessert, die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstandes bei der Suche nach qualifiziertem Personal gestärkt, Anreize für mehr Weiterbildungsaktivitäten gesetzt und dem Fachkräftemangel im Mittelstand entgegengewirkt.
- 11. Nach Ansicht des Bundesrates dürfen strukturell notwendige Maßnahmen zur Stärkung der mittelständischen Wirtschaft auch angesichts der Bewältigung anderer dringender Probleme in Deutschland nicht vernachlässigt werden. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher dazu auf, einen Gesetzesentwurf zur Einführung einer Forschungsprämie vorzulegen, der sich an den o.g. Eckpunkten orientiert.