Der Bundesrat hat in seiner 820. Sitzung am 10. März 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt Kenntnis von dem Strategischen Plan zur legalen Zuwanderung, der im Sinne eines Zeitplans die in diesem Bereich von der Kommission in den Jahren 2006 bis 2009 beabsichtigten Maßnahmen darstellt. Er begrüßt die erklärte Absicht der Kommission, bei der Zulassung zum Arbeitsmarkt der Gemeinschaftspräferenz jedenfalls im Grundsatz Rechnung zu tragen und hinsichtlich von Zulassungsverfahren zum Arbeitsmarkt keinen ausschließlich horizontalen Ansatz mehr zu verfolgen. Der Bundesrat sieht sich damit in seiner entsprechenden Positionierung zum Grünbuch Wirtschaftsmigration gestärkt (vgl. Beschluss vom 18. März 2005, BR-Drucksache 037/05(B) ). Weiter bekräftigt der Bundesrat auch im Zusammenhang mit dieser Mitteilung nochmals, dass eine Gemeinschaftskompetenz zur Regelung des Zugangs von Drittstaatsangehörigen zum Arbeitsmarkt nicht besteht.
- 2. Er unterstreicht, dass die Festlegung der Anzahl zuzulassender Arbeitsmigranten in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.
- 3. Der Bundesrat weist mit Nachdruck darauf hin, dass angesichts der Arbeitsmarktlage in weiten Teilen der EU und der bei der Integration von Migranten bestehenden Probleme eine generelle Forcierung der Zuwanderung aus Drittstaaten nicht im Interesse der Mitgliedstaaten liegt. Vielmehr muss es auf lange Sicht Ziel sein, das innereuropäische Arbeitskräftepotential unter Einbeziehung der sich in den Mitgliedstaaten legal aufhaltenden Migranten auszuschöpfen. Auch insoweit nimmt der Bundesrat auf seinen Beschluss vom 18. März 2005 Bezug.
- 4. Im Hinblick auf die Arbeitsmarktsituation in weiten Teilen der EU vermag der Bundesrat der Einschätzung der Kommission nicht zu folgen, dass "die gegenwärtige Lage und Aussichten auf den EU-Arbeitsmärkten weitgehend einem "Bedarfsszenario" entsprechen". In Deutschland etwa erreicht die Arbeitslosigkeit seit Mitte der 70er Jahre beständig neue Höhen, im Januar 2006 betrug die Zahl der registrierten Arbeitslosen wie bereits Anfang 2005 über 5 Millionen. Auch angesichts dessen muss es - wie die Kommission ebenfalls in der Mitteilung zu Recht fordert - vorrangig sein, vor allem im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele der Neuen Lissabon-Strategie zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft mehr EU-Bürger und bereits rechtmäßig aufhältige Migranten in Arbeit zu bringen.
- 5. Die Auffassung der Kommission, die Zuwanderung weiterer drittstaatsangehöriger Ausländer werde von elementarer Bedeutung für die Deckung des gegenwärtigen und künftigen Arbeitskräftebedarfs sein und daher wirtschaftliche Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum gewährleisten, ist spekulativ. Sie vernachlässigt insbesondere die Möglichkeiten der erforderlichen Mobilisierung des EU-heimischen Arbeitskräftepotentials, insbesondere auch mit Blick auf die Beitritts- und Kandidatenstaaten und auf die anstehende völlige Arbeitnehmerfreizügigkeit, und verdrängt die Tatsache, dass die Mehrzahl der Zuwanderungswilligen nicht ausreichend qualifiziert ist, um dem höchst spezialisierten und differenzierten Bedarf auf den Arbeitsmärkten der EU-Staaten zu genügen. Beleg hierfür ist der weit überproportionale Anteil der Personen mit Migrationshintergrund an der Zahl der Erwerbslosen.
- 6. Der Bundesrat sieht in der Zuwanderung im Hinblick auf die erforderliche Aufnahmefähigkeit der aufnehmenden Gesellschaft sowie auf die häufig relativ rasche Anpassung der Zuwandererpopulation an die demografischen Verhaltensweisen der Aufnahmepopulation auch kein nachhaltiges Instrument im Rahmen einer Lösung demografischer Probleme.
Wissensaufbau und Information
- 7. Maßnahmen zur Verbesserung der Information müssen nach Auffassung des Bundesrates so gestaltet sein, dass sie bei Drittstaatsangehörigen ein realistisches und umfassendes Bild vermitteln, keine falschen Erwartungen hinsichtlich legaler Zuwanderung in die EU-Mitgliedstaaten wecken und insbesondere keine Signalwirkung für mehr Zuwanderung gerade auch im Bereich normal bzw. durchschnittlich oder gering qualifizierter Tätigkeiten entfalten. Bei der Umsetzung der Absicht der Kommission, "einige" Informationsinstrumente zu entwickeln, wird weiter darauf zu achten sein, dass diese nicht mehr oder weniger beziehungslos und damit wenig effektiv nebeneinander stehen, sondern die Informationen vielmehr gebündelt, kompakt und übersichtlich abrufbar sind.
- 8. Soweit die Kommission ankündigt, weitere Untersuchungen insbesondere über "Genehmigungen für Arbeitsuchende" durchzuführen, nimmt der Bundesrat Bezug auf seinen Beschluss vom 18. März 2005 (a.a.O.), in dem bereits festgestellt wurde dass solche Genehmigungen die Durchbrechung bzw. zumindest eine erhebliche Aufweichung des Grundsatzes der Zuwanderungsbegrenzung befürchten lassen. Darüber hinaus eröffnen sie auch Missbrauchsmöglichkeiten.
Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern
- 9. Einer Erleichterung der so genannten zirkulären Migration steht der Bundesrat zurückhaltend gegenüber. Sie bedeutet in Verbindung mit den ebenfalls vorgeschlagenen Mehrfach-Visa für zurückkehrende Migranten und der Bevorzugung ehemaliger Migranten bei der Vergabe von Aufenthaltstiteln für eine weitere Beschäftigung die Ausdehnung der Gemeinschaftspräferenz auch auf Drittstaatsangehörige, die nur zur Erzielung eines effektiven Mehrwerts erfolgen sollte etwa bei Hochqualifizierten. Eine pauschale Erleichterung der so genannten zirkulären Migration wird diesem Kriterium nicht gerecht, sie würde im Gegenteil zu Lasten der Flexibilität bei der Auswahl drittstaatsangehöriger Arbeitskräfte gehen. Diese Nachteile vermeidet die von der Kommission ebenfalls befürwortete befristete Migration.
- 10. Hinsichtlich der Rückkehrmigration und als Beitrag zur Missbrauchskontrolle kann die Errichtung einer Datenbank zur Erfassung von Drittstaatsangehörigen, die nach Ablauf ihrer Aufenthalts-/Arbeitsgenehmigung die EU verlassen haben von Vorteil sein.
Integration
- 11. Der Bundesrat unterstreicht, dass Zuwanderung und Integration untrennbar verbunden sind. Er bekräftigt die Schlussfolgerung im Haager Programm, dass die europäischen Gesellschaften durch die erfolgreiche Integration der sich rechtmäßig in der EU aufhaltenden Drittstaatsangehörigen und ihrer Nachkommen an Stabilität und Zusammenhalt gewinnen.
Zu den einzelnen Richtlinien
- 12. Vorbehaltlich ergänzender Stellungnahmen, insbesondere auch zu den künftigen konkreten Richtlinienvorschlägen, nimmt der Bundesrat zu der Mitteilung bzw. zu den mit den beabsichtigten Richtlinien verfolgten Anliegen wie folgt Stellung, wobei er begrüßt, dass für die Zulassung einzelner Zuwanderergruppen der sektorale Ansatz gewählt wird:
Allgemeine Rahmenrichtlinie
- 13. Der Bundesrat ist nicht der Auffassung, dass die Gewährung weiterer EU-einheitlicher Rechte für bereits in einem Mitgliedstaat beschäftigte Drittstaatsangehörige, die noch keinen Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis -Daueraufenthalt-EG gemäß der Richtlinie 2003/109/EG haben, insbesondere auf gemeinschaftsrechtlicher Grundlage im Sinne einer horizontalen Rahmenrichtlinie erforderlich ist. Die in dem Vorschlag enthaltene unterschwellige Unterstellung, dass die in den Mitgliedstaaten legal aufhältigen Arbeitnehmer in einem Ausmaß Diskriminierungen unterliegen, das ein Eingreifen der EU unabdingbar macht muss zurückgewiesen werden. Weiter erscheint entgegen der Auffassung der Kommission der propagierte gemeinsame Rahmen im Hinblick auf die höchst unterschiedlichen Arbeitsmarktverhältnisse einschließlich Tarifbedingungen innerhalb der EU nicht als relevanter Beitrag "zur Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen". Einmal mehr ist die Kommission offenbar zudem der irrigen Ansicht, es sei ihre Aufgabe, die Gleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen. Unbedingt zu vermeiden ist eine - auch schleichende - Angleichung der Rechtsstellung der Drittstaatsangehörigen, die keinen Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis - Daueraufenthalt-EG gemäß der Richtlinie 2003/109/EG haben, an die Rechtsstellung derjenigen, die bereits langjährig aufenthaltsberechtigt sind.
- 14. Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang auch die Annahme der Kommission, mit der Anerkennung von Diplomen und sonstigen Qualifikationen werde verhindert, dass Zuwanderer eine Tätigkeit ausüben, für die sie überqualifiziert sind. Die Beschäftigungschancen richten sich primär nach den Verhältnissen am (Arbeits-)markt und weniger nach dem formalen Erwerb von Qualifikationen. Es ist - auch in Deutschland - eine durch die Anerkennung von Diplomen nicht veränderbare Tatsache, dass viele Beschäftigte - auch Inländer "überqualifiziert" tätig sind. Von der Zumutbarkeit solcher Tätigkeiten gehen die Instrumentarien der Arbeitsverwaltung auch aus.
- 15. Ein einheitliches Antragsverfahren zur Erteilung einer kombinierten Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung auf der Ebene der Mitgliedstaaten ist gegenüber einem dualen Verfahren mit doppelter Antragstellung vorzugswürdig. Der Bundesrat begrüßt dass die Kommission seine Position (vgl. Beschluss vom 18. März 2005, a.a.O.) teilt. Im Übrigen entspricht jenes Verfahren auch der Regelung im Aufenthaltsgesetz.
Spezifische Richtlinien
- 16. Der Bundesrat hält es - anders als die Kommission - weiterhin für geboten, dass die Zulassung zum Arbeitsmarkt generell und ausnahmslos an das Vorhandensein eines Arbeitsvertrages geknüpft und der Arbeitsmarktvorrang immer geprüft werden muss. Der Nachweis eines konkreten Arbeitsplatzangebots kann für sich allein nicht Bedingung für die Zulassung zum Arbeitsmarkt sein.
Richtlinie zur Zulassung hoch qualifizierter Arbeitnehmer
- 17. Ebenso wie die Kommission hält es der Bundesrat für notwendig, den Zugang von Hochqualifizierten und Spitzenkräften zum deutschen und europäischen Arbeitsmarkt im nationalen wie im europäischen Interesse flexibel und unbürokratisch zu ermöglichen.
- 18. Der Bundesrat befürwortet die Einführung einer Sonderregelung für den Personenkreis hoch qualifizierter Arbeitnehmer. Der Bundesrat unterstreicht gleichzeitig dass die gezielte Zuwanderung von Hochqualifizierten einen wichtigen Beitrag beim Ausbau der wissensbestimmten Wirtschaft in Europa und bei der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung spielen und dadurch einen Beitrag zur Durchführung der Lissabonner Strategie leisten kann. Er verweist auf die Regelung in § 19 AufenthG. Zur Vermeidung von Missbrauchsmöglichkeiten müssen die Voraussetzungen für die Zulassung allerdings auf wirkliche Spitzenkräfte begrenzt werden. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, sich dafür einzusetzen, dass eine Sonderregelung für die Zuwanderung hoch qualifizierter Arbeitnehmer nicht durch eine Öffnungsklausel auf andere Arbeitnehmer erstreckt werden kann.
- 19. Eine EU-weite "Green Card" im Sinne einer EU-Arbeitsgenehmigung wird nicht befürwortet, da sie den Anforderungen regionaler Arbeitsmärkte nicht gerecht würde und unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität nicht erforderlich erscheint.
Richtlinie zur Zulassung von Saisonarbeitnehmern
- 20. Der Bundesrat lehnt die Schaffung einer EU-einheitlichen Sonderregelung für die Beschäftigung von Saisonarbeitnehmern aus Drittstaaten ab. Die Saisonbeschäftigung ist untrennbar mit der Situation am regionalen Arbeitsmarkt verbunden und erfordert Flexibilität anstatt eines starren Korsetts. Da bzw. solange es in der EU keinen einheitlichen Arbeitsmarkt gibt, muss es jedem Mitgliedstaat selbst überlassen werden, entsprechende Regelungen vorzusehen. Darüber hinaus ist die Einschätzung der Kommission unzutreffend, dass nur wenige EU-Bürger und in der EU ansässige Personen bereit sind, saisonale Tätigkeiten auszuüben. Dies gilt insbesondere nicht für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten. Die Einbeziehung des Baugewerbes in eine Saisonarbeitnehmerregelung wird strikt abgelehnt, da dieser Bereich besonders missbrauchsanfällig ist.
- 21. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum der drittstaatsangehörigen Saisonarbeitskraft Planungssicherheit über einen derart langen Zeitraum eingeräumt werden soll, wie ihn viele inländische oder sonst ansässige Arbeitnehmer bei weitem nicht genießen.
Richtlinie betreffend innerbetrieblich versetzte Arbeitnehmer
- 22. Die vorgeschlagene Sonderregelung für die innerbetriebliche Versetzung von Führungskräften bedarf noch näherer Erläuterung, wird aber grundsätzlich befürwortet soweit europaweit einheitliche Definitionen zu Grunde gelegt werden. Auch in Deutschland bestehen bereits entsprechende Regelungen.
Richtlinie betreffend bezahlte Auszubildende
- 23. Eine Sonderregelung für bezahlte Auszubildende erfordert zumindest, dass zum Schutz des Auszubildenden und des regulären Arbeitsmarkts sichergestellt ist, dass Missbrauch durch die Überlassung einer unterbezahlten regulären Beschäftigung wirksam ausgeschlossen werden kann. Zur Sicherstellung des Ausbildungserfolgs könnten außerdem ausreichende Kenntnisse der Sprache des Aufnahmelandes zur Voraussetzung gemacht werden. Zweifelhaft erscheint allerdings insgesamt der EU-weite Bedarf nach einer entsprechenden Regelung.
Weitere Stellungnahme
- 24. Der Bundesrat behält sich nach Vorlage der angekündigten Richtlinien eine weitere Stellungnahme vor.