881. Sitzung des Bundesrates am 18. März 2011
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In),
der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U), der Wirtschaftsausschuss (Wi) und der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung (Wo) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
Zur Vorlage allgemein
- 1. Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich die Intention der Kommission für einen gezielten und besseren Einsatz öffentlicher Gelder und öffentlicher Vergabeverfahren. Die mit der Modernisierung der Vergaberichtlinien angestrebten Ziele der Vereinfachung, Flexibilisierung und Steigerung der Effizienz der Vergabeverfahren werden ausdrücklich begrüßt. Dasselbe gilt auch für die Tatsache, dass die Kommission verschiedene Problemfelder aufgreift, um Vergaben insgesamt rechtssicherer zu gestalten.
Zu Ziffer 1.2. Öffentliche Aufträge
- 2. Der Bundesrat wendet sich jedoch gegen eine Änderung der bekannten und in der Praxis bewährten Struktur des Vergaberechts. Insbesondere sollte eine Unterscheidung nach Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen beibehalten werden. Vor dem Hintergrund der mehrfachen Überarbeitung des Vergaberechts in Deutschland in den vergangenen Jahren sollte vorerst mehr Wert auf Kontinuität gelegt werden.
Zu Ziffer 2.2. Spezifische Instrumente für kleine öffentliche Auftraggeber
- 3. Der Bundesrat begrüßt die Intention, einen einfacheren Verfahrensrahmen für lokale und regionale öffentliche Auftraggeber zu schaffen. Er lehnt aber weitere Leitlinien für die Vergabe von Aufträgen unterhalb der für die Anwendung der Vergaberichtlinien maßgeblichen Schwellenwerte ab. Bezüglich der Anwendung primärrechtlicher Grundsätze kann ausreichende Rechtssicherheit gegebenenfalls durch die Rechtsprechung geboten werden.
Zu Ziffer 2.3. Öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit
- 4. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass bei einer Novellierung des EU-Vergaberechts dem Bereich der In-House-Vergabe ein hoher Stellenwert beigemessen wird, weil In-House-Vergaben ein unentbehrlicher Bestandteil kommunalen Handelns zur Erledigung öffentlicher Aufgaben sind.
- 5. - Der Bundesrat begrüßt den Ansatz der Kommission, die Aufgabenübertragung als eine eigenständige Variante einer nicht dem Vergaberecht unterliegenden öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit anzuerkennen, und betont die Notwendigkeit, ausdrücklich klarzustellen, dass solche Zuständigkeitstransfers als Ausgestaltung der Organisationshoheit nicht vom Vergaberecht erfasst sind.
- - Eine legislative Regelung der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit lehnt der Bundesrat ab. Sie würde die europarechtlichen Kompetenzen überschreiten, wenn sie über das Vergaberecht hinaus mit einer Festlegung von Kriterien für innerstaatliche Organisationsstrukturen verbunden wäre. Diese sind stark von den unterschiedlichen nationalen Vorbedingungen abhängig und dem nationalen Recht vorbehalten. Klarstellende Leitlinien durch die Kommission, die sich grundsätzlich an den Darlegungen unter Ziffer 2.3 des Grünbuchs orientieren könnten, werden vom Bundesrat befürwortet; dies entspricht seiner Forderung in der Entschließung vom 13. Februar 2009 (BR-Drucksache 035/09(B) ). Dabei legt er Wert auf die Feststellung, dass abweichend von den Überlegungen der Kommission eine in der innerstaatlichen Organisationshoheit begründete Zuständigkeitsübertragung ihrer Natur nach grundlegend verschieden ist von Vereinbarungen, die auf einem gegenseitigen Leistungsverhältnis beruhen und deshalb durch zusätzliche Detailkriterien von einem vergabepflichtigen Auftragsverhältnis abzugrenzen sind.
- - Der Bundesrat hält es nicht für gerechtfertigt, bei einer nicht dem Vergaberecht unterliegenden Zuständigkeitsübertragung die Beteiligung von Privaten völlig auszuschließen, insbesondere im Fall einer institutionalisierten Zusammenarbeit. Auch bei privater Beteiligung soweit sie nationalrechtlich zulässig ist stellt eine Aufgabenübertragung durch Organisationsakt keinen Beschaffungsakt dar, solange damit keine Beauftragung des Privaten verbunden ist. Marktinteressen sind dadurch nicht berührt.
Auch die Festlegung des Kriteriums der "geringen Marktorientierung" ist bei organisatorischen Zuständigkeitsübertragungen differenziert zu betrachten. Der Bundesrat stimmt den Darlegungen im Grünbuch zu, wonach die konkrete öffentliche Stelle, der eine Aufgabe übertragen wird, nicht zusätzlich auf dem Markt tätig sein darf. Dagegen kann kein Kriterium für die Anwendung des Vergaberechts sein, ob für die betreffende Aufgabe ein Markt existiert. Andernfalls würde der in der Rechtsprechung des EuGH gefestigte Grundsatz konterkariert, wonach dem öffentlichen Auftraggeber freistehen muss, ob er sich auf dem Markt an externe Einrichtungen wendet oder die Aufgabe selbst bzw. in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen erfüllt.
- 6. - Der Bundesrat lehnt es ab, das Vorliegen einer vergaberechtsfreien Zuständigkeitsübertragung davon abhängig zu machen, ob gegenseitige Rechte und Pflichten vereinbart werden. Abgesehen davon, dass selbst die Kommission im Grünbuch fordert, dass die Zuständigkeit insgesamt übertragen werden muss, liegt es in der Natur einer Kompetenzübertragung, dass sich die übertragende Stelle ihrer Aufgabe entledigt und gerade keine damit verbundenen Verpflichtungen oder Rechte mehr wahrnimmt.
Zu Ziffer 2.5. Bedenken im Hinblick auf die Auftragsausführung
- 7. Der Bundesrat weist den Ansatz der Kommission zurück, bestimmte Aspekte der Auftragsausführung auf EU-Ebene zu regulieren. Die Bestimmung des Vertragsinhalts und damit der Auftragsausführung sollte dem Auftraggeber vorbehalten werden. In diesem Zusammenhang sollte das Subsidiaritätsprinzip betont werden.
Zu Ziffer 3.2. Gewährleistung eines fairen und wirksamen Wettbewerbs
- 8. Der Bundesrat begrüßt die Weiterentwicklung des Vergaberechts auf EU-Ebene. Ein zusätzlicher oder erhöhter Aufwand sollte dabei aber nicht entstehen. Vor allem ist den Vergabestellen nicht zuzumuten, Leistungsbeschreibungen in einer zweiten Sprache zu erstellen und in einer Fremdsprache verfasste Angebote zu akzeptieren.
Zu Ziffer 4.1 "Beschaffungstechnik" - Erreichung der Ziele von Europa 2020
- 9. Der Bundesrat stimmt der Auffassung der Kommission zu, dass dem öffentlichen Auftragswesen bei der erfolgreichen Umsetzung der Strategie Europa 2020 eine wichtige Rolle zukommt. Das öffentliche Auftragswesen ist hierbei wegen seines beträchtlichen Marktvolumens1 ein bedeutendes Instrument, um die Rahmenbedingungen für Unternehmen zur Stärkung ökologischer Innovation und die Unterstützung des Übergangs zu einer Ressourcen schonenden und emissionsarmen Wirtschaft zu fördern. Die öffentliche Hand kann damit wirksame Anreize für die Entwicklung der Märkte setzen und gezielt Innovationen fördern, die der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit dienen. Der Bundesrat begrüßt daher die mit dem Grünbuch eröffnete Diskussion darüber, wie das europäische Vergabewesen einen wirksameren Beitrag zur Umsetzung dieser Gemeinschaftsziele leisten kann.
- 10. Der Bundesrat begrüßt die bisherigen Initiativen der EU zur Verankerung von Umweltaspekten im Vergabewesen 2 . Diese haben maßgeblich dazu beigetragen, dass Umweltkriterien in Vergabeverfahren Berücksichtigung finden können und Umwelteigenschaften zulässige Zuschlagskriterien sind. Im Hinblick auf die anspruchsvollen Ziele der Strategie Europa 2020 erhalten diese Bemühungen nach Auffassung des Bundesrates einen wachsenden Stellenwert.
- 11. Der Bundesrat begrüßt zwar die Ziele der Strategie Europa 2020. Die Einführung weiterer sogenannter "vergabefremder Kriterien" lehnt der Bundesrat jedoch ab, da das öffentliche Auftragswesen in erster Linie dem Zweck der Bedarfsdeckung der öffentlichen Auftraggeber dient und das öffentliche Auftragswesen durch andere Bedingungen nicht überfrachtet werden soll.
- 12. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass die beabsichtigte Instrumentalisierung anderer Politiken maßvoll erfolgt. Oberstes Ziel einer Beschaffung sollte die wirtschaftliche Bedarfsdeckung sein. Soweit die Kommission an ihrem Vorhaben festhält, Umwelt- und Sozialaspekte stärker zu berücksichtigen, sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass nur der rechtlich zulässige Rahmen hierfür vorgegeben oder geschaffen wird.
In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat darauf hin, dass die Nachhaltigkeitsstrategien der Länder und des Bundes bereits heute wirksam durch die Vorgabe technischer Spezifikationen im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge verfolgt werden können. Ebenso lässt das bestehende vergaberechtliche System es zu, weitergehende Anforderungen an die Geeignetheit der Auftragnehmer in Bezug auf umweltbezogene Aspekte zu berücksichtigen, sofern sie auftragbezogen sind. Trotzdem besteht bei den Beschaffungsstellen teilweise eine gewisse Unsicherheit, was im Einzelnen gefordert werden darf, ohne die EU-Grundsätze der Transparenz und Nichtdiskriminierung zu verletzen.
Die Vorgabe eines Rechtsrahmens würde hier die notwendige Klarheit schaffen; ansonsten sollten die Mitgliedstaaten eigenverantwortlich entscheiden können, welche Politiken sie tatsächlich mit einer konkreten Beschaffung verfolgen möchten.
Im Hinblick auf die Haushaltslage der überwiegenden Anzahl der Mitgliedstaaten erfordert das öffentliche Auftragswesen mehr als je zuvor eine wirtschaftliche Vergabe. Beschaffungsstellen sind gezwungen, mit dem vorhandenen Budget sparsam umzugehen.
Soll der eigentliche Beschaffungszweck, die Bedarfsdeckung, im Einzelfall nicht gefährdet werden, darf die Berücksichtigung anderer, durchaus wünschenswerter Politiken nicht obligatorisch eingeführt werden.
- 13. Weitere Ziele aus anderen Politiken sollten auf EU-Ebene für das Vergaberecht mithin nicht verbindlich vorgegeben werden.
- 14. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass eine umweltfreundliche bzw. nachhaltige Beschaffung so ausgestaltet werden soll, dass sie langfristig zumindest kostenneutral wirkt und der sparsamen Mittelverwendung dient, die Ressourcen schont und somit die öffentliche Hand vor unkalkulierbaren Folgekosten ihrer Vergabetätigkeit schützt. Ausgehend von der Staatszielbestimmung des Artikels 20a GG ist der Bundesrat der Auffassung, dass der öffentlichen Hand dahingehend eine Vorbildfunktion zukommt, sich selbst strengere Anforderungen für die Auftragsvergabe aufzuerlegen, als dies gegenüber Privaten erfolgt.
- 15. Im Übrigen ist der Bundesrat der Auffassung, dass die EU auch hier das Subsidiaritätsprinzip beachten sollte.
- 16. Der Bundesrat lehnt es ab, die obligatorische Verknüpfung der Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers an den Auftragsgegenstand abzuschwächen oder sogar ganz fallen zu lassen. Nach Ansicht des Bundesrates sollte stets das zu Beschaffende im Vordergrund stehen und es sollten die Eigenschaften des Beschaffungsgegenstands von der Vergabestelle festgelegt werden dürfen.
- 17. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission. B
- 18. Der Finanzausschuss und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.
- 1. Beispielsweise vergibt die öffentliche Hand in Deutschland jedes Jahr Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Wert von etwa 360 Mrd. Euro. Dies macht ca. 17 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus (vgl. Empfehlungen des Rates für Nachhaltige Entwicklung an die Bundesregierung, August 2008, Seite 3).
- 2. Mitteilung der Kommission "Umweltorientiertes Öffentliches Beschaffungswesen" - KOM (2008) 400 endg., "Handbuch für ein umweltorientiertes öffentliches Beschaffungswesen" und Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG.