Der Bundesrat hat in seiner 814. Sitzung am 23. September 2005 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrungen zu verbessern und die Verordnung zu ändern, soweit im praktischen Vollzug besondere Hindernisse aufgetreten sind. Die Zielrichtung einer Vereinfachung und Beschleunigung des Zustellungsverfahrens wird ebenso befürwortet wie die beabsichtigte Erhöhung der Transparenz der mit der Zustellung verbundenen Kosten. Allerdings werden die vorgeschlagenen Neuregelungen dieser Zielsetzung nur teilweise gerecht.
Für das weitere Vorgehen auf europäischer Ebene sollte nach Ansicht des Bundesrates Folgendes berücksichtigt werden:
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1. Zu Artikel 7 Abs. 2
Die fristgemäße Einleitung der Zustellung sollte für die Einhaltung der in Artikel 7 Abs. 2 vorgesehenen Monatsfrist für die Zustellung ausreichen:
Es gibt Fälle, in denen die Zustellung innerhalb eines Monats nicht möglich ist, etwa, wenn der Aufenthaltsort des Zustellungsadressaten nur schwer zu ermitteln ist. Eine Monatsfrist wird in derartigen Fällen voraussichtlich dazu führen, dass die Empfangsstelle, schon um einer etwaigen Amtshaftung zu entgehen, in der Regel innerhalb der Monatsfrist die Undurchführbarkeit der Zustellung bescheinigen wird, statt geeignete, aber zeitaufwändige Schritte zur Feststellung der Zustellungsadresse zu unternehmen. Die Frist würde also dem Ziel der Verordnung, die Rechtshilfe im Bereich der Zustellung zu verbessern, gerade in den Fällen, für die sie hauptsächlich gedacht ist, mehr schaden als nutzen.
Das Ziel, die Einleitung der Zustellung für die Einhaltung der Monatsfrist genügen zu lassen, könnte etwa dadurch erreicht werden, dass Artikel 7 Abs. 2 wie folgt gefasst wird: "Die Schriftstücke werden so rasch wie möglich zugestellt; in jedem Fall sind die für die Zustellung erforderlichen Schritte binnen eines Monats einzuleiten.".
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2. Zu Artikel 8 Abs. 1
- - Im Verordnungstext sollte klargestellt werden, welches Ereignis für die Wahrung der Frist maßgeblich ist. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte auf den Eingang der Erklärung beim Adressaten abgestellt werden. Die vorgeschlagene Regelung in Artikel 8 Abs. 1 lässt diese - für die Praxis bedeutsame - Frage offen. Da es sich bei der Erklärung der Annahmeverweigerung um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, muss jedoch insbesondere im Hinblick auf die kurze Erklärungsfrist sicher zu ermitteln sein, ob eine Annahmeverweigerung rechtzeitig oder verspätet erfolgt ist.
- - Die in Artikel 8 Abs. 1 für die Rücksendung des zuzustellenden Schriftstücks bei Annahmeverweigerung vorgesehene Frist von einer Woche dürfte im Fall einer unmittelbaren Postzustellung nach Artikel 14 zu knapp bemessen sein. Die Annahmeverweigerung kann in diesen Fällen nur gegenüber der - in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen - Übermittlungsstelle erklärt werden. Die Postlaufzeit zwischen zwei Mitgliedstaaten kann durchaus mehr als sieben Tage betragen. Auf Grund dessen sollte zur Wahrung der Rechte des Zustellungsempfängers die Frist zwei Wochen betragen.
- - Die Einführung eines mehrsprachigen Formblatts für die Belehrung des Empfängers über sein Annahmeverweigerungsrecht nach Artikel 8 Abs. 1 wird begrüßt. Allerdings sollte im Verordnungstext oder jedenfalls in dem Formblatt klargestellt werden, wem gegenüber die Annahmeverweigerung zu erklären und auf welche Bedingung zur Wahrung der Erklärungsfrist abzustellen ist.
Nach der vorgeschlagenen Regelung könnte Erklärungsempfänger diejenige Stelle sein, welche die Belehrung erteilt, also die Empfangsstelle, auch wenn das Formular für den Belehrungsvordruck keinerlei Angaben über diese Stelle (Name, Anschrift, Aktenzeichen) vorsieht. Auf Grund dessen könnte es für den Zustellungsempfänger auch nahe liegen, seine Erklärung über die Annahmeverweigerung an diejenige Stelle zu senden, die sich aus dem zuzustellenden Schriftstück ergibt, d.h. die ausländische Übermittlungsstelle oder das ausländische Gericht. Dies gilt erst recht im Fall einer unmittelbaren Postzustellung, für den nach Artikel 15a ebenfalls die Regelung des Artikels 8 Abs. 1 eingreift; da bei dieser Zustellungsart keine Empfangsstelle tätig wird, kann die Belehrung de facto nur von der übermittelnden Stelle erteilt werden, die dann auch nur als Empfänger der Erklärung über die Annahmeverweigerung in Betracht kommt.
Auf Grund dessen sollte aus Gründen des Gleichlaufs der verschiedenen Zustellungsmöglichkeiten in Artikel 8 Abs. 1 klargestellt werden, dass die Beifügung der schriftlichen Belehrung über die Annahmeverweigerung der Übermittlungsstelle obliegt. Zugleich sollte deren Anschrift und Aktenzeichen im Belehrungsformblatt eingetragen werden.
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3. Zum Formblatt zu Artikel 10
Sollte es bei der Möglichkeit einer Annahmeverweigerung gegenüber der Empfangsstelle in den originären Fällen des Artikels 8 bleiben, sollte diese verpflichtet werden, das Datum der Annahmeverweigerung der Übermittlungsstelle mitzuteilen, damit die Einhaltung der Frist überprüft werden kann. Hierzu könnte die Bescheinigung nach Artikel 10 unter Nummer 14 wie folgt ergänzt werden:
- Der Empfänger verweigerte am ... die Annahme des Schriftstücks ...
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4. Zu Artikel 11 Abs. 2
In Artikel 11 Abs. 2 sollte die Möglichkeit, einen Ersatz für Auslagen im Wege der Vorkasse zu verlangen, beseitigt werden, etwa, indem die Wörter "zu zahlen oder" gestrichen werden. In einigen Mitgliedstaaten wird unter Berufung auf diesen Passus der Verordnung Auslagenersatz im Wege der Vorkasse verlangt. Dies führt in der Regel zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens, weil die Zustellung erst nach Erstattung der Auslagen erfolgen kann. Dies gilt auch dann, wenn, wie nach dem Entwurf zwingend vorgesehen, eine Festgebühr verlangt wird, weil auch diese nicht bereits bei Übermittlung des Zustellungsersuchens gezahlt werden kann, weil dies ohne Kenntnis der Referenznummer der Empfangsstelle nicht möglich ist. Eine Vorkasse ist auch nicht erforderlich, um den notwendigen Auslagenersatz zu gewährleisten. In einem einheitlichen Rechtsraum sollte das notwendige Vertrauen in die Bereitschaft der jeweils ersuchenden Stelle zur Erstattung der Auslagen vorhanden sein.
In Artikel 11 Abs. 2 oder zumindest in den Erwägungsgründen sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass bei Gewährung von Prozesskostenhilfe im Übermittlungsmitgliedstaat nach Artikel 21 eine Zahlung oder Erstattung ausländischer Zustellungskosten generell nicht zu erfolgen hat.
Nach dem Ergebnis der Praxisanhörung treten immer wieder Fälle auf, in denen trotz bewilligter Prozesskostenhilfe im Übermittlungsmitgliedstaat die Zahlung von Zustellungskosten durch die ausländische Empfangsstelle verlangt wird; dies wird - zu Unrecht - u. a. damit begründet, dass nach Artikel 11 Abs. 2 Buchstabe a der Verfahrensbeteiligte die Kosten stets zu zahlen habe. In anderen Mitgliedstaaten (z.B. in Frankreich) wird zwar anerkannt, dass der Verfahrensbeteiligte bei bewilligter Prozesskostenhilfe für die Kosten nicht aufzukommen brauche; dort wird allerdings verlangt, dass zusätzlich auch im Empfangsmitgliedstaat - isoliert für das Zustellungsverfahren - Prozesskostenhilfe vom Verfahrensbeteiligten beantragt und im Empfangsmitgliedstaat gewährt werden müsse. Wegen der erforderlichen Übersetzungen besteht jedoch die Gefahr, dass ein solcher Antrag wirtschaftlich uninteressant ist und nicht gestellt wird, weil bereits die Übersetzungskosten höher ausfallen als der für die Zustellung verlangte Betrag.
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5. Zu Artikel 14
In Artikel 14 sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass jeder Mitgliedstaat - wie sich auch aus dem achten Erwägungsgrund ergibt - unmittelbare Postzustellungen zu gestatten und anzubieten hat. Darüber hinaus sollte klargestellt werden, dass die Möglichkeit zur unmittelbaren Postzustellung nur Behörden und sonstigen Stellen der Mitgliedstaaten zusteht. Lässt man die Postzustellung auch durch andere Stellen zu, so besteht Grund zur Besorgnis, dass die in Artikel 15a zu Recht auch für die unmittelbare Postzustellung nach Artikel 14 für anwendbar erklärten Belehrungspflichten nicht hinreichend beachtet werden.
Beides könnte im ersten Halbsatz des Artikels 14 bereits durch die Formulierung "Die Übermittlungsstelle kann Personen,..." erreicht werden. Demgegenüber könnte die vorgeschlagene Fassung - zu Unrecht - den Eindruck erwecken, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer unmittelbaren Postzustellung als nach ihrem nationalen Recht abwählbar erachten könnten.
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6. Zu Artikel 15
Die beabsichtigte Streichung des geltenden Absatzes 2 wird abgelehnt. Hierdurch würde die Erklärung Deutschlands, die unmittelbare Zustellung von Schriftstücken durch Amtspersonen, Beamte oder andere zuständige Personen nicht zuzulassen, hinfällig. Dies würde dazu führen, dass künftig insbesondere die deutschen Gerichtsvollzieher ausländische Zustellungsaufträge innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens erhalten und somit - nach den Grundsätzen des deutschen Prozessrechts - auch im Amtsbetrieb generell tätig werden müssten. Dies erscheint auf Grund der bereits hohen Geschäftsbelastung der Gerichtsvollzieher nicht hinnehmbar. Eine Personalvermehrung kommt insoweit nicht in Betracht. Zudem sind die Gerichtsvollzieher mit einer Ausführung ausländischer Zustellungsaufträge, insbesondere einer Anwendung der Bestimmungen der EG-Zustellungsverordnung, bislang weder befasst noch vertraut.
Sollte es gleichwohl bei der Streichung des Artikels 15 Abs. 2 bleiben, sollte die vorgeschlagene Regelung dahin ergänzt werden, dass eine Zustellung gerichtlicher Schriftstücke durch Amtspersonen, Beamte oder sonstige zuständige Personen nur zulässig ist, soweit dies auch nach nationalem Recht vorgesehen ist. Der Gerichtsvollzieher wäre dann z.B. für Fälle der Parteizustellung zuständig (Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, einstweilige Verfügungen und Arreste).